Ringo´s Plattenkiste - Die Einführung
Musik war nicht nur meine erste, große Liebe, sondern sie ist es auch heute noch. Gewiss, der Musikgeschmack hat sich in den letzten Jahrzehnten zwar mehrmals gravierend geändert, aber das soll und muss ja auch so sein. Wäre auch langweilig, oder? Jeden Tag das Gleiche hören.
Am Anfang meiner musikalischen Erinnerungen stand als primäres Medium – ich bin in den Sechzigern geboren - natürlich das Radio; später kam auch Fernsehen dazu, stilvoll und s/W, wie sich das gehört. Sendungen wie Disco und Hitparade liefen in den Siebzigern im Vorabendprogramm, spät abends auch Musikladen und Beat-Club. Das war für uns Kinder natürlich nix.
Erstens mussten wir zeitig ins Bett, und zweitens, ja zweitens hatten unsere Eltern und auch wir selbst einen gehöligen Respekt vor all diesen langmähnigen und wild aussehenden Burschen, die da auf der Mattscheibe zu sehen waren. Ab und an blieben wir aber dann doch mal länger auf und schalteten wild durch unsere 5 Programme durch. Zappen nennt man das heutzutage. Und es gibt heutzutage auch weit mehr als 5 Programme. Nicht, dass dadurch die Qualität des Gezeigten gestiegen wäre, oh nein! Mit „Wir“ meine ich - nebenbei erwähnt- meinen um exakt 2 Jahre älteren Bruder und mich selbst. Am Anfang unserer Gunst standen zuerst seichte Schlagerchen, wie wir sie von den Eltern gewohnt waren, später kamen dann aber auch Hits aus oben genannten Sendungen hinzu, ergänzt um diverse Oldies. Rock n´Roll der Fünfziger war damals mal wieder angesagt, jaja, und so gab es diverse Compilationen auf Kassette.
Die Kassette war dann auch das nächste Erfahrungs-Medium, bekamen wir doch zu irgendeinem Geburtstag tatsächlich einen Kassettenrekorder geschenkt! Fortan musste man nun nicht mehr auf eine passende Sendung im Fernseher warten, sondern konnte sich seine Lieblingsmusik nach Lust und Laune jederzeit anhören. Das mit den Kassetten war ja ohnehin witzig. Man musste sie nämlich umdrehen, sobald eine Seite fertig durchgelaufen war. Jawohl, umdrehen.
Man konnte sowohl fertig bespielte Kassetten kaufen, aber auch unbespielte. Zum Selberaufnehmen waren die gedacht. Rohlinge würde man dazu heutzutage sagen. Es gab diese Kassetten – genau genommen hießen sie „Kompaktkassetten“ - in mannigfacher Vielfalt. Die Spieldauer reichte, je nach Bedarf, von 60 Minuten, über 90 Minuten bis zu 120 Minuten.
Kassetten nutzten sich aber leider recht schnell ab. Liefen sie zu oft, wurden sie nicht liebevoll genug behandelt oder hatte man einen Scheiß-Kassettenrekorder, leierten die Bänder sehr bald. Das Worst-Case-Scenario aber war gegeben, wenn sich das Band im Kassettenrekorder selbständig machte und sich strangulierte. Bandsalat nannte man das damals, und die Prognose für so eine Kassette war infaust. Es blieb meistens nur wegschmeißen. Weinen und Schreien nutze nix, war ebenfalls infaust. Nicht, dass wir damals gewusst hätten, was „Infaust“ bedeutete, nein, ganz und gar nicht. Ich verwende das Wort hier nur in bester Perry-Smith-Manier.
Aber das tut hier nix zur Sache.
Natürlich hatten wir auch unbespielte Kassetten, und begannen kurz nach dem Kauf immediat (wieder so ein schönes Perry-Smith-Wort) mit dem Aufnehmen. Das war ja ganz einfach, das Ergebnis aber war immer schaurig. Aber das war egal.
Zum Aufnehmen legten wir den Rekorder einfach neben den Fernseher oder auch das Radio, und drückte – hatte man etwas gefunden, was man mochte – die beiden Aufnahmetasten. Auf diese Art und Weise konnte man sich in kurzer Zeit und für wenig Geld seine Lieblingsmusik konservieren. Die Ansprüche waren niedrig, und so störte man sich auch nicht an der Klangqualität.
