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Olsen und Lobo – So ganz unter uns

Das Grauen wird 40Olsen und Lobo – So ganz unter uns

Von der unerträglichen Seichtigkeit des Seins

Oliver "Olsen" FröhlichOlsen: Hey, Lobo, mal so ganz unter uns: Der Gruselheftroman wird 40 und hat uns zu seiner Feier eingeladen. Ich weiß aber noch gar nicht recht, ob ich hingehen soll. So gut kenne ich ihn schließlich auch nicht! Okay, wir sind fast gleich alt. Trotzdem wurde unser Kennenlernen anfangs dadurch verhindert, dass er ab dem Tag seiner Geburt schreiben, ich aber noch einige Zeit lang nicht lesen konnte! So hat es doch immerhin bis 1979 gedauert, bis wir uns das erste Mal über den Weg gelaufen sind. Ich weiß nicht mehr woher, aber irgendwie hab ich ein zerfleddertes, zerlesenes Heft namens „Hexentanz“ in die Finger bekommen, in dem ein Geisterjäger mit seinem chinesischer Partner drei Hexen gejagt hat. Bis heute blieb mir die Szene unvergessen, in der der Chinese in den Keller gesperrt war, die Hände auf den Rücken gefesselt hatte und sich trotzdem befreien konnte, weil er mit den Beinen zwischen den gebundenen Händen „durchgestiegen“ ist und so die Arme wieder vor dem Körper hatte. Boah! Das hatte mich beeindruckt.

Das war großartig, genial, grandiose Literatur – und trotzdem hab ich das Heft nach der Lektüre weggeworfen und gedanklich abgehakt! Es gingen noch einmal ganze zwei Jahre ins Land, bis ich wieder so ein zerfleddertes Heftchen aus der Altpapiersammlung eines Nachbarn ergattern konnte. Ich stellte fest, dass es sich dabei um die gleiche Serie handelte, mit der ich schon zwei Jahre zuvor Bekanntschaft geschlossen hatte: „Geisterjäger John Sinclair“. Diesmal handelte es sich um „Satans Schloߓ (ja, das schrieb man damals noch mit ß!), dessen düsterer Cover mich sofort in den Bann zog. Ich habe heute keinen blassen Schimmer mehr, worum es darin ging, aber ich weiß noch, dass Sinclair mit so faszinierenden Dingen wie einer gnostischen Gemme und einer magischen Kreide rumgefuchtelt hat. Zwar wanderte das Heft wieder in den Papierkorb, schließlich sah es ohnehin schon aus wie ein zerknülltes Tempo-Taschentuch, aber die Folgen waren andere als beim Erstkontakt: Ich pilgerte zum nächsten Kiosk und kaufte mir den aktuellen Band 156 „Myxins Entführung“. Was ich ab diesem Tag jede Woche tat! Ohne schuldhaftes Zögern vervollständigte ich dann mit der Zweitauflage mein Wissen und jubelte, als auch endlich eine Drittauflage erschien, die mir dann die letzten wenigen Lücken noch schließen konnte. Tja, so ging das 1981 bei mir los. So wie ich dich kenne, warst du da schon tief in der Materie drin, oder?

Stefan "Lobo" AlbertsenLobo: Also Olsen, ich fühle mich ja sehr geschmeichelt, und wenn ich ein ein wenig unehrlicherer Mensch wäre, würde ich dir jetzt zustimmen, aber tatsächlich lief das bei mir ganz anders. Nebenbei habe ich dieselbe Einladung wie du erhalten, aber auch ich bin unschlüssig, ob ich hingehen soll, denn da werden sich viele Persönlichkeiten tummeln, die ich noch gar nicht so richtig kenne.
Aber lass mich ausführen, wie ich  mich dem Horrorheftroman näherte und weshalb ich überhaupt auf seiner Einladungsliste gelandet bin. Also, es war 1978 und ich war noch nicht ganz zehn Jahre alt (oh ja, ich bin direkt im Jahr des ersten Horrorheftromans in Deutschland geboren worden) und ich befand mich mit meinen Eltern auf Urlaub in Österreich.
Aus Langeweile kaufte meine liebe Mutti - in der Öffentlichkeit würde ich sie nie so nennen, aber diese Zeilen bleiben ja unter uns, gell?

Olsen: Natürlich! Wer würde sich auch schon für unser Geschwätz interessieren?

