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Die Mär vom Zaubermeister und der Katz’

Zauberspiel - KatzengeschichtenDie Mär vom Zaubermeister und der Katz’

Thaniel hatte Putzdienst. Wieder einmal, wie zunehmend öfters in letzter Zeit, da Meister Harabal, bei dem er mehr schlecht als recht als Lehrling das Zaubern erlernte, seinem fortschreitenden Alter in Form länger und länger werdender, auf den ganzen Tag verteilter Nickerchen Tribut zollte. Zwischen den Lektionen, die ihm der Alte in seinen Wachphasen erteilte, lagen eben auch häusliche Aufgaben an, welche Harabal zu beschwerlich geworden waren. Aufgaben, die Thaniel ihm abnahm, während der Meister schlief. Die Stube etwa war bereits zum zweiten Mal heute ausgekehrt worden, der Stapel Feuerholzscheite neu aufgetürmt, die Zauberbücher zurück ins Regal geschlichtet worden, und aus Langeweile hatte Thaniel am frühen Nachmittag sogar die Sammlung loser Schriftrollen etwas geordnet und sie von den Unmengen Katzenhaaren befreit, die Harabals ebenfalls schon altersschwacher Kater Garr, der bevorzugt inmittten jener Pergamente zu liegen beliebte, dort hinterlassen hatte. 

Harabal Feuermähne, der ergraut und fast kahl diesem Namen schon lange nicht mehr gerecht wurde, lebte mit seinem jungen Zauberlehrling im hohlen Stamm eines der Baumriesen, die für den Waldstrich hier so typisch waren. Eigentlich lebte nur der alte Zauberer selbst mit seinem Kater im Stamm, während Thaniel in einem daran angelehnten Bretterverschlag hausen musste. Thaniel hatte unten im Dorf am Fuße des Hügels, wohin ihn sein Meister nach Lust und Laune und altersbedingter Vergesslichkeit mehrmals wöchentlich zwecks Besorgungen sandte, schon Hundehütten gesehen, die geräumiger und wohl auch wetterfester waren als seine Unterkunft. Aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, das Zaubern zu erlernen, und der greise Harabal war der einzige von ohnehin nur wenigen mutigen, seit Beginn der gräfischen Inquisition in Rothwalden verbliebenen Zauberkundigen, der sich bereit erklärt hatte, ihn als Lehrling aufzunehmen. Warum der Alte das getan hatte, wusste sich Thaniel selbst nicht recht zu erklären. Manchmal vermutete er, sein Meister hatte bloß jemanden für den Haushalt gebraucht. Dann wieder mutmaßte er, Harabal Feuermähne hätte ihn nur seines eigenen feuerroten Haares wegen bei sich aufgenommen, vielleicht weil er den alten Zauberer an sein jüngeres Selbst erinnerte.

Das war nun drei Sommer und zwei Winter her, und die herbstliche Farbenpracht im Wald ringsum ließ erahnen, dass der dritte Winter bald kommen würde. Thaniel setzte sich müde vor die Feuerstelle, sah zuerst den auf seinem Lager leise vor sich hin schnarchenden Harabal an, dann Garr, der durch Thaniels Aufräumarbeiten von seinem Stammplatz vertrieben ein Regalfach weiter oben als üblich einen Platz gefunden hatte, sich faul auszustrecken. Durch zwei dünne Schlitze behielt der pechschwarze Garr Thaniel wachsam im Blickfeld seiner bernsteingelben Katzenaugen, und mochte es auch so wirken, als schliefe der Kater, verriet sein immer noch unzufrieden leicht hin und her zuckender Schwanz, dass er dem Zauberlehrling das Zerstören seines angestammten Platzes noch nicht ganz verziehen hatte.

Thaniel ertappte sich zum wiederholten Mal dabei, mit dem Verlauf seiner Ausbildung zu hadern. Er war als Bursche seine Lehre angetreten, hatte damals beabsichtigt, nach spätestens zwei Jahren ein ausgelernter Zauberer zu sein, zeitgerecht mit seinem Heranreifen zum Mann. Nun lag der entsprechende Jahrestag seiner Geburt auch schon wieder fast ein Jahr hinter ihm, war er zum Mann geworden, aber er hatte noch kaum etwas über die Zauberei gelernt. Doch nein, das zu sagen wäre ungerecht gewesen. Im Vergleich mit seiner vollommenen Unkenntnis der magischen Künste vor Antritt seiner Lehrzeit hatte Thaniel unendlich viel gelernt, dennoch grollte er dem Schicksal, dass es nicht zügiger voran ging. Gerade mal ein Drittel der alten Folianten in seines Meisters Besitz konnte er bis jetzt entschlüsseln, und selbst davon kaum jeden zehnten Zauber auch wirklich kontrolliert sprechen. Wer konnte wissen, wie viel Zeit Harabal noch gegeben war? Das Alter geißelte seinen greisen Meister schwer. Selbst wach schien jener oft verwirrt und geistesabwesend, sein ständiges Dösen tat er ab als Ausruhen seiner alten Augen und Konzentration auf einen mächtigen Zauber, den es bald zu wirken gelten würde. Aber auf diesen ominösen Zauber konzentrierte sich Harabal nun schon seit bald drei Jahren . . .

Auch war es nicht ungefährlich, Schüler eines Zauberers zu sein. Seit Graf Gilfred alle Magiewirkenden dem Scheiterhaufen übergab, machte sich Thaniel sorgen um seine Haut, und seltsamerweise mehr noch um die des alten Harabal, den er – all dessen Schrulligkeit und Launen zum Trotz – irgendwie lieb gewonnen hatte. Den Dörflern gegenüber gab er vor, seinen alten Oheim zu pflegen, aber gelegentlich meinte Thaniel, dass manche von ihnen diese Lüge durchschauten und Harabal wohlwollend am bewaldeten Hügel über ihrem Dorf duldeten, vielleicht weil sie sich gewissen Schutz von ihm versprachen, sollten sie selbst Gilfreds Knute in Zukunft noch strenger zu spüren bekommen als jetzt schon. Thaniel hatte seinen Meister mehrmals regelrecht bekniet, er solle mit ihm weiterziehen, fort aus Rothwalden, in eine Gegend, wo ihresgleichen nicht verfolgt wurde. Aber der Alte hatte nur abgewunken und gegrummelt: „Ach, davor ist mir nicht Bange, das hatten wir doch alles schon mal, nicht wahr, Garr?“ Und Garr hatte seltsam gemauzt, wie zur Bestätigung, bald als hätte der Kater die Worte Feuermähnes wahrhaftig verstanden.

Mit einem abschätzenden Seitenblick auf seinen schlafenden Meister überlegte Thaniel, ob er sich getrauen sollte, eine Pfeife voll Harabals Tabak zu rauchen. Würde er aufwachen, wenn der süßliche Duft durch die Stube wehte? Der Zauberlehrling erhob sich und schritt auf Zehenspitzen zum Regal. Der irdene Topf mit dem Tabak stand auf der linken Seite des Brettes, an dessen rechtem Ende Garr lag. Thaniel langte vorsichtig mit seiner Hand nach dem Topf, nur um sie prompt wieder weg zu ziehen, als der Kater plötzlich aufstand, einen Buckel machte und sich streckte, zuerst seine Vorderbeine, dann seine Hinterbeine, eines nach dem anderen. Irgendwie fühlte sich Thaniel ertappt und sah schuldig zum Lager Harabals hinüber. Das Lager war verwaist.

Irritiert sah sich Thaniel in der wohl heimelig eingerichteten, aber doch überschaubar engen Stube um, die sich sein Meister im hohlen Baumstamm eingerichtet hatte. Sein Blick blieb an der offenstehenden, vom Wind bewegten Tür nach draußen hängen. Zaghaft aber doch neugierig machte der Zauberlehrling einige Schritte, lugte durch den Spalt hinaus, und sah Harabal Feuermähne starr draußen im Wald stehen, den Kopf etwas seitlich geneigt, als würde er in den Wald hinein horchen. „Meister?“

„Hmmmm“, meinte er den Alten von sich geben zu hören und trat ebenfalls durch die Tür. Die Sonne war fast untergegangen, und hier unten am Waldboden hielt selbst das Bißchen noch auf den Baumkronen hoch über ihnen verbliebene Laub viel des restlichen Lichtes obendrein ab, wodurch es schon sehr dämmrig war. Thaniel ging zu Feuermähne, blieb links hinter ihm stehen und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Meister?“ fragte er erneut.

„Hmmmm. Sodenn . . .“ Harabal Feuermähne drehte sich zu seinem Schüler um. Nicht zittrig mit unsicherem Schritt wie gewöhnt, er wirkte vitaler als sonst. Der Meister schien ihm Jahrzehnte jünger als noch vor einigen Stunden. Auch stand er nicht gebeugt vor Thaniel, sondern aufrecht mit erhobenem Haupt, so dass er regelrecht zu seinem Schüler hinabsehen musste, statt wie üblich andersrum. Sein Gesicht war dennoch von zahllosen Falten zerfurcht, und der Ausdruck darin war ernst. Aber in seines Meisters Augen sah Thaniel etwas, das er in all seiner Zeit bei ihm bis jetzt noch nie wahrgenommen hatte. Und obgleich er nicht zu bestimmen wusste, was er darin sah, hatte Thaniel irgendwie Angst davor, da es Veränderung verhieß.

„Gehe noch etwas Feuerholz sammeln, Thaniel!“

„Meister, das habe ich bereits getan, während Ihr . . . Eure Augen ausgerastet habt.“

Harabal zog missmutig seine Augenbrauen zusammen. „So? Nun, als ich gerade aufstand, war mir, als läge noch nicht genug Holz vor der Feuerstelle bereit, darum tue, was ich dir schaffe, Schüler. Und lass dir Zeit.“

„Aber es wird dann bald dunkel“, wandte Thaniel kleinlaut ein.

„Ach? Und als angehender Zauberer hast du natürlich Angst im Dunkeln, ja? Hättest du den magischen Lichtschein geübt, bräuchtest du dich nicht vor Blindschleichen und Eichhörnchen fürchten.“ Thaniel hasste es, wenn er in diesem Ton mit ihm sprach.

Sein Meister zeigte befehlend mit dem Finger in den Wald. „Geh nun. Und wenn du zurückkommst, wirst du eine Liste auf dem Tisch finden, mit Besorgungen, die du dann noch für mich im Dorf machst.“

„Heute Abend noch?“ fragte Thaniel verwundert. „Bis ich dann wieder zurück bin, wird es Mitternacht sein.“

Harabal Feuermähne legte seinen Kopf in den Nacken und blickte durch die Lücken im Blätterdach hinauf in den Himmel, wo gerade die ersten Sterne erkennbar wurden. „Ja, da wirst du wohl recht haben, Thaniel“, meinte er nur, aber sein Finger zeigte immer noch in den Wald. Der Zauberlehrling fügte sich mit einem leichten Seufzen und einem Schulterzucken.

Mit einem Bündel trockener Zweige unter dem Arm und ohne einer Blindschleiche oder einem Eickätzchen begegnet zu sein, war Thaniel eine gute Stunde später wieder zurück. Er trug das Holz in die Stube, wo er betrübt feststellte, dass sein Meister erneut auf dem Bett lag, und schon wieder schlief. Immer noch fiel ihm die Veränderung an Feuermähne auf. Lag jener sonst mit stocksteifen Gliedern und am Rücken liegend auf seinem Lager, tat er dies nun seitlich und zusammengerollt fast wie Garr immer. Auch sein Schnarchen klang etwas anders, fand der Zauberlehrling. Er legte die Zweige sorgsam neben die Feuerstelle und fand, wie versprochen, eine Liste auf dem kleinen Tisch. Obendrein fand er den schlafenden Garr auf der Liste auf dem Tisch, und als er das Pergamentstückchen unter dem Kater hervorzog, wachte dieser auf, sprang vom Tisch und schmiegte sich um seine Beine.

Um nicht noch mehr Zeit zu vergeuden, machte sich Thaniel bald auf den Weg ins Dorf unten im Tal. Nicht aber, ohne vorher Harabals Pfeife auszuleihen, die er unbemerkt vom selig schlafenden Meister mit Tabak so richtig voll gestopft hatte. Nach einigen Schritten seines Weges, stellte Thaniel fest, dass ihm Garr Gesellschaft leistete, der mehr wie ein Hund als wie eine Katze treu neben ihm her stolzierte, und irgendwie war der Zauberlehrling sogar froh darüber, obgleich er sich natürlich nicht im Dunkeln fürchtete.

Als Thaniel viele Stunden später und todmüde mit einem Bündel von gemachten Besorgungen wieder beim hohlen Baumriesen seines Meisters ankam, blieb er entsetzt stehen. Den beißenden Geruch von etwas Verbranntem hatte er schon von weitem gerochen, sich aber nicht viel dabei gedacht. Nun sah er, was da gebrannt hatte. Der Baumstamm war verkohlt, die Stube seimes Lehrmeisters war niedergebrannt worden.

Thaniel ließ sein Bündel achtlos fallen und stürmte hin zum immer noch glosenden Baum. In der Schwärze der Nacht gaben die Glutnester ein unheimliches Licht ab, das die Szenerie in Farben tunkte, die ihm die Tränen in die Augen trieben. Und vor dem ausgebranntem Baum entdeckte er schließlich einen niedergebrannten Scheiterhaufen. Und darin verkohlt, versengt, verrenkt, verdammt ... etwas. Jemanden.

Thaniel fiel auf die Knie und fing an zu Heulen. Garr der Kater schmiegte sich an ihn, und er wollte das Tier schon wutentbrannt wegstoßen, als er in seine Katzenaugen starrte. Er kannte diese Augen, es waren ...

Harabal Feuermähne erhob sich vom Waldboden und strich sich durch sein volles rotes Haar. Ergötzend streckte er seinen jungen Körper und beugte sich hinab zu der Katze neben ihm. „So, Thaniel, ich glaube, wir ziehen jetzt wirklich weiter.“

Und der Kater Thaniel maunzte eine Bestätigung, als würde er die Worte seines Herren wahrhaft verstehen.   
 
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