Um seine so fertig bespielte Lieblingskassette vor einem versehentlichen – manchmal aber auch mutwilligen - Überspielen zu schützen, waren diese frühen „Rohlinge“ mit einem genial einfachen Sicherungsschutz ausgestattet. Auf der schmalen, nach oben gerichteten Oberkante (deshalb hieß sie auch Oberkante) befanden sich nämlich zwei kleine Aussparungen, geschützt durch zwei Plastikabdeckungen. Brach man diese heraus, konnte man die Kassette eigentlich nicht mehr neu bespielen. Eigentlich, weil es da einen Trick gab. Fand man die bespielte Kassette irgendwann scheiße, und im Jugendalter ging das sehr schnell, klebte man einfach zwei kleine Tesastreifen über die freigelegten Aussparungen, und schwupp! Die Bänder konnten neu bespielt werden. Genial, was?
Die nächste Stufe der musikalischen Evolution war dann der so genannte Radiorekorder (heute sagt man Ghettoblaster dazu). Der Radiorekorder war ein geniales Gerät. Er – man glaubt es kaum – war Radio und Kassettenrekorder in Union. Man konnte nun also direkt vom Radio auf die Kassette aufnehmen, und die Klangqualität verbesserte sich so erheblich. Etwas ganz ähnliches für bewegte Bilder war der Videorekorder.
Aber um den geht es hier nicht.
Der Radiorekorder verführte uns nun dazu, fortan in erster Linie Musik vom Radio aufzunehmen, nicht mehr vom Fernseher. Musik vom Fernseher aufzunehmen war scheiße.
Eine Art Radiorekorder Deluxe war der Doppelradiorekorder. Der hatte – und wieder glaubt man es kaum – nicht nur ein Kassettenteil, sondern gleich zwei davon. Dieses Tool nutzte man aber nicht etwa dazu, um Radiosendungen doppelt aufzunehmen, nein. Man konnte damit etwas tun, was man damals „Überspielen“ nannte. Zumindest wir (unser begrenzter Freundeskreis und die beiden Brüder)nannten das so.
Hatte man nun also Freunde, die ebenfalls im Besitz von bespielten Kassetten waren, traf man sich in loser Folge zum gegenseitigen Austausch seiner Schätze. Man konnte sich so bequem und für wenig Geld (man brauchte ja nur eine Leerkassette zu kaufen) mit neuem Material versorgen, und daran gehen, solche Meilensteine wie „K-Tel Starparade“ vom Nachbarsjungen überspielen; im Gegenzug bekam der Besitzer „20 Yog-Sothoth Hits“ von mir. Ganze Nachmittage wurden so verbracht.
Damals war es üblich, Kompilationen mit verschiedenen Interpreten zu kaufen. So warfen Firmen wie Arcade oder bereits genannte K-tel auch immer neues Material auf den Markt. Speziell nach Zielgruppen gestaltet, versteht sich. Ergatterte man ein besonderes Schmankerl wie „Super-Mega-Hit-Infarkt Vol. 77“, konnte man am nächsten Tag damit in der Klasse angeben. Und damit neue „Freunde“ gewinnen. Eine solche Freundschaft hielt aber meist nicht sehr lange. In der Regel nur, bis das „Überspielen“ beendet war.
Ein Mitschüler – sein Spitzname war „Schlappi“ – versuchte erfolglos meinen damals sehr begrenzten musikalischen Horizont zu erweitern. „Ob ich Bob Dylan kennen würde“, fragte er mich, wobei er den Nachnamen wie „Düllein“ aussprach. Kannte ich natürlich nicht, und er gefiel mir auch nicht, nachdem Schlappi mir mal eine Kassette mit Musik seines größeren Bruders ausgeliehen hatte. „Würg“ sagte man in den MAD-Comics zu so etwas. Und „Würg“ sage ich auch heute noch dazu.
Nein, Bob Düllein war und ist immer noch nichts für mich, aber da war als Füllmaterial auch noch andere Musik auf der Kassette. Musik von den Beatles. Die gefielen mir. Sehr sogar. So sehr, dass ich mir bald selbst eine Kassette kaufte. Sie trug den schlichten Titel 1962-1966 und war rot, mit einem freundlichen Bild der Gruppe vorne drauf. Auf der Kassette befand sich eine Fülle an naiv-unbedarften Songs, die mit jeder Note und jedem Ton gute Laune verbreiteten und sogar meiner griesgrämigen Oma ab und an ein leichtes Zucken um die Mundwinkel verschaffte. Im Rausch der Begeisterung – ja, ich war flugs ein Beatles-Fan geworden, mit Leib und Seele! – kaufte ich bald schon eine weitere Kassette mit dem ebenfalls schlichten Titel 1967-1970 und war … gnadenlos enttäuscht. Das Bild auf der Hülle zeigte zwar wieder ein Photo der Band, aber die sah nun nicht mehr ganz so manierlich aus. Eine Menge Haare hatten die Beatles auf dem Kopf, und auch die Kleidung war anders. Keine braven Anzüge, sondern so komisches Zeug. Und die Musik, das war das allerschlimmste. Nicht nur, dass meine Oma angewidert ihr Gesicht verzog, sondern auch wir selbst fanden keinen Gefallen an dem gehörten.