Lobo: Stimmt! Wo war ich? Ach ja, also meine liebe Mutti kaufte sich eines dieser „Groschen-Schund-Roman-Heft-Dingsbumse“, wie mein Vater immer so gerne zu sagen pflegte.
Es war – und das ist wirklich wahr und kein Flachs – John Sinclair Nr. 1 „Im Nachtclub der Vampire“. Mein Muttchen hatte das Teil ziemlich schnell ausgelesen, was mich im Nachhinein verwundert, denn sie schätzt eher einen „guten“ Dr. Stefan Frank oder einen „kernigen“ Alpenland-Liebesroman (oder wie die Dinger heißen).
Das Heft wanderte in ihren Koffer und von dort stibitzte es sich ein kleiner, etwas pummeliger Junge heraus.
Richtig, ich schnappte mir den Roman und las ihn durch. In sage und schreibe weniger als anderthalb Stunden hatte ich das Kontingent durchgepflügt, meinen Pulsschlag verdoppelt, meine Mundhöhle vor Spannung ausgetrocknet und mir eine schlaflose Nacht eingeheimst, denn überall vermutete ich nun rattenscharfe, aber gefährliche Vampirbräute, die mir ans Leder wollten.
Oh süße Jugend, bist so schnell entschwunden … aber egal, man war halt damals etwas sensibler und vor allem leichter zu beeindrucken. Danach wurde es dann aber ruhig um den Horrorheftroman, zumindest aus meiner Sicht, bis ich … tadaaaa ... 1981 (merkwürdiger Zufall, was?) unter dem Bett meines Bruders ein weiteres Exemplar dieser Gattung fand.
Dieses Mal war es ein Heft, das ein lilafarbener Rahmen einfasste  und oberhalb prangte in weißer Schrift der Name der Serie „Gespenster-Krimi“.
Es war der Band 429 „Im Niemandsland des Bösen“, in dem ein anderer Dämonenjäger namens Tony Ballard (von seinen Fans scherzhaft John Sinclairs kleiner Bruder getauft) gegen einen Schwarzmagier namens Mago antrat und sich dabei mächtig ins Zeug legte.
Die kleine Glut, die seit knapp 3 Jahren in mir geschwelt hatte, brach nun durch, wurde zu einem Großfeuer der Begeisterung und infolge einer kurzen namentlichen Erwähnung John Sinclairs in dem Gespenster-Krimi, war ich es dann, der zwei Wochen später und von da ab über 10 Jahre lang regelmäßig, wöchentlich seine Horrorheftroman-Dosis benötigte.
Tja, ich schimpfe immer über Junkies, aber irgendwie war ich damals selber einer.
Zumindest bezüglich dieses „Schunds“.
Der Rest ist schnell erzählt und passt sich sehr gut an deine Ausführungen an.

  • 1) Regelmäßiger Konsum verschiedener Horrorheftromanserien

  • 2) Aufstockung der eigenen Sammlung durch ältere Romane oder Exemplare von Zweit-, Dritt- oder Viertauflagen

  • 3) Vehemente Verteidigung der Serien, ihrer Helden und Autoren vor derjenigen, die dem nichts abgewinnen konnten und das alles für absoluten Quatsch hielten.

Tja, so war es bei mir, doch diesen Anfängen folgten noch andere Rattenschwänze.
War bei dir doch bestimmt genauso, oder?

Olsen: Nee, überhaupt nicht! Das isses ja! Ich saß mal an einem schönen Sommertag mit meiner werten Frau Mutter (niemals, nicht mal so ganz unter uns, würde ich sie Mutti nennen!) und deren Herrn Gemahl, welches zugleich mein Vater zu sein pflegte, auf der Terrasse und schmökerte in einem meiner Sinclairs. Da mein Daddy über akuten Lesestoff-Mangel jammerte, erbarmte ich mich seiner und lieh ihm eines meiner geliebten Heftchen. Ich glaube, es war Band 73 „Der Satansfjord“. Als er ein paar Seiten durch hatte, stellte ich eine Ein-Wort-Frage: „Und?“
Die Antwort meines Vaters war: „Dem sein Kreuz verschießt Blitze.“
Ich: „Ja, cool, oder? Aber lies nur weiter! Das wird noch besser.“
Er: „Das bezweifle ich!“

Lobo: Entschuldige, dass ich dich unterbreche, aber das war noch eine nette Reaktion. Mein alter Herr „genoss“ einen meiner Sinclair-Romane und brach bereits nach der vierten oder fünften Seite in schallendes Gelächter aus.
Das hatte auf mich die Wirkung, als habe mir jemand einen ganzen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf gegossen, denn es handelte sich um meinen damaligen Lieblings-John Sinclair Band 210 „Drei Leichen im Garten“.
Ich fand den Roman einfach nur geil, vor allem, weil John mit einem Fangeisen am Bein gegen einen Untoten kämpfen musste und dann auch noch gewann.
Und mein Vater? Der lachte! Lachte! LACHTE!
Damals lernte ich zweierlei:

1)      Geschmäcker sind verschieden.

