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Sommerlager, desertierende (?) Reiterei, Germanien, Rom und die Schlacht

Teestunde mit RolfMoin Rolf. Und weiter geht’s mit der Varusschlacht und wie sie Deiner Meinung nach ablief. Du gehst an Quellen ran und erläuterst uns Deine Sichtweise. Also dann, der Tee hat gezogen, die Butterscones liegen bereit. Jetzt warten wir gebannt auf Deine Erzählungen...

Sommerlager, desertierende Reiterei(?), Germanien, Rom und die Varusschlacht

Ja, es ist tatsächlich so. Mit den wenigen überlieferten Fakten können wir weder den Ort noch den Verlauf der Schlacht im Teutoburger Wald rekonstruieren. Nur die Person des Varus und auch des Arminius treten mit ihrer Charakteristik aus den antiken Schriften einigermaßen plastisch hervor.

Den echten Verlauf der Schlacht hat uns niemand geschildert, der von der Zeit her „nah dran war“, so dass er auf Original-Quellen und Befragung von Zeitzeugen zurückgreifen konnte.

 

Aber schlussendlich wissen wir nur, dass eben drei Legionen vernichtet wurden – oder besser gesagt, der Legionsadler verloren gingen. Denn die Reiterei ergriff die Flucht, wie wir von Vallejus Paterculus wissen.

Wir erinnern uns, Paterculus hat über die uns in Fragmenten erhaltenen Ereignisse ungefähr im Jahr 30 n.Chr. - also ca. zwanzig Jahre später, geschrieben. Er hatte als Offizier in Germanien unter dem Kommando des Marcus Vinicius, des Drusus und des späteren Kaisers Tiberius gedient. Er kannte also nicht nur die Germanen und ihr Land sondern war sicher auch mit Varus und Arminius zusammen getroffen.

Aus seinen Schriften geht zwar hervor, dass er den Verlauf der Schlacht noch einmal ganz genau schreiben wollte, doch das hat er entweder nicht getan oder die Schriften sind im Verlauf von fast zweitausend Jahren verloren gegangen.

Hoffen wie auf die Bibliothek, die in Herkulaneum ausgegraben wurde und deren verkohlte Schriftrollen erst nach dem allerneusten Stand der Technik wieder lesbar gemacht werden können. Findet man dort auch historische Schriften wie beispielsweise ein solcher Bericht des Paterculus über die Schlacht im Teutoburger Wald, dann wird wohl Einiges in unseren Geschichtsbüchern geändert werden müssen.

Und vielleicht wird dann das, was ich hier aufgrund des Studiums diverser Sachbücher und der antiken Autoren theoretisiere. Nämlich, dass die so genannte Schlacht im Teutoburger Wald eigentlich an einem einzigen Punkt geschlagen wurde. Und zwar im eigentlichen Legionslager des Varus.

Die bekannten Berichte des dreitägigen Marsches und der Vernichtung betrifft wahrscheinlich größere und kleinere Gruppen von Legionären, die sich vermutlich ohne Befehl absetzten und hofften, sich zu dem befestigten Kastell Aliso an der Lippe durchzuschlagen.

Hier ist besonders die Flucht der römischen Reiterei zu erwähnen, die uns Paterculus schildert und sie selbst in das Lied „Als die Römer frech geworden“ Einlass gefunden hat. Ein Studentenlied aus dem neunzehnten Jahrhundert, als man eben auch noch sang: „Die alten Germanen sie lagen zu beiden Ufern des Rheins. Sie lagen auf Bärenhäuten – und tranken immer noch eins!“

Die Passage mit der Reiterei lautet: „Hei, das war ein schlimmes Morden. Sie erschlugen die Kohorten. Nur die röm'sche Reiterei – rettete sich in die Frei – denn sie war zu Pferde“.

Vallejus beschreibt die Sache aber so:

„Ebenso gab Vala Numonius, der Legat des Varus, ein sonst ruhiger und rechtschaffender Mann, ein abscheuliches Beispiel. Er ließ das Fußvolk im Stich, so dass es ohne Beistand der Reiterei war und trat mit seinem Geschwader die Flucht nach dem Rhein hin an.

