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Ringo´s Plattenkiste - The Stranglers; Black and White

Ringo´s Plattenkiste The Stranglers: Black and White

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Ringo´s Plattenkiste1974. Prog war noch nicht tot, roch aber bereits etwas streng…

Auch im altehrwürdigen Städtchen Guildford schrieb man das Jahr 1974, auch in Guildford wehte ein neuer Wind. In dieser Zeit formierte sich im beschaulichen englischen Guildford eine brandneue Band, die auch heute noch – wenngleich auch die Besetzung sich geändert hat – existiert. Guildford ist eine altehrwürdige Stadt, die schon knappe 1000 Jahren auf dem Buckel hat und im Südosten Großbritanniens liegt. Guildford ist nicht Badgers Drfift und kann auf so berühmte Söhne wie Genesis` Mike Rutherford, Queen`s Roger Taylor und auch Lewis Carroll oder einen David Hemmings zurückblicken, genauso wie auch auf die heutige Band, die der Stadt ihren ursprünglichen Namen verdankt: Die Guildford Stranglers – Die Guildford-Würger. Was wie der reisserische Titel eines Dr. Morton-Romans klingt, war der Beginn einer ganz großen Karriere. Die Würger wurden von vier Musikern gegründet, die aber interessabterweise allesamt nicht aus Guildford stammten.

Ringo´s PlattenkisteHugh Cornwell, Jean-Jacques Burnel und Bian Duffy stammten aus London, Keyboarder Hans Wärmling war gar ein kontinentaler Ausländer: er kam aus Schweden. Drehen wir das Rad der  Garotte – Verzeihung - Geschichte aber noch ein wenig mehr zurück, genauer gesagt bis zum Jahre 1972. Gitarrist und Sänger Hugh Cornwell lernte in diesem Jahr einen jungen Musiker namens Hans Wärmling während eines Auslandsaufenhalts in Lund kennen. Cornwell, der kurze Zeit mit Richard Thompson (Fairport Convention) zusammen spielte,  hielt sich während eines Biochemie-Studiums in Schweden auf und freundete sich bald mit dem Hobbymusiker und professionellen Krankenpfleger Wärmling an. Dieser bat den Briten, ob er nicht zu seinen eigenen Songs singen wollte, auf Englisch natürlich. Angeblich hatte Hans bereits stolze 500 Tracks geschrieben und auch aufgenommen. Wärmling spielte in den Sechzigern in einer Garage- & Beatgroup namens Jackie Fountains mit, die immerhin zwei Singles veröffentlichten.  Cornwell zeigte Interesse und so entstand die Band Johnny Sox, in der Wärmling mit anderen schwedischen Musikern spielte. Cornwell sang dazu, auf englisch, wie gewünscht.

Live spielte die Band in lokalen Clubs und Kneipen. Aber recht viel mehr war auch nicht drin.  Nachdem Cornwell wieder nach England zurückkehrte(vermutlich mochte er keinen Surströmming) wurden mit den eingangs erwähnten britischen Musikern die Guildford Stranglers geründet. Den Schweden Wärmling hielt es aber nicht in England (vermutlich mochte er keine Steak-and-Kidney-Pie), und so kehrte er schon sehr bald in seine Heimat zurück. 1995 verstarb er überraschend bei einem Bootsunglück. Wärmling hinterließ aber seine Spuren nachhaltig in der Geschichte der Würger. Für den 1982er Top-Ten-Hit „Strange little Girl“ wird er nämlich als Co-Autor genannt.

Die Band machte munter weiter, und bald schon verschwand die Ortsangabe Guildford aus dem Namen, und die Drei verbliebenen  Nicht-Guildforder hießen fortan kurz und bündig „The Stranglers“. Bald aber stieß als vierter Mann Dave Greenfield dazu, der den ausgeschiedenen Schweden ersetzte. Greenfield arbeitete zuvor unter anderem als Klavierstimmer. Zeitweise lebte er auch in Deutschland, wo er in verschiedenen Bands spielte. Die Formation war komplett. Sehen wir uns kurz die restlichen, bereits erwähnten Würger mal ein wenig an.

Jean-Jacques Burnel, Sohn französischer Einwanderer, war ein klassisch geschulter Gitarrist, der bei den Stranglers den Bass bediente und stets grimmig dreinschaute. Man mag es kaum glauben, aber Burnel spielte vor den Stranglers tatsächlich in klassischen Orchestern mit.

