Eine Buchmesse ist ein Ort für Leute in Hasenkostümen - auch!
Eine Buchmesse ist ein Ort für Leute in Hasenkostümen
- auch!
Man wird sicherlich das ein oder andere Wort darüber verloren haben, wie die Reformation und die Erfindung des Buchdrucks zusammen wirkten. Schließlich ist 2017 Luther-Dekade und Buchdruck, Revolutionen und Luther passen zur Thematik des freien Wortes sicherlich gut zusammen. Und dann wird man einige Kritik lesen, die FAZ oder die ZEIT beruhigt beiseite legen und sich wieder dem Tagesgeschäft widmen. Denn eigentlich ist es im Grunde ja immer dieselbe Zeremonie, welche nach einer Messe an sich abläuft und …
Bis Sie und ich und wir auf einen Artikel stoßen, der - ja - also - da muss man schon viel und gut und tief lesen um schon die ersten Sätze zu verstehen. Geäußert hat sich Carsten Otte, Literaturredakteur des SWR und er fordert eine Verbannung von „Klamauk und kulturindustriellere Hokuspokus“. Moment mal, seit wann ist denn die Buchmesse Leipzig ein Ort, an dem man Spaß haben kann? Buchmessen sind Orte, an denen tiefernste Autoren mit schwarzen Hornbrillen an Tischen sitzen und Gedichte von Weltbedeutung in die Welt posaunen, während die Jugend in schwarzen Pullis an der Gauloise zieht und über Sartres Auffassung von Sysiphos disktutiert…
Nein, natürlich nicht. Buchmessen sind auch ein Ort, an dem man Spaß haben kann und Carsten Otte kritisiert nicht den Rummel, den ein Autor wie Dieter Bohlen etwa vor Zeiten auf der Frankfurter Buchmesse verursachte - ein Klamauk von solchem Ausmaß, dass dem Feuilleton das Lachen im Hals stecken blieb angesichts der Wertigkeit des Werkes. Otte kritisiert nicht die Methoden des Marketings, das lustige Buttons verteilt oder mit abstrusen Aktionen auf die eigenen Autoren und Bücher aufmerksam macht. Kulturindustrieller Hokuspukus in Reinkultur findet man bisweilen auch in der Branche selbst, so etwa wenn Maker-Fair-Messen in die Buchgeschäfte hineingeholt werden und dann versucht wird mit dem ultrastarkem Jetzt-Helfe-Ich-Mir-Selbst-Eine-Drohne-Zu-Programmieren-Buchsortiment an die Ausstrahlung anzuknüpfen. Übersehen wird, dass die Maker-Bewegung mehr ist als nur ein Ort für kulturindustriellen Hokuspokus, dass Menschen durchaus versuchen die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Und was macht die Buchbranche daraus? Genau das, was Carsten Otte den Cosplayern auf der Buchmesse vorwirft - die Cosplayer seien mit dem gehobenen Ernst der Veranstaltung, auf der sich über Freiheit, Folter, Verhaftung und den Umgang mit dem Freien Wort beschäftigt wurde nicht vereinbar und sollten deswegen von der Leipziger Buchmesse entfernt werden.