Das war ganz anders als das auf der roten Kassette. Das war nicht das, was wir hören wollten. Das war … keine Musik. So dachten wir zumindest damals. Inzwischen hat sich auch dies natürlich geändert.
Mein verzweifelter Versuch, die Kassette im Geschäft wieder umzutauschen, schlug fehl. Alles Jammern, Flehen und Betteln nützte nichts. Die nach Mottenkugeln riechende Matrone bei „Radio Denk“ blieb hartnäckig. „Woher sollen wir denn wissen, ob Du die Kassette nicht einfach überspielt hast?“ fragte sie säuerlich. „Und außerdem, würde das jeder machen, wo kämen wir denn da hin?“. Nein, nichts zu machen. Ich musste die verschissene, blaue Kassette also behalten. Probierte es aber hartnäckig immer wieder mal mit hören. Bis ich schließlich zumindest einem Teil der Songs etwas abgewinnen konnte. Die Lektüre von „Dämonenkiller“ hat mir ein wenig dabei geholfen, weshalb auch immer.
Schallplatten und Plattenspieler existierten zwar bereits seit langem, waren für unsere Schicht aber zu teuer. Das konnte und durfte aber nicht lange so bleiben. Irgendwann Mitte der Siebziger hatten wir dann genügend Geld zusammengespart, ergaunert oder von den Mitschülern erpresst, bis wir uns ein solches Statussymbol leisten konnten. Unser Taschengeld war gar nicht mal sehr knapp gehalten. Wir bekamen eine so genannte „Tägliche Mark“. Diese Tägliche Mark bekamen wir nicht als Belohnung dafür, dass wir die Schule nicht geschwänzt, nicht grün-und-blau geschlagen oder völlig verdreckt nach Hause kamen und auch keine Verweis erhielten, sondern sie war eigentlich für ein Pausenbrot gedacht. Die Tägliche Mark gab es an besuchten Schultagen immer morgens. So kam man in den Genuss von durchschnittlich 20 DM pro Monat. Wie das damals bei uns in den Ferien lief, weiß ich leider nicht mehr.
Gaben wir das Geld nun nicht vollständig für das Pausenbrot aus, konnte man es auch vernünftig in Softeis, Lutscher, Esspapier oder Brausebrocken anlegen. Man konnte es aber auch sparen. Was wir wohl auch machten, sonst wäre der Kauf eines Plattenspielers nicht möglich gewesen.
Wieviel dieser tatsächlich kostete, weiß ich mittlerweile nicht mehr. Es muss aber eine Unmenge an „Täglicher Mark“ gewesen sein. Photos aus der damaligen Zeit zeigen mich übrigens stark abgemagert mit einem hungrigen Gesichtsausdruck. An das Aussehen unseres Plattenspielers erinnere ich mich ganz genau. Er war unauffällig und recht einfach gehalten. Ein flacher Plastikkasten mit transparentem Deckel, dazu zwei kleine schwarze Lautsprecher. Die Farbe des Plattenspielers war Weiß. Die Marke: Wilson.In unserem Sprachgebrauch hieß er sehr bald „Der weiße Wilson“.
Unnötig zu erwähnen, dass wir gleich am nächsten Tag in der Klasse mit dem Weißen Wilson mächtig angaben. Schließlich hatten nur wenige einen Plattenspieler daheim. Viele besaßen stattdessen einen Farbfernseher. Das heißt, die Eltern besaßen den. Die Zahl unserer „Freunde“ stieg nun sprunghaft an, sobald wir vom Weißen Wilson sprachen.
Die Sache hatte nur einen Haken: Wir besaßen keine einzige Schallplatte. Der Kauf des Wilson hatte nämlich unser gesamtes Vermögen verschlungen, und Schallplatten waren nicht gerade billig. Genau genommen waren sie wesentlich teurer als die Kassetten. Es war also erneut Sparen angesagt, erneuter Verzicht auf Eis, Schleckereien oder Comics. Der Weiße Wilson staubte indes ruhig und unbenutzt vor sich. Wir hatten ihm einen schönen Ehrenplatz in unserem Schrank verschafft. Dort stand er nun, mitsamt seinen zwei Lautsprechern und wartete begierig darauf, seiner Aufgabe gerecht zu werden. Der Schrank war Schwarz und Weiß und stand in unserem gemeinsamen Zimmer, das in ekelhaftem, damals aber topmodernem Orange gestrichen war. Aber darum geht es hier nicht.
