Das charmante Ekel - »Neuner«
1990 hatte sich „Liebling Kreuzberg“ längst einen Namen gemacht und war u.a. mit dem Grimme-Preis in Gold, dem TeleStar und dem Bambi ausgezeichnet worden. Für Jurek Becker, dessen bis dato bekanntester Roman „Jakob der Lügner“ auch zweimal verfilmt wurde, war die Zusammenarbeit mit Manfred Krug sicherlich ein weiterer später Höhepunkt in dessen schriftstellerischer Karriere. Krug hatte noch in Zeiten des geteilten Deutschlands in der Serie den hemdsärmeligen Anwalt geprägt, der voller Marotten und schräger Eigenheiten steckte, wobei sein ständiger Konsum von Wackelpudding dabei sicherlich noch die kleinste darstellte. Eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis man mit dem Erfolgsgespann der Serie versuchte, auch im Kino einen Erfolg einzufahren. „Neuner“ wurde das Werk genannt, das sich um die privaten Querelen eines Bauunternehmers dreht, der am Tag der Beerdigung seiner Geliebten in eine nicht enden wollende Serie aus kleinen bis mittleren Katastrophen schlittert. Im Vergleich zum Millionenerfolg von „Liebling Kreuzberg“ bliebt „Neuner“ seinerzeit an den Kinokassen hinter den Erwartungen zurück und schaffte es noch nicht einmal, 170.000 Besucher zum Kauf eines Tickets zu bewegen. In der Vita Manfred Krugs und auch Jurek Beckers nimmt der Film aber einen wichtigen Stellenwert ein, weswegen er auch heute noch einen Blick wert ist.
Schon seit sieben Jahren betrügt Theo Neuner (Manfred Krug) seine Ehefrau Nora (Claudia Wedekind), mit der er seit rund 20 Jahren verheiratet ist. Nun ist seine langjährige Geliebte gestorben, und es bedarf wieder einmal einer Ausrede, um ihrer Beerdigung beiwohnen zu können. Als Theo einige Zeit später mit Nora nach Berlin reist, wo er mit einem DDR-Bauunternehmer (Ezard Haußmann) ein gemeinsames Geschäft anleiern will, kommen nach und nach seine Geheimnisse ans Tageslicht. In Berlin wohnt auch Ani (Sibylle Canonica), die Schwester von Neuners verstorbener Geliebter, die mit ihm Kontakt aufgenommen hatte, weil sie sich in finanziellen Schwierigkeiten befindet. Auch Neuners Sohn Kurt (Peter Lohmeyer) hofft darauf, seinen Vater um Geld anpumpen zu können. Während der gerissene Neuner mit Hilfe seines besten Freundes Felix Moll (Klaus Wennemann) versucht, eine alte Freundin und Geschäftspartnerin (Ingrid van Bergen), die an Krebs stirbt, über den Tisch zu ziehen, entdeckt Nora ein Foto Anis, auf dem deren Berliner Telefonnummer notiert ist. Die Ehefrau ahnt, dass ihr Gatte nahtlos von der einen Geliebten zur nächsten übergehen will, und nimmt mit Ani Kontakt auf.
„Neuner“ steht und fällt mit dem Spiel Manfred Krugs, dem es hier auf grandiose Weise gelingt, ein ziemliches Ekel zu porträtieren, dem man aber trotz seiner ruppigen Art nie wirklich böse sein kann. Ähnlich wie Anwalt Liebling ist auch dieser Neuner ein ausgemachtes Schlitzohr, dessen schamlose Egozentrik immer wieder in charmante Züge umkippen kann, was seine Gegenüber genau wie die Zuschauer in ein Wechselbad der Gefühle stürzt. Jurek Becker hat den formidabel gecasteten Schauspielern einige amüsante Pointen in die Dialoge geschrieben, aber auch der Tiefgang kommt bei der Geschichte nicht zu kurz. Die DVD-Erstveröffentlichung bietet leider nur ein mäßiges Bild (im Vollbildformat 1,33:1), das nicht über VHS-Niveau hinauskommt. Der Ton (Deutsch in Dolby Digital 2.0) ist soweit in Ordnung, das Presseheft zum Film mit vielen Bildern und Infos (17 Seiten) ist als PDF-Datei im DVD-ROM-Part der Scheibe zu finden.