Das Phantom 1
Das Phantom 1
Von Jean-Yves Mitton
Ab 1989 zeichnet der französische Comiczeichner Jean-Yves Mitton acht Episoden für die schwedische Ausgabe des Phantoms. Kult Comics legt die Geschichten erstmals in deutscher Sprache auf und veröffentlicht in diesem Sammelband die ersten vier Bände im anschaulichen A4-Format und bestechendem Schwarzweiß.
Nach dem 2. Weltkrieg entstehen in Frankreich viele kleine Verlage, die Comics auf den Markt bringen. Das Geschäft ist hart, denn die französische Zensurbehörde greift erbarmungslos ein, sollten in den Geschichten allzu gewalttätige Situationen zu sehen sein, oder sogar wie im Fall der ersten Jeff Jordan Ausgaben, staatliche französische Behörden der Lächerlichkeit Preis gegeben werden. Selbst kleinste Andeutungen, wie ein Faustschlag, können dazu führen, dass der Comic als jugendgefährdend eingestuft wird. Für die Verlage hat das Folgen, denn jugendgefährdende Schriften werden mit erheblichen steuerlichen Mehrbelastungen sanktioniert und können das Ende einer Comicreihe oder sogar eines Verlages im heiß umkämpften Comicmarkt bedeuten.
Jean-Yves Mitton tritt in dieser Zeit seine erste Stelle als Retuscheur beim Verlag Editions Lug an. Es ist seine Aufgabe, die Stellen aus den Comics heraus zu retuschieren, die die Zensurbehörde beanstanden könnte. Ende der 60er Jahre entdeckt der Verlag die Superhelden des amerikanischen Verlages Marvel Comics, die bis dahin in Frankreich völlig unbekannt sind. Marvel geht eine Kooperation mit Lug ein und in Frankreich erscheinen erste amerikanische Superheldencomics. Die Zensurbehörde hat ein kritisches Auge auf die Veröffentlichungen und die Serie „Silver Surfer“ gerät in der Blickpunkt der Sittenwächter, da das Gewaltpotential hier besonders hoch erscheint.
Editions Lug möchte den Silver Surfer vernünftig abschließen und kommt mit Marvel überein, dass für den französischen Markt ein eigener Abschluss produziert wird. Mitton erhält den Auftrag, diese Geschichte zu zeichnen und sie wird ein voller Erfolg. Er wird noch weitere amerikanische Superhelden zeichnen, bis die Zusammenarbeit mit Marvel wegen finanzieller Auseinandersetzungen beendet wird.
Mitton bekommt in der Folge den Auftrag, eine eigene Superheldenserie zu kreieren. In Zusammenarbeit mit dem Texter Marcel Navarro entsteht die Serie „Mirkos“, die ebenfalls ein Erfolg wird. Die ersten Ausgaben gelangen auch auf den deutschen Markt und werden vom Bastei Verlag herausgebracht. Bastei stellt die Serie allerdings nach einigen Ausgaben ein und erst jetzt, über 40 Jahre später, wird sie von Zauberstern Comics neu aufgelegt und hoffentlich zu einem Ende geführt.
In den 80er Jahren neigt sich die Ära der Comichefte in Frankreich dem Ende entgegen und die Leserschaft verlagert ihr Interesse auf Alben. Edition Lug gerät in Zahlungsschwierigkeiten und wird vom schwedischen Verlag Semic gekauft. Mitton streckt seine Fühler bereits Richtung Albenszene aus und kommt in Kontakt mit Francois Corteggiani. Der schafft es, Mitton zur Zusammenarbeit mit einigen Magazinen im Albumformat zu bewegen. Aber auch bei Semic wird man auf Mitton aufmerksam. Der schwedische Verlag produziert seit geraumer Zeit Phantom-Comics und es gelingt, Mitton zur Mitarbeit zu gewinnen. Er wird insgesamt acht Episoden für die schwedische Ausgabe von „Fantomen“ zeichnen, die ab dem Jahr 1989 erscheinen. Die ersten vier Episoden sind in dieser Ausgabe gesammelt.
