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Zothique, Averoigne und der Mars: Clark Ashton Smiths Welt

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneZothique, Averoigne und der Mars:
Clark Ashton Smiths Welt

Es gab eine Zeit, in der Dinosaurier die Venus bevölkerten, in der der Mars wirklich von Marsianern bevölkert wurde, in der es Magie im mittelalterlichen Frankreich gab und irgendwann in der fernen Zukunft der Erde, wenn die Sonne zu einem gelben Punkt geschrumpft ist.

Irgendwann dann wird es den letzten Kontinenten der Erde geben und damit die Rückkehr von Magie, Schwert und Zaubererei.

In der Gegenwart werden wir uns sicherlich mit etlichen Dingen auseinandersetzen müssen, die in den Tiefen des Amazonas, an einem weniger idyllischem Ort in England oder in einem einsamen Haus in Amerika passieren. Letzteres könnte uns den Kopf kosten. Oder vielleicht auch den Verstand. Aber das kommt davon, wenn man den Körper eines Schwarzzauberers auseinandersägt und dieser bestrebt ist, wieder zusammenzufinden...

Clark Ashton Smiths Werk hat vielfältige Facetten. Wer in den 30gern seinen Lebensunterhalt mit dem Schreiben von Geschichten für die Pulps finanzieren musste, der durfte - anders als Lovecraft - erstens nicht wählerisch sein, zweitens auch immer bereit sein Geschichten nach deren Ablehnung das ein oder andere Mal umzuarbeiten. So kommt es also, dass Smith, der Howard und Lovecraft kannte und mit denen in brieflichem Kontakt stand, nicht nur Anregungen von den beiden anderen Kollegen empfing. Tsathoggua als einer der Großen Alten ist schließlich genauso Smiths Erfindung wie das Buch von Eibon, ebenso wie etliche Geschichten sehr an die Schwert-und-Zauberei-Erzählungen Howards erinnern und sogar in Hyperborea angesiedelt sind. Allerdings darf man nicht erwarten, Conan dem Barbaren zu begegnen. Und wenn Smith sich des Thema Hyperboreas annimmt, dann mit dem ihm eigenen Flair.

Allerdings spielen Smiths Geschichten genauso auf dem Mars oder auf fernen Planeten, es gibt mit den Geschichten um Captain Volmar die typischen SF-Raumschiff-Besatzungs-Planeten-Expeditionen-Geschichten für die einige Pulps so typisch sind. Andererseits erzählt Smith von Expeditionen in den Amazonas und deren Folgen und man kann darüber streiten, ob die Mars-Geschichten im Endeffekt nicht doch wieder näher an Lovecraft sind als man denken könnte. Wenn in tiefen Abgründen sich Dinge regen, die seit Jahrhunderten den Mars nicht gesehen haben - mit unangenehmen Folgen für die Entdecker, dann hat das natürlich etwas von Lovecraft. Allerdings gibt es nicht unbedingt einen übereinstimmenden Mythos für den Mars, auch wenn das Setting und die Kultur der Marsianer konstant sind. Sicherlich könnte man die Geschichten problemlos als Cthulhu-Mythos-Geschichten lesen. Ob Smith das so gewollt hat, ist die Frage.

Smith selber hat sich stets eher als Dichter gesehen - und das spiegelt sich in seinem Stil wieder. Manchmal so sehr, dass man sich Leser fragt, wo eigentlich die Handlung der Kurzgeschichte abgeblieben ist - oder man sich zu Beginn der Geschichte fragt, was Smith eigentlich erzählen möchte. Es kann passieren, dass in dem ersten Absatz zwar der Name des Protagonisten genannt wird, dann aber eher eine Atmosphäre aufgebaut wird anstatt direkt zu erzählen, was denn nun genau passiert. Kommt einem vom Lovecraft bekannt vor? Smith kann das Ganze noch steigern. Ein Beispiel wäre der Beginn von "Das Kommen des Weißen Wurmes" - der Anfang im Englischen klingt wie folgt:

