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Meine 2 Cents zu: Orson Scott Card und die Schwulengemeinde

my 2 cts onMeine 2 Cents zu:
Orson Scott Card und die Schwulengemeinde

“Enders Spiel” findet mehr als hundert Jahre in der Zukunft statt und hat nichts mit politischen Auseinandersetzungen zu tun, die es 1984 gar nicht gab, als das Buch geschrieben wurde. Die jüngste Entscheidung des Obersten Gerichtshofes macht weitere Debatten um schwule Ehen überflüssig. Die Klausel “Full Faith and Credit”* der Verfassung wird früher oder später in jedem Bundesstaat Hochzeitsverträge gesetzlich anerkennen, die in irgendeinem anderen Bundesstaat gültig sind.


my 2 cts onEs wird jetzt interessant sein zu beobachten, ob die siegreichen Verfechter der schwulen Ehe Toleranz an den Tag legen werden gegenüber jenen, die ihren Standpunkt nicht teilten, als er noch umstritten war.” 

Orson Scott Card

Oh bitte!

Nach zwanzig Jahren voller verabscheuungswürdig virulenter Homophobie … nein. Das ist nun bloß noch eine weitere abschätzige Beschreibung der Schwulengemeinde – wir sind also intolerant.

Intolerant? Gegenüber Menschen, die uns wegsperren wollen, uns in Konzentrationslager stecken wollen, uns unsere Rechte als Bürger verweigern wollen? Intolerant? Verdammt noch mal, wollen Sie mich verarschen?

Sie möchten, dass ich Toleranz übe, Scott? Werden Sie erst mal einer von denen, die Verständnis zeigen. Oder um es ganz grob zu sagen: nehmen Sie Ihren verdammten Fuß von meinem Hals, dann können wir über Toleranz reden.

Sehen Sie, Scott – es ist ja nicht mal so, dass ich Sie nicht leiden könnte. Ehrlich, das stimmt nicht. Ich finde, Sie sind ein interessanter Schriftsteller und Sie haben ein paar Werke geschrieben, die ich bewundere. Aber Sie haben den Fehler Nummer Eins der Öffentlichkeitsarbeit begangen. Sie haben sich auf die Seite der Hassverbreiter gestellt. Sie haben eine Minderheit aufs Korn genommen und sich als den Kämpfer für die Gute Sache hingestellt. Das bringt Ihnen einen kurzfristigen Gewinn, auf lange Sicht aber Verluste. Schauen Sie mal auf Vater Coughlin, Anita Bryant und Kirk Cameron.

Und jetzt haben Sie Fehler Nummer Zwei der Öffentlichkeitsarbeit gemacht – anstatt sich ehrlich und aufrichtig bei denen zu entschuldigen, denen Sie Leid zugefügt haben, legen Sie noch mal nach. Sie ziehen die Märtyrer-Karte und behaupten, Sie seien das Opfer.

Sie zeigen hier in aller Deutlichkeit, dass Sie keine Ahnung haben, worum es eigentlich geht. Es geht um die 1138 Rechte, Vorrechte, Vorteile und Verpflichtungen, die ein bürgerlicher Ehevertrag mit sich bringt. Es geht um Hinterbliebenenrenten, um Erbrecht, um das Sorgerecht für Kinder, um gemeinsame Besteuerung, um Entscheidungen am Sterbebett, um Besuchsrechte im Krankenhaus, um Adoptionen und gemeinsames Eigentum und um all die anderen Dinge, die Sie und Ihre Frau für selbstverständlich halten. Es geht darum, vor dem Auge des Gesetzes gleich gestellt zu sein.

Das ist das Ziel, das zu erreichen die Frauen sich vorgenommen hatten, als sie das Recht zu wählen forderten. Das ist das Ziel, das Martin Luther King für die Afroamerikaner und andere Minderheiten erreichen wollte, als er zum Busboykott in Montgomery aufrief. Das ist das Ziel, das Harvey Milk im Auge hatte, als er gegen die Briggs-Initiative kämpfte und für den Stadtrat von San Francisco kandidierte.

Unsere Nation gründet auf dem Gedanken:
„Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören ...“

Ihre Äußerungen in der Öffentlichkeit, Orson Scott Card, stellen Sie auf die falsche Seite dieser Erklärung. Bevor Ihnen nicht klar wird, dass Ihre öffentlichen Beiträge im Dienst von Scheinheiligkeit und Vorurteil standen, kann es in den Augen der Schwulengemeinde keine Wiedergutmachung geben. Oder in den Augen von irgend jemandem sonst, was das angeht.