Nun mag Carsten Otte ein begnadeter Literaturkritiker sein, der anmerkt, dass „auch in diesem Jahr auf dem Frühlingstreff der Büchermacher emphatische Appelle für die Meinungsfreiheit gab, berührende Wortmeldungen von Schriftstellern, die unter Zensur und den Zumutungen diktatorischer Regimes zu leiden haben, sowie immer lautere Warnungen der Buchbranche, die zwar noch gute Geschäfte macht, die aber gegen Marktkonzentration und leichtfertige Reformen im Urheberrecht kämpft.“ Whow! Das sind natürlich ernsthafte Themen. Die auf politischer Ebene diskutiert werden müssen. Wenn wir aber ehrlich sind: Eine Buchmesse ist in erster Linie ein Schaulaufen der Verlage. Sicherlich kann es im Rahmenprogramm - und das wird ja auch immer wieder gemacht - Diskussionsveranstaltungen, Panels, Autogrammstunden, Lesungen zu diesen ernsthaften Themen geben. Eine Buchmesse ist aber in erster Linie eine Schau-Veranstaltung. Als Besucher drängt man sich durch die Massen, verweilt bei den Ständen, schaut sich das eine oder andere Buch auch genauer an und geht dann wieder weiter. Manchmal bleibt man stehen, wenn es um ernsthafte Themen geht oder gerade ein wichtiger Autor - wie Dieter Bohlen? - im Rampenlicht steht, aber ernsthafte Diskussionen zu führen ist der Besucher nun nicht unbedingt gewillt. Die Absicht der Branche, das Freie Wort in den Mittelpunkt zu stellen und dadurch Aufmerksamkeit vom Publikum für die Themen zu bekommen ist lobenswert. In diesen Zeiten auch natürlich. Aber gehört die Diskussion und die Erwähnung der Themen nicht eher auf die politische Bühne? Auf Parteitage? Und mal ehrlich: Welchem Besucher interessiert denn nun wirklich die aktuelle Lage des Buchhandels, der Warnungen ausstößt und irgendwas mit Piraterie zu tun hat?
Mich hat das als normaler Besucher der Frankfurter Buchmesse nie interessiert. Und ich war meistens als normaler Besucher auf der Buchmesse, weil nämlich das wichtigere Event für mich lange Zeit der Buchmesse-Con war, der am Wochenende der Frankfurter Buchmesse stattfindet. Das verbindende Element der beiden Veranstaltungen - in Leipzig wird's sicherlich auch eine Convention gegeben haben: Die Cosplayer. Dazu gehören im strengen Sinne eigentlich nur Fans, die sich wie die Charaktere der japanischen Mangas oder Animes verkleiden und dann auch meistens deren Rolle ins wahre Leben übertragen. Im Grunde ist Cosplay aber auch immer schon in dem Bereich angesiedelt, den Feuilletonisten wie Karsten Otte meiden wie der Teufel das Weihwasser: Nämlich in der phantastischen Unterhaltungsliteratur. (Es sei denn es ist Andreas Eschbach, das ist natürlich was Anderes.) Es gab schon immer Leute, die in Star-Trek-Uniformen herumlaufen, es gab immer schon Kostümwettbewerbe, es gab immer schon aufwendige und Interessante Kostüme.
Was die Buchmessen gemacht haben ist in der Tat vielleicht auf den ersten Blick nur ein Einladen von Leuten in Hasenkostümen. Die dann natürlich in diesen Kostümen als Besucher über die Messe gehen, um eventuell später dann Bücher zu kaufen, die dort vorgestellt wurden. Ich glaube, das ist immer noch der Zweck einer Büchermesse: Präsentieren und verkaufen und auch unterhalten.
„Wenn sich Kinder in farbenfrohe Kostüme werfen, kann man sich freuen, wenn Teenies vor den Fotoapparaten zumeist mittelalter Herren viel Bein und viel Brust zeigen, mag man sich wundern, aber wenn minderjährige Cosplayer Gefallen an pornographischen Posen finden, sollten Erwachsene nicht nur verschämt zur Seite schauen, sondern einschreiten.“
Da reibt man sich als Fan durchaus verdutzt die Augen und fragt sich, was der alte Herr Literaturkritiker da wohl gesehen haben und warum er nicht selbst eingeschritten ist. Dass Pornographie mit dem Manga-Fan verbunden wird ist einfach ein hartnäckiges Vorurteil, das man ausrotten muss. Ja, natürlich gibt es in Japan für Erwachsene solche Comics aka Mangas. Erwachsene wohlgemerkt. Was deutsche Verlage hier für die Zielgruppe auf den Markt werfen und auf einer Verkaufsmesse präsentieren erscheint aber in Zeitschriften wie etwa Shonen Jump in Japan und ist Unterhaltung für Jugendliche. Meistens erscheinen die Mangas als Fortsetzungsgeschichten und das, was wir hier in Deutschland bekomme sind teilweise Extra-Sammelbände für den Markt, Teilweise Übersetzungen von in Japan schon erschienen Sammelbänden oder es wird teilweise auch von deutschen Zeichnern im japanischen Stil gezeichnet. Es ist also ein vielfältige Ansammlung von Literatur, die man vorfindet und ich glaube, die Leipziger Buchmesse wird sich strikt gegen pornographische Schriften auf den Ständen verwahrt haben.
