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Ringo´s Plattenkiste - Paice, Ashton, Lord: Malice in Wonderland

Ringo´s Plattenkiste Paice, Ashton, Lord: Malice in Wonderland

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Ringo´s PlattenkisteHeute geht es um eine sehr kurzlebige und kaum erfolgreiche Band, die aus einer anderen hervorging. Und zwar aus einer langlebigen und mega-erfolgreichen: Deep Purple, diesem Dinosaurier der Rock-Kreidezeit. Diesem Stehaufmännchens des Hardrock. Diesem … Genug!

Kehren wir zum eigentlichen Thema zurück und drehen wir das damals noch viereckige Rad des Rock-Mesozoikums mal ein klein wenig zurück und betrachten die Urheber der heutigen Platte etwas genauer.

Jon Lord bekam ab dem zarten Alter von fünf Jahren bereits klassischen Klavierunterricht und entwickelte seine Fähigkeiten später als Pianist in Rhythm-and-Blues-Combos weiter. Auf dem Kinks-Song You Really Got Me ist er nach eigenen Angaben am Piano zu hören. 1968 gründete er dann mit Ian Paice, der zuvor in eher unbekannten Bands tätig war, die bereits erwähnte Megaband Deep Purple (Diese Purpurschnecke unter den Rock-Muricidae). Deep Purple schrieben Rock-Geschichte und verkauften Millionen von Alben.

Ringo´s Plattenkiste8 Jahre später war diese erfolgreiche Hardrock-Band nach etlichen Platten und sich stetig steigernden  Erfolgen aber schon wieder Geschichte. Zahlreiche Unstimmigkeiten und Streitereien hatten den Split letzten Endes unausweichlich gemacht. Einige Mitglieder, wie z.B. Bassist Roger Glover verließen die Band bereits vorher, um eigene Wege zu gehen (Ringo berichtete).  Keyboarder Jon Lord, der zuvor schon einige Soloalben veröffentlicht hatte, wollte unbedingt wieder eine Band haben, nachdem er mal schnell noch sein exzellentes „Sarabande“ herausgebracht hatte (Ringo wird berichten). Das Einzelkind im Rock-Kindergarten zu sein behagte ihm wohl nicht sehr. Gemeinsam  mit seinem alten Spielkameraden Paice wurde schon bald der Grundstein für ein neues Projekt gelegt, als Tony Ashton, ein ebenfalls alter Bekannter Lords, mit ins Spiel kam. Lord und Ashton lernten sich kennen, als sie zusammen auf Tournee waren: Deep Purple als Headliner und Ashton, Gardner and Dyke als Vorgruppe. Tony Ashton, ein sehr talentierter Keyboarder und Sänger, hatte Anfang der Siebziger mit seiner Combo Ashton, Gardner and Dyke einen Top-Hit: Resurrection Shuffle. Diesen Erfolg konnten sie aber leider nicht wiederholen, so dass sie sich als One-Hit-Wonder nach einer unbedeutenden Soundtrack-Kollaboration mit Jon Lord zu einem B-Western mit dem Titel The last Rebel auflösten. Tony war auch auf Jon Lord´s Gemini Suite von 1971 schon als Sänger zu hören. Ashton arbeitete auch mit Jerry Lee Lewis, Paul McCartney, Eric Clapton und Roger Chapman`s Family zusammen.

Ringo´s Plattenkiste1974 erschien ein gemeinsames Ashton & Lord-Album: First of the Big Bands, das musikalisch schon einiges von Paice, Ashton, Lord vorweg nahm. Die Musik war völlig untypisch für Lord, keine Spur von Hardrock oder Klassik. Tonangebend war eine groovy Mischung aus funky und teils jazzigen Arrangements. Das Album sollte eine Art Phil-Spector-Sound haben, erinnert sich Ashton.  Die Platte brauchte knapp 2 Jahre bis zur Fertigstellung. An der Entstehung waren eine ganze Schar an Musikern involviert, unter anderem 2 Drummer und ganze 5 Gitarristen. Insgesamt eine teure Angelegenheit.

