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Panik in New York

Mainstreams MatineePanik in New York

Der Filmvorführer ist nicht ohne Grund der Herr der Filme. Ihm allein obliegt es, ob der Zuschauer ein ungetrübtes Filmvergnügen bekommt oder nicht. Und ihm allein obliegt der gesamte Ärger, wenn zum Beispiel aus bis heute ungeklärten Gründen der Projektor nicht anspringen will.
 
Da sitzen abertausende von Leuten (oder ein bisschen weniger) in einem komplett ausverkauften Kino und warten auf Colonel Kilgors „Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen“.
 
Das Schlimme daran ist nicht, alle Besucher auszubezahlen und nach Hause zu schicken, sondern die Art und Weise, wie sie dich dabei ansehen. Wie sie dir ihre Verachtung mit ihrem Blick mitteilen. Wie sie sich wünschen, dich am Morgen mit Napalm in Flammen aufgehen zu sehen.

Man lernt aus solchen Fehlern – dies erfüllt schließlich am Ende einen gewissen Selbstzweck. Lange, bevor digitales Kino die Multiplexe aufsuchte, musste der Filmvorführer seinen Film erst einmal zusammenbauen. Früher, also ganz früher, wurde jeder Akt eines Films einzeln vorgeführt. Und dann kam die Zeit, als findige Leute den Spulturm erfanden und man bis zu 120 Minuten auf eine Spule packen konnte. Bei einer Matinee von Vom Winde verweht hatte ich einmal nur kleine Spulen. Das bedeutete, dass die ersten 30 Minuten des ersten Teils über den Rand spähten und gerne bereit waren, herunterzurutschen.

Der Verleiher überprüft seinen zurückgegebenen Film nicht wirklich. Wenn also ein frustrierter Spaßvogel, der den Film in den Händen hatte, Start- und Endbänder vertauschte oder die falschen Farben an den falschen Akt klebte, dann passierte eines der folgenden zwei Szenarien, mit viel Glück sogar alle beide: Die Hauptdarsteller sehen sich in die Augen, möchten sich küssen, Aktwechsel, das Bild steht auf den Kopf und man ist unvermittelt in einer Verfolgungsjagd, die allerdings rückwärts läuft. Das ist der Fehler, den der Vorführer sehr schnell bemerkt. Das zweite Szenario ist komplizierter und fällt nur auf, wenn anwesende Kritiker das waghalsige Spiel mit den verschiedenen Zeitebenen als wahres Meisterstück loben. Dann kam nach dem ersten gleich der letzte Akt, um gleich darauf mit Nummer drei und anschließend Nummer fünf weiter zu spielen. Der mittlere Akt bildet sozusagen den traurigen Abschluss eines vortrefflichen Kinoabends.

Szenenfoto mit Paul HubschmidDa schon seit den Anfängen des Kinos jeder Akt zirka zwanzig Minuten spielt, machen zum Beispiel fünf Akte laut Taschenrechner 80 Minuten Film. Früher hatten die meisten Filme eine kürzere Laufzeit. Da waren 80 Minuten durchaus normal. Panik in New York hat auch eine Laufzeit von 80 Minuten. Meiner allmächtigen Erfahrung nach, müssten das fünf einzelne Akte gewesen sein. Macht 80 Minuten Laufzeit für einen Film, der es wirklich in sich hat. Panik in New York ist in vielerlei Hinsicht revolutionär, was in der geschichtlichen Relevanz gipfelt, der erste Film zu sein, der ein Atombombenopfer auf die unschuldige Bevölkerung loslässt. In diesem Film ist es ein (erfundener) Rhedosaurus, der durch Atombombenversuche in der Arktis aus seinem eisigen Grab geschmolzen wird. Da der Rhedosaurus vor nicht allzu langer Zeit im Gebiet der heutigen Stadt New York zu leben pflegte, begibt sich unser Exemplar dank seines Urinstinkts schnellstmöglich dorthin. Bis es dort ankommt und in vollem Umfang wüten kann, vergehen 55 Minuten, die mit herrlichen Ideen und wunderbaren Effekten angereichert sind. Wenn man zum Beispiel den Kopf des Urtiers in Großaufnahme sieht, geschieht dies in einer Regenszene, um den Blick durch eine Glasscheibe zu simulieren, bei der herunterlaufendes Wasser alles verzerrt. So konnte man den Puppencharakter des Giganten verschleiern.

Beeindruckend ist auch das Material, bei dem man einen echten Hai mit einem echten Kraken kämpfen sieht. Das hat durchaus etwas, auch wenn es offensichtlich Archivmaterial war, doch der Einsatz ist plausibel und logisch zusammengefügt. Sehr eindrucksvoll ist auch das Archivmaterial der menschenleeren Straßenschluchten New Yorks.

