Die Insel der Tausend Leuchttürme
Die Insel der tausend Leuchttürme
von Walter Moers
Was macht ein begnadeter zamonischer Dichter und Bücherlindwurm, wenn er eine Bücherstauballergie hat, die er nicht loswird? Er macht eine „Kur“.
Als sich zeigt, dass der Hypochonder Hildegunst von Mythenmetz sich zu krank fühlt für seine Verhältnisse, hört er auf den Rat seines Arztes und entschließt sich zu einer Rehabilitätion.
Sein alter Dichtervater Danzelot hat seinem Schüler die Insel Eydernorn im hohen Norden empfohlen, wo die sauerstoffreichste, sauberste Luft Zamoniens sein soll, und Hildegunst packt seine Koffer und macht sich auf den Weg.
Allerdings ahnt er nicht, in welche Schwierigkeiten er geraten wird, und dass schon die Anreise fast zur Katastrophe wird.
Eine inhaltliche Zusammenfassung ist kurzgesagt: ein zamonischer Briefroman des großen Helden Hildegunst von Mythenmetz an seinen Freund Hachmed, in dem er von seinem Aufenthalt auf Eydernorn berichtet, einer Rehabilitationsreise, die alles andere als Wellness und Entspannung ist.
Schon die Reise nach Eydernorn entpuppt sich als echte Herausforderung für Hildegunst, denn statt einer ruhigen Überfahrt gerät er in einen der schlimmsten Stürme aller Zeiten und das Schiff kommt nur mit Mühe Die auf Eydernorn an.
Der gesamte Aufenthalt von Hildegunst ist ein Abenteuer, solche eher beruhigender, musikalischer Art wie die Hummdudel, seine wirklich einzigartigen Fähigkeiten beim Kraakenfieken, sprechende Grabmäler, aber auch endlose Gefahren wie Belphegatoren und Frostfratten, nicht zu vergessen die Quaquappa, oder die Wolkenspinne, die ihn fast das Leben kostet.
Die Überraschungen nehmen kein Ende. Er entdeckt bei sich selbst unerkannte erfinderische Fähigkeiten, zum Beispiel das Mythenmetzsche Teetauchsäckchen, das den Genuss von Tee wirklich wesentlich einfacher gemacht hätte, wenn er es tatsächlich patentieren lassen und in den Handel gebracht hätte, oder der MYthenmetzsche KUrzBRief, der KYKUBRI.
Eine Bewertung des Romans fällt mir schwer. Zu sagen. dass man Moers entweder mag oder nicht wäre zu einfach.
In der Tat ist das Buch von Moers einmal mehr etwas wie eine Sahnetorte, die handwerklich wunderbar hergestellt ist, herrlich dekoriert und unglaublich lecker - aber zu viele Stücke auf einmal und man merkt gar nicht mehr, bei welcher Schicht man gerade ist. Die Erzählungen von Moers strotzen von verrückten Ideen - wie man an den wenigen Beispielen oben merkt - und Umdeutungen von Dingen, die man mehr oder weniger selbst kennt, wenn man im Norden lebt, vorrangig auf einer Insel in der Nordsee.
Es ist ausgesprochen amüsant zu lesen und ich war wirklich begeistert ... bis es begann langatmig zu werden. Selbst die originellen Ideen und pharologischen Berichte über seine Besuche bei den Leuchttürmen (keine Sorge, es sind keine tausend sondern nur etwas über hundert, und die besucht er nicht alle), werden selbst aus Moers Feder irgendwann tendenziell langweilig. Ich stellte fest, dass ich zu überblättern begann und mich dann da und dort wieder festlas, wenn mich eine seiner Ideen wieder packte.
Und dann, ganz plötzlich, beginnt die Geschichte auf den letzten knapp 100 Seiten rasant an Fahrt aufzunehmen, wird spannend und feurig, wie man es in der Mitte kaum erahnen kann. Die Katastrophe (Mythenmetz sagt, es sei nicht mehr fünf vor 12, es habe 13 geschlagen) bricht los, Hildegunst ist mittendrin - wen wundert es - und vieles, was man erst einmal mit einem Lächeln registriert aber abtut, bekommt mit einem Mal eine ganz besondere Bedeutung.
Ab da begann ich mich wieder mit Begeisterung festzulesen und merkte gar nicht, wie die Zeit verflog. Bis zum Ende des Mythenmetz'schen Briefromans war es dann ein tolles, inspirierendes Erlebnis, und ich merkte wieder, was ich an Moers und seinen Büchern so mag.
Moers macht aus seinem Leben ein Geheimnis und ihm gelingt das, was sich nur wenige Autoren erlauben können: er ist vor der Kamera oder einer Fotografenlinse nicht zu entdecken, und sein Ruhm interessiert ihn offensichtlich lediglich marginal. Denis Scheck (Druckfrisch, Literatursendung, ARD) gelingt es dennoch, Walter Moers zu einem Interview zu überreden - und der Geniestreich dabei: Um das Interview führen zu können, werden die beiden durch Figuren der Augsburger-Puppenkiste dargestellt (hier zum Interview in der ARD).
Die über 100 Zeichnungen sind teilweise unglaublich liebevoll und so dekorativ, dass ich Poster davon kaufen würde, zum Beispiel die Landkarte im Vorsatz und die kleinen Leuchttürme, die im Buch immer wieder auftauchen, teilweise wirken sie eher gewollt und man hätte diese eher weglassen können. Die Wirkung verpufft bei diesen Zeichnungen dann eher.
Walter Moers hat bislang sieben Zamonien-Romane geschrieben, dieser ist nicht unbedingt sein bester - was aber angesichts von Rumo oder der "Stadt der träumenden Bücher" auch nicht ganz einfach ist. Wer Moers mag und die langatmige Mitte mitnimmt und auf das furiose Ende hinliest, den erwartet ein wunderbares Herbst- und Winterbuch.
Die Insel der Tausend Leuchttürme
© Bettina von Allwörden (Meister) (11/2023)