2)      Es gibt viel zu Wenige von denen, die ernsthaft und regelmäßig Horrorheftromane lesen.

So, entschuldige, bitte erzähl doch weiter, wie es dir nach diesem Erlebnis erging.

Olsen: Also von da an war es bei mir vorbei mit der offenen Zur-Schau-Stellung meiner Lektüre. Ich war schockiert von der Antwort meines Vaters – und von dem angewiderten Ausdruck in seinem Gesicht. War es vielleicht wirklich Schund, was ich da so begierig verschlang? Musste ich mich womöglich dafür schämen? Ich meine, ich war gerade in der Pubertät, und da schämte man sich ja ohnehin schon für allerhand. Ich beschloss, meine Begeisterung für derlei Hefte fürderhin nicht in der Öffentlichkeit breitzutreten. Und ganz sicher hätte ich die Serie nicht verteidigt, wie du es so heldenhaft getan hast!
Und von wegen Rattenschwänze! Andere Serien gab es für mich nicht. Ich versuchte es wohl einmal mit einem „Professor Zamorra“, das muss wohl so um Band 180 herum gewesen sein, der hat mir aber gar nicht gefallen. Da gab es Raumschiffe. Raumschiffe, Herrgott noch mal! In einer Gruselserie! Nee, das war nix für den kleinen Olsen. Das war aber auch der einzige Versuch, einmal fremdzugehen. Ja, das ist das richtige Wort! Irgendwie wäre es mir damals tatsächlich so vorgekommen, wenn ich neben meinen Sinclairs noch andere Serien gehabt hätte.
Eigentlich ist das merkwürdig, denn die literarische ... na ja ... Zweifelhaftigkeit der Hefte ist mir schon sehr früh aufgefallen. Ich kann mich noch gut an eine Szene erinnern, die – glaube ich – aus Band 227 „Stellas Rattenkeller“ stammte. Da öffneten John und Suko eine Kellertür und starrten die sich anschließende Treppe hinab. Sie sahen aber nichts, weil es unten finster wie im Bärenarsch war. Deshalb bediente der kluge Suko den Lichtschalter. Das Kellerlicht ging an – und im Schein dieses Kellerlichts konnten unsere Helden am Fuße der Treppe Kerzenständer mit brennenden (!!!) Kerzen sehen.
Das war aber nicht das Einzige! So wie Jason Dark heute so gerne das Wort „verdammt“ benutzt, hat er sich früher in der Verwendung von „Und wie!“ gesuhlt. Außerdem haben sich alle andauernd mit „mein Lieber“ und „meine Liebe“ angeredet. Und trotzdem: Irgendwie hat mich das damals nicht gestört! Ich hielt Sinclair quasi für die Krone der Romanheftschöpfung. Ich war mir bewusst, dass es schreiberisch nichts Besonderes war, war aber zugleich der festen Überzeugung, dass andere Serien auch nicht besser wären. Nun ja, und so entgingen mir damals Dämonenkiller, Larry Brent, Macabros und was es sonst noch so alles gab. Tony Ballard war mir nur dem Namen nach bekannt (aus seinen Cross-Over-Auftritten im Sinclair-Universum).
Aber jetzt erzähl mir nicht, dass du dich da genauso festgefahren hattest wie ich!

Lobo: Ähem, eigentlich schon! Ist mir richtig etwas peinlich, jedenfalls aus heutiger Sicht.
Nun, dass ich die nachfolgenden GK’s mit Tony Ballard hegte und pflegte und dann später – 1982 – dessen eigenständige Serie regelmäßig verfolgte, das brauche ich hier wohl kaum anzuführen.
Aber nichtsdestotrotz war John Sinclair mit seinem Kruzifix und seinem „Sinclair-Team“ für mich lange Zeit auch die Spitze des Absolutismus hinsichtlich Horrorheftromane.
Okay, mich haben die ständig wiederholenden Anreden und Redewendungen damals ebenso wenig gestört wie Jason Darks Vorliebe für alte Kalauer, die er seinen Helden in den Mund legte, wodurch es ihnen dann möglich war, Freunde und Kollegen zum Lachen mit Tränen in den Augen zu animieren.
Auch den Umstand, dass, wann immer Jungendliche oder Kinder mitspielten, deren Dialoge sich anhörten, als unterhielten sich dort zwei Erwachsene, denen jegliches Gefühl für zeitgemäße oder „hippe“ Ausdrücke fehlte, veranlasste mich nicht dazu,  das Sammeln der John Sinclair Romane einzustellen oder mich anderweitig umzublicken.