Zudem wartet Panik in New York mit einem sehr interessanten Aspekt auf, der in ähnlich gelagerten Filmen in dieser Form nie mehr zum Tragen kam. Da der Rhedosaurus mit Bakterien und Viren behaftet ist, die Millionen von Jahren alt sind, steckt das durch die Stadt trampelnde Monster viele Menschen an, deren Immunsystem überhaupt nicht mit den Boten aus der Vergangenheit klarkommt.

Das Monster wütetNatürlich ist ein Stop-Motion-Monster alles andere als zeitgemäß, doch dieses Biest macht richtig Freude, weil es im richtigen Tempo erzählt ist, technisch brilliert und den Spannungsbogen richtig anzuziehen versteht. Stop-Motion-Legende Ray Harryhausen erzählte einmal vom Besuch seines Freundes Ray Bradbury am Set von Panik in New York. Während der Techniker Ray an seiner Stop-Motion-Puppe herumnestelte, bat er den Autoren Ray, mal einen Blick ins Drehbuch zu werfen, ob man da noch etwas aufmöbeln könnte. Bradbury fand das Drehbuch sehr interessant, weil es ihn an eine Story erinnerte, die er selbst ein paar Jahre zuvor für eine Zeitung geschrieben hatte. Bereits 12 Stunden später hatte Ray Bradbury einen Scheck der Filmfirma in den Händen, die damit die besagte Kurzgeschichte erwarb. Bis zuletzt wollte Drehbuchautor Fred Freiberger nichts von einem Plagiat wissen, ließ nur den blanken Zufall gelten.

Auch Panik in New York war einer jener Filme, die ich in meiner Laufbahn als perfekter Filmvorführer schon am frühen Morgen zusammengebaut hätte. Bei manchen Filmen macht man das, weil sie einen interessieren, weil man verrückt danach ist, weil man es einfach kann. Man baut sie zusammen, legt sie in den Projektor und startet seine ganz ureigenste Vorstellung, bevor zwei Stunden später das reguläre Programm losgeht. Das ganze Kino für sich, man wirft mit Chips gegen die Leinwand, verhöhnt lauthals die Darsteller und genießt. Das hatte immer etwas sehr Besonderes.

Der Abrissschalter am Projektor sorgt dafür, dass die Maschine anhält, sollte der Film reißen. Aber wenn jemand seine Akte so geschickt zusammenklebt wie ich, dann passiert es schon mal, dass ein Film erst nach dem Abrissschalter auseinander geht. Dann läuft der Film ungeniert weiter durch. Und während ich im Saal Schauspieler beschimpfe oder auf die Vorderlehne schnäuze, läuft neben dem Projektor ein kompletter Film statt auf die Auffangspule einfach auf den Boden und füllt in wüsten Schleifen den Vorführraum. Eine 35mm-Kopie eines 90-Minuten-Films ist zirka 2500 Meter lang.

Beast from 20.000 Fathoms

Darsteller: Paul Hubschmid, Paula Raymond, Cecil Kellaway, Kenneth Tobey u.a.

Regie: Eugene Lourie; Drehbuch: Fred Freiberger nach Ray Bradbury; Kamera: John L Russell; Bildschnitt: Bernard W. Burton; Effekte: Willis Cook, Ray Harryhausen; Musik: David Buttolph

USA / 1953; circa 80 Minuten

Bildquelle: Warner Home Video
 
 

Kommentare  

#1 Thomas Rippert 2009-01-04 22:46
Toller Bericht, toller Film, danke! :-)
#2 Mainstream 2009-01-05 07:38
-
Herzlichen Dank.
Ich bemühe mich weiterhin.
#3 Norbert 2009-01-05 09:12
Manchmal habe ich das Gefühl nach Hause zu kommen. Oh, ich war nie Filmvorführer und habe leider auch keinen Beruf, der mit Film zu tun hat.
Als Kind und Jugendlicher habe ich gern Sonntags die Matineevorstellungen besucht, allerdings habe ich in erster Linie Karl May Filme oder japanische Monsterheuler gesehen. Meine Liebe zu Godzilla gründet sich auf diese Zeit. Wow, war das geil. Der Saal rappelvoll mit Kindern und Heranwachsenden, die jedes Mal aus dem Häuschen waren, wenn Godzilla wieder in den Ring stieg.
Ich hatte zwei Kinos, das "Gloria" und "Die Kurbel". Ich muss sagen, Du hast es ja noch gut. Die Kurbel, die noch bis in die 80er Matinees pflegte, musste irgendwann einer Automaten-Spielhalle weichen. Und aus dem Gloria wurde vor wenigen Jahren ein Altenheim, weil direkt gegenüber ein Cinemaxx hingestellt wurde.
Habe ich schon erwähnt, dass mir Deine Matinees gefallen? Sie erinnern mich an eine Zeit, in der Kino zwar ebenfalls kommerziell, aber doch deutlich familiärer und gemütlicher war.
Vielen Dank dafür.

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