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Von der Freiheit des Moist von Lipwig - III - Reacher Gilts Perspektive

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneVon der Freiheit des Moist von Lipwig
III - Reacher Gilts Perspektive

Dass wir uns erstmal den Nebenfiguren widmen ist kein Zufall, denn die Nebenfiguren geben den eigentlichen Hintergrund ab vor denen sich die Diskussion über Freiheit und Unfreiheit bei Pratchett entwickelt. Und wie wir bei Anghammarad gesehen haben ist das gar kein so schlechter Einstieg. Obwohl  Reacher Gilt nun nicht unbedingt eine Randfigur ist - als Antagonist eh nicht und als Taktgeber der Handlung neben Moist eine der unverzichtbaren Figuren - ist Reacher Gilt eher von Aktionen als von Philosophie geprägt.

Dennoch gibt es eine Szene, in der klar wird wie Gil Freiheit für sich selbst und andere definiert.

Besitz ist Garantie der Freiheit: Reacher Gilt
Bevor es zu der ersten Konfrontation zwischen der Post und den Clacks, zwischen Moist von Lipwig und Reacher Gilt kommt werden die Fronten vorher in einem Gespräch abgesteckt, dass die Geschäftsleute des Trunks - also das Konsortium, dass das Clacks-System verwaltet - mit Lord Vetinari haben. Der Leser erfährt vorab, dass es Gerüchte gibt. Gerüchte, dass die Geschäftspraktiken des Trunks nicht so ganz sauber gewesen sind, Gerüchte von merkwürdigen Unfällen und Begebenheiten. Ein Bericht der Wache liegt Lord Vetinari, dem Patrizier und Lenker der Belange der Stadt Ankh-Morpork, zwar vor - aber der scheint auch nicht gerade präzise zu sein. Wenn selbst Drumknott, der penible Diener von Lord Vetinari unglücklich darüber ist, dass es offenbar kaum Hinweise gibt, dann sind diese wirklich nicht gerade verifizierbar. Vetinari weiß allerdings ganz genau, was da vor sich geht. Darüber besteht für den Leser auch absolut kein Zweifel, wenn er in einem Monolog genau die Position des Trunks darstellt was Geld und Profit anbelangt. So leicht macht man Vetinari, dem "thinking tyrant" nun auch wieder nichts vor. Nur: Die Beweise fehlen. Da das Post-Office wieder eröffnet wird, nimmt Lord Vetinari das zum Anlaß den Trunk zu sich zu bestellen. Zusammen mit deren Rechtsanwalt Slant.

Das Gespräch nimmt bald eine Wendung, die dem Trunk nicht gefallen kann. Lord Vetinari kritisiert, dass das Clacks-System mehr und mehr zusammenzubrechen droht. Es gibt Tage an denen das System ausfällt. Komplett. Über eine längere Dauer. Was für den Verbraucher ein Ärgernis ist, ist für Leute wie Vetinari ein Debakel. Denn Geschäftsleute sind vom Clacks-System abhängig. Und damit auch letztendlich die Stadt an sich. Auch wenn es sich auf dem ersten Blick nur um die Preise von Krabben im fernen Genua dreht, es ist eine essenzielle Kommunikationsform, die die Scheibenwelt in wenigen Jahren erobert hat. Da Ankh-Morpork als Stadt davon abhängig ist, darf Lord Vetinari sich zu Recht beim Trunk über die Sachlage beklagen. Momentan ist der Trunk alles, aber nicht „schneller als das Licht“, wie der Slogan lautet. „What do you think you are doing, Gentleman?“

