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Fantasy Filmfest 2009 - Die Sache mit dem Bier

Kleinod NürnbergFantasy Filmfest 2009
 Teil 2:
Die Sache mit dem Bier
 
„Pickel“ geht zum zweiten Mal raus, mit leeren Gläsern. Artig tuschelt er ein Entschuldigung durch die Reihe direkt vor mir. Seine Kumpels rufen, „Pickel, bring mir auch noch eins mit“. Der Saal ist dunkel, deswegen kann ich Pickels Gesicht kaum erkennen, hoffe aber für ihn, das der Spitzname einen anderen Ursprung hat.

 

Es laufen noch die Trailer der Sponsoren. Die einzige Werbung beim FANTASY FILMFEST, die man allerdings gerne in Kauf nimmt, weil sich dadurch das Festival selbst finanziert. Keine Steuergelder, keine Fördermittel. Ein großer Unterschied zu vielen anderen Festivals. Pickel kommt mit vier vollen Weizenbiergläsern zurück, ein gefährliches Unterfangen. Die Form der Gläser lassen solche Aktionen selten zu. Beim Typ, der was von Schuldigkeit gefaselt hatte, hält Pickel inne und meint, er solle sich ein Glas weg nehmen, es wäre für ihn. So wie der Typ schräg vor mir, der nur einen coolen Spruch machen wollte, bin auch ich verblüfft.

Freitagabend läuft MOON von Duncan Jones. Immer wieder ließt man im Internet oder in der Presse es wäre ein sogenannter Favorit. Es ist 18:30 Uhr und es dauert noch eine halbe Stunde. Gerade mal 20 Leute stehen vor Kino 3 mit seinen über 400 Sitzplätzen und warten auf den Einlass. Ich bin entsetzt. Aber draußen herrscht exzellentes Sommerwetter, ist also kein Wunder, das man da Kino einfach Mal Kino sein lässt.

Eine Viertelstunde später, fünfzehn Minuten vor Filmbeginn, erkenne ich meinen logischen Fehler. Zwei Stockwerke tiefer spuckt das Kino 2 die Festival-Zuschauer von WASTING AWAY aus und innerhalb der noch geschlossenen Türen von Kino 3 geht KILLING ROOM erst zu Ende. So täuscht man sich, wenn man den Verstand ausschaltet.

Irgendwie ist das Publikum gerade beim FANTASY FILMFEST ein ganz besonderes. Man erkennt sie sofort, ohne dass man wirklich erklären könnte woran. Nun ja, bei einigen sind es die Schreibemappen, in denen lose die auf Din-A4 ausgedruckten Eintrittskarten aufbewahrt sind. Der Vorraum ist mittlerweile brechend voll. Die einzige Bedienung vom Getränke- und Süßigkeitenstand hat von zwei Kollegen dringend notwendige Unterstützung erhalten. Die Türen von Kino 3 öffnen sich und das Gewimmel wird zum optischen Chaos. Doch die meisten lächeln zufrieden. Wer nicht lächelt, dessen Gesicht ist mit diesem kaum zu beschreibenden erwartungsvollen Blick verklärt. Bis auf zehn oder zwölf freie Plätze ist das Kino voll.

MOON ist ein Paradebeispiel, wie man mit Erwartungshaltungen spielen kann. Duncan Jones‘ Geschichte, zu der Nathan Parker der Drehbuch verfasste, handelt von Sam Bell, der als einziger Mensch auf einer Mondstation den Abbau von Helium 3 überwacht. Helium 3 ist DIE Energieform der Menschheit geworden und die Gewinnung auf der Mondoberfläche läuft fast automatisch, weswegen sich die Mannschaft auf tatsächlich eine Person beschränkt. Noch zwei Wochen muss Sam Bell seinen frustrierend einsamen Job machen, dann ist sein Dreijahresvertrag ausgelaufen. Doch nach einem schweren Unfall mit einem Range-Rover, ist Sam nicht mehr allein auf der Station.

