Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Kleine Flohmarktfunde - Manfred Kyber - Schloss Elmenor und andere Märchen

Kleine Flohmarkt-FundeMANFRED KYBER: SCHLOSS ELMENOR und andere Märchen

Wenn man so auf dem Flohmarkt die Bücherkisten durchwühlt, was ich zuweilen sehr gerne mache, dann stösst man immer wieder mal auf kleine Perlen, von denen man vorher noch nie etwas gehört hat.

Heute will ich (und vielleicht möchten sich in Zukunft andere an solchen Entdeckungsgeschichten beteiligen) über das optisch eher unscheinbare Taschenbuch berichten, das eine Sammlung von höchst seltsamen Märchen beinhaltet.

Kleine Flohmarktfunde - Manfred Kyber - Schloss Elmenor und andere MärchenEs wurde im Oktober 1983 vom Rowohlt Verlag in Reinbek bei Hamburg herausgegeben. Die kleinen Geschichten stammen allesamt von dem deutschen Autor russischer Herkunft Manfred Kyber, der von 1880 bis 1933 lebte und dessen Schaffen und Lebensweg bemerkenswert ist. Eine kurze Biografie habe ich noch angefügt.

Märchen lese ich sehr gern, da ich sie für die besten aller Phantastischen Erzählungen halte. Anders als Romane oder Kurzgeschichten, die von vornherein als irreal ausgewiesen sind, werden Märchen als eine Realität geschildert, wie die einst gegeben hat.

Die Autoren dieser Märchen geben dem Leser das Gefühl, dass es tatsächlich so passiert sein könnte. Gleichwohl werden den Erzählern keine Grenzen gesetzt. Auch anders als in Romanen muss es in Märchen keine Erklärungen für das Geschehen geben, denn das, was man erzählt bekommt, ist eben so geschehen und man hat es als Tatsache hinzunehmen.

Ich habe eine Vorliebe für die Märchen des Hans Christian Andersen. Ich war auch schon einmal im Museum in Odense, das ihm gewidmet ist. Nun, seit ich dieses Taschenbuch gelesen habe, hat sich ein Autor hinzugesellt.

 

Ich habe bis heute nur sehr selten Geschichten in solch feinsinniger und liebevoller Gestaltung gelesen. Auch ist die Imagination, mit der diese Märchen verfasst sind, aussergewöhnlich. Die Welt, aus der Kyber seine Märchen schildert, ist frei von allen uns bekannten Realitäten und mehr als ein Mal wird man von ihm als Narr gescholten, weil man keinen Sinn für all das Schöne und Lebenswerte um sich herum besitzt, weil man keine Augen für die kleinen aber wichtigen Dinge hat. Das, was uns umgibt, kann so wertvoll sein. Jedes Ding und jedes Tier hat eine Seele, auch wenn wir es nicht erkennen wollen.

 

Viele seiner Märchen handeln von unglücklichen Wesen, die auf der Suche sind. Auf der Suche nach Lebenswichtigem, das uns so unwichtig erscheint. Von einem Hirtenjungen, der das zauberhafte Lied einer Fee sucht, oder einer Fee, die ihren verlorenen Schleier sucht, der ihr dann von einer Katze wiederbeschafft wird, vom Tannenbaum, der so gern ein Weihnachtsbaum sein möchte und dem deshalb die Tiere des Waldes ein wahres Fest bereiten. Die Wärme, mit der all das geschildert wird, sucht ihresgleichen. Kyber war dabei mit einer reichhaltigen Phantasie gesegnet. Nicht einen Satz seiner Texte darf man verpassen, denn in jedem kann sich eine neue Wendung, eine Weisheit oder eine Überraschung verbergen.

 

So werden alltägliche Dinge bei ihm lebendig. Es gibt Märchen über Geschichten erzählende Weinfässer, griesgrämige Teekannen oder  Kinder gebärende Muffs. Pflanzen, Tiere und Gegenstände können problemlos miteinander kommunizieren. Frösche sind wunderbare Sänger, deren Liedgut erhaben ist. Nichts davon ist Lächerlich. Wir haben es hier mit der Realität zu tun. Auch wenn manch einer sagen wird: „Das gibt es nicht!“, Kyber verstand es, alles so zu schildern, dass wir es als gegeben hinnehmen und es nicht wagen, auch nur einen Moment an der Wahrhaftigkeit seines Erzählens zu zweifeln.