Seine Erfahrungen im Segment Superhelden kommen ihm dabei zugute. Allerdings sind die Einflüsse aus der Arbeit mit albumlangen Comics nicht zu übersehen. Die Panels sind sehr detailliert ausgezeichnet und weisen einen stringenten Erzählfluss auf. Das A4-Format erweist sich als richtige Auswahl, um die Zeichnungen im vollen Umfang genießen zu können. Alle vier im Band enthaltenen Geschichten sind in Schwarzweiß gehalten, was eine sehr gute Entscheidung ist. So kann der Leser die Tuschezeichnungen bestaunen, die den Panels eine außerordentliche Tiefe verleihen.
Abgerundet wird diese lesenswerte Ausgabe durch 10 Seiten Hintergrundinformationen zu Mitton und seinem Schaffen
1. Der gelbe Tod
Alona ist ein junges Mädchen, das zum Stamm der Massagni in Bangalla gehört. Sie hat eine Missbildung am Bein und meidet aus Scham Zusammenkünfte des Stammes. Das rettet ihr in einer Nachs das Leben, denn während sie sich im Dschungel aufhält, weht ein chemischer Kampfstoff durch das Dorf und tötet alle Einwohner. Der Kampfstoff ist aus Fässern ausgetreten, die aus einem Flugzeug stammen, das in der vorherigen Nacht über Bangalla abgestürzt ist.
Die sterbenden Dorfbewohner können das Phantom herbeirufen, der aber trifft nur noch auf die einzige Überlebende Alona. Gemeinsam können sie das Flugzeugwrack ausfindig machen und geraten in das Visier von Söldnern, die die Spuren des abgestürzten Flugzeuges verwischen wollen. Phantom und Alona können zwar fliehen und Präsident Luaga über die Ereignisse informieren, die Hintermänner aber bleiben unbekannt. Sie können unerkannt fliehen, bevor sie von der Polizei gefangen genommen werden können.
Fazit
Schon beim Lesen der ersten Seiten wird dem Leser schnell klar, dass er hier nicht eine weitere Geschichte vor sich liegen hat, die im Eiltempto zur Massenproduktion hergestellt wurde. Die anfänglichen Szenen, in denen das Flugzeug über Bangalla abstürzt, könnten auch aus einem hochwertigen franko-belgischen Comic stammen. Es wäre ein Schande, diese und alle sieben weiteren Geschichten von Mitton, nicht im A4-Format zu drucken. Die Panels sind angereichert mit vielen Details und Mitton beherrscht in einer hervorragenden Weise das Spiel mit Licht und Schatten in seinen Tuschezeichnungen.
Die Handlung der Geschichte ist verhältnismäßig schlicht gehalten. Ein ausströmendes Kampfgas tötet die Einwohner eines Dorfes und die Täter versuchen ihre Spuren zu verwischen. Die Story zieht ihre Stärke aus der Weise, wie die Geschichte erzählt wird. Autor Scott Goodall nimmt sich Zeit für einzelne Szenen und Mitton unterstützt das Storytelling mit seinen Zeichnungen, indem er den Fortgang der Geschichte illustriert.
Der Leser erfährt zum Ende der Geschichte nur, dass das Kampfgas heimlich nach Bangalla geschafft werden sollte. Über die wahren Absichten und die Identität der Hintermänner wird er im Unklaren gelassen. Wahrscheinlich wird das Thema in einer der folgenden Storylines noch einmal aufgegriffen.
2. Worubu
Ein Zug fährt mit einer Ladung Gold nach Bangalla City und wird überfallen. Einer der Wachleute erkennt in dem Anführer der Banditen den leitenden Offizier der Dschungelpatrouille, Colonel Worubu. Der hatte kurz vor dem Überfall das Hauptquartier verlassen und einen Termin mit Präsident Luaga platzen lassen. Der Wachmann wird schwer verletzt, kann Luaga aber die Identität des Banditenanführers mitteilen. Worubu meldet sich kurz nach dem Überfall von seinem Posten ab. Dazu kontaktiert er den geheimnisvollen, unbekannten Kommandeur der Dschungelpatrouille, nicht ahnend, dass es sich bei diesem um das Phantom handelt.
Phantom nimmt die Spur Worubus auf und folgt ihm ins Lager der Zugräuber. Dort offenbart sich dem Phantom der wahre Anführer der Banditen. Es ist der Zwillingsbruder des Colonels, der im Aussehen von seinem Bruder nicht zu unterscheiden ist. Dieser versucht mit dem geraubten Gold in einem Hubschrauber zu entkommen, wird aber vom Phantom und Worubu aufgehalten und kommt dabei zu Tode. Die Unschuld des Colonels kann aufgedeckt werden und er erhält zur Belohnung eine Beförderung.