Ashton war von der Idee einer Bandgründung zuerst nicht sonderlich begeistert, da er sich selbst nicht gerne als Frontman sah und der Präsenz von gleich zwei Keyboardern in einer Band skeptisch gegenüber stand. Ashton hatte inzwischen auch sein geregeltes Auskommen als Sessionmusiker und Komponist für Werbespots. Schließlich einigte er sich mit Lord, der die Rollen salomonisch weise verteilte: Er selbst würde Synthesizer und Orgel bedienen, während Ashton Piano spielen sollte. Und singen, latürnich.

Lord wollte auch diesmal partout keinen Aufguß von Deep Purple, diesem musikalischen Panzerkreuzer Potemkin, sondern erneut – und vielleicht auch etwas krampfhaft - etwas ganz anderes machen. Kann man sich auch locker erlauben, wenn man genug Kohle hat.

Nachdem Ashton endlich irgendwann (vermutlich nach ein paar Flaschen Whisky) von der Bandgründung überzeugt war, suchte das Trio per Annonce nach weiteren Musikern:

British Band Requires BRITISH Bass Player and Lead Guitarist for formation of new rock band by three established musicians. No Bweginners! Only first Class Players acceptable.
Zusätzlich sollten die gesuchten Mitstreiter auch gesangliche Fähigkeiten besitzen.

Klar, dass sich eine Menge Leute auf die Annonce meldeten, zumal auch schon durchgesickert war, wer sich denn hinter der “British Band” verbarg. Vorgespielt haben insgesamt ca. 150 Musiker, was wohl sehr anstrengend für das Trio gewesen sein musste.

Ringo´s PlattenkisteAusgewählt wurden schließlich Bassist Paul Martinez, einer der ersten Bewerber um diesen Posten. Als Gitarrist wurde Bernie Marsden verpflichtet, der sich als letzter um die Stelle bewarb. Marsden spielte zuvor bei Babe Ruth und UFO. Einer der ausschlaggebenden Gründe für seinen Zuschlag waren seine gesanglichen Qualitäten.

Im August 1976 war das Ende von Deep Purple dann endlich ganz offiziell. Auf einer Pressekonzerenz wurde gleichzeitig auch die neue Band Paice, Ashton, Lord vorgestellt, was wohl große Erwartungen hervorrief. Viele dachten einfach an eine Neuauflage von Deep Purple (diesen Tschikatilo der Rockmusik-Serienkiller), andere sprachen gar von einer neuen Supergruppe. Ursprünglich war der Name “Ghosts” für die Band vorgesehen, aber letzten Endes wurde umentschieden. Vermutlich war der Name Paice, Ashton, Lord auch erheblich verkaufsfördernder.

Das fertige Line-up sah aus wie folgt:

  • Ian Paice: drums, percussion
  • Tony Ashton: vocals, keyboards
  • Jon Lord: keyboards, synthesizer
  • Paul Martinez: Bass & Hilda
  • Bernie Marsden: - guitar, backing vocals

Das mit der Hilda bei Paul Martinez geht auf die TV-Figur der Hilda Ogden zurück, die in den Siebzigern recht populär war. Hilda Ogden verkörperte eine typische Vertreterin der britischen Arbeiterschicht. Ihr Markenzeichen waren Lockenwickler, die sie stets trug.

Verstärkt wurden die 5 Musiker durch ein vierköpfiges Blechbläserensemble
•    Howie Casey
•    Dave Caswell
•    Reg Brooks
•    Gilbert Dall`enese

Saxophonist Casey spielte früher bei Aufnahmen der Wings mit, Caswell war schon bei Ashton, Gardner and Dyke dabei gewesen. Posaunist Brooks spielte zuvor für Rick Wakeman und die Band Bloodstone. Kennt die jemand?

Ringo´s PlattenkisteHinzu kamen die beiden  niedlichen Backgroundsängerinnen Sheila und Jeanette McKinley. Jeanette und Sheila sangen zuvor bei den Windows. Vermutlich brachte Casey die beiden Schwestern ins Spiel, da er mit Sheila verheiratet war. Vielleicht machte er auch nebenbei ein wenig mit Jeanette herum, aber das gehört nicht hierher.