Doch die Rache des Schicksals traf ihn für die Tat, denn er sollte die von ihm im Stich gelassenen nicht überleben. Den Verräter ereilt unterwegs der Tod.“

Das Wort „unterwegs“ zeigt also an, dass die Römer verfolgt wurden.
Und bei Kämpfen in den Wäldern ist Vala Numonius sicher getötet worden. Doch ein großer Teil der Reiter ist sicher angekommen.

Von meinem Standpunkt aus würde ich sagen, dass Numonius im Auftrag des Varus gehandelt hat, damit er von Aliso Verstärkung herbei holen sollte. Denn, nach meiner Theorie, fand nämlich in einem Teil des Sommerlagers eine Belagerung der Männer statt, die nicht bereits in der ersten germanischen Angriffswelle gefallen waren.

Vallejus als alter Soldat und Kenner der Urteile von römischen Kriegsgerichten sieht das aber anders. Numonius wäre in Aliso wegen Feigheit vor dem Feind oder Fahnenflucht zum Tode verurteilt worden. Jedenfalls dann, wenn er keinen schriftlichen Befehl des Varus für einen Durchbruch vorweisen konnte.

Bei seiner Bewertung kommt Vallejus zu dem Urteil, dass Numonius, der als Legat im Rang eben nur wenig unter Varus stand, durch seine Flucht mit der Reiterei auf die Zurückgelassenen demoralisierend wirkte. Die Germanen kämpften ja hauptsächlich zu Fuß – die Pferde waren für den Einsatz im Kampf viel zu kostbar. Sie wurden in damaliger Zeit für den Wagen oder als Packpferde gebraucht.

Vielleicht hätte nach Meinung des Paterculus und sicher auch seiner Zeitgenossen ein gezielter Einsatz der Kavallerie den Kessel der Germanen so gesprengt, dass die Römer in ihrer Gesamtheit hätten abziehen können.

Was Paterculus dabei übersieht ist die Tatsache, dass in Germanien da Fleisch von Pferden ein Leckerbissen war. Pferde wurden ja dem Wotan geweiht und manchmal, nachdem ihr Blut zu Ehren des Gottes geflossen war, von der „frommen Gemeinde“ verspeist.

So gern die Germanen Pferde erbeuteten, wäre die Reiterei nicht blitzartig durchgebrochen sondern hätte versucht, den letzten überlebenden Legionären bei ihrer Flucht Flankenschutz zu geben, dann wären die Framen nicht auf den Reiter, sondern auf das Pferd geflogen. Und damit war dann für die Germanen auch ein gewisses Versorgungsproblem gelöst. Das hätte Paterculus als Kenner der Germanen und als Soldat bei seiner Bewertung wissen müssen.

Aber er entschied eben, so wie Kriegsgerichte über die Jahrhunderte entschieden haben. Wer sich ohne Befehl zurück zieht gilt als feige und fahnenflüchtig – und wird erschossen.

Wenn wir auch bei unseren Betrachtungen der vermutlich realistischen Schlacht im Sommerlager des Varus zu der Überzeugung kommen müssen, dass hier auch der Einsatz von Reitern das Ergebnis des Kampfes nicht geändert hätte, muss doch gesagt werden, dass die Fluch von vermutlich zweitausend Reitern den Zurückgebliebenen jegliche Chance genommen hat, in seiner Gesamtheit den „Kessel“ zu sprengen.

Den, und das werden unsere weiteren Betrachtungen zeigen, die Römer waren in ihrem eigenen Lager von den Germanen eingeschlossen wie die Verteidiger des Alamo oder die 6. Armee von Stalingrad. In allen Fällen war es nur noch eine Frage der Zeit, wann die Bastion fallen würde.
 
