Der dünne Mann und Odem des Todes - Alisha Bionda und Edgar Allan Poe
Der dünne Mann und Odem des Todes
Alisha Bionda und Edgar Allan Poe
Die düstere Atmosphäre von Poes Novellen wird dort eindrucksvoll eingefangen. Um diese Atmosphäre geht es auch in der ersten Anthologie. Vielen Zauberspiegellesern ist Poes Werk unter anderem durch die Verfilmungen von Roger Corman aus den sechziger Jahren ein Begriff. Filme wie "Der Untergang des Hauses Usher", "Das Pendel des Todes" oder "Der Rabe - Duell der Zauberer" mit dem Schauspieler Vincent Price hinterließen einen bleibenden Eindruck.
Im Blitz Verlag gab/gibt es eine Reihe mit dem Titel "Edgar Allan Poes Phantastische Bibliothek". Dort erschienen zwischen 2004 und 2008 neun Titel. Band 8 mit dem Titel "Der dünne Mann und andere düstere Novellen" stammt aus dem Jahr 2006.
Hier zeichnet Alisha Bionda als Herausgeberin und zwar erstmals als alleinige Herausgeberin für einen Titel aus dem Bereich der dunklen Phantastik. Für dieses Projekt konnte sie etliche wohlbekannte Autoren gewinnen, allen voran Wolfgang Holhlbein, von dem auch die namensgebende Novelle stammt. Hier die Übersicht über die elf Beiträge:
Dazu kommen ein Vorwort von Franz Rottensteiner und ein ausführliches Essay von Micha Wischniewski über "Das Leben und Werk E.A. Poes". Grafisch drückt Mark Freier dem Band seinen Stempel auf. Das Cover und alle Innengrafiken (wie bei Alisha Bionda üblich gibt es zu jeder Geschichte eine Illustration) stammen von ihm.
Die Kurzgeschichten sind thematisch überaus abwechslungsreich. Es gibt darunter solche, die stark von Poes Werk beeinflusst sind wie "Die Raben" von Christoh Marzi oder "Nepenthe" von Eddi M. Angerhuber und andere, wo der Bezug nur sehr vage ist wie z.B. "Die Firma" von Micha Wischniewski. Auch Wolfgang Hohlbeins Novelle "Der dünne Mann" fällt in letztere Kategorie. Wir kennen alle die Geschichte von Sodom und Gomorra. Ian McGillicaddi erlebt das Erdbeben und den großen Brand von San Francisco. Und auch zu ihm kommt ein Bote, der ihm eröffnet, dass die Katastrophe verhindert werden kann, wenn sich in der Stadt 5 Gerechte finden, die bereit sind ihr Leben für die Rettung der anderen zu geben. Diese Geschichte gehört zu meinen Favoriten, dazu kommen die Kurzgeschichten von Michael Siefener über einen einsamen Wanderer, der in einer alten Ruine Rast macht, Christian von Aster über einen englischen Forscher, der dem Geheimnis eines verehrten Professors auf die Spur kommt, und Jörg Kleudgen/Boris Koch, die schildern, wie eine junge Frau mit einem alten Familienfluch konfrontiert wird.
Edgar Allan Poes kurzes Leben wurde durch eine Reihe von Tragödien bestimmt. Sein Vater verließ die Familie als er noch ein Säugling war, die Mutter starb als er noch keine drei Jahre alt war. Auch sein älterer Bruder, seine Stiefmutter und seine junge Frau hatten kein langes Leben. Dazu kamen berufliche Schwierigkeiten und ein latentes Alkoholproblem. Das alles wird in der zweiten Anthologie thematisiert.
Im Jahre 2011 wagte Alisha Bionda eine zweite Annäherung an E.A. Poe. "Odem des Todes - Hommage an Edgar Allan Poe" erschien bei Voodoo Press. Diesmal wählte die Herausgeberin jedoch eine andere Herangehensweise. Alle Geschichten greifen reale Ereignisse aus Poes Leben auf und erzählen darum herum fiktive Ereignisse. Diesmal gibt es 13 Kurzgeschichten.
Künstlerisch übernahm diesmal Crossvalley Smith die Ausgestaltung des Bandes, trug also Cover und Innenillustrationen bei. Dazu kommt noch ein Essay von Florian Hilleberg über Edgar Allan Poe. Als Abschnittstrenner dient ein Rabe. Nur ein kleines Detail sicher, doch ein Beleg für die Sorgfalt mit der die Herausgeberin auch in diesem Band zu Werke ging.
Mittelpunkt des Bandes ist die Novelle "Odem des Todes" von Erik Hauser. Hier geht es um die letzten Tage von Poes älteren Bruder Henry. Und Hauser versteht es geschickt, das Interesse an Henry Poe zu wecken. Ist der Bruder ein seemannsgarnspinnender Trunkenbold oder steckt mehr hinter seinen fantasievollen Erzählungen? Felix Woitkowski widmet sich der Militärzeit von Poe, Andreas Flögel zeigt ihn als Kriminalisten in New York, Florian Hilleberg berichtet über die jugendliche Schwärmerei des jungen Poe für die Mutter eines Klassenkameraden.
Zu gefallen wissen auch Sören Prescher, der eine Erklärung für die zwanghafte Motivation des Schriftstellers liefert und Damian Wolfe, der einen übernatürlichen Pakt für seine außergewöhnliche Kreativität beschreibt. Arthur Gordon Wolf befasst sich mit Poes Jugendzeit in Großbritannien, Nicolaus Equiamicus schildert eine unglückliche Liebe des jungen Schriftstellers. Gänzlich ohne übernatürliche Einflüsse kommt Dieter Winklers Familienbande daher. Christian Endres und Michael Schmidt konfrontieren Poe dagegen mit göttlichen Urteilen. Gänzlich anderes geht Desirée Hoese die Sache an, indem sie Poe träumerisch durch einige seiner bekanntesten Werke führt. Dave T. Morgan nimmt sich der alkoholischen Exzesse Poes an und stellt sie in Zusammenhang mit seinem künstlerischen Schaffen.
Beide Bände knüpfen an Poe an, doch während dies in "Der dünne Mann" eher vorsichtig und behutsam geschieht, wirft "Odem des Todes" den Leser mitten hinein in das Leben des Meisters der Kurzgeschichte. Wer Poe liebt, dem werden auch diese Anthologien gefallen. Poe selbst hat sich noch zu Lebzeiten verbeten, seine Geschichten als "deutsch" oder in der der deutschen Tradition verwurzelt zu betrachten, Alisha Bionda hat in den beiden Anthologien aber bewiesen, dass umgekehrt deutsche Autoren in deutscher Sprache sehr wohl auf Poes Spuren wandeln können.
Der dünne Mann und andere düstere Novellen
Odem des Todes
* Die im Beitrag verwendeten Grafiken sind von Crossvalley Smith und stammen aus Odem des Todes (außer dem Cover von Der dünne Mann. das ist von Mark Freier)