PAL und Konsorten machten sich ans Songschreiben, setzten sich gemeinsam (ohne Lockenwickler im wallenden Haar) zusammen und spielten sich gegenseitig ihre Ideen vor. Involviert waren alle, nicht nur die drei  Namensgeber. Insgesamt stammten dann auch nur vier Songs alleine von ihnen, einer war von Ashton, und bei den restlichen vier Songs waren dann alle 5 Musiker beteiligt. Die Texte stammten überwiegend von Tony Ashton. Die Rohfassungen der Kompositionen entstanden am Fender und wurden anschließend weiter ausgearbeitet. Als Studio wurde Giorgio Moroders weltberühmtes Musicland in München gewählt. Die Räumlichkeiten befanden sich im Untergeschoss des Arabella-Hauses in Bogenhausen. Legenden wie die Rolling Stones (kennt die jemand?), Led Zeppelin, Deep Purple (dieser Godzilla unter den Rock-Grottenolmen), Scorpions, ELO und viele andere nahmen dort auf. Die Band wohnte auch im Arabella-Hotel, einige Etagen über dem Studio. Das Arabella-Haus steht übrigens immer noch, ist aber vom für das Jahr 2026 geplanten Abriß bedroht. Die Musicland-Studios wurden Mitte der Achtziger geschlossen, nachdem die Münchner U-Bahn ihr Netz erweiterte und die Strecke nur wenige Meter neben der Studiowand verlief.
Man sieht, nur das Beste war gut genug. Nur das Beste, wohlgemerkt.

Als Produzent wurde Martin “The Wasp” Birch verpflichtet, den Paice und Lord schon von ihrer Zeit bei Deep Purple kannten. Birch war auch früher schon als Produzent von Fleetwood Mac, Wishbone Ash und auch Rainbow in Erscheinung getreten. Ein absoluter Vollprofi, der auch an der Gitarre durchaus eine gute Figur machte. Birch verstarb übrigens am 09. August dieses Jahres.

PAL belegten das Studio ab Mitte September bis Oktober. Nachdem die Aufnahmen auf Band waren, begannen die Post-Production und das Mixing. Vor allem Tony Ashton war sehr angetan vom Ergebnis, das er als straffere Version seines ersten Albums  mit Jon Lord betrachtete. PAL gaben für Promotion-Zwecke ganz nebenbei einen Film in Auftrag, der das Entstehen der Band und die Aufnahmen des Albums dokumentieren sollte. Kostet ja nix, ist ja locker drin. Alles in allem entwickelte sich das Projekt PAL schnell zu einem sehr teuren Spaß. Lord erinnert sich, dass sie ungefähr 100.000£ hineinsteckten. Bei dieser Summe konnte man es sich also nicht erlauben, dass das Release ein Flop wurde.

Das lang erwartete und mit viel Vorschußlorbeeren überhäufte Album erschien dann im März 1977, nachdem zuvor schon so genannte Weißpressungen an ausgewählte Radiosender und DJ`s verschickt wurden. Weißpressungen sind nichts anderes als Promo-Platten, die nur die allernötigsten Angaben zu Interpret und Songtiteln bereithalten. Jon Lord flitze unaufhörlich zwischen den einzelnen Radiosendern hin und her, um Promotion zu machen.

Ringo´s PlattenkisteDas Album wurde unter dem Titel “Malice in Wonderland” veröffentlicht, auf deutsch grob übersetzt mit “Bosheit im Wunderland”, was natürlich eine Verballhornung von Lewis Caroll`s berühmten Buch war. Zu diesem Titel wurde Lord im Arabella inspiriert, als ein angetrunkener US-Tourist mit schwerer Zunge  versuchte, den Namen des Buches auszusprechen (L`liss in Wonnalennt). Das Cover zierte ein Gemälde von Graham Ovenden, einem britischen Künstler der sehr viel später auf unrühmliche Art in die Schlagzeilen und ins Gefängnis geriet. Mehr Worte verliere ich über ihn auch nicht. Ein Gatefold gab es nicht, dafür aber eine bedruckte Innenhülle.

Die Tracklist des Albums:
Ringo´s PlattenkisteSeite 1:
•    Ghost Story     
•    Remember The Good Times     
•    Arabella     
•    Silas & Jerome     
•    Dance With Me Baby

Seite 2:
•    On The Road Again, Again     
•    Sneaky Private Lee     
•    I'm Gonna Stop Drinking     
•    Malice In Wonderland

Schauen wir uns die einzelnen Tracks mal ein wenig genauer an.