Irgendwann war es dann endlich soweit. Die allererste eigene Platte kam auf den Teller. Es war ein Doppelalbum der Beach Boys mit ihren Größten Hits. Die vier Plattenseiten liefen ständig rauf und runter, bis wir sie auswendig kannten. Was auch nicht besonders schwierig war, klangen die Beach Boys doch auf jedem Song nahezu gleich.
Mit den Platten war es übrigens ganz ähnlich wie mit den Kassetten. Sie hatten auch zwei Seiten. War die erste Seite nun durchgelaufen, musste man sie umdrehen und die Nadel neu aufsetzen.
Umdrehen und Nadel aufsetzen erforderten Feingefühl, und da ich dies damals nicht besaß, litten Platten und Nadel schon bald darunter. Das Vinyl war verkratzt und hatte eine Unzahl an verräterischen Fettfingerabdrücken auf seiner schwarzen Oberfläche. Die Nadel – den Saphir – konnte man wohl ersetzen, die Platte aber war durch unsachgemäße Behandlung aber auf Dauer beschädigt.
Sie knisterte nicht nur beim Abspielen, sondern produzierte ein lautes Knacken, wenn die Nadel über einen Kratzer fuhr. Schlimmstenfalls sprang die Nadel einfach ein ganzes Stück weiter. Es gab auch einen weiteren Feind der Platte: Staub nannte man ihn damals, und auch noch heute heißt er so!
Reinigte man seine Platten nicht penibel, oder ließ sie gar über Nacht mal auf dem Teller – weil man zu faul zum Einpacken oder wenigstens zum deckelschließen gewesen war - , zogen sie Staub an. Die Folge beim Abspielen war ein sehr starkes Rauschen. War die Staubschicht zu dick, rutschte die aufgesetzte Nadel elegant über die ganze Platte, und verursachte dadurch neue Kratzer. Dabei wäre die Pflege der Platten an sich so einfach gewesen: beim Anfassen nur an den Rändern berühren, vor dem vorsichtigen Aufsetzen der Nadel die Platte mit dem mitgelieferten Bürstenset kurz abwischen und nach dem Abspielen unter geschlossenem Deckel die Platte wieder sorgfältig in ihre Hülle zurückgeben. War uns – speziell mir - aber alles zu viel Arbeit, und ohnehin auch wurscht. Hauptsache, man konnte Musik hören. Ach ja, man konnte mit seinen Platten aber außer dem verstaubenlassen noch ganz andere witzige Dinge anstellen. Gerne setzten wir uns z. B. die leeren Hüllen wie eine Art Hut auf den Kopf. Meist machten wir das aber nur mit ausgeliehenen Platten, nicht mit den eigenen. Die Hüllen hatten nämlich die Eigenschaft, leicht einzureißen. Die Frage ist: war das aber wirklich witzig?
Zu den bereits erwähnten Beach Boys gesellten sich bald schon Alben der Bay City Rollers, sowie diverse K-Tel und Arcade-Veröffentlichungen im Stile der bereits erwähnten Kassetten-Kompilationen. Weiß der Teufel, was das alles für ein Zeug war. Favoriten waren ganz klar die Stars aus der Fernseh-Disco mit Ilja Richter, also Glam-Rock und Pop. Sweet, Smokie, Rubettes, Showaddywaddy und vieles mehr brachten uns die Sampler von der Mattscheibe ins Haus.
An einen dieser Sampler erinnere ich mich sogar heute noch gut. Es war K-Tel´s „Dynamite“. Mit 20 Original Hits. Vertreten waren Carl Douglas, Albert Hammond, Alvin Lee, George McCrae und vielen anderen.
Im Laufe der Zeit kam eine beachtliche Plattensammlung von ca. 10 Stück zusammen. Da man die natürlich bald durchgehört hatte, traf man sich nachmittags abermals zum wiederholten Male zum Überspielen.
Diesmal aber von Platte auf Kassette. Zu diesem Zweck brauchte man ein Überspielkabel, das man an Plattenspieler und Rekorder anschloss, um dann munter aufzunehmen vermochte. Für eine 30er Kassette allerdings waren Alben zu lange, für eine 60er hingegen waren sie zu kurz. Man musste also entweder Abstriche in Kauf nehmen, indem man auf einzelne Tracks verzichtete, oder man schmiss bei einer 60er Kassette noch einige Songs einer anderen Platte drauf. So war es kein Wunder, dass die Kassetten oft ein wüstes Durcheinander boten.
