Soul: Pixar für Erwachsene
Bleibt die Frage: Ist das jetzt ein Film für die Familie? Und wie gut ist „Soul“ eigentlich?
Joe Gardner ist ein Jazzmusiker mit Leib und Seele. Er träumt eigentlich davon als freier Musiker in einem Ensemble Gigs zu absolvieren. Sein Brotjob ist allerdings der eines Aushilfslehrers. Doch wie schön: Zu Beginn des Films wird ihm die Festanstellung angeboten. Pflichtbewusst und -beflissen wird er wohl ja sagen - schon weil seine Mutter darauf beharrt, dass er endlich mal in Lohn und Brot kommt. Und das mit den Gigs - na ja. Doch dann ruft Joe sein ehemaliger Schüler Curley an, der bei einem der bedeutendsten Jazz-Quartette angestellt ist. Denen fehlt für den Auftritt am Abend ein fähiger Klavierspieler. Joe rast zum Vorspiel, wird genommen und - übersieht den offenen Gully. Wenig später ist klar: Joe ist tot. Allerdings ist das nichts, mit dem er einverstanden wäre; von wegen ins Licht gehen. Irgendwie landet er dann in einem Bereich, den die dazugehörigen Aufsichtspersonen als Davorseits bezeichnen. Hier werden die Persönlichkeiten geprägt, bevor sie geboren werden. Und diese Seele haben auch Mentoren. Joe wird für einen von ihnen gehalten und der Seele 22 zugeordnet. Die wiederum ist rebellisch, aufsässig und hat auf die Erde gar keine Lust. Während Joe alles versucht, um rechtzeitig zurück auf die Erde zu kommen und den Gig zu absolvieren. Das Ganze ist dann natürlich nicht so einfach, wie er es sich denkt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Pixar sich dem Thema Tod und Leben widmet. Das hat man schon erfolgreich in „Coco“ getan und auch „Onward“ - falls den jemand gesehen haben sollte, der war irgendwie unter dem Radar - berührt das Thema. In „Soul“ ist der Tod an sich allerdings nicht so präsent wie eher die Frage, was man mit seinem Leben gemacht hat. Ob der Funken, den man im Davorseits erhält, sich auch im Leben bewahrheitet. Was ja durchaus eine heikle Aussage ist. Wer allerdings aufpasst, der wird auch den Dialog im Friseursalon mitbekommen haben, in der es genau um die Frage der Vorbestimmen und des eigentlichen Lebenssinnes geht. Das muss, auch das ist eine Erkenntnis, die Joe in diesem Film treffen wird, tatsächlich nicht dasselbe.
Seele 22 jedenfalls sieht gar nicht ein, was so toll am Leben sein soll. Ihr Verschleiß an Mentoren ist durchaus bewundernswürdig: Mutter Theresa, Nikolaus Kopernikus - und dann jetzt Joe. Das kann ja nur schiefgehen. Wird es natürlich nicht, schließlich ist das hier Pixar und ein Familienfilm und da gibt es natürlich ein Happy-End. Am Ende erhält doch Joe bestimmt seine Chance, brilliert auf der Bühne ist dann glücklich bis ans Ende seiner Tage, weil der große Traum wahr geworden ist. Wenn ich das jetzt schon so formuliere, wird man sich denken können: Nein, so einfach ist es nicht. Und das stimmt, erstaunlicherweise ist der Film nicht dort zu Ende, sondern es dauert dann noch eine gute Viertelstunde bis zum eigentlichen Finale. Was für Pixar etwas ungewöhnlich ist. Ebenfalls wie das Finale, denn es ist für einen Pixar-Film sehr offen. Am Ende werden wir Joe nach all den Strapazen einfach nur aus der Tür hinausgehen sehen - zwar deutet die Montage-Sequenz vorher an, dass er vielleicht doch zur Schule zurückkehren wird anstatt Abend für Abend mit dem Jazzquartett auf der Bühne zu stehen. Mag sein, dass er Beides macht - aber definitiv ist das nicht.