Olsen: Oh ja, bei Sinclair liefen tatsächlich die ältesten Kinder durch die Serie, von denen ich je gelesen hatte. Ich fand aber auch die Dialoge unter den Erwachsenen zuweilen völlig weltfremd. In irgendeinem Taschenbuch gab es mal ein unsäglich stussiges Gespräch zwischen John und Glenda. Seitenlang wurden da Worthülsen gedroschen. Irgendwann klingelte in der Szene das Telefon und es hieß sinngemäß: „Das Läuten des Telefons unterbrach unsere Flachserei.“ Und ich dachte: „Wer auch immer du bist, der da gerade anruft, ich danke dir von ganzem Herzen!“

Lobo: Irgendwann fiel mir „Ron Kelly“ auf, der neben einer ebenso simplen, wie aber auch spannenden Geister- oder besser Schattenjagd das „Dr. Richard-Kimble-ich-bin-unschuldig-aber-auf-der Flucht“-Rahmenelement enthielt und sich deshalb schon ein wenig vom übrigen Angebot abhob. Aber der legte sich ja noch vor Vollendung seines einjährigen Bestehens in die „Totenkiste für eingestellte Romanserien“.
Auch ich wandte mich dann mal interessehalber der akademischen Schicht der Geisterjäger zu, doch Professor Zamorra (es muss bei mir um die ersten 200er-Romane gewesen sein) überzeugte mich nicht wirklich.
Larry Brent ging mir, gelinde gesagt, am A***h vorbei. Nicht etwa, weil ich mich wirklich damit auseinandergesetzt hatte, aber Agentenstorys fand ich damals (heute längst nicht mehr) doof.
Macabros war mir zu fantasylastig.
Überhaupt fand ich Dan Shockers Schreibe damals (heute längst nicht mehr; ich weiß, ich wiederhole mich) anstrengend.
Von diesen „Ausblicken“ enttäuscht versuchte ich gar nicht erst, beim Dämonenkiller oder bei Serien wie Gordon Black oder MacKinsey Fuß zu fassen und setzte weiterhin alles auf das eine As!
John Sinclair (Gott bewahre, wie simpel man in diesem Alter doch gestrickt ist).
Aber schön war es schon, auch wenn man heute über diese Engstirnigkeit nur den Kopf schütteln kann. Oder was meinst du?

