Sezchuan-Sauce oder der Sinn des Lebens
Sezchuan-Sauce ...
... oder der Sinn des Lebens
Warum sollten wir das tun? Eigentlich müssten wir doch wissen: Je öfter wir uns an Erinnerungen - nun - erinnern, desto häufiger werden diese im Gehirn verändert. Und daher ist es eigentlich sinnlos, uns an den Geschmack der Szechuan-Sauce erinnern zu wollen, denn je häufiger wir das tun, desto weniger können wir uns eigentlich sicher sein, wie diese Sauce wirklich geschmeckt hat. Insofern ist das, was Rick in der ersten neuen Folge von "Rick und Morty" sei knapp anderthalb Jahren macht eigentlich - genau das, was Rick ausmacht.
"Rick und Morty" zeigt uns die Abenteuer des Wissenschaftlers Rick und seines Enkels Morty - auf die Parallelen zu den Charakteren von "Zurück in die Zukunft" hingewiesen könnte man Rick als Doc Brown und Morty als Marty McFly kennzeichnen. Damit hören aber die Gemeinsamkeiten schon auf. Denn anders als Doc Brown ist Rick ein gewissenloser, sarkastischer Wissenschaftsbastard, der für eine gute Zeit in einer Spielhalle schon mal eine Waffe an einen Killer verkauft. Rick ist nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht, außerdem auch wohl Alkoholiker, und stellt seinen Enkel Morty nicht nur immer wieder bloß, sondern bringt ihn auch in sehr grenzwertige Situationen - die meistens Rick selbst ausgelöst hat. Dass Rick zudem ein galaktisch gesuchter Terrorist ist, auch wenn unklar bleibt wofür er eigentlich ins Gefängnis muss, das ist dann noch die andere Geschichte.
In knapp 20 Minuten pro Folge nimmt uns die Serie auf einen Höllenritt durch sämtliche Klischees der Fantasy und Science-Fiction mit. Die Autobatterie als Mini-Universum, das nur dazu gedacht ist, Strom für die Ricks UFO zu liefern ist wohl mit eine der besten Ideen der Serie, obwohl die Parasiten, die die Erinnerung manipulieren und sich damit vermehren eine meiner Lieblingsfolgen ist. Aber hinter den sehr durchtriebenen Plots der Folgen steckt auch die Frage danach, wie man sein Leben angesichts eines chaotischen Universums ausrichten sollte. Oder wie man zu reagieren hat, wenn der Großvater auf einmal eine Portal-Gun erfindet und damit in jedes Universum eindringen kann.
Die Antwort, die "Rick und Morty" bisher liefert - die erste Folge der aktuellen dritten Staffel lief zwar vor vor kurzem, aber der Rest folgt erst in den späteren Monaten - eine sehr pessimistische Sicht auf das Leben. In einer Folge können die Familienmitglieder dank einer Brille sehen, was aus ihnen geworden wäre, wenn Ricks Tochter nicht vorzeitig von seinem Schwiegersohn Gerry schwanger geworden wäre und Morty und seine Schwester geboren hätte. Das Ergebnis: Die Eltern von Morty hätten Karriere gemacht und das ganze Leben von ihnen wäre besser, wenn es Morty und seine Schwester nicht gäbe. Diese deprimierende Sicht der Dinge wird von Morty noch verstärkt, der in der selben Folge seiner Schwester monologisiert, dass nichts einen Sinn hat, dass nichts Bedeutung hat. Da dies so ist, kann man sich auch vor den Fernseher setzen. Denn wie schon Monthy Python wußte, sind die Dinge im Fernsehen dank des Umschalten auch nicht gerade in einer sinnvollen Ordnung und genauso chaotisch wie das Leben selbst. Auch, wenn Fernsehen oder Youtube Trost spenden: Sie tuen es nur scheinbar.
Das erinnert ein wenig an Voltaires "Candide": Bestelle den eigenen Garten und sei so glücklich. Allerdings ist Rick kein Pangloß, der diese Welt für die beste aller erschaffenen Welten hält. Er weiß es wegen der Portal-Gun einfach besser: Es gibt keine Welt, die wirklich die beste aller Welten wäre. Jede Erde, jedes Universum, dass Rick und Morty in der Serie besuchen hat seine schlechte Seite, hat seine schlechten Dinge. Ebenso, wie es auch seine guten Dinge hat. Aber diese sind zu kurzlebig oder müssen mit einem Preis bezahlt werden. Einen Tag Videospiele - eine Waffenlieferung an den Killer.
Da Rick angesichts des größeren kosmischen Horrors - nicht zu Unrecht kommt im Vorspann Cthulhu vor - angesichts der Erkenntnis, dass nichts und niemand wirklich wichtig ist deprimieren muss, ist seine auferlegte Suche nach der Sezchuan-Sauce von 1998 ein ebenso wichtiger Sinn des Lebens wie für andere die Suche nach der Schwarzen-Lotus-Karte oder Gott. Und das ist eigentlich das Tragische, das Rick als Figur auszeichnet: Durch die Portal-Gun ist er praktisch Gott. Er kann in jedes Universum, er kann alles sehen, alles erleben - aber gerade durch diese Erfahrung, dass da außer ihm als Gott nichts ist, verzweifelt er. Und anders als bei anderen Sinn-Suchenden kann Rick zumindest ahnen, dass irgendwo im Multiversum auf einer Erde es gerade wieder 1998 ist und McDonalds die Szechuan-Sauce freudig verteilt.
Allerdings: Es ist nicht zu vermuten, dass wenn Rick die Sauce findet, er dann auch glücklich ist. Vermutlich wird er enttäuscht sein. Denn dadurch, dass er - wie das in der ersten neuen Folge der dritten Staffel durchschimmert - er sich stets und dauernd an den Geschmack der Sauce erinnert, verändert er ja die Erinnerung an sich komplett. Was dann im extremen Fall dazu führt, dass die Sauce nicht mehr so schmeckt, wie er sich an sie erinnert. Wir erleben das ja auch im Alltag hin und wieder: Da freut man sich auf ein Gericht, dass man lange nicht mehr hatte und dann schmeckt es nicht so, wie es Mama oder Oma oder der Lieferservice um die Ecke es zubereitet hat.
Insofern: Selbst wenn Rick die Sauce findet, wird er nach wohl nach wenigen Minuten einen neuen Sinn des Lebens suchen müssen und ihn brauchen, um nicht komplett wahnsinnig in diesem Kosmos zu werden, in dem er Gott und alle anderen nichts sind. Eine deprimierende Prämisse, sicherlich. Gerade deswegen ist "Rick und Morty" nun alles andere als Unterhaltung für Kinder. Sondern eher ein Anstoß zum Nachdenken darüber, was wäre, wenn wir Gott wären.