So weit, so gut. Irgendwann begab es sich, dass mit vorher erwähntes Beatles-Werk (genau, das blaue) auf einmal doch zu gefallen begann. Die Musik (ja, es war tatsächlich welche!) war ausdrucksstark, vielschichtig, abwechslungsreich und überraschend. Kein Wunder, dass bald schon ein frischer Wind beim Weißen Wilson in seinem Schrank herrschte. Die faden und leichenblassen Beach Boys liefen schon lange nicht mehr, sie wurden eines Tages in den Sommerferien im Freien verbrannt – zumindest versuchten wir dies. Mehr als eine stinkende schwarze Qualmwolke brachten wir aber nicht zustande.
Lediglich die Hülle ließ sich gut verfeuern. An Stelle der Boys traten dann erquickende Neuanschaffungen wie Cat Stevens, Kiss und Status Quo. Wobei letztere den Beach Boys sehr ähnelten: war der Stil auch ein ganz anderer, so klang ein Stück dieser Band genau wie ein jedes andere. K-Tel und Arcade kauften wir fortan nicht mehr. Was wir mit den alten Samplern machten, habe ich vergessen. Die Zeit verging.
1976 oder 1977 zeigte das Deutsche Fernsehen ganz spät abends eine Sendung, die wir uns mehr zufällig anschauten. Es war eine Art im Studio gedrehter Musikfilm mit einem wilden Sänger, der sich an einer Kette herumschwang und auch Flöte spielte! Aber auch die restlichen Musiker waren nicht minder bizarr: einer – der Tastenmann -war stark geschminkt und in Lederklamotten gekleidet. Ein anderer spielte im Morgenmantel Gitarre, und zwischen allen herumturnend und umherspringend immer wieder der verrückte Flötenspieler. Da machte es gleich zu Anfang „Klick“, und vergessen waren die Vorlieben von gestern. Ich hatte Rock entdeckt, Prog-Rock. Es handelte sich natürlich um „Too old to Rock n´Roll“, too young to die“ von Jethro Tull.
Viele Tägliche Mark mussten nun gespart werden, um sich einen ansehnlichen Grundstock an neuer, brauchbarer Musik anzueignen. Gottlob war man inzwischen wohl aus Mangel an Kreativität dazu übergegangen, uns zu Geburtstagen und zu Weihnachten nichts mehr zu kaufen, sondern uns Geld zu schenken, um selbst etwas dafür zu kaufen. Klar, dass wir das Geld hauptsächlich in Platten investierten. Und so bekam „Too old to Rock n´Roll, too young to die“ schon bald einen Platz zuhause, gefolgt von „Aqualung“ und „Minstrel in the Gallery“. Der Weiße Wilson freute sich, und wir auch.
Es blieb aber natürlich nicht lange nur bei Jethro Tull. Viele andere interessante Bands entdeckten wir beim Rumstöbern: Gentle Giant, Emerson, Lake & Palmer, The Nice, Uriah Heep, Black Sabbath, Pink Floyd und viele andere. Später kamen auch Van der Graaf Generator und King Crimson dazu. Und natürlich Frank Zappa, von dem ich ein langjähriger und großer Fan wurde, der ich inzwischen aber nicht mehr bin.
Wie Ian Andersons wollte ich mir dann auch die Haare wachsen lassen, was aber am Veto der Eltern scheiterte, die mich hartnäckig immer wieder zum Friseur schleiften und mit finanziellen Sanktionen drohten. Die Nachbarn sprachen schließlich schon über mich. „Mein Gott, wie das Kind aussieht, kaum wieder zu erkennen mit all den Haaren!“ So fügte ich mich also, und kaufte weiterhin brav aussehend und fleißig meine Platten ein.
Die ganze Vorliebe für Progressiven Rock hat mich eine Stange Geld gekostet. Eine sehr gute Einkaufsquelle seinerzeit waren Versandhändler wie etwa GOVI oder ZWEITAUSENDEINS, die regelmäßig Kataloge (bei Zweitausendeins hießen und heißen die „Merkheft“) an Kunden verschickten (heutzutage macht man das online). Die Plattensammlung wuchs und wuchs, nur der Weiße Wilson blieb unverändert. Den hatte ich noch viele Jahre.