Am Schlagzeug saß der damals bereits über 30-jährige überaus erfolgreiche Geschäftsmann Brian Duffy, besser bekannt unter seinem Pseudonym Jet Black. Duffy besaß neben einer Kette von rollenden Eiskrem-Ständen auch eine Art Schnapsladen, der bald zum Hauptquartier der Stranglers wurde. In seiner Freizeit spielte der Geschäftsmann gerne Jazz-Schlagzeug. Zu den Stranglers stieß er – wie auch Greenfield - über eine Annonce im Melody-Maker. So kann das Leben spielen. Vom Eiskremverkäufer und Schnapsladen-Besitzer zum Drummer einer Punk-Band! Duffy versuchte sich auch ein wenig im Verfassen von Songtexten, was aber bei den restlichen Musikern wenig Anklang fand.

Man ahnt bereits, dass es sich dabei unseren Würgern um eine durchaus interessante Band handelt, die man nicht unterschätzen sollte. Zuerst aber waren sie aber nur eine der vielen Pub-Bands, aber bald schon kristallisierte sich ihre Eigenständigkeit heraus. Die Stranglers spielten nur eigene Songs. Ihre Musik glich dem damals angesagten Punk, ohne dass sie selbst jedoch auch Punks waren. Tempo und Schlichtheit der Songs, wie auch deren Aggressivität waren zwar durchaus Punk-orientiert, aber die Instrumentierung und vor allem das Aussehen der Musiker trennte sie davon. Burnel und Cornwell gingen optisch noch als Punks durch, vor allem auch wegen ihres zornigen Auftretens. Greenfield und Black hingegen unterschieden sich meilenweit von ihnen: Greenfield hatte lange Haare und einen deftigen Schnauzer, Black war alt und trug gar einen Vollbart. Auch die Orgel war völlig untypisch für Punk. Greenfields Einflüsse lagen mehr im Psychedelic-Bereich und seine Spielweise erinnert häufig an Ray Manzarek von den Doors. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Doors-Song „Hyacinth House“ vom 71er-Album „L.A. Woman“. Greenfield gab als musikalische Vorbilder gerne Eick Wakeman von Yes an. Die machten ja auch keinen Punk, glaube ich.

Auch ihr Alter unterschied sie von den Punks. Cornwell und Greenfield waren schon(!) Mitte Zwanzig, Jet Black bereits über Dreißig. Dennoch pöbelten und rotzten sie musikalisch und textlich genauso unverschämt wie ihre teils deutlich jüngeren Kollegen. Ihren Status als stets zu Provokation bereiten Underdogs untermauerten sie mit Statements wie z.B.

"Wir glauben an das Gesetz des Dschungels, sonst wird man wie die Schweden"
"Frauen sind Objekte männlicher Lust, die nur einen guten Orgasmus brauchen"
"Frauenbewegung ist okay, ich mag es immer, wenn sich eine Frau unter mir bewegt".

Vermutlich spielte hier auch das gehobene Alter der Musiker eine gewisse Rolle, als sich die Stranglers zu solchen Aussagen hinreißen ließen. Schließlich wollten sie ja Punks sein, auf gar keinen Fall als Boring old Farts (Ringo berichtete)!

Durch ihre Auftritte und ihren unverkennbaren und ganz eigenen Stil erregten sie bald Aufsehen und avancierten schnell zu Underground-Größen, und so wurde auch die Musikindustrie auf sie aufmerksam. Die Stranglers ergatterten einen Plattenvertrag. Der Erfolg gab ihnen recht.

Ringo´s PlattenkisteUnter der Regie von Martin Rushent gingen sie ins Studio um ihr Debutalbum aufzunehmen, das 1977 als „Rattus Norvegicus“ erschien und sich rasch in den vorderen Plätzen der Charts etablieren konnte. Rushent war ein erfahrener Toningenieur, der schon für T- Rex, Gentle Giant, Fleetwood Mac und auch Yes gearbeitet hatte. Witzigerweise war auf dem Cover der Platte „Stranglers IV“ zu lesen, der offizielle Titel war auf der Rückseite abgedruckt. Die ausgekoppelten Singles waren ebenfalls erfolgreich. Während „(Get a) Grip (On Yourself)" es aber nur auf Platz 44 der Brit-Charts brachte, landete „Peaches“ auf Platz 8.