Und da gibt es noch etwas, das ich in den bisherigen Zeilen übersehen habe

„... hat nichts mit politischen Auseinandersetzungen zu tun, die es 1984 gar nicht gab, als das Buch geschrieben wurde.“

Blödsinn.

Die politischen Auseinandersetzungen begannen 1969 mit dem Stonewall-Aufstand und der Bildung verschiedener Gruppen von Schwulen-Aktivisten.

Die politischen Auseinandersetzungen begannen, als Leute wie Anita Bryant und John Briggs in den 70er Jahren für die Beschneidung der Rechte der Schwulengemeinde Stimmung machten.

Die politischen Auseinandersetzungen begannen, als das Weiße Haus unter Ronald Reagan ganz gezielt wegschaute, während sich AIDS ausbreitete, und so sicherstellte, dass wir eine weltweite Ansteckungsrate von 50 Millionen Menschen hatten – und an AIDS sind mehr männliche Mitglieder der Schwulengemeinde gestorben als die Anzahl der Männer und Frauen, die in Vietnam fielen.

Die politischen Auseinandersetzungen fingen lange vor 1984 an. Und dass Orson Scott Card davon keine Ahnung hat, ist bedauerlich. Schriftsteller sollten eigentlich gut im Recherchieren sein.

Und jetzt … zum Boykott des Kinofilms „Enders Spiel“
Meine Vermutung ist, dass Orson Scott Card eine ordentliche Stange Geld für die Verfilmungsrechte erhalten hat und vielleicht ein paar Prozentpunkte vom Gewinn. Da ich ein bisschen Bescheid weiß darüber, wie die Buchhaltung in Hollywood läuft, ist es unwahrscheinlich, dass er viel vom Gewinn zu sehen bekommt, es sei denn, er hätte einen Prozentanteil am Einspielergebnis. (Aber der Film müsste das Dreifache seiner Produktionskosten einspielen, bevor die Buchhalter auch nur anfangen darüber nachzudenken, wie sie den Gewinn verstecken sollen, und die Buchhalter in Hollywood sind die besten Autoren für Fiktion, die es gibt. Cards Anteil könnte nicht viel werden.)

Aber hier ist noch ein Punkt. Den Film zu boykottieren würde einer Menge anderer guter Leute Schaden zufügen, die Teil der Produktion waren, guter Leute, die es verdienen die Anerkennung und Würdigung zu erleben, für die sie hart gearbeitet haben.

Also … mein Bauchgefühl sagt mir, dass jede/r Einzelne das eigene Gewissen prüfen und es für sich selbst abwägen sollte, ob die Abscheu vor Cards politischen Ansichten schwerer wiegt als die Aussicht auf einen möglicherweise sehr guten Film.

Mein Gefühl sagt: wenn ihr loszieht, um euch den Film anzusehen, ob nun in der Startwoche oder irgendwann danach -  vielleicht könntet ihr dann auch darüber nachdenken, der Bewegung für  Schwulenrechte eine kleine Spende zukommen zu lassen für eine Sache, die euch wichtig ist. Ich für meine Person denke, eine Spende für die Amerikanische Vereinigung für Bürgerrechte und ihren weiter bestehenden Kampf gegen Heiratsverbote wäre keine schlechte Wahl.

An dieser Punkt möchte ich klarstellen, dass Cards Gegnerschaft in Bezug auf Schwulenrechte letzten Endes eine gute Sache ist – denn sie bringt die Diskussion auf den Tisch. Der wahre Sieg der Schwulenbewegung besteht darin, dass jedes Mal, wenn ein Sprecher gegen die Schwulen sich zum Thema äußert, es eine Einladung an andere ist, ihm zu antworten. Das macht es für jedermann sicher, einen Beitrag dazu zu leisten – und als Resultat sind die Klagepunkte der Schwulen jetzt landesweit im Gespräch.

Cards eigene Äußerungen haben zu dieser Diskussion beigetragen. So sehr er sich also gegen die Gleichstellung der Ehen gewandt hat – er ist jetzt mit ein Grund dafür, dass sie unvermeidlich ist.


(*) ARTIKEL IV
Abschnitt l
Gesetze, Urkunden und richterliche Entscheidungen jedes Einzelstaates genießen in jedem anderen Staat volle Würdigung und Anerkennung. Der Kongress kann durch allgemeine Gesetzgebung bestimmen, in welcher Form der Nachweis derartiger Gesetze, Urkunden und richterlicher Entscheidungen zu führen ist und welche Geltung ihnen zukommt.

Übersetzung: Harald Weber

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