Eine anständige Stereoanlage habe ich mir erst in den Achtzigern zugelegt. Der Weiße Wilson wurde irgendwann durch einen Bruns Türkis ersetzt, einem nahezu unverwüstlichen Gerät in einem Echtholzkasten, den man außer als Plattenspieler auch noch als Verstärker für externe Geräte verwenden konnte. Und der hatte im Gegensatz zum Weißen Wilson nicht nur zwei Geschwindigkeiten zur Auswahl, sondern gleich drei. Die 33RPM waren den Alben vorbehalten, die 45 den Singles und Maxis. Der Bruns konnte aber auch noch auf 78 Umdrehungen gehen, das war für die sehr alten Platten gedacht. Die Butthole Surfers nutzten Jahre später auf ihren ersten Alben die verschiedenen Umdrehungseigenschaften und produzierten Tracks, die beliebig abgespielt werden konnten. Das ging so: der Basictrack beispielsweise wurde aufgenommen, dass er auf 33 RPM abgespielt werden sollte, um einen normalen Klang zu bekommen. Gitarre und Vocals allerdings wurden auf 45 RPM getrimmt. Man konnte sich das fertige Stück also jeweils auf beiden Geschwindigkeiten anhören, und bekam in beiden Fällen jeweils einen anderen, schrägen Sound.
Zum Türkisen Bruns gesellten sich dann bald ein richtiger Verstärker und ein Tape-Deck. Überspielt habe ich für mich selbst aber nichts mehr, vielmehr nutzten Freunde und Bekannte diese Möglichkeiten, die sich etwas aufnehmen wollten. Ich selbst wollte die Platten lieber selbst besitzen und hütete sie wie einen Schatz.
Mein Musikgeschmack änderte und erweiterte sich natürlich im Laufe der Zeit. Zum Prog kamen nach und nach noch ganz schräge Sachen hinzu, wie The Residents, Ron Geesin, Faust, Pere Ubu, und ähnliches. Sehr zum Verdruss meiner damaligen Freundin (Lebensgefährtin würde man heute dazu sagen). „das kann einem doch nicht gefallen. Du kaufst das doch nur, um mich zu ärgern!“ Was konnte man gegen so viel weibliche Logik schon ausrichten?
In den Achtzigern entdeckte ich die New Wave, konnte aber nicht so recht warm damit werden, genauso wie einige Jahre zuvor mit dem Punk. Eine Ausnahme bildete lediglich die Band The Au Pairs, die leider nur zwei Alben veröffentlichten und dann wieder verschwanden.
Meine Haare waren inzwischen erfolgreich gewachsen, und mein Kleidungsstil hatte sich ganz im Gegensatz zu meinem Musikgeschmack der Zeit angepasst. Gestreifte Hosen waren mega-angesagt und auch von mir getragen.
Die Vinylsammlung war inzwischen schon beachtlich angeschwollen, als dann unvermutet ein ganz neuer und in meinen Augen bald wieder von der Bildfläche verschwindender Tonträger auf den Markt kam: Die Compact Disc, kurz CD genannt.
Über die CD selbst braucht man keine Worte und keine Fußnote mehr zu verlieren. Nur so viel: Sie war sauteuer und in meinen Augen häßlich, und ich gab ihr keine Chance.
Im Gegensatz zu den von mir innig geliebten Platten war die CD sehr klein, und zudem in eine schäbigen Plastikbox eingepackt. Nichts ansehnliches also für jemanden, der die schicken, großformatigen Alben liebte, die für kreative Geister nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für verpackungstechnischen Schickschnack boten. So war das Album z. B. Thick as a Brick wie eine Zeitung aufgemacht, das Klappcover von Stand up war innen mit einer Gruppe von Stehaufmännchen garniert, Look at yourself hatte eine spiegelnde Folie auf dem Cover, bei Brain Salad Surgery ließ sich das Cover wie ein Türchen aufklappen – unter dem Giger-Totenschädel kam ein unheimliches Frauenantlitz zum Vorschein -, Dark Side of the Moon waren Poster und Karten beigelegt, Wish you were here war zusätzlich in eine schicke, schwarze Plastikfolie verpackt, und so weiter. Lauter feine Sachen also. Die CD konnte da nicht mithalten.
Auch die Platten selbst wurden zum Kunstobjekt: so gab es Vinyl in den verschiedensten Farben, von einfarbig über marmoriert bis zu den Picture-Discs. Auch die Form konnte variieren. Das waren die shaped-Discs. Roxanne von The Police war z. B. in polizeisternförmiges Vinyl gepresst.
Zum Hörgenuß kam so also noch ein extra Augenschmaus hinzu.