Olsen: Da gebe ich dir vorbehaltlos und vollinhaltlich Recht! Aber ich muss gestehen, dass im Erwachsenenalter diese Engstirnigkeit zunächst in die üblichen Vorurteile gegenüber Heftromanen übergegangen ist. Aber um dir das verständlich machen zu können, muss ich dir erst mal erzählen, wie meine Heftkarriere weiterging. Ich verlasse mich aber darauf, dass das unter uns bleibt, denn das Ganze hat zuweilen Züge, bei denen sich ein Psychotherapeut vor Freude die Hände auf die Schenkel schlagen würde.
Also, ich hab gelesen, gesammelt, gelesen, nachgekauft, gelesen, vervollständigt. Zu diesem Zeitpunkt hat mich der Sammelwahn zwar noch nicht so fest in seinen Fängen gehabt, dass ich auch unbedingt von jedem Heft die Erstauflage haben musste, aber auch wenn es mit Zweit- und Drittauflagen war – zumindest komplett musste es sein! Und dieses Ziel hatte ich auch irgendwann erreicht. Blöd nur, dass so um Band 500 herum meine Freude an der Lektüre langsam nachließ, während das Genervtsein wegen der sprachlichen und inhaltlichen Mängel langsam wuchs. Aber dennoch war es wie eine Droge! Man brauchte seine wöchentliche Dosis, obwohl man wusste, dass es einem nicht gut tut!
Und so hat es noch bis in die frühen 600er Bände hinein gedauert, bis ich einen Schlussstrich zog und aus der Serie ausstieg. Die Sammlung blieb natürlich unberührt im Schrank liegen, da steckte schließlich jahrelange Arbeit dahinter! Sowohl in den späten 600ern, als auch in den 700ern wurde ich noch mal kurz rückfällig. Als ich aber feststellte, dass ich für die Lektüre eines Heftes länger als bis zum Erscheinen des nächsten brauchte, endeten diese kurzen Episoden recht schnell wieder.
So weit, so gut. Ich führte ein entspanntes, heftromanfreies Leben. Bis ihm Jahr 1996 ein Umzug anstand. Voller Sorgfalt verpackte ich meine Bücher, meine CDs, meine Videokassetten – und stieß auf meine Sinclair-Sammlung. Mein Entschluss war schnell gefasst: Das Zeug wird weggeschmissen oder zumindest verkauft. Für mich völlig überraschend gingen meine damalige Lebensgefährtin und meine Mutter bei diesem Plan auf die Barrikaden. Das kann man doch nicht machen, so eine schöne Sammlung weggeben. Wer weiß, was die mal wert ist! Und so weiter, und so weiter, bla fasel sülz. Beide hatten übrigens in ihrem Leben nie auch nur eine Seite Sinclair gelesen.
Ich ließ mich schließlich breitschlagen, die Sammlung in die neue Wohnung mit umzuziehen. Aber ich sagte mir: „Was nützt mir eine Sammlung, die in den 600ern endet, wo die Serie doch gerade stramm auf die 1000 zumarschiert? Außerdem: Wenn ich den Kram schon behalte, dann lese ich ihn auch wieder. Und: Ich fange aber nicht etwa mit den neuen Heften an, dafür hab ich von dem alten Zeugs schon zu viel vergessen. Nein, nein, nein, ich fange wieder ganz von vorne an!“
Das tat ich dann auch. Während ich fleißig die neuen Hefte kaufte und die Lücken mithilfe der Romantruhe schloss, zog ich mir die ollen Kamellen alle wieder rein. Und diesmal packte mich der Sammelwahn vollständig. Soweit möglich versuchte ich nämlich, die ganzen Zweit- und Drittauflagen durch die Originale zu ersetzen. Oh ja, das war geil! Ich entdeckte eBay für mich – eine verheerende Entdeckung für einen latent Sammelsüchtigen. Ich steckte Unsummen in die Vervollkommnung meiner Sammlung, nur um wieder etwa bei Band 600 feststellen zu müssen, dass mir die Serie fürchterlich auf den Zeiger ging.
Nun gut, ich stellte die Lektüre wieder ein, räumte die Sammlung (von der ich die Hälfte der Hefte nicht gelesen hatte!) zunächst in den Keller und dachte nach. Nach tagelangem Grübeln kam ich zu dem Entschluss, die komplette Sammlung aus Selbstschutzgründen zu verkaufen. Nicht, dass mir in ein paar Jahren wieder einfällt, ich könnte ja noch mal von vorne anfangen und die inzwischen erschienenen Hefte auch gar kaufen.
Also weg das Zeug! Ich glaube, die Romantruhe hat damals ein gutes Schnäppchen mit mir gemacht (dafür mussten sie Jahre später unter meiner enormen Wankelmütigkeit leiden – diese Serie abonniert, die nächste gekündigt, dafür die übernächste abonniert. Ich glaube Joachim Otto kann da ein langes, trauriges Lied davon singen.)! Und wieder vergingen Jahre der Zufriedenheit.
Bis ich mich eines Tages entschloss, im Fitnessstudio etwas für (oder besser: gegen) meine Wampe zu unternehmen. Ziemlich schnell stellte ich dort fest, dass eine Stunde auf dem Cross-Trainer fürchterlich langsam verging. Ach wäre es schön, wenn man was zu lesen dabei hätte. Die Geräte in meinem Studio hatten da auch so eine praktische Ablage. Die ersten Versuche scheiterten allerdings kläglich, da diese Ablage den Büchern, die ich mitbrachte, nicht gewachsen war. Andauernd klappten diese blöden Dinger wieder zu. Außerdem erwischte ich mich dabei, zuweilen zwar in regelmäßigen Abständen umzublättern, aber gar nicht zu wissen, was ich gerade gelesen hatte. Zu häufig war ich abgelenkt von Gesprächen an der Beinpresse, denen man lauschen musste, oder den verzweifelten Bemühungen mancher Neukunden am Butterfly, die man beobachten musste.
Nee, Bücher waren für so etwas nicht geeignet. Besser wäre da etwas Anspruchsloses, wo es auch nicht so schlimm ist, wenn man mal ein paar Seiten nicht in sich aufnimmt. Außerdem darf es natürlich nicht dauernd zuklappen. Irgendwie so etwas wie – ein Heft!
Ich komme zurück auf das, was ich anfangs gesagt habe. Aus meiner Engstirnigkeit („Sinclair ist das Beste!“) waren inzwischen Vorurteile („Das ist doch eh alles der selbe Stuss!“) geworden. Aus diesem Grund kam ich nicht mal ansatzweise auf die Idee, eine andere Serie anzutesten. Da ja ohnehin alles gleich schlecht war, griff ich wieder zu Sinclair. Hier hatte ich wenigstens schon einen gewissen Background. Außerdem war es doch sicher interessant zu erfahren, wie es dem guten John in meiner Abwesenheit ergangen ist. Schade eigentlich, dass ich die Sammlung damals verkauft habe. Vielleicht könnte ich sie ja noch einmal ...
Halt! Diesmal dauerte es Gott sei Dank nicht wirklich lange, bis mir Sinclair auf den Geist ging. Auf jeden Fall war es früh genug, um nicht die komplette Sammlung noch einmal anzukaufen.
Und nach langen, langen Jahren kam ich endlich ins Grübeln. Vielleicht sollte ich ja doch mal einer anderen Serie eine Chance geben? Lass es mich kurz machen. Ich will deine Zeit nicht über Gebühr strapazieren.
Ich versuchte es mit einem Perry Rhodan-Band. Mitten in einem Zyklus. Ich verstand kein Wort und legte ihn nach zehn Seiten auch wieder weg. Aber alleine diese zehn Seiten reichten, um zu erkennen, dass literarische Welten zwischen einem Rhodan und einem Sinclair lagen. Ein Arbeitskollege verkaufte mir seine PR-Sammlung, nämlich die ersten 500 Bände. Die restlichen lächerlichen (zu diesem Zeitpunkt) 1700 Hefte besorgte ich mir über eBay und diverse Sammelbörsen – bloß weil ich die Sinclair-Sammlung nicht wieder aufgebaut habe, heißt das ja nicht, dass man nicht etwas Anderes sammeln könnte, gelle? Und erst in diesem Augenblick öffnete ich tatsächlich meine Augen auch für andere Serien. Rhodan zeigte mir, dass eben doch nicht alles der selbe Stuss ist. Ich begann mit Maddrax, Torn, Professor Zamorra, Dorian Hunter, Bad Earth, Sternenfaust und Macabros. Ich hatte ja so viel nachzuholen! All die Jahre, in denen Sinclair meinen Geist verklebt und meinen Blick für andere Serien getrübt hatte, mussten nun im Zeitraffer aufgeholt werden.
Na gut, ich musste mir eingestehen, dass ich das in diesem Leben nicht mehr schaffen würde, deshalb habe ich einige der Serien auch wieder aufgegeben. Aber so im Nachhinein ärgere ich mich schon ein wenig, dass ich damals in meiner Jugend nicht gleich alle Serien mal angetestet habe. Dann hätte ich heute nämlich viel mehr Zeit für die unzähligen Bücher, die noch ungelesen in meinem Regal stehen.