Ghost Story, aus der Feder des namensgebenden Trios, eröffnet das Album mit Windheulen und einem vielversprechenden, treibenden Orgelriff, untermalt von Synthesizer und pumpendem Bass. Interessant ist Ashtons Srechgesang, der ein wenig an den noch in der Zukunft weilenden Rap erinnert. Es ist fast ein normaler Rocksong, eigentlich sogar ein wenig Hardrock. Bis sich dann im Mittelteil der Stil mit dem Bläsereinsatz komplett wandelt und der Bass pumpender und funky wird. Rock und Hardrock verschwinden, was bleibt ist jazziger Funk. Insgesamt eine sehr gute und eingängige Nummer, die Lust auf mehr macht. Gar nicht mal schlecht, der Anfang.

Remember The Good Times stammt von allen fünf Mitgliedern und beginnt wie ein Song von Hot Chocolate. Bevor aber Errol Brown zu singen anfängt, setzt Ashton mit seiner leicht nöligen Stimme ein.  Sehr groovy und ein wenig discolastig. Im Refrain kommen dann erstmals die beiden Female-Vocals ins Spiel, die Geschwister McKinley aus Schottland. Remember ist im Gegensatz zum vorangegangenen Song kaum noch Rock und dürfte den Deep-Purple-Fan wohl doch etwas vor den Holz-Kopf gestossen haben.    

Arabella ist ein reiner Ashton-Song, der mit 2 Akkorden am Piano beginnt und dann zu einer funkigen Rare-Groove-Nummer wird. Sehr schön ist hier das Zusammenspiel von Paul Martinez und Ian Paice. Zum Schluß gibt es noch ein sehr schönes Saxophon-Solo von Howie Casey, dem Leader der Blechbläserfraktion. Zu diesem Song wurde Ashton durch das Arabella-Hotel in München inspiriert.

Silas & Jerome     ist eine kurze  Jazz-Rock-Nummer mit Bläsern. Auch hier überrascht Ashton wieder mit Sprechgesang.

Dance With Me Baby, eine flotte Boogie-Nummer mit Bläsern und Female-Vocals, schließt die erste Plattenseite dann ab, die zwar eine runde und abwechslungsreiche Sache ist, einen aber nicht vom Hocker haut.

On The Road Again, Again     eröffnet Seite 2 mit Brit-Funk vom feinsten. Leider ist aber der Refrain etwas daneben geraten. Ansonsten ist es ein treibender Song mit Jon Lord an der Orgel und einem schönen Gitarrensolo von Bernie Marsden.

Sneaky Private Lee ist eine langsamere Nummer und mit über 6 Minuten der längste Song des Albums. Sehr stimmungsvoll und swinging, fast schon ein wenig Motown. Im Mittelteil gibt es ein Gitarrensolo von Marsden. Die an die Phoenix-Horns erinnernden Bläser lassen den Song dann stimmungsvoll ausklingen.

I'm Gonna Stop Drinking ist eine soulige Blues-Ballade mit Tony Ashton am Piano. Der Song handelt von einem Trinker, der sich immer wieder vornimmt damit aufzuhören, es aber auch immer wieder verschiebt. Tony Ashton trägt den Text sehr gefühlvoll und authentisch vor, so dass man denken könnte, er singt über sich selbst. Eine ganz tolle Nummer mit einem Orgelsolo von Jon Lord, das ausgezeichnet zur melancholischen Stimmung des Songs passt.

Malice In Wonderland, der Titelsong schließt das Album ab. Nach Sneaky Private Lee ist es der zweitlängste Song der Platte. Malice ist ein gelungener Rhythm n`Blues Song mit Jazzpiano-Einlagen Tony Ashtons, gefolgt von einem Jon-Lord-Orgelsolo. Ein Song ganz ohne Bläser und Female-Vocals. Und leider auch ohne Anspruch.