Fazit
Auf den ersten Seiten erfährt der Leser etwas über die Organisationsstruktur der Dschungelpatrouille. Die Truppe wird von einem geheimnisvollen, unbekannten Mann geführt, zu dem die leitenden Offiziere nur Kontakt über das Telefon bekommen. Neue Rekruten müssen durch den Kommandanten bestätigt werden und dazu werden die Unterlagen der ausgewählten Neuankömmlinge in einem Tresor deponiert und dort von dem Unbekannten entnommen. Im Laufe der Geschichte stellt sich heraus, dass dieser Unbekannte das Phantom ist.
Die Zeichnungen von Mitton bestechen wieder in eindrucksvoller Weise. Die laufenden Perspektivwechsel bewirken ein hohes Tempo im Erzählfluss, dass vor allem in Szenen wie dem Zugüberfall wunderbar zur Geltung kommt.
Die Auflösung der Geschichte, nämlich dass der Anführer der Banditen der Zwillingsbruder des Colonels ist, ist ein oft bemühter Twist, weiß aber trotzdem gut zu unterhalten. Wiederum liegt in der Art und Weise, wie das bekannte Handlungsmuster erzählt wird, der besondere Reiz in dieser Geschichte und Mitton trägt mit seinen Zeichnungen maßgebend dazu bei.
3. Die Kinder des Dschungels
Im Dschungel von Bangalla kommt zu einem massenhaften Sterben vieler Tierarten. Das Phantom vermutet eine Vergiftung der Gewässer und informiert Präsident Luaga über die Vorkommnisse. Der schickt zwei Wissenschaftler in den Urwald, die Proben aus dem Fluss nehmen und sie untersuchen sollen.
In der ersten Nacht wird auf die beiden Forscher ein Anschlag verübt. Die Täter können unerkannt entkommen, das Phantom aber vermutet einen Zusammenhang zu der nördlich gelegenen Papierfabrik, die erst im Jahr zuvor die Genehmigung zur Produktion erhalten hatte.
Phantom begibt sich auf den Weg und trifft unterwegs auf einen Stamm der Pygmäen. Diese haben wegen einer Prophezeiung ihre Heimat verlassen, nicht ahnend, dass diese Weissagung durch den Motorenlärm von Abholzmaschinen ausgelöst wurde. Die Papierfabrik wurde nur zur Tarnung errichtet. In Wahrheit wird dort Holz illegal abgebaut und teuer auf dem Markt verkauft.
Ein junges Stammesmitglied führt das Phantom zur Fabrik und er erkennt die finsteren Machenschaften. Er kann beobachten, wie die Arbeiter den Wald mit chemischen Mitteln entlauben und versteht nun, wie es zur Vergiftung der Gewässer kommt.
Das Phantom kann in die Büros der Anlage gelangen und dort Dokumente in seinen Besitz bringen, die den illegalen Holzabbau belegen. Den Arbeitern gelingt es währenddessen, den jungen Begleiter Phantoms festzunehmen. Der wandelnde Geist kann den Jungen befreien und mit den Dokumenten entkommen. Sie werden der Regierung übergeben und das Treiben der Holzfäller wird beendet. Die Gewässer werden entgiftet und due Pygmäen können in ihre Heimat zurückkehren.
Fazit
Mitton hat sich mit dieser dritten Geschichte noch weiter in die Thematik des Phantoms eingearbeitet. Die Intensität und Dynamik der Zeichnungen hat sich seit der letzten Ausgabe noch einmal gesteigert. Die Geschichte entwickelt sich von Panel zu Panel weiter. Nur in einigen wenigen Fällen treten die Figuren über die Panelränder hinaus und ragen in die nächste Zeichnung. Trotzdem bekommt der Leser vor allem in den Actionszenen den Eindruck, die Zeichnungen würden ineinander übergehen, so sehr dynamisch sind die Zeichnungen innerhalb der Panel. Das beindruckende Spiel von Licht und Schatten, das Mitton mit seinen ausdrucksstarken Tuschezeichnungen darlegt, unterstützt die Lebendigkeit der Bilder.