Lobo: Oh mein Gott, Olsen, da tut sich ja ein Drama von shakespearehaftem Ausmaß auf, wenn man deine „Horrorheft“-Lebensgeschichte/-beichte liest.
Ich sehe, du bist ein armer Tropf, der jahrelang dem „Sinclair-ist-der-Größte“-Wahn verfallen war und mit den dafür so typischen Scheuklappen durch die Gegend lief.
Ja, ja und was noch viel trauriger ist: Mir ist es ja annähernd gleich ergangen.
Ich habe etwas länger beim alten John durchgehalten und habe erst in der Mitte der 700er Romane (diese unsägliche Assunga war schon im Spiel) meine Hühner gesattelt und bin von dannen geritten.
Die ständig wiederholenden Plots, die fehlenden Höhepunkte und die eintönig nervende Sprache der Serie haben mir in dieser Hinsicht und bildlich gesprochen „das Genick gebrochen“.
Ich war es leid mich rückwärts zu bewegen und wollte mich weiterentwickeln.
Ich möchte hier einmal gehörig anmerken, dass ich Jason Dark nach wie vor für seinen Fleiß und sein Durchhaltevermögen sehr bewundere, aber damals (es waren die frühen 90er) musste etwas geschehen.
Also brach ich meine Sammelei von einem Tag zum anderen ab und musste erkennen, dass ich nichts misse.
Das mag auch daran gelegen haben, dass ich zu dieser Zeit mit der Bundeswehr fertig war und meine Ausbildung zum Physiotherapeuten (Physio nicht Psycho, gell?) antrat und fürs Lesen keine Zeit mehr hatte (abgesehen von fachlicher Literatur, versteht sich).
Als das Thema ausgestanden war, kehrte ich nicht zum Horrorheftroman zurück, sondern wandte mich erneut meinem alten Freund, dem Comic zu, was zur Folge hatte, dass diese Sammlung in den nächsten Jahren genauso groß wurde (oder wahrscheinlich noch größer) wie die meiner Horrorheftromane.
Aber dann sah ich irgendwann doch noch vereinzelte Exemplare von GK’s, PZ’s, LB’s, Macabros(es?) herumliegen und in mir erwachte auch der Wunsch, selbst zu schreiben erneut, was ich dann als Aufhänger nutzte, um mir diese bereits erwähnten Exemplare zu kaufen.
Zwar investierte ich nun keine Unsummen mehr (die Zeiten waren seit Geburt meiner Töchter vorbei), aber ich hielt doch mal wieder auf Flohmärkten und auch bei eBay und Konsorten die Augen auf, um mir mal das eine oder andere Schmankerl, wie z. B. „Der Hexer“ von W. Hohlbein zu gönnen und kleinere Reihen, in denen sich Lücken gebildet hatten, auszufüllen.
Ich las dann „Vampire“ (die ich nicht ganz übel fand), „Torn“ (den ich sehr gut fand, zumindest in der Heftromanzeit) und gelegentlich mal einen „John Sinclair“ (den ich mittlerweile richtig schlecht fand).
Meine Rezis bei www.gruselromane.de zeugen von diesen Erfahrungen und auch ich hatte dieses Gefühl, dass die frühen Jahre nicht vollkommen verloren gewesen sind, aber dass man halt doch einiges verpasst hat, weil man nun mal seinen Favoriten auf ein ziemlich hohes Podest gestellt hat.
Tja, und aus diesen genannten Gründen sehe ich dem 40. Geburtstag des Horrorheftromans mit etwas gemischten Gefühlen entgegen.

Olsen: Geht mir ähnlich. Das wäre, als hätte eine Familie Geburtstag, von der man über lange, lange Jahre nur den missratenen Sohn kannte. Würde man da auf die Feier gehen wollen? Na ja, ganz so isses auch wieder nicht, und ich gebe dir mit deiner Einschätzung vorhin ausdrücklich Recht: Man muss Jason Dark für seine Leistung und für seine Disziplin, jede Woche so ein Heft rauszuhauen (von den früheren Taschenbüchern etc. ganz zu schweigen), wirklich Respekt zollen. Dennoch: Ich glaube, ich werde zu dieser Geburtstagsfeier lieber nicht gehen.
Horst von Allwörden hat mich ja gebeten, dann wenigstens eine Glückwunschkarte in Form eines Beitrags für den Zauberspiegel zu schreiben, aber wie du gerade schon bemerkt haben wirst, habe ich zu diesem Thema eigentlich überhaupt nichts zu sagen.
Klar, wenn der Horrorheftroman uns gerade zuhören würde, könnte ich ihm meine Glückwünsche zurufen. Ich könnte ihm Gesundheit und ein langes Leben wünschen, müsste ihm aber auch sagen, dass er für sein Alter schon ziemlich mitgenommen aussieht. Unheimlich viele Familienmitglieder sind schon gestorben, viele davon sogar in jungen Jahren, also vor Erreichen des hundertsten Bandes. Aber dennoch wünsche ich ihm natürlich das Allerbeste, insbesondere dass dem studierten Teil der Familie (also diesem Professor Zamorra, du weißt schon) noch ein langes Leben beschieden sein möge. Na ja, aber es hört uns ja ohnehin keiner zu!
Und weil ich nichts zu sagen habe, wird wohl auch Horst auf den Beitrag verzichten müssen. Was soll’s? Kann ich auch nicht ändern. Aber soll ich den Leuten etwa davon erzählen, wie ich mit den Heften angefangen habe und welche bizarren Auswüchse das im Laufe der Zeit angenommen hat? Nee, das interessiert doch keinen! Deshalb lass ich es lieber bleiben. Aber dir danke ich für dein offenes Ohr. Auch wenn du nur Physio und nicht Psycho bist, hat mir das schon sehr geholfen.

Lobo: Freut mich Olsen, freut mich wirklich. Manchmal muss ein Physio auch ein bisschen, ein Psycho sein (also nicht so, wie es jetzt klingt sondern … , okay ich hab’s verrissen. GRRRR).
Tja, es ist wirklich nicht leicht, Freudentänze über diesen 40sten aufzuführen, wenn es einem eher so vorkommt, als läge der Jubilar (und nun verzeih meine schonungslose Ausdruckweise) tatsächlich in den letzten Zügen.
Das mit den vielen Familienmitgliedern aus dem Clan derer von und zu Horrorheftroman, die ein blitzschneller und somit doch irgendwie gnädiger Tod ereilte, kann ich nur voll und ganz unterstützen, das hast du sehr schön ausgedrückt.
Und diese Sache mit dem missratenen Sohn schlägt in mir auch eine zustimmende Saite an.
Hier möchte ich noch hinzufügen, dass diesem Sohn ein schnelles Ende vorenthalten wurde, so dass er schon seit geraumer Zeit dahinsiecht.
Klingt ganz schön morbide, was?
Aber es ist nun einmal so, wie es ist.
Der Höhepunkt des Horrorheftromans liegt weit zurück, die verbliebenen Spuren stellen offensichtlich nur ein schales Überbleibsel des vergangenen Ruhms dar und selbst die hoffnungsvollsten Anhänger müssen allmählich erkennen, dass der Niedergang nicht aufzuhalten ist und einen bisweilen schon besorgniserregenden Stand erreicht hat.
Von den gewaltigen Auflagezahlen, die Mitte der Achtziger bei den Herausgebern und Mitverantwortlichen die Augen haben leuchten und die Brieftaschen haben anschwellen lassen, ist ja heute nicht mehr allzu viel übrig.
Wenn es dich interessiert, frag mal Hotte von Allwörden, der hat bestimmt genauere Zahlen.
Gelegentlich versucht irgendjemand, der noch am Drücker oder Drucker sitzt, ein Aufbäumen  zu bewerkstelligen, aber Tatsache bleibt, dass in solchen Fällen kaum mehr als Eintagsfliegen fabriziert werden (wobei das nichts über die Qualität der durch die Autoren geleisteten Arbeit aussagen soll).
Es stimmt mich persönlich, der ich in den Achtzigern den Hype so begeistert mitgetragen habe, schon sehr traurig, wenn ich auf die Rudimente dessen blicke, was von damals übrig geblieben ist.
Andererseits jedoch … ja ja, ich will ehrlich sein: Anderseits bin ich ein Mensch, der die Hoffnung niemals so richtig und endgültig aufgeben will.
Vielleicht sollte man den guten Horrorheftroman doch noch nicht als sterbend ansehen.
Eventuell sollte man verhalten optimistisch sein, dass durch Erwachsen einer neuen Generation von Autoren und Lesern dieses Genre zu neuer Blüte gebracht wird.
So etwas hat es immer wieder gegeben.
Man sehe sich das Fandom von Star Trek an, das sich jetzt, nach einigen mageren Jahren, wieder auf einem – im Moment noch zaghaften – aber durchaus bemerkenswerten Vormarsch befindet.
Hmmmm, also ich werde auch nicht zur Geburtstagsfeier gehen. Nein, das lasse ich schön bleiben.
Aber ich werde es mir Zuhause schön gemütlich machen, ein Schlückchen Sekt oder auch Bier auf das Wohl des Jubilars gönnen und mir dann, im stillen Gedenken an die schönen Zeiten die hinter mir liegen, meinen damaligen Lieblings-Sinclair zu Gemüte führen.
Und wer weiß, vielleicht widme ich der Hoffnung auf eine Zukunft des Horrorheftromans eine kleine Schweigeminute.
In diesem Sinne, mein Alter!
Bis denne!

Kommentare  

#1 Myxin der Magier 2008-07-23 19:02
Verdammt! Und wie gut ihr das beschrieben habt, meine Lieben! :P
#2 Dieter Maier 2008-07-23 21:44
Sehe ich genauso!
Habe mich zwar selten über den guten DäKi hinausgewagt (John Sinclair ist für mich noch ziemlich unentdecktes Land) aber das mit der "Abhängigkeit" kann ich sogar heute noch gut nachempfinden.
Schöner Beitrag! Sehr erheiternd und erhellend!
#3 benfi 2008-07-25 22:13
Haha...zwei Klassische Fälle...und man merkt diese Sinclair-Hörigkeit dem Beitrag an! Lauter offene Fragen! Was wurde mit Mutti und der damaligen Lebensgefährtin? Haben sie jemals einen Sinclair gelesen? Und die Fitnessstudiobesuche? Gehören die immer noch zum Leben wie Shao zu Suko? :lol:

Aber im Ernst - es ist vielen so ergangen! Ich kannte auch etliche, die alles andere mit dem Satz 'Das kann doch nicht so gut sein wie Sinclair' ad acta legten...
#4 Oliver Fröhlich 2008-07-25 22:34
Die Lebensgefährtin ist seit langen, langen Jahren eine gewesene. Die Mutti existiert noch. Beide haben aber immer noch keinen Sinclair gelesen.
Das Fitnessstudio muss inzwischen auch ohne meine Beiträge auskommen. Allerdings dient nun der Hometrainer als Ort des Literaturstudiums (neben dem stillen Örtchen natürlich ...) :lol:

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