1996 wollte Kurt Luif mal wieder etwas Neues schreiben, und schrieb an Wolfgang Jeschke vom Heyne-Verlag. An anderer Stelle präsentiere ich euch den Anfang dieser Novelle. Vor fünf Jahren ist Kurt Luif am 21. April 2012 gestorben. Einen Abnehmer für die fertige Geschichte hatte er im Heyne-Verlag auch schon gefunden.
Hier der Schriftverkehr mit Wolfgang Jeschke.
Wien, 1. Mai 1996
An den
Wilhelm Heyne Verlag
Herrn Wolfgang Jeschke
Türkenstr. 5-7
D-80323 München
Lieber Wolfgang,
vor mehr als zehn Jahren entdeckte ich in einem Antiquariat ein schmales Bändchen:
Attentat
auf Se. Majestät
Kaiser Franz Josef II. 18. Februar 1853
Der Kaiser wurde nur leicht verletzt. Natürlich begann ich zu überlegen, was wäre gewesen, wenn das Attentat anders verlaufen wäre. Franz Josef ist tot. Was dann? Sein Bruder, der unglückliche Kaiser von Mexiko, wäre sein Nachfolger geworden. Immer wieder beschäftigte ich mich mit diesem Thema, fand aber keine befriedigende Lösung, wie ich es aufbereiten könnte. Jetzt habe ich eine gefunden...
Handlung: Thomas Freytag, Volksschullehrer und begeisterter Amateurreiter, hat im dritten Rennen einen Ritt. Es ist ein strahlender Sommer-Sonntag. Er steht auf, liest die Sonntagszeitungen, sieht ein wenig fern, telefoniert mit seiner Mutter und fährt schließlich in die Freudenau (der Wiener Rennplatz).
Im Rennen stolpert sein Pferd, er fliegt aus dem Sattel und wird bewußtlos.
Er erwacht, kann sich nicht bewegen, aber sehen. Es ist Herbst, es regnet und Nebel hüllt die Rennbahn ein. Gestalten, die alle uniformiert sind, umringen ihn. Aber es sind Uniformen einer längst dahin gegangenen Zeit. Langsam dämmert Thomas, daß er in der Vergangenheit gelandet ist. Und sein Geist sich in einem verarmten Adeligen befindet, der an einer Armee-Steeple-Chase teilgenommen hat und wie er im 20. Jahrhundert vom Pferd gefallen ist. Spätherbst 1852. Er räuspert sich, er könnte eigentlich sprechen, verstellt sich aber, damit er sich nicht verrät.
Thomas Freytag, der nun Friedrich Graf von Waldstein ist, wird in sein Haus in der Innenstadt gebracht. Dort angekommen, hat er sich bereits einen Plan zurecht gelegt, er wird vortäuschen; daß er die Erinnerung verloren hat und so nach und nach in seine neue Persönlichkeit schlüpfen.
Er versucht sich an alles zu erinnern, was er über die Jahre 1852/53 je gelesen hat, und da kommt er auf den 18. Februar 1853.
Er will Zeuge des Attentats sein.
Helmut Andics schrieb darüber in Gründerzeit - Das Schwarzgelbe Wien bis 1867 (hier ein extrem kurzer Ausschnitt):
Am 18. Februar verließ der Schneidergesell Janos Libény gegen 12 Uhr Mittag seinen Arbeitsplatz in der Wiener Leopoldstadt Nr. 653...
Die Polizei schien allgegenwärtig.
Nur der junge Kaiser blieb bei seinem Spaziergang am 18. Feb. 1853 lediglich dem Schutz seines Adjutanten überlassen. Freytag/Waldstein ist pünktlich, doch das Attentat verläuft anders, durch sein Eingreifen kann Janos Libeny einen tödlichen Stich anbringen, der Kaiser stirbt innerhalb weniger Minuten. Erzherzog Ferdinand Max ist der neue Kaiser von Österreich.
Zu diesem Zeitpunkt war Franz Josef noch nicht mit Sisi verheiratet, in sie verliebte er sich erst ein paar Monate später. Wie hätte sich Max als Kaiser gemacht? Wie ganz anders wäre die Geschichte verlaufen...
Ich habe nicht die Absicht, daraus einen dicken Wälzer zu machen, sondern eher eine längere Novelle oder einen Kurzroman. Vermutlich ist die Käuferschicht für so ein Thema äußerst gering, aber ich werde es trotzdem schreiben.
Ist dieses Projekt für Dich interessant? Ich sehe Deiner Antwort gespannt entgegen und verbleibe
mit herzlichen Grüßen
Kurt Luif
München, 6.5.1996
Herrn
Kurt Luif
Fasangasse 39/9
A-1030 Wien
Lieber Kurt Luif,
schön, auf so angenehme Weise an Sie erinnert zu werden. Kurzer Rede langer Sinn: Her damit!
Herzlichen Gruß
Wolfgang Jeschke
München, 13.09.1996
Herrn Kurt Luif
Fasangasse 39/9
A - 1030 Wien
Lieber Kurt,
das bisher Gelesene macht mich an.
Den Roman solltest Du schreiben, zumal Du einer der ganz wenigen deutschen Autoren im SF-Umkreis bist, der schreiben kann (im Gegensatz zu den vielen Fans, die glauben, mit einer Idee und einer Handlung sei's getan).
Wenn Du den Entschluß gefaßt hast, das Projekt durchzuziehen, laß es mich wissen. Ich würde den Roman gern veröffentlichen, und wir könnten Anfang nächsten Jahres einen Vertrag darüber abschließen.
Mit herzlichen Grüßen - auch von Friedel und Rosemarie -
Wolfgang Jeschke