"Evagh the warlock, dwelling beside the boreal sea, was aware of many strange and untimely portents in mid-summer. Frorely burned the sun above Mhu Thulan from a welkin clear and wannish as ice. At eve the aurora was hung from zenith to earth, like an arras in a high chamber of gods. Wan and rare were the poppies and small the anemones in the cliff-sequestered vales lying behind the house of Evagh; and the fruits in his walled garden were pale of rind and green at the core. Also, he beheld by day the unseasonable flight of great multitudes of fowl, going southward from the hidden isles beyond Mhu Thulan; and by night he heard the distressful clamor of other passing multitudes. And always, in the loud wind and crying surf, he harkened to the weird whisper of voices from realms of perennial winter."

Der Leser erfährt den Namen des Protagonisten: Evagh. Was er ist: Ein Warlock. Und dass diesen etwas beunruhigt, dass Etwas nicht Normal ist. Zwar gibt der Titel der Geschichte schon etwas preis, aber was genau passieren wird - das ist unklar. Stattdessen betreten wir den Ort namens Mhu Thulan, der Garten von Evagh wird beschrieben, das Ziehen von Vögeln in den Süden... Jeder einzelne Satz, jedes einzelne Wort erzeugt dabei eine Erwartungshaltung und gleichzeitig einen atmosphärischen Zauber. irgendwie will man als Leser mehr wissen - obwohl es eigentlich allen Gesetzen des Geschichtenschreibens widerspricht. Der berühmte Erste-Satz soll ja eigentlich den Leser zum Weiterlesen verleiten - und man muss auch im Kopf behalten, dass diese Geschichten in den Pulp-Magazinen abgedruckt wurden und Smith natürlich keine Einnahmen bekommen hätte, wenn er allzu lyrisch geschrieben hätte. Es gibt zudem auch etliche Briefe vom Herausgeber von Weird Tales, der Geschichten ablehnte, weil sie zu sehr einem Prosa-Gedicht ähnelten. Zu wenig Plot, Herr Smith. Zu wenig Plot...

Smiths Geschichten lassen sich allerdings durchaus Zyklen zurechnen. Es gibt den letzten Kontinenten der Erde, Zothique, der unter der sterbenden Sonne existiert. Die moderne Zivilisation ist längst vergessen, dunkle Götter, machtlüsterne Magier und schwertbeherrschende Helden bevölkern diesen Kontinent. Zothique ist kein angenehmer Ort. Schwarzmagier erwecken Tote zum Leben, Folter und Mord gehören zum Inventar, gleichzeitig ist es ein Ort, der auch den Zauber der orientalischen Geschichten von Tausend-Und-Eine-Nacht beinhaltet. Wer sich in Zothique verirrt, könnte auf die Monstrositäten des Maal Dwebb in seinem Labyrinth stoßen, ebenso aber auf den schwarzen Abt von Putnam. Besieht man sich Zothique im Gegensatz zu dem mittelalterlich angelegten Averoigne, eine erfundene Region in Frankreich, dann ist Zothique generell kein Ort für Happy-Ends. Auch, wenn gelegentlich die Helden mit heiler Haut davonkommen.

Dagegen ist Averoigne zwar auch ein Ort, an dem Magier und Zauberer leben - aber Averoigne hat romantischere Wurzeln. Das Zeitalter der Mönche und Ritter - Smith gibt gelegentlich 1178 als Jahreszahl an - bietet ab und an Gelegenheit für Stoffe, die tatsächlich auch Romanzen sind. Einsame Magierinnen leben in Türmen, gotische Kathedralen ragen in die Höhe - deren Wasserspeier sich auf beunruhigende Weise in der Nacht selbstständig machen - die klassischen Werwölfe streichen durch die Gegend. Nun ja, gut, klassisch ist beim Biest von Averoigne nun eher nichts, da spielt nämlich ein Komet durchaus auch noch eine Rolle. Und Aliens. Im imaginären Mittelalter Frankreichs. Smith ist halt erfinderisch. Auch, wenn Averoigne durchaus seine dunklen Seiten hat, der Optimismus ist hier größer als in Zothique, märchenhafter und weniger schwer sind die Dinge, die in Averoigne geschehen.

