Ein Buch! Ein Buch!
Ein Buch! Ein Buch!
Eine Email von Bookcrossing ist eingetroffen. Innerlich ist man am überlegen ob man sich nochmal in die Klamotten werfen soll ... erstmal schauen.
“Another BookCrosser has just made release notes for ‘Die Armee der Superhelden’ by Stewart O'Nan, Thomas Gunkel (übers.), indicating its release in Kassel, Hessen, at Aue”
Wer hat das Buch denn ausgesetzt? Wurstpeter aus Hamburg ... kenn ich nicht. Was macht der in Kassel? Keine Ahnung.
Wow … Superhelden … das klingt doch schon mal sehr überzeugend.
Also los. „Schaaattzzziii, schau mal!“ Schatzi taucht neben dem Rechner auf und ist verwirrt. Bookcrossing? Was ist das denn??
Bei Bookcrossing handelt es sich um nichts weniger als eine weltweit agierende Gruppe von Menschen, deren Liebe zu Büchern – und einem kleinen Abenteuer im Alltag – so weit geht, dass sie gelesene Bücher, denen sie keine permanente Heimstatt im heimischen Bücherschrank angedeihen lassen wollen, aussetzen. Ja, richtig gelesen, aussetzen. Sie versehen diese mit Informationsaufklebern damit sich die Leute nicht zu sehr wundern, versehen die Bücher mit Registierungsnummern, suchen eine nette Stelle an der sich das Buch auch wohlfühlen kann, und tragen dann auf der Internetseite www.bookcrossing.com ein, dass dieses Buch gerade „on the wild“ ist und „travelling“.
So kam die Mail mit der Information also zu uns. Ein Buch! Ein Buch!
„Das klingt interessant, Superhelden“, Schatzi wittert neues Lesevergnügen. In unseren Augen glimmt das Jagdfieber auf. „Sollen wir?“ „Wollen wir?“ Wo ist es denn?“ Wir untersuchen die Angaben zum Ort der Buchaussetzung genauer. „Das Bücher-F in der Aue, an der Schwimmbadbrücke.“ Verwirrung. „Hab ich noch nie gehört, du?“ Kopfschütteln, während man schon im Schlafzimmer steht und hektisch die Jeans überzieht. Vor lauter Aufregung schwankt man auf einem Bein bedenklich. „Taschenlampe ... wo ist die Taschenlampe?“ Schatzi kommt mit einer kleinen Funzel an. „Nennst du das eine Taschenlampe? Naja, es muss reichen. LOS!“
Wir düsen aus dem Haus und lassen zwei ausgesprochen verwirrte Katzen zurück.
Der Weg ist bekannt, die Aue, das Schwimmbad, das stellt zunächst keine echte Herausforderung dar. Auch ist es ausreichend spät, wir sind schnell zur Stelle. Dann beginnt das „echte Abenteuer“. Wir hängen auf beiden Seiten des Wagens fast aus dem Fenster auf der Suche nach der Schwimmbadbrücke – und sehen natürlich keine. Da ... das Auebad. Hier müsste doch ... wir fahren am Bad vorbei, keine Brücke. Wir schauen uns an. Keine Frage, das ist eine Aufgabe für Feldforschung. Wir stellen den Wagen ab und beginnen zurück in Richtung Schwimmbad zu gehen. Es ist außer uns kein Mensch unterwegs. Ein paar Unentwegte sitzen noch in einer der Clubgaststätten, die sich entlang der Fulda auf der Aueseite entlang aufreihen.
„Ob wir den mal fragen?“ Gerade ist ein Mann in einem Mercedes vor der Gaststätte vorgefahren und beäugt uns misstrauisch, wie wir mit der Taschenlampe nach der Brücke suchen. Sein Gesichtsausdruck wird nicht zutraulicher als wir ihn nach der Brücke fragen.
„Da gibt’s nur die ganz da unten“, er deutet in Richtung Messehallen, aber da kann sie nicht sein, das wissen wir. Wir diskutieren kurz ... Er sieht so aus als würde er gleich die Polizei rufen wollen. Ich fühle mich bemüßigt ihm ein bisschen was zu erklären über den Hintergrund unserer Aktion. Sein 'Die-sind-aber-ausgesprochen-verdächtig-Blick' wandelt sich zu einem 'Oh-mann-das-sind-vollirre-aber-wohl-harmlos-Blick' und er macht, dass er in der Gaststätte verschwindet.