Ringo´s Plattenkiste5 Monate später erschien dann bereits das zweite, ebenfalls von Rushent produzierte  Album der Band: „No more Heroes“, das sie endgültig im Rockzirkus etablierte. Ein interessantes Detail am Rande: die Messingplakette im Zentrum des Blumenkranzes auf dem Cover hat ein alter Bekannter von uns entworfen und graviert. Nein, es war nicht Morlock  Broughton, auch nicht der rülpsende und furzende Ron Geesin. Es war Steven Stapleton von … Nurse with Wound!

Ringo´s PlattenkisteUnerheblich. Album und Singles verkauften sich famos. Der Titelsong avancierte schon bald zu einer Art Schlachtruf. Die Stranglers schwappten bald auch nach Deutschland, wo young Ringo sie irgendwann mal im Fernsehen bewundern konnte. Die Musikszene war anno dazumal bereits gespalten und in einem Umwälzungsprozess begriffen. Die alten Bombast-Bands wurden zunehmend abgelehnt ob ihrer Attitüden und Großspurigkeit, die Disco-Szene war ohnehin oberflächlich und massentauglich ohne jeden Anspruch: Tanzen, Tanzen, Tanzen war deren Devise. Der Punk machte mit alledem radikal Schluß und reduzierte alles auf ein Minimum. Drei Akkorde genügten meist, um wütende Botschaften und Parolen ins Publikum zu schleudern. Punk war aber schon bald ebenfalls nur noch ein Trend, vor allem ein geldversprechender. Im Zuge dieser Welle schwammen auch viele Bands, die entweder gar keinen Punk spielten (z.B. Foreigner) oder eben Combos wie die Stranglers, die nur oberflächlich diesem Genre zuzuordnen waren. Sie waren es aber – neben den Sex Pistols -, die den Punk salonfähig machten und ins heimische Wohnzimmer transportierten. 8 Monate später erschien dann schon das dritte Album der Stranglers, das auch das heutige Thema des heutigen Artikels ist: „Black and White“.

Aufgenommen wurde es im Februar 1978 abermals in den T.W. Studios im Londoner Fulham. Produzent war wie gewohnt,  Martin Rushent. Das T.W. Studio war zuvor Stammplatz von Mike Oldfield und seinem Freund David Bedford. Unter anderem entstanden dort Aufnahmen für Oldfields „Boxed“. Danach war es das Lieblingsstudio der Stranglers, denen weitere neue Acts wie z.B. Madness, Buzzcocks und Generation X folgten. Das Studio war auch mit 4,50£ günstig zu haben.

Ringo´s PlattenkisteDie Besetzung sah aus wie folgt:
Hugh Cornwell – guitar, lead and backing vocals
Jean-Jacques Burnel – bass guitar, lead and backing vocals
Dave Greenfield – keyboards, lead and backing vocals
Jet Black – drums, percussion

Die vier Musiker wurden auf einzelnen Track unterstützt von:

Lora Logic, mit bürgerlichem Namen Susan Carena Whitby, war die Mitbegründerin der X-Ray-Spex. In den Achtzigern spielte sie auch in der Avantgarde-Band Red Crayola mit. Auf „Hey!“ ist sie am Saxophon zu hören.

George Melly war ein spleeniger Jazz & Blues Sänger und singt „Old Codger“.

Lew Lewis spielt auf „Old Codger“ Mundharmonika. Lewis war Mitbegründer der Punk-Band Eddie and the Hot Rods. Die Band hatte 1977 einen Hit mit dem Song „Do anything you wanna do“. Da war Lewis aber schon nicht mehr dabei. In Ilja Richter´s Disco wurde die Combo übrigens auch als Punkband angekündigt, genauso wie in der BRAVO, der Bildzeitung der Teens in den Siebzigern und Achtzigern. Damals war alles, was neu auf den Markt kam, Punk.

Das fertige Album erschien im April 1978 in sehr schlichter und minimalistischer, aber dennoch ästhetischer Aufmachung. Der Titel war Programm: alles war in Schwarz-Weiss gehalten, sogar die beiden Plattenseiten waren dementsprechend betitelt. So gab es eine White Side und eine Black Side.

Ringo´s PlattenkisteBlack and White sollte das bisher erfolgreichste Album der Band werden, es kletterte im Nu auf Platz 2 der britischen Charts und tummelte sich insgesamt 18 Wochen am Stück in den Top 100.

Ringo´s PlattenkisteDen ersten 75.000 (!) Pressungen des Albums lag eine Gratissingle in edlem, weissen Vinyl bei, die 3 Titel – heute würde man das als Bonustracks bezeichnen -enthielt:
•    Walk On By
•    Mean To Me     
•    Tits

Begleitend wurde „Nice N´Sleazy“ als Single ausgekoppelt, die immerhin Platz 18 der britischen Charts belegen konnte.