Natürlich kommt einen zuerst A SPACE ODYSSEE in den Sinn. Die kalte Atmosphäre, die vielen ruhigen Passagen, welche die Einsamkeit der Figur noch verstärken. Schließlich erinnert man sich an SOLARIS. Was ist Wirklichkeit, was ist Halluzination? Eine Prise OUTLAND ist auch dabei, als sich ein Rettungstrupp von der Erde ankündigt, der aber nicht unbedingt Gutes im Schilde führen muss. Nur ganz entfernt glaubt man etwas DARK STAR zu spüren, wenn sich in sehr absurden, aber nachvollziehbaren Situationen die Lage auf der Station immer mehr zum Psychospiel entwickelt.

Doch der Film verweigert jede Aussage, welche zu einem intellektuellen Gedankenspiel führen soll und übergibt diese Verantwortung an den Zuschauer. Sein und Schein, Psychose oder Verschwörung. Der Film fordert heraus, weil er sehr nüchtern gegenüber seiner eigenen Geschichte bleibt. Es gibt keine geistig verwirrenden Erklärungsexzesse, oder Psychoanalysen. Danny Boyle hat das mit SUNSHINE versucht und verlief sich dabei auf dem Weg zur Sonne. Duncan Jones geht seinen Weg nicht durch die Figuren, sondern ganz nah daran vorbei. Was man dabei feststellt und wie man damit umgehen soll, ist Sache des Zuschauers. In dem er sich also Verweigert, wird er gerade deshalb zum großen Kopfkino.

Sam Rockwell und Duncan JOnesDas Publikum reagiert nicht so frenetisch, wie man es von anderen Filmen her kennt. Der Applaus wirkt verhalten. Es ist möglich, das MOON erst verarbeitet werden muss. Ich glaube während der Vorstellung in den ruhigen Sequenzen nicht einmal ein Räuspern vernommen zu haben, und es gibt in MOON sehr viele ruhige Sequenzen. Es ging auch keiner raus um Bier zu holen. Gut nicht unbedingt ein Indiz, weil der alt eingesessene Festivalgänger sich vor dem Film eindeckt und geübt ist, seinen Sessel für die Dauer des Films nicht zu verlassen.

Dennoch habe ich mir die Frage gestellt, was das mit dem Weizenbier auf sich hat. Mir ist das schon in den Jahren zuvor aufgefallen, habe mich aber nie eingehend damit beschäftigt. Warum ist der Konsum von Weizenbier beim Festival anteilsmäßig so unglaublich hoch. Das ist bei anderen Kinovorstellungen nicht zu beobachten. In einem Anfall von Wahnsinn, war ich ein paar Mal kurz davor ein paar Leute zu fragen. Warum kein Lager, oder kein Pils. Vielleicht einmal ein Wasser? Ich war schlau genug es zu lassen.

Ich kann mich mit dem Eindruck auseinandersetzen, den MOON auf mich gemacht hat. Der Rest des Publikums teilt sich währenddessen für die nächsten zwei Festival-Attraktionen auf, die bereits in fünfzehn Minuten beginnen. Bei meinem Weg nach draußen, strömen mir Gäste entgegen, die extra wegen THIRST oder ORPHAN gekommen sind. Und ich schüttele den Kopf ob dieser einfachen Geschichte, die MOON erzählt hat. Wie raffiniert und eindrucksvoll es aber umgesetzt war. Trotzdem habe ich Duncan Jones‘ Film nach der Vorstellung auf der vorher verteilten Schulbewertungskarte nur eine Zwei gegeben. Vielleicht zu voreilig, weil er mich noch immer beschäftigt.

Da fällt mir ein, das Weizenbier viel mehr Nährwert hat, als normale Biere. Bei so einem Film-Marathon-Stress vielleicht eine gute Erklärung.


Darsteller: Sam Rockwell, Dominique McElligott, Kaya Scodelario und Kevin Spacey als Stimme von Gerty. Regie und Story: Duncan Jones – Drehbuch: Nathan Parker – Kamera: Gary Shaw – Bildschnitt: Nicolas Gastor – Musik: Clint Mansell – Produktionsdesign: Tony Noble, circa 97 Minuten, USA / 2008


Bildquelle: Sony Pictures Entertainment
 
 
Teil Vier: Endstation
 

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