Ich vermute, dass die Römer, die zum befestigten Kastell Aliso flüchteten, auch keine direkten militärischen Einheiten waren, die auf Befehl handelten, sondern arme Schweine, die überleben wollten. Und sie sahen nur die eine Chance, sich in den dichten Wäldern Germaniens zu verbergen und zu dem ungefähr drei Tagesreisen entfernten Kasell durchzuschlagen.

Und es dürften da ziemlich viele Männer gewesen sein, die es trotz der Germanen auf ihrer Fährte geschafft haben. Denn ansonsten wäre das Urteil, das Paterculus über Numonius fällt, garantiert auch über die anderen geflüchteten Legionäre gefällt worden. Immerhin hatten sie, jedenfalls ist so meine Vermutung, die Kameraden in einem Kampf auf Leben und Tod alleine gelassen, um sich selbst zu retten.

Auch hier – Feigheit vor dem Feind mit Fahnenflucht. Nach uraltem Kriegsrecht – jedenfalls von den Anfängen der Zivilisation bis zum letzten Weltkrieg, bedeutete das Tod durch Erschießen – oder bei den Amerikanern durch Erhängen.

Aber da das Kastell Aliso kurze Zeit später von den Germanen angegriffen wurde, war man dort froh über jeden Mann und jeden Speer, den man innerhalb der Wälle hatte. Danach wurde dann sicher nicht mehr viel danach gefragt, ob er Varus im Stich gelassen hätte. Spätestens nach dem Fall von Aliso wusste man, wie gefährlich diese „Wilden aus den Wäldern“ geworden waren.

Aliso wurde dann auch von den Germanen genommen, aber die Römer hatten sich in der Nacht mit einem Trick abgesetzt. Wie uns Zonaras berichtet, ließ der Kommandant von Aliso nämlich die Trompeter heimlich vorher in der Dunkelheit durch den Wald schleichen und dann hinter den germanischen Linien das römische Angriffssignal blasen. Das schaffte so viel Verwirrung, dass die Legionäre und die Zivilpersonen in den Wald durchbrechen und sich zum Rhein durchschlagen konnten.

Johannes Zonaras, im 12. Jahrhundert Befehlshaber der Leibwache und Vorsteher der Kanzlei des byzantinischen Kaisers Alexius I ist auch der Schreiber des Geschichtswerkes „Epitome Historien“. In seinen Werken hat er allerdings die Texte von Cassios Dio zugrunde gelegt, über deren Glaubwürdigkeit ich schon in der letzten Teestunde geredet habe.

Und so erhebt sich hier die berechtigte Frage, inwieweit auch hier die „spannende Handlung“ vor den realen Ereignissen zugrunde gelegt wird. Andererseits ist es natürlich eine sehr realistische Kriegslist – die es tatsächlich gegeben haben könnte. Nur ist der Fall des Kastells Aliso eben nur bei Zonaras richtig dokumentiert.

Wie auch immer – auch hier gilt mein Spruch: „Es war vielleicht nicht so – könnte aber so gewesen sein!“. All diese Sachen wurde ich ja gerne mal in einer Romanbiografie des Arminius schreiben.

Also eine Romanhandlung mit dem Hintergrund der Germanenkriege von 10 v. Chr. bis zum Tode des Arminius im Jahr 19 n.Chr. In der „Ich“-Form geschrieben vom „Blutsbruder des Arminius“. Nur in einer solchen Fassung wäre es möglich, eine völlige Neubewertung der ganzen Germanenkriege zu bringen. Weil der Roman eben aus der Sicht eines Mannes geschrieben wäre, der dabei war und alles miterlebt hat. Und der im Auftrage der historisch sehr interessierten Kaisers Claudius diese Erinnerungen schreibt „bevor alles zur Legende wird.“ Das ganze würde dann in einem Vorwort pseudo-wissenschaftlich mit Schriftrollen erklärt, die man bei neuen Ausgrabungen in Pompeji gefunden hätte.