Die Tracklist des Albums sah aus wie folgt:
Seite 1 (White Side):
•    Tank
•    Nice 'n' Sleazy
•    Outside Tokyo
•    Sweden (All Quiet on the Eastern Front)
•    Hey! (Rise of the Robots)
•    Toiler on the Sea

Seite 2 (Black Side):
•    Curfew
•    Threatened
•    Do You Wanna
•    Death and Night and Blood (Yukio)
•    In the Shadow
•    Enough Time

Alle Songs waren – wie üblich – als Gemeinschafts-kompositionen angegeben. Lediglich  „Walk on by“ stammte nicht von den Stranglers, sondern war eine Coverversion eines Burt-Bacharach-Songs.

Ringo´s PlattenkisteDie Lyrics sowie die Credits zum Album  befanden sich auf den ebenfalls Schwarz-Weissen Inlays.

Da mir nichts Besseres einfällt, sehen wir uns die Songs mal genauer an, hey!

Die weisse Seite wird mit Tank eröffnet, einem schnellen und überaus aggressiven Track. Cornwell besingt seinen Wunsch, einen Panzer zu besitzen, mit dem er Hulk-mäßig alles plattmacht, ohne Rücksicht auf Herkunft, Hautfarbe, Religion, sexueller Orientierung, Ernährungsgewohnheiten (inkl. dem Verspeisen von Surströmming), Musikgeschmack und wasweissichnochalles zu nehmen. Über den rotzigen Punk-Riffs blubbern und zwitschern Greenfields Keyboards die Tonleiter rauf und runter. Ganz nett, aber nichts aufregendes. Stranglers smash!

Mit Nice 'n' Sleazy folgt einer der bekanntesten Songs der Stranglers überhaupt. Hart, rhythmisch mit abgehackt dargebotenem (es Singen zu nennen, wäre euphemistisch) Text. Die Melodie wird hauptsächlich vom flatulenzartigen Bass getragen, dazu zwitschert und säuselt dezent der Synthesizer. Die Gitarre setzt lediglich rhythmische Akzente. Im Mittelteil gibt es dann gar noch ein wildes Keyboard-Solo. Greenfield tobt sich hier für einige Sekunden völlig abgedreht an seinem Mini-Moog aus, dreht und vergewaltigt alle nur vorhandenen Regler des sauteuren Instruments. Für Punk eigentlich ein absolutes No-Go. Der Text ist kryptisch und schwer zugänglich. Berichtet wird von einer Schar Menschen, die über die Westsee, nicht etwa die Nord-, Ost- oder Südsee,  irgendwohin fahren. In meiner Interpretation vermutlich nach Amerika. Ein Song womöglich über die Pilgerväter? Eingestreut sind verstörende, typisch männliche Lustphantasien. Insgesamt ein recht schmuddeliger Song, was aber bei dem Titel nicht verwundert. Der als Single ausgekoppelte Track erreichte Platz 18 der UK-Charts. Aber er erregte (im wahrsten Sinne des Wortes) auch auf ganz andere Art und Weise Aufsehen.

Ringo´s PlattenkisteWährend eines Auftritts am 16. September 1978 betrat eine von den Stranglers angeheuerte Truppe professioneller Stripperinnen die Bühne und begann sich auszuziehen. Völlig davon mitgerissen, begannen sich einige Jungs im Publikum ebenfalls die Kleider vom Leib zu reisen, manche zogen sich gar völlig aus. Es kam natürlich zu einem Tumult, und schon bald schritt die Polizei ein. So etwas mochten die Stranglers natürlich. 2004 wurde im britischen Morecambe ein nach dem Song benanntes alljährliches Punk-festival ins Leben gerufen.

Der nächste Song, Outside Tokyo, ist ein ruhiger Track im ¾ Takt. Fast schon ein Walzer, der ein wenig an das zwei Jahre später erscheinende Album The Men in Black erinnert. Die Melodie wird wieder vom Burnels wummernden Bass transportiert, begleitet von sparsamen Keyboards.

