Der Tanz auf der Rasierklinge (Perry Rhodan: Kurs 2500)
Der Tanz auf der Rasierklinge
Dieser Roman wird niemals vom ersten Platz der Romane verdrängt werden, die ich als schlechtesten der Welt einordnen würde, auch wenn ich heute nicht mal mehr den Titel nennen könnte. Und wenn John Sinclair noch hundert Jahre laufen wird, ändert sich das nicht. Diese Tatsache beruht aber nicht auf mangelnder Qualität dieses Heftchens, sondern auf meiner Unkenntnis der Vorgeschichte bzw. der serien-internen Zusammenhänge.
Nach vielen weiteren Jahren als Heftromansammler verbunden mit zwischenzeitlichen Pausen und anschließendem mühevollen Nachkauf der verpassten Hefte geriet aus mir heute nicht mehr bekannten Gründen der gute Perry wieder in meinen Fokus. Als Sammeltier begann ich irgendwann mit der Nummer 2100irgendwas regelmäßig die Hefte zu kaufen, den Titel in meine Excel-Liste zu tippen und ungelesen zu verwahren. Der komplette Zyklus Sternen-Ozean ist so in meinen Besitz gelangt, ohne dass ich auch nur eine Zeile davon gelesen hätte. Regelmäßiges Lesen der Leserseite, des Glossars und Rainer Castors Betriebsanleitungen für Geräte, die erst in 2000 Jahren erfunden werden sorgte für einen minimalen Einblick, was da überhaupt abging, abgeht und abgehen würde. Allerdings hemmte meine zu Beginn erwähnte Erfahrung meinen Forscherdrang.
Irgendwann wurde Band 2300 der Beginn eines neuen Zyklus und Ideal für Einsteiger im Internet veröffentlicht. Diese PDF-Datei landete auf meinem Rechner und in Ermangelung anderer Möglichkeiten begann ich in einer Mittagspause das Lesen. Lesen am Bildschirm ist normalerweise nicht mein Ding. Ich bevorzuge Papier, eng bedruckte Papierseiten, eingeschlossen wahlweise zwischen zwei Buchdeckeln bzw. zwischen seltsamen Machwerken in bunten Farben, teilweise dermaßen schlecht, dass sich der Heftroman nur bedingt über seinen Ruf zu wundern braucht. In diesem speziellen Fall allerdings war das, was ich da zu lesen bekam nicht schlecht, verständlich und durchaus spannend und flüssig zu lesen. Also ging´s weiter, über Tage (meine Mittagspause dauert nur 30 Minuten und ich wollte auf dem Firmendrucker keine 64 Seiten Heftroman drucken). Irgendwann hatte ich die Geschichte durch und wollte wissen, wie es weitergeht. Was sind das für seltsame Mikrobestien, die aussehen wie Haluter, und was zur Hölle sind überhaupt Haluter? Die Menschen, die diesen Kampfkugeln in ihr Raumschiff folgen sind grün und zwanzig Zentimeter groß. Wie jetzt? Kurz gesagt: Sie hatten mich an der Angel.
Zu Hause also mal im Romanstapel wühlen, Heft 2301 rausziehen und weiter... und weiter... und weiter. Duale Kapitäne, zusammengestückelte, eigentlich inkompatible Monsterhälften: Ja Mann, das war mein Ding, schließlich komme ich ja aus der Horror-Ecke. Raumschiffe werden durch Hyperkristalle (was?) angetrieben, die Truppe der Chaotarchen (wer?) will die Milchstraße als Ressourcen-Galaxis verwenden, weil in Hangay (wo?) angeblich eine Negasphäre (nie gehört!) entsteht. Aber dennoch war jedes Heft für sich genommen verständlich und gut zu lesen, und mit jedem Heft erfuhr man etwas mehr über die enormen Hintergründe dieser Serie. Ich wurde mit Personen bekannt gemacht, die seit vielen Jahren in der Serie auftauchen, kurze Rückblicke, kurze Beschreibungen, Charakterisierungen, und nicht wie beim guten John Sinclair. Hat eigentlich schon jemand gemerkt, dass da alle Personen - egal ob Jugendlicher oder Dämon aus der Hölle - gleiches Verhalten an den Tag legen und die gleichen Worte benutzen? Und jetzt wollte ich mehr über die Serie wissen: Sekundärliteratur gelesen, immer wieder ins Forum geschaut.