Karsten Otte ist zudem wohl bisher nicht in die Welt der Mangas eingetaucht. Denn Mangas transportieren durchaus im Gewand der Unterhaltung auch ernsthafte Themen. Es geht um Identitätsfindung, um Konflikte mit dem Elternhaus, um Versagensängste. Und es gibt sicherlich auch Mangas, die sich um die Freiheit des Wortes drehen oder um Politik. Der Markt ist so groß, dass ich nicht alle kennen kann, aber ebenso wie es Comics gibt, die sich um die Syrien-Frage drehen oder den Trickfilm „Waltz with Bashir“ so gibt es das in Japan natürlich auch.
Was Otte außer Acht lässt: Auf einer Messe herrscht das Laufpublikum. Man schlendert von einem Stand zum nächsten, bleibt dort stehen, wo es einen interessiert und nimmt den ein oder anderen Lesetipp zu sich nach Hause mit. Ob von den Diskussionen, die auf der Leipziger Buchmesse geführt wurden nun beim flüchtigen Besucher mehr bleibt als ein oberflächlicher Eindruck kann man nicht sagen. Da aber auf einer Messe Laufpublikum herrscht, marschieren Leute in Hasenkostümen bisweilen an Diskussionsrunden vorbei. Und vermutlich werden sie nicht unbedingt die Diskutanten aus der Fassung bringen, ebenso wie sie das Interesse der Leute an der Veranstaltung nicht beeinträchtigen werden. So hoch und hehr auch das ist, was man mit der Buchmesse als Begriff an sich verbindet, müsste man eigentlich eine andere Schlussfolgerung aus der Kritik des Feuilletonisten ziehen: Die ernsthaften Diskussionen gehörten demnach nicht auf eine Buchmesse sondern für sich genommen in ein Rahmenprogramm, dass in Literaturhäusern und Stadtbibliotheken als konzertierte Aktion auf die Problematik aufmerksam macht. Denn sonst verhallt das Ganze ungehört und ungesehen von der interessierten Öffentlichkeit. Diese interessiert sich in erster Linie auf einer Buchhandelsmesse für Romane, für Sach- und Fachliteratur, für Comics, Mangas, e-Book-Reader, Dieter Bohlen. Und so lange das ist und solange Verlage ihre Produkte auch für den Lesenachwuchs präsentieren, so lange werden verstaubte alte Herren halt nicht verstehen, warum Leute in Kostümen auf der Messe zu finden sind.
Kommentare
Gar nicht lustig diese Sichtweise.
Aber den Fehler alle Kuturredakteure des ÖR über einen Kamm zu scheren darf man nicht machen. Einer von Ihnen schreibt für den Zauberspiegel.
Das geschilderte Geschehen lag natürlich daran, dass die Manga-Comic-Con zeitgleich verteten war, die naturgemäß viele Cosplayer anzieht. zum Glück gibt es auch bereits "Gegenartikel" auf diesen Artikel, die etwas mehr Toleranz für die Jugend einfordern.Ein gutes Kostüm kann doch die Messe nur auflockern...selbst dann, wenn man gerade ernsthaft über Redefreiheit diskutiert...wenn das, das Kostüm, nicht Meinungsfreiheit ist,...gelebte,...was dann sonst?
Für einen wie mich, der bei den Öffentlich-Rechtlichen
angestellt ist, wieder einmal ein Kapitel zum fremdschämen.