Sweden, der nächste Song, wäre ein lupenreiner Punk-Song, wenn da nicht Greenfields jubilierende Orgel wäre. Cornwell singt ironisch-sarkastisch über Schweden, in dem er ja – wie wir wissen – einige Zeit gelebt hat. „Too much time, too little to do“ lästert er im Refrain. Unbestätigten Gerüchten zufolge zeigte sich Greta Thunberg davon sehr inspiriert… Von diesem Stück gibt es sogar eine auf Schwedisch gesungene Version mit dem Titel „Sverige“.

Ringo´s PlattenkisteDer nächste Song, Hey! (Rise of the Robots) ist eine düstere Zukunftsvision, wie Roboter den Menschen weitgehend ersetzen und verdrängen. Musikalisch ist es ein avantgardistisch angehauchter Punk-Song, bei dem Lora Logics Saxophon unaufdringlich im Background trötet. Der Gesang ist melodiös-mehrstimmig. Der in der Schlußstrophe erwähnte Versatran Series F ist übrigens ein tatsächlich existierender Industrieroboter der in den Fünfzigern entwickelt wurde.

Ringo´s PlattenkistePlattenseite 1 schließt mit Toiler on the Sea, einem erneut mehrdeutigem Song. Die Toiler (auf deutsch zu übersetzen mit Schwerarbeiter) war ein Dieselschiff, das 1911 in Großbritannien vom Stapel lief. Toiler on the Sea war aber offenbar eine Art geflügeltes Wort. So gibt es mehrere Bilder von zum Teil namhaften Künstlern mit ähnlichem Titel. Das bekannteste dürfte wohl von Edouard Manet stammen, einem französischen Impressionisten. Bei den Stranglers liefert der Begriff die Vorlage zu  einem schnellen und harten Rocksong. Wie immer dominiert Burnels tiefer, tiefer Bass, begleitet von Greenfields tänzelnden Keyboards. Nach knapp 2 Minuten erst setzt Cornwells Gesang ein und erzählt von seinem beschwerlichen Leben auf einem Frauenschiff. Synonym dürfte der Text wohl das scheinbar immer und überall beschwerliche Nebeneinander von Mann und Frau beschreiben.

Seite 2 beginnt mit Curfew, Ausgangssperre. Ein Song, der abermals eine düstere und hoffnungslose Zukunft beschreibt. Ein nicht näher beschriebener Feind hat die westliche Welt besetzt, alle Bastionen sind gefallen. Die Zeile „Deutschland konnte seine Grenzen nicht schützen, es  war durch den amerikanischen Traum weich geworden.“ Beschreibt sehr gut, um was es den Stranglers geht: Verfall und Dekadenz erst haben den Sieg des ominösen Feindes erst ermöglicht. Auch Tony Wakeford sollte später ähnliche Themen auf seinem Album „The death of the West“ besingen (Ringo wird berichten). In den Lyrics dieses Songs findet sich auch der Albumtitel wieder: Black and White becomes…

Weiter wird aber nicht darauf eingegangen.

Der nächste Song, Threatened, handelt ebenfalls von Bedrohung und der daraus resultierenden Anfälligkeit für leere Versprechungen.

Do you wanna ist ein sperriger und recht avantgardistischer Song, aber nichts desto trotz very aggressiv. Der Hörer muss sich allerhand provokative Fragen gefallen lassen. Frei nach dem Motto: „Wer fragt, sagt nichts falsches“.

Ringo´s PlattenkisteWeiter geht es mit Death and Night and Blood (Yukio). Der Song ist dem japanischen Schriftsteller Mishima Yukio gewidmet, dessen Roman Kamen no Kokuhaku der Titel des Songs entnommen ist. Yukio war deutlich rechtsorientiert und nationalistisch eingestellt. Mit einer privaten Miliz versuchte er 1970 einen Putsch, der allerdings scheiterte. Yukio beging daraufhin rituellen Selbstmord auf Seppuku-Art (grauenhaft).

Death and Night and Blood ist ein starker und eingängiger Punk-Song mit wütend gebrülltem Refrain.

Der nächste Song ist ein alter Bekannter. In the Shadows fand sich ein Jahr vorher bereits als B-Side der Single No more Heroes. Der Text handelt von dem, was einem bei einem nächtlichen Spaziergang durch die Stadt alles begegnen kann. Letzten Endes handelt er einfach nur von Angst.

Enough Time beschließt das Album mit einem abermals düsteren Song, der die Frage stellt, ob man im Leben wirklich genug Zeit hat. Was, wenn der Himmel schwarz wird? Was, wenn dein Gesicht auseinanderfällt? Was, wenn Greta Thunberg aus ihrer Lethargie sich erhebt?

