Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist
Jeder weiß, dass deine Mutter eine Hexe ist
Das vorliegende Buch von Rivka Galchen ist kein historisches Werk, sondern ausdrücklich ein Roman. Auch wenn sich das Buch eng an die bekannten Informationen und Gerichtsakten hält, wird enttäuscht sein, wer eine historische Abhandlung erwartet - wer jedoch einen Blick in die Situation und die (mögliche) Gedankenwelt einer Frau und der Welt einer Kleinstadt dieser Zeit sucht, dem sei das Buch ans Herz gelegt.
Rivka Galchen kam durch eine Nebenperson auf die Idee zu dieser Geschichte. Im Roman heißt er Simon Sattler und wird durch Rivka Galchens Buch zu einer Hauptperson.
Tatsächlich hieß der Mann, der "Kätherlin" Kepler half, Veit Schuhmacher und lebte in der Nachbarschaft der alten Frau. Er erklärte sich zu ihrem Unterstützer im Rahmen der Hexenermittlungen gegen Katharina Kepler und brachte sich selbst damit in eine nicht ganz ungefährliche Siuation.
Im Roman schildert Katharina ihre Gedanken und Gefühle ihrem Nachbarn Simon, da dieser - anders als sie - lesen und schreiben kann. Auch Simon Sattler selbst kommt zu Wort und schildert seine Wahrnehmung der Dinge, die geschehen, seine Gefühle dazu. So entsteht ein Bild der damaligen Zeit aus der Sicht einfacher Bewohner einer Kleinstadt. Dabei umfasst diese Geschichte, und das macht sie so besonders, politische und weitspannende Dimensionen, allein schon durch die Tatsache, dass Katharina die Mutter von Johannes Kepler ist, .
Katharina ist eine mutige Frau, die schwere Zeiten durchgemacht hat. Ihr Mann war mehr weg als zuhause, hat nicht für die Familie gesorgt, sondern zog lieber mit den Soldaten durch die Gegend. Dies nicht akzeptierend zog Katharina ihm hinterher und holte ihm aus dem Krieg zurück, damit er sich um die Familie kümmert. Allein schon wie ihr dies gelungen ist, ist mir ein Rätsel. Als dieser dann ein zweites Mal die Familie verließ, blieb Katharina mit den Kindern allein. Die meiste Zeit musste sie sich allein um das Auskommen der Familie kümmern. Von sieben Kindern, die in der Ehe geboren wurden, überlebten nur vier.
Durch einen Streit mit einer anderen Einwohnerin von Leonberg gerät Katharina ins Visier der Hexenverfolgung. Sie wird angeklagt, die andere Frau mittels eines bitteren Trankes geschädigt zu haben, auch von anderen Einwohnern der Stadt werden Anschuldigungen gegen sie erhoben. Als sie dann auch noch "auf frischer Tat" bei einer "Schädigung" eines Mädchens ertappt wird (in Wirklichkeit streift sie dieses Mädchen lediglich an der Hand, das aber angibt, ein Schlag habe sie durchfahren und ihr Arm taub), gibt es ausreichend Material gegen sie, um Anklage zu erheben.
Sowohl ihr Sohn Christopher vor Ort, als auch Johannes Kepler, der zu der Zeit in Prag bzw. Linz lebt, als auch der im Buch Samuel Sattler genannte Nachbar versuchen, sie aus der Schusslinie zu holen. Was aber leider nicht gelingt.
Katharina wird verhaftet, in Ketten gelegt und der Prozess vorbereitet. Insgesamt verbringt die Witwe 14 Monate in Ketten, schwer bewacht und ohne angemessene Versorgung, immerhin wird ihr die "peinliche Befragung" noch erspart, denn ihr Sohn Johannes reist persönlich an und lässt nichts unversucht, um seine Mutter aus den Händen der Gesetzgebung zu befreien.
Letzten Endes liegt es wohl an der Tatsache, dass man sich nicht traut, die Mutter von Johannes Kepler, einem der einflussreichsten Gelehrten seiner Zeit, auf den Scheiterhaufen zu bringen. Katharina wird als unschuldig frei gelassen.
Das Buch setzt nach der Freilassung ein und schildert, in Katharina Keplers und Samuel Sattlers Worten die Geschehnisse und die Zustände der damaligen Zeit. Katharina möchte deutlich machen, dass sie keine Hexe ist, trotz ihrer kräuterkundlichen Kenntnisse nichts mit Zauberei zu tun hat. Dazwischen finden sich (fiktive) Zeugenaussagen der verhörten Einwohner Leonbergs.
Es entsteht ein ausgesprochen spannendes Bild einer Gesellschaft, die von Angst, Argwohn und Missgunst geprägt ist. Die Sprache ist so gehalten, dass man sich problemlos in die (potenzielle) Ausdrucksweise und Sprachbilder der Bürger der damaligen Zeit einfinden kann.
Ein Buch, das ich wirklich nur empfehlen kann, das mich nachdenklich gemacht hat, geschichtlich und gerade auch sozial im Hinblick auf die Frage, wie schnell "Anderssein" zu Ausgrenzung führen kann, wie beeinflussbar Menschen sind, die sich von Angst leiten lassen.