Um das Album ordentlich zu promoten, wurde eine Reihe von Live-Konzerten geplant, die das Release begleiten sollten. Kopenhagen sollte dabei den Anfang machen und die Band danach durch alle grösseren europäischen Städte führen. Es kam aber anders. Nachdem sich die Tickets ähnlich wie die Platte schleppend verkauften, schraubte man die eigenen Erwartungen herunter. Bis auf vier Konzerte in England waren keine weiteren Live-Auftritte mehr geplant. Ihr Live-Debut gaben PAL am 10.März 1977 im Rahmen der Sight & Sound Show im Fernsehen. Der Auftritt stand leider unter keinem guten Stern, da es allerlei Mißgeschicke und technische Probleme gab. Für die  Musikpresse, ohnehin fixiert auf Punk und Umbruch, war das natürlich ein gefundenes Fressen, und die Kritiken fielen entsprechend schlecht aus. Tony Ashton fühlte sich auch sichtlich unwohl in seiner Rolle als Leadsänger. Er konnte sein volles Talent nur vor kleinerem Publikum ausspielen, nicht in großen Hallen. Musikalisch waren die Performances zwar ausgezeichnet, aber Tony Ashton war vor großem Publikum eben nicht Tony Ashton. Zu allem Überfluß fiel er auch während des letzten Konzertes im Londoner Rainbow Theatre von der Bühne. Im selben Rainbow-Theatre wurde übrigens einige Jahre zuvor Frank Zappa von einem eifersüchtigen Fan in den Orchestergraben gestoßen und zog sich einige komplizierte Brüche zu.

Ashton hatte mehr Glück, er brach sich “nur” ein Bein. Das Konzert ging, nachdem Lord und Paice ihm zurück auf die Bühne geholfen hatten, aber weiter.

Die Tour war zu Ende, und Lord und Ashton flogen zu Promotionzwecken in die USA. Inzwischen verkaufte sich das Album immer noch mehr schlecht als recht, ganz im Gegensatz zu Ritchie Blackmore`s neuer Band Rainbow. Was vermutlich daran lag, dass dieser den Wünschen der alten Purple-Fans gerechter wurde.

Ringo´s PlattenkisteDie schlechten Verkaufszahlen hatten vielerlei Gründe. Zum einen erschien es wohl einfach zur falschen Zeit, wie so viele Platten der alten Recken der Siebziger. So richtig “In” war Rock ja nicht mehr. Publikum und Kritiker schielten in Richtung Punk und auch Disco-Sound. Zudem wurden die alten Hardrock-Fans, die die Musiker von Deep Purple her kannten, vom neuen Sound verschreckt. Neue Fans konnten sie nicht gewinnen, und die alten wollten keine Motown-Version “ihrer” Band. Die Erwartungen von Presse, Kritikern und potentiellen Käufern waren ebenfalls extrem hoch. Das Projekt selbst war per se auch ein wenig zu überdimensional angelegt. Ein Budget von 100.000£, eine aufwendig geplante Tournee mit eigens entworfenem Bühnendesign ganz in Weiß, ein Film, der die Entstehung begleitete und natürlich auch eine gewisse Portion Selbstgefälligkeit der Herren Paice und Lord. Am deutlichsten wird dies in einer Szene des erwähnten Films, als Jon Lord mit einem Rolls Royce vorfährt. Ashton war, wie eingangs erwähnt, eher zurückhaltend und skeptischer.

Im Govi-Plattenkatalog damals wurde die Band wie eine brandneue Supergruppe präsentiert, so dass ich es mir natürlich auch kaufen musste. Als die Platte sich dann auf dem Weissen Wilson drehte, kam die große Enttäuschung: was war das denn für ein Mist? Kein Hardrock, kein Prog, dafür Funk, Soul, Blues und Jazz. Malice in Wonderland hatte auch bei mir kein Glück, wie wohl auch bei den meisten anderen Käufern. Inzwischen aber – natürlich bin ich inzwischen etwas gereifter – gefällt mir das Album sehr gut. Wie man an den Bemerkungen zu den einzelnen Songs schon erkennen kann, handelt es sich um ein Album ohne nennenswerte Höhepunkte, genauso aber um eins ohne peinliche Tifpunkte. Insgesamt ist es gut, aber nichts Besonderes. So ist die Wahrheit nun einmal.

Das Album war zwar kein totaler Flop, aber die Verkaufszahlen blieben weit hinter den Erwartungen zurück. Hätte man das Projekt nicht so groß aufgezogen, mit einer kleinen Tour in überschaubaren Hallen, wer weiß: vielleicht hätten sich PAL auf Dauer etablieren können.

Paice, Ashton, Lord waren natürlich enttäuscht, wollten aber erstmal nicht aufgeben,  so dass sie ein zweites Album für das Folgejahr planten. Daraus wurde aber nichts mehr. Die Aufnahmen begannen abermals in München. Bis Ende 77 wurden sogar ca. 75 % der Songs fertig gestellt, aber dann kam das Aus. Nach einem gemeinsamen Skiurlaub während der Weihnachtstage in der Schweiz beschlossen Lord und Ashton das Ende der Band, nachdem kurzfristig erwogen wurde, David Coverdale in die Band zu holen. Das Ende von PAL fand sang- und klanglos statt. Kein offizielles Statement, keine Pressereklärung. Stattdessen ging jeder seine eigenen Wege. Dummerweise verschwanden die Master-Tapes des fast fertigen Zweitlings. Erst viele Jahre später tauchte zufällig ein Kassetten-Mitschnitt bei Ashton auf, allerdings in recht bescheidener Qualität. Nur bei vier der Songs war die Gesangsspur enthalten, der Rest waren instrumentale Rohfassungen. Die Songs sind als Bonustracks auf der 2019er CD-Wiederveröffentlichung enthalten, hier die Aufstellung:

•    Steamroller Blues     
•    Nasty Clavinet     
•    Black And White     
•    Moonburn     
•    Dance Coming     
•    Goodbye Hello LA     
•    Untitled Two     
•    Ballad Of Mr. Giver

Ringo´s PlattenkisteMas machen die Musiker heute?
Ian Paice wechselte zu Whitesnake, anschließend spielte er für Gary Moore. 1984 stieß er zu den reformierten Deep Purple.

Tony Ashton spielte als Sessionmusiker unter anderem für die Wings und Rick Wakeman. Nebenbei wandte er sich der Malerei zu, mit der er ziemlich erfolgreich wurde. In den Neunzigern machte sich eine Krebserkrankung bemerkbar, die seinen Gesundheitszustand zunehmend verschlechterte und der er 2005 schließlich erlag.

Jon Lord ging zu Whitesnake, 1984 war er schließlich bei der Reunion Deep Purples mit von der Partie. 2002 verließ er die Band wieder, um sich seinen Soloprojekten, unter anderem Klassischen Kompositionen zu widmen. Er starb 2012.

Paul Martinez spielte für Robert Plant. Was er heute macht, entzieht sich meiner Kenntnis. Eventuell verkauft er als Handlungsreisender Lockenwickler.

Bernie Marsden ging ebenfalls zu Whitesnake, veröffentlichte später einige Soloalben und arbeitete als Sessionmusiker.

P.S.: da ich kein aktuelles Bild von Paul Martinez gefunden habe, nahm ich einfach eins von Hilda Ogden

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Kommentare  

#1 Cartwing 2020-09-07 18:56
Wieder sehr interessant. Und wieder sehr erstaunlich, was du so ausgräbst. Ich dachte immer, ich kenne sehr viel altes Zeug vor allem aus dem classic bzw. Prog - Bereich...

Das Album höre ich jetzt in diesem Moment auf spotify. Einfach nur geil...
Da kommt einiges zusammen, was mir zusagt. Rock, Jazz, Pop und ne Prise Prog.
Danke für diesen Beitrag... wieder mal
#2 Mainstream 2020-09-07 19:57
-
Tja, rein gehört und gleich mal auf Vinyl bestellt.
Hoffe die Remastered kommt qualitativ an
eine Erstpressung ran.
Man könnte vorsichtig ausgedrückt sagen: Gar nicht so schlecht der Tipp.
#3 Ringo Hienstorfer 2020-09-15 10:29
Danke, Ihr beiden. Für`s nächste Mal habe ich sehr tief gegraben.... Bin mal neugierig, ob das jemand kennt ;)
#4 Ringo Hienstorfer 2023-08-25 21:33
Update: Gitarrist Bernie Marsden ist am 24. August im Alter von 72 Jahren verstorben.

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