 
 

„Wie Mummelchen aber die Hände von den Augen nahm und so hoffnungslos hinaussah in die grosse Finsternis, da sah sie ganz nahe ein kleines Engelchen stehen. Die kleinen Engelchen sind nämlich viel näher, als man denkt, man übersieht sie bloß so leicht, weil sie eben sehr klein sind. Das kleine Engelchen hielt ein Laternchen und leuchtete damit einem Dichter, der auf der Heide sass und ein Märchen schrieb. Das ist immer so, denn ein Dichter kann nur dann Märchen schreiben, wenn ein kleines Engelchen mit seiner Laterne dazu leuchtet.“

(Aus dem Märchen Mummelchen)
 

Treffender sind die Geschichten Kybers kaum zu umschreiben. Man muss durchaus ein Romantiker sein, um diese zu lesen. Ist man ein solcher, dann wird man mit jedem Märchen in einen neuen Traum geschickt. Und so ist es dann auch: Ein Band wie dieser ist eine absolut ideale Bettlektüre. Die Märchen von Manfred Kyber versetzen den Leser in einen ruhigen, wohligen Zustand. Man hat, bevor man sich zum Schlafen legt, nicht im Entferntesten das Gefühl, dass einem böse Träume heimsuchen könnten.

 

---

 

Manfred Kyber (1880 - 1933)MANFRED KYBER
Dichter, Märchenerzähler, Lyriker und Naturschützer

 
 

Kyber wurde am 1. März 1880 in Riga (damals Russland) geboren. Er studierte an der Universität von Leipzig Psychologie, Philosophie und Germanistik, brach dieses jedoch nach dem Tode seines Vaters ab. Bereits 1902 erschien sein erster Gedichtband. Ab 1905 arbeitete er in Berlin als Redakteur und Lektor, schrieb zudem Texte für das Theater, die meist Phantastischen Inhalt besassen und deshalb „Mysterienspiele“ genannt wurden. Da er einen russischen Pass besass, wurde er während des ersten Weltkriegs gefangen gesetzt. Nach dem Krieg leitete er in Riga die Deutsche Volksbühne und ging dann nach Stuttgart, wo er für verschiedene Zeitungen arbeitete. Er war beliebt/berüchtigter Theaterkritiker und interessierte sich für Okkultismus, worüber er Vorlesungen an Universitäten hielt und Schriften verfasste.

 

Kyber war ein aktiver Natur- und Tierschützer, was zu jener Zeit eher unpopulär war. Im Jahre 1923 brach er jedoch alle Zelte ab und liess sich in Löwenstein nieder, wo er sich weitestgehend dem Schreiben widmete. In dieser Zeit wurde er berühmt vor allem für seine Märchen und seine wunderbaren Tiergeschichten. Er starb am 30. März 1933. In Löwenstein wurde eine Schule nach ihm benannt und dort gibt es auch ein Museum, das seinen Nachlass verwaltet.

 

Eine ausführliche Biografie Manfred Kybers

 
 

Im Aufbau begriffen ist eine sehr gute Manfred-Kyber-Seite (der allerding u.a. noch die Biografie fehlt), die viel Wissenswertes über diesen Mann bietet, sowie Links zu sehr vielen im Internet zur Verfügung gestellten Geschichten Kybers enthält.

 
 

Lest einfach mal einige seiner Geschichten und lasst Euch verzaubern.

Kommentare  

#1 Bettina.v.A. 2008-07-12 11:54
Hallo Norbert,

das ist eine wunderbare Idee - sowohl die Flohmarktfunde als auch die Vorstellung dieses Autors. Danke - und zeig uns noch ein andere Schätzchen - ich gehe auch mal bei mir suchen :-).

Bettina

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles