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Unerlässlich: Starke Charaktere

Jochen und der (phantastische) TellerrandUnerlässlich:
Starke Charaktere

Darüber, was eine gute phantastische Geschichte ausmacht, lässt sich vortrefflich streiten. Besonders dann, wenn es darum geht, DAS zentrale Element an sich zu bestimmen, also genau  den Baustein, der entscheidend dafür ist, ob eine phantastische Story ihr Publikum fesselt oder nicht.

Ist es die Welt bzw. der Kosmos der Erzählung? Müssen Autoren möglichst originelle und durch und durch stimmige Universen erschaffen, damit ihre Story Anklang findet? Oder ist es vielmehr der Sense of Wonder, der nirgends so sehr von Bedeutung ist wie im phantastischen Genre? Muss eine Geschichte ihrer Leser- bzw. Zuschauerschaft also alle paar Minuten neue „Ahhs“ und „Ohhs“ entlocken? Und was ist, vereinfacht ausgedrückt, mit Magie (bei Fantasy), Wissenschaft (bei SF) und Schockelementen (bei Horror)? Kommt es nicht gerade hierauf an?


Fakt ist, dass wohl jeder der genannten Aspekte (und darüber hinaus noch Dutzende anderer, nicht erwähnter) seinen Teil dazu beiträgt, dass eine phantastische Geschichte für ihr Publikum zu einem echten Erlebnis wird. Ein ausgeklügeltes, ungewöhnliches Magiesystem ist mit Sicherheit ein wesentlicher Faktor, wenn es darum geht, einen Fantasyroman unvergesslich zu machen. Beeindruckende Raumschiffdesigns sorgen dafür, dass einem ein SF-Film auch noch nach Wochen nicht aus dem Kopf geht.

Eine gute Story ergibt sich also aus dem Zusammenspiel all dieser Elemente. Erst wenn alle Aspekte wohldosiert aufeinander abgestimmt sind, wirkt die Geschichte rund.

Und doch gibt es ein Element, das (meiner Meinung nach) alle anderen Bausteine aussticht, was seine Bedeutung für eine gute Geschichte angeht. Die Rede ist von glaubwürdigen, gut gezeichneten und lebendig wirkenden Charakteren.

Das mag den ein oder anderen nun ein wenig verwundern. Da rede ich hier von zentralen Bestandteilen für eine gute phantastische Erzählung, und dann fällt mir nichts Besseres ein, als zu behaupten, dass ausgerechnet ein Aspekt wie „Figuren“ von größter Bedeutung ist? Ein Aspekt, welcher dem phantastischen Genre nicht einmal eigen, sondern ebenso Teil einer jeden anderen Gattung ist?

Ja, genau das behaupte ich. Und belegen kann ich es auch.

Aus der Vielzahl an Beispielen, die mir hier einfallen würden, greife ich einfach mal drei heraus, die mir in jüngerer Vergangenheit über den Weg gelaufen sind.

Beispiel 1: Der Roman »Das Königreich der Lüfte« von Stephen Hunt. In seinem Buch präsentiert der amerikanische Autor seinen Lesern eine atemberaubend fantasievolle Welt. An jeder Ecke erwarten den Besucher neue Wunder, ständig gibt es etwas Neues zu bestaunen. Dass die Geschichte dennoch nur schwer in die Gänge kommt und einen nie wirklich in ihren Bann zieht, liegt schlicht und ergreifend daran, dass Hunt sich zu sehr auf das von ihm entworfene Universum konzentriert und darüber seine Protagonisten vergisst. Diese bleiben blass und wirken beliebig austauschbar, weshalb man als Leser seine liebe Not damit hat, sich emotional auf die Romanhandlung einzulassen.

Beispiel 2: Der SF-Actionfilm »Terminator – Die Erlösung« von Regisseur McG. Schauwerte hat der Film so einige. Der neuste Teil der »Terminator«-Reihe ist ein lautes Actionspektakel geworden, bei dem es an allen Ecken und Enden kracht und das Zuschauer wie Protagonisten in keiner Sekunde zur Ruhe kommen lässt. Leider waren Autoren und Regie die Figuren scheinbar reichlich egal. Die Charaktere haben die emotionale Tiefe von Suppentellern, ihre Handlungen dienen einzig und allein dazu, der nächsten Actionszene einen Grund zu geben, sich zu entfalten. Die Folge: Mehr als kurzweilige, oberflächliche Unterhaltung, die man schnell wieder vergessen hat, ist McGs neuste Regiearbeit nicht geworden.

Beispiel 3: Das Buch »Im Auge des Himmels« von David Keck. Im Gegensatz zu seinem Kollegen Hunt macht sich Keck durchaus Gedanken um seine Figuren. Dumm nur, dass es ihm zu keiner Zeit gelingt, diese auch glaubwürdig und lebensecht darzustellen. Hölzerne Dialoge, eindimensionale Charaktere, uninteressante Lebensgeschichten – es ist zwar schön und gut, wenn sich ein Autor intensiv mit seinen Figuren auseinandersetzt, doch das nutzt alles nichts, wenn diese Figuren hiernach, aller Mühen zum Trotz, daherkommen wie bessere Holzpuppen.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Glaubwürdige Charaktere sind das A und O einer Geschichte. Das gilt auch für alle Erzählungen des phantastischen Genres. Was nutzten mir ein wundersamer Schauplatz, eine dramatische Handlung oder ein durchdachtes Magie- und Wissenschaftssystem, wenn mir die Geschichte im Grunde genommen egal ist, weil es eben keine Protagonisten gibt, mit denen ich mitfiebern könnte?

Ich will damit die Bedeutung all der übrigen Aspekte nicht schmälern. Gerade in Sachen SF, Horror, Fantasy und Mystery sollten Autoren unbedingt Wert auf Aspekte wie Magie, wie Schockmomente, wie die Konzeption fremdländischer Kulturen und Völker legen. Das ist es schließlich, was die phantastischen Geschichten so einzigartig macht.

Doch im Fokus ihrer Anstrengung sollten immer die Personen stehen. Erst sie und die gekonnte Zeichnung ihrer Charaktere macht die Erzählung zu dem, was sie sein soll: einem echten Erlebnis, an das man noch lange mit Freude zurückdenkt. Und dann bleiben und hoffentlich auch halbgare Projekte wie die oben angeführten in Zukunft erspart.

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