Wir zwei Bücherjäger tauschen einen Blick aus. Und nun? Es MUSS am Schwimmbad sein, also marschieren wir weiter. Etwa 50 Meter weiter treffen wir auf zwei Frauen, ich erkenne sie gleich als Dokumenta-Besucherinnen. Auch sie fragen wir – ist doch eine super Gelegenheit gleich ein bisschen Werbung für Bookcrossing zu machen. Sie schicken uns sehr freundlich in die Gegenrichtung. Also zurück zum Wagen und weiterfahren. DA ... DA ... das muss es sein. Hinten an der Gärtnerbrücke ist ein „Schlafprojekt“ der Documenta. Na, wenn DA das Buch nicht versteckt ist, wo dann ... Wir parken wieder und suchen die Stelle rund um die Brücke ab. Zwei Besucher, die auf einer Bank oben auf dem Auedamm die letzte Abendwärme genießen, wechseln sehr verblüffte Blicke, sagen aber nichts. Schatzi und ich unterhalten uns ganz unauffällig so laut und erwähnen die Buchsuche so direkt, dass sie eigentlich verstanden haben müssen, dass uns nicht der Schlüssel für die Wohnung abhanden gekommen ist.
Dann ergreift Schatzi die Federführung der Buchjagd. Es kann eigentlich nur da unten an den Schlafzelten sein. Wie hieß es noch in der Mail? Ich krame den Zettel heraus ... irgendwas mit Bücher-F. Glücklicherweise ist die Bar dort noch geöffnet, und endlich finden wir jemanden, der das bestätigt was ich ja schon die ganze Zeit gesagt habe: Direkt am Schwimmbad gibt es da eine Brücke. Er ist begeistert von der Idee des Bookcrossings, die wir ihm erzählen.
Also geht es wieder zurück. Wir fahren mutig am Schwimmbad vorbei. Schatzi ruft: „Da, halt an, da ist sie!“ Ich wusste es doch! Wir stellen das Auto ab (siehe Punkt A) und gehen die Schritte hinüber zur Schwimmbadbrücke – ich erwähne nur der Vollständigkeit halber, dass ich es schon die ganze Zeit gewusst habe.
Wieder untersuchen wir die Brücke. Nichts! Die Pfeiler vielleicht! Nichts sieht auch nur annähernd wie ein „Bücher-F“ aus. Dann erinnere ich mich daran irgendwas gehört zu haben ... auf der anderen Seite der „Fulle“ soll es doch auch noch ein „Dokumenta-Teil“ geben. Wir überqueren den Fluss und ich stelle mir an irgendeiner Stelle meines Gehirns die Frage, ob ich eventuell einen Knall habe: Strolcht frühnachts um kurz vor 23 Uhr auf einer Brücke über die Fulda herum, abseits der Kasseler „Zivilisation“ und sucht nach Büchern. Wir haben die Brücke überquert und suchen nach dem F. Klar --- wir finden nichts. Ich leuchte die gesamte Radwegkreuzung ab, ohne Erfolg. Schatzi geht ein paar Schritte weiter und ich rufe schon nach ihm. Da höre ich seinen Triumphschrei: „Ich hab das F! Ich hab das F!“ Neben mir fällt ein verwirrter Radfahrer fast von seinem Transportmittel und ich rufe noch ein beruhigendes „Keine Angst, wir sind normal“ hinter ihm her.
Tatsächlich – ich habe es doch gewusst (habe ich das schon erwähnt?) – da ist in der Tat ein Kunstwerk, das nur von einer Dokumenta stammen kann. Es ist ein großes F aus Holz, in dessen Längs- und Querbalken Fächer eingearbeitet worden sind. Sie sind durch Plexiglasklappen abgedeckt und man kann die Bücher sehen. Das Jagdfieber klingt noch einmal nach als wir die Titel studieren. DA! „Die Armee der Superhelden“ ... wir haben es geschafft!
Voller Freude und Stolz tragen wir die Beute zurück zum Auto. Schatzi fängt auf der Brücke an einen kleinen Siegestanz hinzulegen und reckt triumphierend einen Arm gen Himmel.
Heute haben wir gleich unsererseits ein Buch in die Freiheit entlassen – das war übrigens nur ein kleines bisschen weniger spannend! Für den Fall, dass ihr mitsuchen wollt, hier die Infos:
„[RELEASE ALERT] Kassel – Das Schiff der Visionen“ von John Gribbin has just been released. Released about 8 mins ago (8/27/2007 5:00:00 AM BX time) at Edeka/Neukauf Fiedlerstraße Ecke Eisenschmiede in Kassel, Hessen Germany“
Happy Hunting!