Inhaltlich erwartet den Leser eine spannende Geschichte mit einer ausdrücklichen Ökobotschaft. Aufgrund der Nutzung chemischer Entlaubungsmittel kommt es im Dschungel zu einem erhöhten Sterben von Tieren. Die Ursache für diese Umweltverschmutzungen liegt in der Gier der Menschen. Ein Unternehmen fällt illegal Holz und setzt dazu chemische Stoffe ein, die das Sterben der Tiere zur Folge hat.
4. Der Nektar der Götter
Vor ca. 200 Jahren verbreitet Klarna Angst und Schrecken über Bangalla. Mit scheinbar übernatürlichen Kräften ausgestattet, fordert er von den Stämmen reichlich Gold und andere Gaben. Das Phantom stellt sich dem Hexenmeister und kann ihn besiegen. Er nimmt ihn mit sich und muss mit ansehen, wie er zu Staub zerfällt, als sie sich weit vom Tal entfernt haben. Klarna beklagt noch, dass er das Tal des goldenen Strahls nicht verlassen kann, welches ihm die übernatürlichen Kräfte verleiht.
Einige Jahre später gelangt eine Expedition von Charles Darwin an die Küste Bangallas. An Bord befindet sich John Travis, der in Bangalla über das Tal erfährt. Es soll dort eine Orchidee wachsen, die ihrem Besitzer übernatürliche Kräfte verleiht. Die Expedition wird fortgesetzt und Travis kehrt erst Jahre später wieder zurück, in Begleitung seiner Frau Mary.
In der Gegenwart unternimmt ein Nachfahre Travis` eine Reise nach Bangalla, um das Schicksal der seiner verschollenen Vorfahren John und Mary zu klären. Paul Travis engagiert eine Gruppe zwielichtiger Männer, die sich von der Orchidee reichlich Profit versprechen. Als sie das Tal erreichen, versuchen sie Paul zu beseitigen. Der kann entkommen und wird vom Phantom entdeckt. Die beiden können in das Tal gelangen und die Ganoven bezwingen. Allerdings können die Männer noch ein Feuer legen, das schließlich in das Tal übergreift und die Orchideen verbrennen lässt. Am Rande des Gebietes entdeckt das Phantom eine Hütte, in der John und Mary die Zeiten überdauert haben. Die Wirkung der Orchideen führte bei Ihnen zu einer Unsterblichkeit. Jetzt, wo die Orchideen verbrannt sind, setzt die Wirkung der Pflanzen aus und Phantom kann sehen, wie John und Mary vor seinen Augen zu Staub zerfallen.
Fazit
Die Geschichte ist gerade einmal 26 Seiten lang, aber trotzdem überkommt dem Leser das Gefühl, dass er ein albumlanges Abenteuer mit dem wandelnden Geist in den Händen hält. Scott Goodall und Jean-Yves Mitton erzählen eine Geschichte über drei zeitliche Ebenen und packen eine Menge Handlung in die wenigen Seiten. Trotzdem wirkt die Geschichte zu keiner Zeit überfrachtet oder überhastet. Die Informationen in den Sprechblassen sind auf das nötigste komprimiert und ergeben eine gute Symbiose aus Informationsfülle und Lesbarkeit. Die Zeichnungen von Mitton sind außerordentlich atmosphärisch und halten den hohen Detaillierungsgrad, wie man ihn mittlerweile von ihm gewohnt ist.
Die Handlung der Geschichte verläuft auf mehreren zeitlichen Ebenen und wird in Rückblenden erzählt. Dadurch erhält sie einen wunderbar epischen Charakter. Vor allem in den Vergangenheitsepisoden kann die Story punkten. Mit den Ereignissen um Paul Travis und dem Vorfahren des Phantoms wird eine Saat gelegt, die erst in der Gegenwart zu einem schlüssigen Ende geführt wird.
Phantom 1
Erscheinungsdatum: November 2023
Der gelbe Tod
Autor: Scott Goodall
Zeichner: Jean-Yves Mitton
Erstveröffentlichung: Fantomen 7 (1989)
Worubu
Autor: Norman Worker
Zeichner: Jean-Yves Mitton
Erstveröffentlichung: Fantomen 22 (1989)
Die Kinder des Dschungels
Autor: Scott Goodall
Zeichner: Jean-Yves Mitton
Erstveröffentlichung: Fantomen 7 (1990)
Der Nektar der Götter
Autor: Scott Goodall
Zeichner: Jean-Yves Mitton
Erstveröffentlichung: Fantomen 15 (1990)
Kult Comics
© Torsten Pech 03/2024