Die CD bot das nicht, konnte das gar nicht bieten. Die stand nur einfach plastikfarben da und beherbergte einen einfachen Silberling in ihrem Inneren. Ein Abspielgerät musste man sich ja auch noch extra kaufen, und so boykottierte ich dieses Medium einige Jahre und kaufte weiter meine Platten. Ich lag mit meiner Meinung, die CD würde sich nicht durchsetzen aber grundlegend falsch. Schon bald nämlich trat sie dann doch ihren Siegeszug an und verdrängte das Vinyl langsam, aber unaufhaltsam. Musikfreunde wussten schon bald den sauberen und glasklaren Sound der Silberlinge zu schätzen, mal ganz abgesehen von ihrer Unverwüstlichkeit. Unsachgemäßer Umgang mit ihnen, sowie Staub oder Kratzer konnten ihnen im Gegensatz zum Vinyl nichts anhaben. Außerdem war die Musikindustrie auch sehr raffiniert, und so fanden sich auf den CD´s schon bald Kaufanreize in Gestalt zusätzlicher Tracks. Aufnahmen also, die auf den Original-Alben nicht enthalten waren. Bonus-Tracks hießen die damals, und man nennt sie auch heute noch so.
Es wurde langsam immer schwieriger, die CD zu ignorieren. Zumal auch die Preise für die Silberlinge und auch die Abspielgeräte sanken. Schon bald war es dann auch soweit, dass neue Alben nur noch auf CD erschienen, und gar nicht mehr auf Vinyl. Die Kassette war schon längst ins Reich des ewigen Bandsalats eingegangen, und nun lag auch das gute, alte Vinyl in seinen letzten Zügen.
Inzwischen hatte sich auch das Äußere der CD ein wenig zu wandeln begonnen. Es gab auch Veröffentlichungen in Covern, die denen der alten platten nicht unähnlich waren: Das Digipak war geboren! Auch waren die Discs nicht mehr einfach nur silbern-fad, sie waren jetzt auch oft bunt bedruckt. Die Jewel-Cases gab es mit farbigen oder transparenten Trays, und die simplen Einlegeblätter gehörten der Vergangenheit an. Die CD´s hatten nun meist ein kleines Booklet.
Mehrfach CD´s waren in schicken Boxen, z.B. 20 years of Jethro Tull im Schallplattenformat mit 4 CD´s, The great Deceiver von King Crimson in rechteckiger Box, etc. Die CD war sammelwürdig geworden. Auch für mich. Da ich nun schon lange nicht mehr von der Täglichen Mark abhängig war, konnte ich es mir leisten, in das Medium CD zu investieren. Ein Player wurde gekauft, und schon folgten die ersten Scheiben. Meist handelte es sich dabei um Only-CD-Releases, wie beispielsweise der You can´t do that on Stage anymore-Reihe von Frank Zappa.
Aber auch Silberlinge von Alben, die ich bereits auf Vinyl besaß, folgten. So kam es, dass ich im Laufe der Zeit vieles doppelt besaß, was allmählich zu einem Platzproblem wurde. Mein Musikgeschmack durchlief im Laufe der Zeit viele Wandlungen. Prog hörte ich bald gar nicht mehr, da ich Gefallen an elektronischer Musik und Gothic entdeckte. Zu meinen Favoriten zählten unter anderem Front 242, die harten, belgischen EBM spielten, sowie Alien Sex Fiend, eine kuriose Truppe aus England, die sich durch bizarre Bühnenshows hervorhob. Über EBM kam ich zu Techno, dann schließlich zu Downtempo, Trip Hop und Drum n´Bass. Gekauft wurde meist via Katalog, wie schon in den Siebzigern. Mein favorisierter Händler hieß diesmal aber MALIBU. Gibt´s inzwischen leider auch nicht mehr.
Rock lief gar nicht mehr bei mir daheim, war gar verpönt! Rock? Igitt, sowas hört man doch nicht. AOR war sogar strikt verboten. Das Einzige, das ich an Rock noch durchgehen ließ waren Danzig oder Kyuss. Aber das war´s dann auch schon. Das Sammeln von Tonträgern wurde langsam zu einem Platzproblem, da ich nebenbei auch noch Heftromane und Modellbausätze sammelte. Aber um die geht es hier nicht.
Meine Wohnung glich immer mehr einem Warenlager, obwohl ich alles penibel genau aufbewahrte. Zu Beginn des Millenniums entdeckte ich das Internet (ich weiß, ich bin ein Spätzünder) und die Möglichkeit des bequemen Ein- und auch Verkaufs. Meine Plattensammlung wanderte also nach und nach in die Bucht, wo sich damals noch beachtliche Summen damit erzielen ließ. Es waren ja auch genügend Raritäten und Schmankerl dabei, auch Bootlegs und Counterfeits.