Naja, das mit einer Arminius-Biografie wird wohl nichts mehr werden. Das Teil hätte mindestens 500 Seiten, da geht keiner dran. Zumal ja in letzter Zeit einige Romane dieser Art erschienen sind. Und für Null und Nase setzte ich mich auch nicht hin und schreibe. Es gibt auch noch andere schöne Dinge, mit denen man seine letzten Jahre so rum kriegt.

Zurück du den historischen Texten von Valejus Paterculus und Cornelius Tacitus.

Paterculus schreibe ich so weit ab, wie es für die Sachen, die ich als Hintergrund für die Chatten-Saga genommen habe, notwendig ist. Und natürlich auch speziell für die Frage „Wo war die Schlacht nun genau?“. Der komplette Text dazu ist im Internet zu finden – wenn es jemand ganz genau wissen will.

Ich mache jedoch aufmerksam, dass die Übersetzungen beider Texte, d.h. der aus meinem Buch und der aus dem Internet, nicht vom Sinn her, aber von den Worten differieren können. Über die Wortwahl bei Übersetzungen habe ich in der letzten Teestunden schon geschrieben.

Dass Worte oder Begriffe eine andere Bedeutung haben können, gab es heute wie damals. Was wäre, wenn in einigen tausend Jahren jemand einen Text aus unserer Zeit übersetzen soll, wo in „Neu-Deutsch“ oder „Denglisch“ steht: „Ich habe ein Date“. Ja, fragt sich der brave Übersetzer dann. Das passt doch nicht in den Zusammenhang. Was soll das – ich habe ein Datum?

So und ähnlich müssen wir das auch bei den Übersetzungen von antiken Texten sehen. Und deshalb sagte mir mein geistiger Mentor seinerzeit: „Wenn du antike Texte liest, dann beschaff dir mindestens drei Übersetzungen davon, um sie im Detail zu bewerten.“ Mein Mentor, das war mein Großonkel Josef Funke, studierter Altphiologe und Lehrer für alte Sprachen in Göttingen.

Der hat mir von Kindheit an den Weg zu Studium der alten Geschichte gewiesen. Nur – ich bin mit eine „Sechs“ in Latein nach einem halben Jahr vom Gymnasium abgegangen. Das Friedrichsgymnasium in Kassel, wo schon Kaiser Wilhelm II die Schulbank drückte – weil auch sein Vater, der spätere 100-Tage Kaiser Friedrich III, diese Schule schon besucht hatte.

Jedenfalls war ich danach viel zu faul, noch richtig Lateinisch oder gar altgriechisch zu lernen. Meine Latein-Kenntnisse kommen, weil ich jede Menge klassische Zitate auswendig gelernt habe. Diese Sprachkenntnisse etwas umgearbeitet hat sogar ein ganz passables Italienisch ergeben.

Ich besitze beispielsweise ein Fassung der „Odyssee“, die zwar kein Versmaß enthält, wo aber der Text wortwörtlich übertragen wurde, während bei der bekannten klassischen Übersetzung des jambische Versmaß erhalten geblieben ist.

Differenzen bei den Worten der Übersetzung - das ist mit allen antiken Texten so – auch mit den Texten der Bibel. Nur die Zeugen Jehovas streiten das noch ab – allerdings erklären sie, dass nur ihre Übersetzung der Bibeltexte die Richtige ist.

Aber genug davon – nehmen wir uns einfach mal den ca. 30 n.Chr. entstandenen Text das Vallejus Paterculus vor: Und zwar auch diese Textstellen, die ich zur Grundlage des Hintergrundes in der Chatten-Saga genommen habe. Praktischerweise lässt sich das ja im Zauberspiegel noch nachlesen...
„Als er (Varus) das Heer in Germanien befehligte, bildete er sich die Meinung, dass die Bewohner Menschen seien, die außer den Gliedern und der Stimme nichts von Menschen an sich hätten und dass sie nicht durch das Schwert unterworfen werden konnten, sondern durch Recht gefügig gemacht werden können.“
Also war Varus wie einer der Gutmenschen der heutigen Tage. Von Idealen durchdringen und kein Blick für die Realitäten. Keine gewaltsame Eroberung, sondern man beherrscht die „Wilden“ durch die Einführung der Zivilisation.

Andererseits musste Varus aber auch annehmen, dass das Schwert hier bereits seine Arbeit getan hatte und die Germanen sich unterworfen hatten. Was tief in den Wäldern geredet wurde und geschah, da kam den Römern nicht zu Ohren. Diese Barbaren mussten ja froh sei, wenn die Römer kamen, um ihnen den „roman way of life“ brachten. Wie wir so sehen, die Geschichte wiederholt sich immer wieder.

Man darf aber dabei auch nicht vergessen, dass seit 4 n.Chr. die Cherusker ganz offiziell zu Verbündeten der Römer wurden und sich das Lager des Varus in ihrem Stammesgebiet befand. Man war also hier sicher, weil man unter Freunden war.

Manche Wissenschaftler nehmen den Termin 4 n. Chr. als Überstellung des Arminius als Geisel nach Rom. Da Armin aber so um 19 v. Chr. geboren sein müsste wären die fünf Jahre eine zu kurze Zeit um römische Sitten so zu übernehmen, dass man das römische Bürgerrecht bekommt. Zumal auch das Kommandieren eines Heeres nicht so einfach zu lernen ist.

Und auch für die Vorbereitung zum Aufstand setze ich mal ganz vorsichtig zwei Jahre an, weil Armin ja alle Stämme besuchen musste und dort auch die Entscheidung eines Things aller freien Männer abwarten musste, wie ich es in der Chatten-Saga beschrieben habe.

Denn bei den Germanen gab es keine Könige und die Fürsten (Bannerherrn nenne ich sie in der Saga) sind eigentlich nur Gutsherrn mit großen Höfen und ausgedehnten Ländereien. Über Krieg oder Frieden entschied ausschließlich das Thing, die Versammlung aller freien Männer. Und dort wurde auch der herzog gewählt. Der Feldherr, der im Kampf voran ging. Und dessen Befehlsgewalt nach dem Krieg sofort endete.

In der Chatten-Saga hatte ich die Vergeiselung des Armin auf das Jahr 11 v. Chr. festgesetzt.  Ein Jahr vorher hatten Sueben, Cherusker und Sigambrer einen Bund auf Leben und Tod geschlossen und angeblich 20 römische Offiziere gekreuzigt.

Ich vermute, man hat sie in den heiligen Hainen in den Bäumen an den Armen als Opfer für die Götter aufgehängt – das würde eher passen und ist wie eine Kreuzigung ein qualvoller Tod. Zumal man dieser Opfer vermutlich so tief hängte, das die Wölfe und Raben, Wotans Lieblinge, ihr Mahl halten konnten, während die Menschen noch lebten.

Im Jahr darauf führte Drusus einen Rachefeldzug durch und schlug auch die Cherusker vernichtend. Da Sentius Saturnius im Heer des Drusus diente wie später auch bei Tiberius, habe ich ihn in der „Saga“ als Figur auf römischer Seite eingesetzt. Später war er tatsächlich Prokurator von Germanien bis er durch Quinctilus Varus (nicht Quintilius, wie auch oft zu lesen ist) abgelöst wurde.
„Mit diesem Vorsatz (also das römische Recht einzuführen) drang er (Varus) mitten in Germanien ein und verlor – wie unter Menschen, die sich der Süßigkeit des Friedens erfreuen – die Zeit für den Sommerfeldzug mit Rechtsprechen und förmlichen Verhandlungen als Gerichtsherr.“
Hier haben wir nun den Beweis, dass der eigentliche Auftrag des Varus ganz sicher ein Feldzug gegen die Elbe war und vielleicht sogar die Grenze bis zur Oder vorschieben wollte. Da das Gebiet der Cherusker ja als befreundetes Gebiet galt, war es völlig unnötig, drei Legionen samt Hilfstruppen mitzunehmen. Zumal nach der Theorie, die ich hier aufbaue, das Sommerlager des Varus nicht an der Weser lag, sondern in der Nähe des Externsteine.