In diesem Forum wurde mir dann bewusst, dass nicht nur der Mensch ein unbedeutendes Staubkorn im realen Universum ist, sondern der PR-Neuleser ein unbedeutendes Staubkorn im Perryversum ist. Und wie diese Serie, bedingt durch den zyklischen Aufbau, der sie so erfolgreich gemacht hat, auf der Rasierklinge tanzt. Ironie des Schicksals? Beschwerden über sich immer wiederholende Handlungen bzw. Zyklen häufen sich. Eigentlich kein Wunder für eine Serie, die auf nahezu 4000 (oder sogar mehr)Veröffentlichungen zurücksehen kann. Offenbar ist die gegenwärtige Invasion der Milchstraße bereits die dritte in Folge und Stimmen werden laut, dass sich zukünftige Invasoren vermutlich irgendwann anstellen müssen, weil die vorige noch nicht abgewehrt wurde. Nun, dazu kann ich mir kein Urteil erlauben, für mich ist alles noch neu, meine erste Invasion quasi.
Vergangene Personen und Schauplätze werden wieder gefordert, sollten diese aber dann in der Handlung mal eine relevante Rolle spielen, müssen Neuleser mit kurzen Erläuterungen heran geführt werden. Das wiederum nervt die Altleser (Ich weiß, wer XXX ist, warum erklärt ihr das? Und außerdem wurde er in Band 1423 ganz anders dargestellt). Die Einen wünschen sich mehr Raumschlachten, die Anderen weniger. Die Einen wünschen sich mehr über die Vorgänge auf Terra, die anderen weniger, Liste beliebig fortsetzbar.
Und dann die Krönung: Man hat es gewagt Roi Danton alias Michael Rhodan in eines dieser Dual-Monster zu verwandeln. Mit der Spaltung des Zellaktivator-tragenden Sohnes des Perry Rhodan wurde auch die Leserschaft gespalten. Die Reaktionen machen das deutlich: Einige drohen mit Ausstieg aus der Serie, wenn das nicht rückgängig gemacht wird. Andere drohen mit Ausstieg, wenn das rückgängig gemacht wird.
Aus diesen Reaktionen kann man nicht etwa schließen, dass die PR-Leser generell nicht zufrieden zu stellen sind, sondern dass die Serie einen enormen Ballast mit sich herum schleppt, und man kann nun mal nicht alle zufrieden stellen. Kompromisse müssen gemacht werden, um sowohl Neuleser zu ködern, als auch Altleser bei der Stange zu halten. Offenbar versucht der Exposé-Redakteur Robert Feldhoff dem überbordenden PR-Kosmos entgegen zu wirken, indem er an einem Zyklusende Völker und Planeten entsorgt. Fatalerweise erinnert das aber irgendwie an Star Trek The next generation, die zwar sehr erfolgreich war, aber am Ende einer Folge wurde gewissermaßen ein Reset durchgeführt, damit in der nächsten Woche auch der dümmste amerikanische Zuschauer zurecht kam, der noch nie Star Trek gesehen hatte.
In einigen Foren wird bereits diskutiert, ob ein weiterer Exposé-Redakteur der Serie neuen Schwung verleihen könnte bzw. gleich ganz die Ablösung von Herrn Feldhoff gefordert. Aber wie sollte er sich denn verhalten? Geht er auf die Altleser ein und bezieht den immensen Überbau verstärkt ein, vergrault er die Neuleser, die vom aktuellen Heft dann kein Wort verstehen und dann natürlich auch nicht wissen wollen, wie es weitergeht. Geht er auf die Neuleser ein, führt nach Zyklusende einen Reset durch und recycelt einen Zyklus, der vor zwanzig Jahren schon mal erfolgreich war, vergrault er die Altleser. In einem Satz: Ein Tanz auf der Rasierklinge. Und wie die Redaktion aus der gegenwärtigen Situation in Angesicht eines schier übermächtigen Gegners wieder rauskommen will, frage ich mich das nächste Mal.
Jochen Captain Elch