Mit dem umgesetzten Geld kaufte ich natürlich CD´s. Und nebenbei auch noch alle deutschen Marvel-Comics. So war der gewonnene Platz auch schon bald wieder gefüllt. „Bei Dir sieht´s ja immer noch so aus, ich dachte, Du hättest eine Menge Zeug verkauft?“ bekam ich des öfteren zu hören. Ging ja keinen etwas an, war ja schließlich meine Sache, oder? Comics und Modellbausätze wurden inzwischen auch in der Bucht umgesetzt. Fast ausnahmslos.
Downtempo und Konsorten begeisterten mich auch nicht sehr lange und anhaltend, so dass sich meinen Geschmack erneut neu einpegelte. Über Industrial und Neo-Folk mit Bands wie Negativland, Nurse with Wound, Current 93 und ähnlich obskures zeug landete ich bei… Metal. Jawohl, endlich begann auch ich Metal zu hören. Allerdings nicht den herkömmlichen Bands wie AC/DC oder Iron Maiden, sondern New Metal und natürlich Progressive Metal. Wen wundert´s! Später kamen dann noch Pagan Metal und Viking Metal hinzu. Meine Lieblingsbands aus diesen Genres waren und sind: Tool, Riverside, Arkona, Amon Amarth und andere.
Ach ja, auch den Progressive Rock habe ich wiederentdeckt. Inzwischen gibt es meine ehemals - und auch erneut – geliebten Klassiker in sehr schönen Deluxe-Editionen, sehr oft auch in 5.1. Abmischungen, die ich mir über mein Surround-System genüßlich anhören kann. Hier stechen vor allem die Releases von Jethro Tull und King Crimson mit ihren Anniversary-Editions (bei Jethro Tull sind diese in edlen Media-Books untergebracht) hervor.
Was das jetzt alles mit dem Zauberspiegel zu tun hat? Oh, eine Menge. Gibt es hier ja eine eigene Rubrik zu diesem Thema, in der sich leider nur wenig Beiträge finden. Und das soll nun ein Ende haben. Denn ab heute wird sich diese Rubrik ein wenig füllen und ihr Schattendasein beenden.
In meiner neuen Serie werde ich zuerst in regelmäßigen Abständen, später dann in loser Folge über Musik berichten und – in meinen Augen – bemerkenswerte Bands und ihre Veröffentlichungen vorstellen und besprechen. Garniert mit Hintergrundinfos und Bildern, aber leider ohne Hörbeispiele. Urheberrecht, man versteht. Ich versuche auch, einen gewissen Bezug zu den im Zauberspiegel behandelten Themen herzustellen, was aber nicht der Rote Faden sein wird.
Die besprochenen „Platten – nennen wir es einfach mal so – kommen aus ganz unterschiedlichen Stilrichtungen, ihnen ist aber gemeinsam, dass sie mich stark beeindruckt, oft beeinflusst und manchmal auch ein wenig verstört haben. Mainstream wird man vergeblich suchen, meist mache ich da einen sehr großen Bogen drumherum.
Also Freunde, haltet Augen und Ohren offen, wenn ich nächstes Mal meine Ramsch – Verzeihung – Plattenkiste öffne und ein wenig plaudere. Es geht los mit einer Band, die heutzutage kaum noch einer kennt, und die den Namen eines sehr berühmten Verfassers von Schauerliteratur trägt.
- The Residents: The third Reich n' Roll
- After all - After all
- Cressida - Asylum
- Gravy Train - Staircase to the Day
- Black Sabbath - Never say die!
- Iron Butterfly - In-a-gadda-da-vida
- Dalbello - Whomanfoursays
- Divine Horsemen - Snake Handler
- Halloween - Original Soundtrack
- Gun - Gun
- Farm - Farm
- Third Ear Band - Music from Macbeth
- Patrick Woodroffe & David Greenslade - The Pentateuch of the Cosmogony
- Ken Hensley - Proud Words on a dusty Shelf
- Renaldo and the Loaf - The Elbow is taboo
- Samurai - Samurai
- Cat Stevens - Izitso
- Tuxedomoon - Desire
- The Luv'd Ones - Truth gotta stand
- Paladin - Charge
Kommentare
Zitat: bei spotify quatscht bei mir auch immer einer dazwischen...
"Music was my first love, and it will be my last"
damit hat er mir aus der Seele gesprochen.