Drei Legionen mit Hilfstruppe und Zivilpersonen, das sind grob geschätzt zwischen 23 und 25 Tausend Menschen. Die müssen auf jeden Fall mit Essen versorgt werden. Und das ging eigentlich nur, wenn man ein solches Lager, das für langfristige Nutzung gedacht war, an einen großen, schiffbaren Fluss legte.

Denn nur auf dem Wasserweg kam man relativ einfach durch in die Wälder und Sümpfe Germaniens. Es gab zwar einige „Fernwege“ - aber das waren keine richtigen Straßen. Händler konnte auf ihnen die Waren mit Packtieren transportieren, im günstigsten Fall mit groß rädrigen Ochsenkarren. Und da auch nur, wenn das Wetter einigermaßen trocken war.

Die einzige gepflastert Römerstraße vom Rhein her führte von Castra Vetera (Xanthen) bis zum Kastell Aliso an der Lippe – dem einzig sicheren Fluchtpunkt für die Legionäre des Varus.

Aber Paterculus schreibt ja, „drang mitten in Germanien ein“. Und da er die Umstände in Germanien von allen Historikern am besten kannte, können wir mal davon ausgehen, dass er sich anders ausgedrückt hätte, wenn das Hauptlager des Varus an der Weser gelegen hätte. Bei Höxter, wie manche Wissenschaftler vermuten.

Aber nach der hier vertretenen Theorie ist eben das „Sommerlager“ des Varus mit dem „ersten Marschlager“ der landläufigen Schilderung der Schlacht identisch. Ein konkreter Hinweis darauf findet sich bei Tacitus und wir werden da noch darauf zu sprechen kommen.

Man wollte hier in diesem Lager ja nicht lange verweilen, sondern weiter ziehen. Und mit der überlegenen Macht von drei Legionen samt Reiterei und Hilfstruppen, also rund 22 Tausend Bewaffneten, wollte Varus in das Gebiet der Semnonen und Langobarden einfallen. Bei dieser Überlegenheit der Römer würden die erst gar nicht an Widerstand denken. Und zum Ende des Jahres konnte Varus dann dem Augustus die Befriedung Germaniens bis zur Oder melden.

Was aber die Germanen taten, um diesen „Feldzug“ zu vereiteln, war sicher der erste Teil eines klugen Planes des Arminius, der wahrlich Wotans Weisheit und Lodurs Heimtücke in sich vereinigte. Ich bin sicher, dass Armin auch bei den Stämmen jenseits der Elbe war, den Semonen und Langobarden – und dass die ihm sicher zur Abwehr der Römergefahr ein sehr großes Kontingent Krieger mitgegeben hatten.

De andere Teil von Armins Plan war sicher auch, dass die Männer der Legionen nach einem halben Jahr mehr oder weniger untätigem Lagerleben an Kraft und Kondition verloren und auch so etwas verlotterten. Die „Schlacht“ begann nicht erst, als die erste Frame geflogen war – sie wurde bereits den ganzen Sommer über vorbereitet.
„Die Barbaren aber – man sollte es kaum glauben, wenn man es nicht selbst erlebt hätte – ein Menschenschlag, der bei größter Wildheit äußerst verschlagen und zum Lügen geboren ist - führt zum Schein eine ganze Reihe erfundener Rechtshändel.
Bald luden sie einer den anderen zur Prozesshandlung, bald sprachen sie dem Varus ihren Dank dafür aus, dass ihren Zänkereien die römische Rechtspflege ein Ende machte und dass ihre Wildheit durch diese neue, unbekannte Einrichtung gebändigt würde.
So verleiteten sie den Quinctilius zur äußersten Sorglosigkeit, bis zu einem solchen Grade, dass er wähnte, er spräche als Prätor in Rom auf dem Forum Recht und kommandiere nicht ein Heer mitten in Germanien.
“
Das alles habe ich im 2. Kapitel der Chatten-Saga mit erwähnt. Varus hatte zwar seine Erfahrungen als Kommandant vorn Armeeverbänden, aber er liebte es nicht, Soldat zu sein und unter Soldaten zu leben. Er war eigentlich römischer Politiker, der Karriere machen wollte.

Mehr als Befehlshaber des Heeres einer Provinz fühlte sich Varus als „Zivilbeamter“. Gerichte und Rechtsprechung interessierten jeden Römer und viele der großen Politiker in der Zeit des Bürgerkrieges waren auch Anwälte gewesen. Einige gute Verteidigungsreden in spektakulären Prozessen und man fand Aufmerksamkeit. Der Rest war dann nur noch eine Frage, wie geneigt man sich den „Ersten Bürger“ und „Ersten des Senats“ machte.

Quinctilius Varus hatte sich als Prokurator von Syrien eine Art zweifelhaften Ruhm erworben. Beim jüdischen Aufstand, der nach dem Tod des Herodes (den die Geschichte den Großen nennt) in Judäa ausbrach, war er Prokurator von Syrien. Doch auf den Hilferuf der römischen Garnison in Jerusalem, die von den Aufständischen in der Festung Antonia gelagert wurden, handelte er „mit harter Entschlossenheit“.

Dieser Aufstand wurde nach den römischen Autoren „mit äußerster Härte“ niedergeschlagen. Das ist sicher besser „mit äußerster Brutalität“ übersetzt. Und als zweitausend Juden rund um die Mauern von Jerusalem gekreuzigt waren, kehrte dort erst mal eine Art Ruhe ein.

Man schlug in den nachfolgenden Jahren gelegentlich mal einen ans Kreuz, der den Mund zu weit aufmachte – so vermutlich am 7. April 33 – aber ansonsten blieb es ruhig in Judäa. Jedenfalls bis zum Aufstand zu Neros Zeiten, der dann mit der Zerstörung Jerusalems endete. Und als einige Jahrzehnte später der „Bar Kopchba“-Aufstand ausbrach, ließ Kaiser Hadrian nicht nur den Aufstand mit einer dem Philisophen auf Cäsars Thron sehr unwürdigen Härte.

Er ließ auch Jerusalem völlig „platt machen“ und darauf die Stadt „Aelia Hadriana“ erbauen – die übrigens von Juden nicht beteten werden durften. Deshalb liegt das Pflaster, über das Jesus gegangen ist, sechs Meter unter dem heutigen Niveau und es gibt rechts neben dem „Mist-Tor“ nur eine einzige Treppe aus römischer Zeit, wo der fromme Pilger die Möglichkeit hat, über die Steine zu gehen, über die Jesus und seine Jünger gewandelt sind.

Jedenfalls machte Publius Quinctilius Varus schon durch seine Statthalterschaft in Syrien von sich redend gemacht. Zumal Paterculus über ihn sagt: „Arm betrat er eine reiche Provinz und reich verließ er eine arme Provinz“. Für seine weitere Karriere half ihm aber nicht nur seine weitläufige Verwandschaft zum Haus der Claudier (also de facto zum Kaiserhaus) weiter, sondern sein entschlossenes und gnadenloses Handeln in Jerusalem empfahl ihn als Prokurator in die größte Unruheprovinz.

Es gab im Rom der Kaiserzeit den Spruch: „Wer in Jerusalem regieren kann, der kann überall regieren“. Wenn Varus also ganz Germanien bis zur Oder unterwarf und befriedete, dann könnte man spekulieren, ob Augustus ihn nicht als Nachfolger aufbauen wollte. Denn es ist bekannt, dass Augustus seinen Adoptivsohn Tiberius wegen seiner düsteren, verschlossenen Art nicht mochte.

Dabei wäre Tiberius als Prokurator von Germanien sicher die bessere Wahl gewesen.

Als Sohn der Livia, den Augustus bei ihrer Heirat adoptiert hatte, sollte Claudius Tiberius Nero als Nachfolger des „Ersten Bürgers“ aufgebaut werden und musste deshalb in Rom bleiben. Er das Buch „Ich, Claudius, Kaiser und Gott“ gelesen oder die TV-Serie gesehen hat der wird nach eingehendem Studium der antiken Autoren feststellen, dass Livia vielleicht tatsächlich alle Anwärter auf den Thron des Augustus beseitigen ließ oder selbst mit Gift beseitigte, um ihren Sohn zum Alleinherrscher Roms zu machen. Und deswegen musste Tiberius jetzt, wo Augustus mehr und mehr vergreiste, in Rom bleiben im eine Fähigkeiten zum Regieren unter Beweis stellen.

Ich bin sicher, mit dem immer misstrauischen Tiberius als Prokurator wäre die die Geschichte in Germanien anders verlaufen.

Tiberius hätte eine so offene Warnung, wie sie Varus durch den Cheruskerfürsten Segest zugerufen wurde, nicht ignoriert. Er hätte von der Aufforderung, Segest selbst und Arminius in Ketten zulegen befolgt. Und damit hätte es niemals eine Schlacht im Teutoburger Wald gegeben.

Ja, ob nun die Parzen, die Moiren oder die Nornen – egal welche Namen man den Schicksalsschwestern gibt, ihr Fäden knüpfen – es sind immer kleine und einfache Entscheidungen, die Weltgeschichte schreiben.

In neuester Zeit war so was ein Zettel, der auf der Rückseite das Datum vom 10. November 1989 trug, an dem eine Regelung in Kraft treten sollte – und der eben nicht umgedreht wurde – und deshalb trat die Regelung sofort in Kraft – und damit fiel die Mauer in Berlin. Alles Treppenwitze der Weltgeschichte, aus denen weltbewegende Ereignisse entstehen.

Aber wenden wir uns nun endlich dem Beginn der Schlacht zu, wie sie uns Vellejus Paterculus in aller Kürze schildert.
„Den Ablauf der furchtbaren Katastrophe, der schwersten, die Rom seit dem Fall des Crassus bei den Parthern in einem fremden Land erlitten hat, werde ich, wie schon andere vor mir, in einem anderen Werk darzustellen versuchen, wie sie es verdient.
Das beste Heer von allen, das an Manneszucht, Tapferkeit und Kriegserfahrung unter den römischen Truppen das Erste war, geriet durch die Stumpfheit seines Führers (hier Varus), die Tücke des Feindes und die Missgunst des Schicksals in die Falle.
Und da den Truppen nicht einmal ungehindert Gelegenheit gegeben wurde, zu kämpfen oder vorzurücken, soweit sie es wollten, ja, sogar einige schwer bestraft wurden, weil sie römische Waffen gebraucht oder römischen Mut gezeigt hatten, war das Heer eingeschlossen durch Wälder und Sümpfe und Hinterhalt, bis zur Vernichtung vom Feind nieder gehauen, den er stets wie das Vieh mit so unbeschränkter Gewalt nieder gemetzelt hatte, dass über Leben und Tod bald der Zorn, bald die Gnade entschied.
Der Feldherr hatte mehr Mut zum Sterben als zum Kämpfen, denn nach dem Vorbild seines Vaters und seines Großvaters stürzte er sich selbst in sein Schwert.
“
Ich habe diese ganze Passage zum besseren Verständnis erst einmal ohne Kommentare vorgelegt. Natürlich gibt es einige Dinge dazu zu sagen.

Aber das bleibt uns für die nächste Woche – und mit Schrecken stelle ich fest, dass die Teestunde fast zum Sachbuch abgleitet und die Zamorra-Freunde wollen ja schließlich weiter was über die alten Romane erfahren.

Ja, alles zu seiner Zeit - und umso länger wird die Teestunde gebracht. Denn irgendwann ist alles erzählt – nur wenn mir immer so viele Dinge einfallen, die vielleicht interessant sind, dann wird noch einige Zeit ins Land gehen, bis ich unter die Teestunde den Schlussstrich ziehen kann... 

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