Ungewöhnlich ist auch, dass Pixar zwar in der Mitte des Films ein wenig Avancen für das jüngere Publikum einbaut - Katzen gehen halt immer - allerdings ist der Film erstaunlich erwachsen. Und auch ernst. Nun sieht das Davorseits nicht unbedingt bedrohlich aus mit seinen Pastell-Tönen und den Figuren namens Jerry - nur der Buchhalter heißt Terry - die irgendwie aussehen, als wären sie gerade aus einem Picasso-Bild spaziert. Und die knubbeligen Seelen sind irgendwie niedlich. Sicherlich gibt es den ein oder anderen dramatischen Aspekt, der für Kinder etwas bedrohlicher wirken könnte. Dennoch: Hinter all dem Pastell werden erwachsenere Fragen behandelt als in „Coco“. Ob Kinder und Jugendliche mit den Dialogen wirklich etwas anfangen können, das ist die Frage. Denn gerade in den Dialogen liegt die Frage nach dem, was das Leben lebenswert macht. Die Antwort wiederum wird in Bildern geliefert. Besonders im Gedächtnis wird die Szene mit dem Ahorn-Samen bleiben.
Erwachsene und Teenager werden dieses Hin- und Her aus Dialogen und einprägsamen Szenen durchaus schätzen können. Wenn Pixar zwischendurch Actionszenen mit Katzen in den Film packt, dann fühlt sich das allerdings nicht unbedingt so harmonisch an wie es sein könnte. Eher ist es ein Zugeständnis an die jüngere Zuschauerschaft, auch, wenn das alles gut durchdacht ist und nichts überflüssig wirkt. Nur frage ich mich dann allerdings auch, ob diese Wusel-Action-Szenen, in denen wirklich nichts Wichtiges passiert nicht auch gekürzt hätten werden können. Ich denke schon. Die wesentlicheren Plot-Punkte - der Film ist natürlich nach dem bewährten Drei-Akt-Prinzip gebaut - werden zwar in diese Szenen eingehakt, es hätte aber auch weniger sein können. Mag sein, dass man bei Pixar gemerkt hat, dass der Film doch eine Spur erwachsener ist als bisher und man das etwas auffangen wollte.
Ist „Soul“ ein Film für die ganze Familie? Die Antwort dürfte auf der Hand liegen: Nein. Kleinere Kinder werden mit den Dialogszenen nichts anfangen können und die Katzen-Szenen reißen da auch nichts mehr raus. Ist es allerdings schlimm, dass „Soul“ einen erwachseneren Anspruch hat? Nein, auf keinen Fall. „Soul“ stellt intelligente Fragen und bietet ebenso intelligente Antworten, die für Teenager und Erwachsene relevant sind. Dazu natürlich die wunderbaren Animationen, die Pixar auszeichnet und eine originelle Idee mit dem Davorseits und den Picasso-Figuren. Dass „Soul“ sich an ein etwas älteres Publikum richtet, ist vielleicht auch nach „Cars“ und „Onwards“ ein Zeichen dafür, dass die Pixar-Formel sich allmählich weiterentwickelt. Dabei wahrt „Soul“ noch die Grenze zum reinen Erwachsenenanimationsfilm.
Wie gut ist „Soul“ innerhalb der Pixarfilme? Vielleicht kein Meisterwerk wie „Oben“, „Findet Nemo“ oder „Coco“. Dazu fehlt dem Film dann doch noch das gewisse Etwas, der gewisse Zauber, den Pixar-Filme meistens haben. Jedoch ist er um Weiten besser als „Onward“ - vielleicht sogar noch eine Spur besser als „Toy Story 4“. Jedenfalls: Mit „Soul“ macht man nichts falsch. Der Film hat genügend Charme, um einen nach knapp 100 Minuten positiv und nachdenklich zugleich in den Alltag zu entlassen. Und der Film mit dem wir 2020 endlich abschließen können. Zum Glück.