Dies aber - so reagiert Reacher Gilt, der CEO des Trunks - sei, bei allem Respekt, nicht Lord Vetinaris Angelegenheit. Gilt verbittet sich eine Einmischung in die Belange des Trunks, weil der Trunk den privaten Geschäftsleuten gehört. Nicht der Stadt. Deswegen hat Lord Vetinari kein Recht sich in die Belange des Trunks einzumischen. Die Freiheit des bürgerlichen Eigentums darf durch ihn nicht gebrochen werden. Gilt wehrt die Vorwürfe komplett ab. Sein Motto: „Besitz ist die Grundlage der Freiheit.“ Rechenschaft ablegen muss der Trunk nur denjenigen, die Geldanteile an ihm erworben haben. Nicht gegenüber Lord Vetinari und Gilt präzisiert noch, dass er hoffe, Vetinari würde sich aus dieser Sache auch raushalten - denn immerhin sei Ankh-Morpork ja noch eine freie Stadt. Vergleichbar etwa mit dem Status der Hansestädte in unserer Geschichte. Ist Besitz aber wirklich die Grundlage der Freiheit? Wie wir gesehen haben: Ein Golem würde diese Frage durchaus mit Ja beantworten. Aber ein Mensch fasst den Begriff der Freiheit etwas weiter. Sicherlich ist Freiheit auch mit Besitz verbunden - die Möglichkeiten der Entscheidungen erweitern sich, wenn ich im Besitz von Geldmitteln bin. Freiheit kann aber auch heißen: Frei von Gesetzen. Frei von Ansprüchen. Frei, um kreative Möglichkeiten wahrnehmen zu können. Nicht umsonst heißt Freizeit genau deswegen so: Frei - Zeit. Eine freie Zeit, in der wir unabhängig von unserem Arbeitsleben sind und die wir mit dem verbringen können, was uns gefällt. Sofern wir nicht wieder von anderen Zwängen wie dem Erwerb von Lebensmitteln am Samstag gezwungen sind unsere freie Zeit dann doch wieder anderen Dingen zu opfern. Aber das ist der eigentliche Punkt: Wir können uns entscheiden. Wir können statt einzukaufen auch im Bett liegen bleiben. Letztendlich bleibt dann der Kühlschrank leer und wir hätten später ein Problem, aber natürlich können wir uns frei entscheiden was wir tun. Sofern wir - und das ist immer die Einschränkung - wir nicht in ein soziales Gefüge eingebunden sind, welches von uns erwartet, dass wir Ansprüchen genüge tun. Was eine Frage aufwirft: Selbst wenn wir als Junggesellen allein in einer Wohnung leben - sind wir dann wirklich frei? Oder nicht doch wieder darin bestrebt, die Hausgemeinschaft zufriedenzustellen in dem wir dann doch seufzend die Treppe wischen?

Kann wahre Freiheit also wirklich nur im Tod bestehen, wie das bei den Golems der Fall ist? Oder ist Freiheit einfach nur ein Ideal, dem man sich schrittweise nähern kann aber das man nie ganz be- und ergreift? Für Gilt steht fest: Wenn Besitz die Grundlage der Freiheit ist, dann hat die Freiheit eindeutig beschreibbare Grenzen. Jenseits des Gartenzauns würde für ihn die Freiheit beginnen. Ob das richtig ist oder nicht, das ist die Frage. Jenseits der eigenen Grenzen beginnt tatsächlich etwas Neues, etwas, was wir nicht einzuschätzen wissen. Jenseits der Komfortzone, so der Mythos, liegt das Paradies. Das Problem mit diesen Mythos ist aber, dass das Paradies laufend vor uns flüchtet. Wir betreten zwar das Neuland, schleppen aber immer unsere eigenen Erwartungen und Zweifel, unsere Ängste und Probleme mit. Das Paradies schnellt daraufhin wieder in unerreichbare Ferne und so geht das Suchen nach dem Wunder immer wieder von vorne los. Dabei machen wir bestimmt wichtige Erfahrungen. Dabei erleben wir bestimmt, wie begrenzt unser Leben sein kann und sind froh, dass wir einen gewissen Grad der Freiheit erfahren haben. Im Grunde aber jagen wir immer nur dem Paradies in einem immer währenden Sysphos-Kreislauf hinterher. Und wir bemerken es nicht einmal.

Aber: „There is always a choice.“ Wir haben immer die Wahl. Präziser: Wir haben immer die Wahl, aber die Alternativen sind nicht immer gleich groß. Der abgebrühte zynische Gilt weiß das auch. Für die Kunden des Clacks-Systems kann es derzeit nur heißen: Entweder man bezahlt den hohen Preis und nimmt in Kauf, dass die Nachricht verspätet ankommt oder man kauft sich ein Pferd und bringt die Nachrichten selber vorbei, was allerdings viel länger dauern würde als bei den Clacks. Gilts hier skizzierte Freiheit ist in Wahrheit keine. Denn wer kein Pferd besitzt und kein Geld hat, um sich eines zu kaufen oder zu mieten - und wer darüberhinaus auch keine Zeit hat - der muss sich dem Clacks-System anvertrauen. Gilt untermauert hier sein Motto, dass Besitz die Grundlage der Freiheit ist. Wer keinen Besitz hat, der ist unfrei. Dass es Leute gibt, die durchaus auch ohne Besitz glücklich sind, käme für Gilt nie in Betracht. Dass die Prioritäten von Leuten nicht auf Besitz fixiert sein müssen, das ist ebenfalls etwas, worüber Gilt nicht nachdenkt.

Dass Gilt am Ende genau dieselbe Wahl gestellt wird wie Moist zu Beginn des Romans ist sicherlich eine schöne Abrundung - und Vetinaris Kommentar, dass er Leute wertschätzt, die wirklich die Freiheit wählen passt eigentlich nicht so ganz zu einem Tyrannen. Oder doch? Im nächsten Teil schauen wir uns an, was Vetinari über die Freiheit denkt. Oder versuchen zumindest zu ergründen, was er denken könnte. So einfach ist das mit Vetinari nun auch wieder nicht...

 

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