Fragen, abermals Fragen. Mehr bieten uns die Stranglers nicht, die Antworten bleiben sie uns schuldig.

Wo aber wirkten nun aber die erwähnten Herren Melly und Lewis eigentlich mit? Nicht auf dem Album, sondern auf der ebenfalls 1978 erschienenen Single „Walk on by“, und zwar auf dem Song „Old Codger“.

Black and White war, wie sein Vorgänger, überaus erfolgreich. Auch in Berchtesgaden. Abermals wurde ein zweiter Platz erreicht  und 18 Wochen Chart-Aufenthalt. Die Verkaufszahlen brachten dem Album Goldstatus ein. Im Dezember des gleichen Jahres begab sich Cornwell übrigens ins Studio, um sein erstes Soloalbum zusammen mit dem Captain-Beefheart-Drummer Robert A. Williams aufzunehmen: Nosferatu. Auf dieser Platte wirkten neben Ex-Zappa-Musiker Ian Underwood und dem späteren Devo-Mastermind Mark Mothersbaugh auch Ian Dury mit. An den Reglern saß Joe Chiccarelli, der kurze Zeit später mit Sheik Yerbouti zur Zappa-Crew stoßen sollte (Ringo berichtete).

Ein Jahr später folgte dann der Stranglers-Nachfolger,  „The Raven“, der sich aber deutlich von den bisherigen Platten unterschied und einen neuen Trend aufzeigte: die Punktöne wurden weniger und leiser, die Melodien und Songs hingegen poppiger. Auch die Instrumentalpassagen wurden ausgedehnter. Der begonnene Trend zu mehr Ruhe und Melodie setzte sich weiter fort und brachte solche Perlen wie „Golden Brown“ und „Strange little Girl“ hervor. Einen Höhepunkt hatte die Band noch 1984 mit „Aural Sculpture“, danach aber kam lange Zeit nichts mehr Hörenswertes. Sänger und Frontmann Cornwell stieg 1990 aus. Für ihn kamen der unsympathische Sänger Paul Roberts und der strange Gitarrist John Ellis. Den kennen wir schon. Das ist der Gitarrist von Peter Hammill´s K-Group. Der, der immer aussah, als ob er sich angeschissen hätte (Ringo berichtete). Ellis blieb bis 1998 und wurde durch Baz Warne ersetzt, Roberts schied 2005 aus. Seitdem singt Warne auch. Das letzte Studioalbum erschien 2012 unter dem Titel „Giants“.

Ringo´s PlattenkisteWas wurde aus den Musikern?
Hugh Cornwell veröffentlichte nach den Stranglers eine Reihe von Soloalben, die aber allesamt wenig Beachtung fanden.

Jean-Jacques Burnel zupft immer noch bei den Stranglers den Bass und  brachte einige Soloalben heraus.

Dave Greenfield blieb wie Burnel bei den Stranglers. Im Mai 2020 starb er an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung.

Der inzwischen 82-jährige Jet Black ist zwar offiziell immer noch Mitglied der Band, zog sich aber vor einigen Jahren schon aus dem Tourgeschäft zurück. Live wird er von Jim MacAulay vertreten.

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Kommentare  

#1 Ringo Hienstorfer 2021-02-13 10:52
Nächstes Mal machen wir einen musikalischen Ausflug ins Centre Pompidou...
#2 Ringo Hienstorfer 2022-12-10 08:51
Update: Schlagzeuger Jet Black verstarb am 6. Dezember im Alter von 84 Jahren.
#3 Cartwing 2022-12-11 10:24
Und wieder ist einer gegangen...
Habe gerade erst das geniale "Golden Brown" gehört...
Ein für die Band doch eher untypischer Song.

Schreib doch mal was über "The Fixx"...
#4 Ringo Hienstorfer 2022-12-11 17:44
Golden Brown gefällt mir in der Mariachi-Version einfach am Besten! www.youtube.com/watch?v=zy8Y3R4dXyc.
"The Fixx"? muss ich mir mal wieder anhören...
#5 Cartwing 2022-12-11 18:42
Coole Version... aber mir gefällt das Original besser.

The Fixx habe ich damals leider übersehen.
Vor kurzem dann ein Interview mit Ian Anderson von 1984 gesehen, da hat er das "Phantoms" Album empfohlen.

Direkt reingehört und sofort auf Vinyl gekauft. Für 84 ziemlich anspruchsvoller Mix aus new wave, Rock und Pop

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