Bertolt Brecht, Leben des Galilei
Bertolt Brecht, Leben des Galilei
Das Stück entstand 1938/39 im Exil in Dänemark, der historische Hintergrund ist die kurz zuvor erfolgte Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn. Es existieren zwei weitere Fassungen, die dem Geschehen, ausgehend vom jeweiligen historischen Kontext, eine andere Wende und Lesart geben. In der dänischen Fassung von 1938/39 widerruft Galilei seine Lehre forscht aber im Geheimen weiter. Hintergrund war die gerade beginnende Atomforschung. In der zweiten, der amerikanischen Fassung, rückt nach dem Abwurf der Atombomben Galileis Konflikt mit der Obrigkeit mehr in den Vordergrund. Die hier behandelte dritte Fassung zeigt einen Galilei, der nur an seinen Forschungen, nicht aber an den Auswirkungen interessiert ist.
Das in 15 Bilder aufgeteilte Stück enthält einige Ausschnitte aus dem Leben des Galilei. Dieser, zunächst Mathematiker in Padua, setzt sich das Ziel, das neue kopernikanische Weltsystem zu beweisen. Um seine wirtschaftliche Lage zu verbessern, gibt Galilei den Nachbau eines holländischen Fernrohrs, dem er nur geringfügige Verbesserungen hinzugefügt hat, als seine Erfindung aus und kommerzialisiert diese. Das Fernrohr ermöglicht ihm auch die Entdeckung von Mondlandschaften, was das bisherige Weltbild erschüttert. Galileis Entdeckungen werden zunächst vom päpstlichen Astronom Clavius bestätigt, dann aber wird die kopernikanische Lehre auf den Index gesetzt.
Die Einsetzung eines neuen Papstes, der selbst Wissenschaftler ist, ermutigt Galilei, nach acht Jahren Schweigen seine Forschungen fortzusetzen. Er wird jedoch vor die Inquisition nach Rom zitiert und gezwungen, seine Lehren zu widerrufen. Bis an sein Lebensende von der Inquisition kontrolliert, forscht er im Geheimen weiter und lässt sein Hauptwerk, die „Discorsi“, über die Grenze schmuggeln.
Vielsagend ist der Disput zwischen Sagredo und Galilei:
Sagredo: Hast du allen Verstand verloren? Weißt du wirklich nicht mehr, in was für eine Lage du kommst, wenn das wahr ist, was du da siehst? Und du es auf allen Märkten herumschreist: dass die Erde ein Stern ist und nicht der Mittelpunkt des Universums.
Galilei: Ja, und dass nicht das ganze riesige Weltall mit allen Gestirnen sich um unsere winzige Erde dreht, wie jeder sich denken konnte!
Sagredo: Dass da also nur Gestirne sind! - Und wo ist dann Gott?
[…]
Galilei: In uns oder nirgends. (Leben des Galilei, S. 31)
Nach einer fruchtlosen Suche nach Gott im All sagt James T. Kirk in Star Trek V annähernd das Gleiche:
Kirk: Cosmic thoughts, Gentlemen?
McCoy: We were speculating. Is God really out there?
Kirk: Maybe He's not out there, Bones. Maybe He's right here – in the human heart.
Was dem fiktiven Raumschiffskapitän im von einem Atheisten erfundenen Universum und im realen Kinojahr 1989 leicht über die Lippen kommt, war zu Galileis Zeiten Zündstoff. Das Machtinteresse der Kirche hängt von deren Unfehlbarkeit ab. Nun einen Irrtum von dieser Tragweite zuzugeben hieße, diesen Unfehlbarkeitsanspruch aufzugeben.
Im Gespräch mit Saredo sagt Galilei weiter, er habe all die Jahre das potolemäische Weltbild gelehrt, weil er das Gegenteil noch nicht habe beweisen können. Nun aber sei er sich im Vertrauen auf die menschliche Vernunft sicher, an die Öffentlichkeit gehen zu können. Die Menschen könnten der Vernunft, den Beweisen auf Dauer nicht widerstehen.
Letztlich ist es aber der Wille zum Machterhalt, der die Kirche veranlasst, Galilei zum Widerruf seiner Lehre zu zwingen. Das ptolemäische Weltbild war keine Lüge, es war der Stand der Forschung. Aber es wurde widerlegt. Diese Widerlegung wurde nicht akzeptiert.
Heute sind es vielfach echte dreiste Lügen, die als Wahrheit ausgegeben werden und den Menschen das Leben schwer machen, wobei oft genug die Wissenschaft ignoriert wird und auf haarsträubende archaische Positionen zurückgewichen wird.