Sehen wir von den Geschichten ab, die in Hyperborea spielen - das sind in der Regel eher Geschichten im Sinne von Howard, geschickt erzähltes Seemannsgarn von Kriegern, Kerkern und Jungfrauen, die gerettet werden müssen, wobei man als Leser durchaus auch die ein oder andere Überraschung erleben kann, Smith ist halt nicht unbedingt berechenbar - gibt es eine Vielzahl von Geschichten, die wie "Genius Loci" einzigartige Literaturperlen sind. Das Böse, das an einen bestimmten Ort gebunden ist findet man selten so konzentriert und bedrückend erzählt wie hier. "A Good Embalmer" hat eine Idee, die vielleicht nicht unbedingt einzigartig ist, aber die Ausführung ist ebenso faszinierend wie "The City of the Singing Flame". Das Universum des Clark Ashton Smith ist vielfältig, was für den Liebhaber von eher klassischen SF-Geschichen, dem Bevorzugen von Lovecraftiana oder den Connaisseur von eher klassischeren Geistergeschichten von Vorteil ist. Und selbst, wenn man nicht unbedingt auf Hyperborea steht: Tsathoggua und Zamprano sollte man sich antun...

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2017-12-01 11:43
Es ist immer wieder amüsant, wenn Leute gebetsmühlenartig Lovecrafts Stil als schwer zugänglich, altmodisch und schlecht heruntermachen. Da fragt man sich dann immer, wie belesen sie sind, denn offensichtlich haben sie noch nie Smith im Original gelesen. :-) Auch wenn er sich mit seiner bewusst abstrusen Wortwahl manchmal übertreibt. Dafür hatte er ein beeindruckendes Gespür für die Namensgebung.

Ich schätze CAS sehr. Zwar sind die meisten seiner "SF"-Geschichten m.E. schrecklich öde, aber die Zothique-Stories oder Erzählungen wie Genius Loci sind wunderbar.

Ich halte sie auch für viel einprägsamer und origineller als seine direkten Mythos-Geschichten.
#2 Heiko Langhans 2017-12-01 19:15
Hm. Die Handlungszeiten der Averoigne-Geschichten sind über gut acht Jahrhunderte verteilt ... :-*
#3 Larandil 2017-12-04 00:02
zitiere Heiko Langhans:
Hm. Die Handlungszeiten der Averoigne-Geschichten sind über gut acht Jahrhunderte verteilt ... :-*

Aber nur wegen der Zeitsprünge in "The Holyness of Azédarac".
#4 Heiko Langhans 2017-12-04 11:09
Averoigne-Chronologie:

475, 1175, 1230: The Holiness of Azederac
1138: The Maker of Gargoyles (Vollendung der Kathedrale zu Vyones)
1281: The Colossus of Ylourgne
1369: The Beast of Averoigne
15. Jhdt.: The Mandrakes
1550: The Disinterment of Venus
1789 oder 1798: The End of the Story (Collected Fantasies 1 nennt 1789, Online-Text nennt 1798)

Undatiert, aber nach Vollendung der Kathedrale zu Vyones:
„medieval May“: A Rendezvous in Averoigne (Boyd Pearson nennt 1550)
wahrscheinlich 14. Jhdt.: The Satyr (Boyd Pearson nennt 1575)
The Enchantress of Sylaire (keine Hinweise)

Möchtest Du Deine Aussage noch einmal überdenken?
#5 Heiko Langhans 2017-12-04 11:11
Eine vergessen:
Mother of Toads (keine Hinweise)
#6 Larandil 2017-12-04 13:24
zitiere Heiko Langhans:

Möchtest Du Deine Aussage noch einmal überdenken?

Ho humm. Meine Stichprobenmenge war um einiges kleiner - was eben damals in den Suhrkamp-Bänden erschien. "Der Koloss von Ylourgne", "Rendezvous in Averroigne" und "Die Heiligkeit des Azedarac".

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