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Eine »unheimliche« Mischung - Dämonenkiller – Die Taschenbücher: Vom Grauen gejagt

Eine »unheimliche« Mischung: Dämonenkiller – Die TaschenbücherVom Grauen gejagt

Der kommerzielle Erfolg der Marke "Dämonenkiller" muss in der Tat beträchtlich gewesen. Nicht nur wurde die Serie bereits nach 17 Heften aus dem Vampir-Horror-Roman ausgekoppelt, um sich fortan allein auf dem Markt zu behaupten.

Innerhalb kürzester Zeit wurde die Serie auch auf wöchentliche Erscheinungsweise umgestellt. Zeitgleich brachte man im März 1975 eine Taschenbuchreihe auf den Markt.


Vom Grauen gejagtVom Grauen gejagt
von Jeremy Brent
Dämonenkiller Taschenbuch Nr. 5
Übersetzt von Jürgen Saupe
Juli 1975

Der Roman:
England. Die 70er. In York geschieht ein rätselhaftes Verbrechen. Auf offener Straße wurde ein Mensch vor dem Rathaus zwei Zentimeter tief ins Pflaster gedrückt und durch hohen Druck in eine Art Plastikscheibe verwandelt. Star-Reporter Brad Minton wird von seinem Boss Oldham, der alles für eine Schlagzeile tut, auf den Fall angesetzt.

Nobelpreisträger Professor Albert Bright lebt mit seiner Tochter Lann zusammen. Der geniale Wissenschaftler und Nobelpreisträger hat in seinem Labor den Supercomputer TASU entwickelt. (Im Original steht das für Thought Analyser Storage Unit) Den verbindet er mit einem lebenden Spendergehirn. Dummerweise gehörte es dem Mörder Sutton. Plötzlich entwickelt TASU Intelligenz, Telepathie und telekinetische Kräfte. Er übernimmt den Doktor und träumt von einer schönen neuen Welt, die er mit Terror durchsetzen will.

Den nächsten plattgedrückten Toten findet man in Stonehenge. Brads von seinem Herausgeber hysterisch aufgemotzte Berichte heizen die öffentliche Stimmung an. Brad, der den Doktor kennt und als Experten interviewt, verliebt sich in die schöne Lann. Aber dann erpresst ihn TASU. Er soll als das Sprachrohr der Maschine dienen, sonst sterben seine Mutter und seine Schwester. TASU gibt ihm eine Liste mit Forderungen. Ein Immobilienhai soll seine Bürogebäude den Obdachlosen übergeben, ein Waffenhändler die Produktion einstellen, ein Bankpräsident den Armen Geld geben.

Brad spielt notgedrungen mit, zeichnet seinen Artikel aber mit dem Pseudonym Nemesis. Nach einer Anzeige des Immobilienhais landet er erst einmal in Untersuchungshaft. Nachdem die Männer auf der Liste todgequetscht wurden, lässt man ihn wieder frei. Er kann gerade noch einem Lynchmob entkommen, die ihn für den Terror verantwortlich machen. In der ganzen Zeit schweigt er eisern über TASU oder den Professor.

Die Existenz des unsichtbaren Rächers führt zu einer Massenhysterie, erst recht, als TASUs nächste Botschaft lautet, dass Beichten für die Seele gut ist. Bei einer Demonstration auf dem Trafalgar Square, bei der gegen die unsichtbare Bedrohung protestiert wird, schlägt TASU wieder zu und zerquetscht 50 Menschen.

Chaos bricht aus. Eine Horde Kuttenträger, die sich die "Männer des Gerichts" nennen, macht sich zum Sprachrohr der unsichtbaren Macht und die Straßen unsicher. Sie schlagen echte und vermeintliche Sünder zusammen oder lynchen sie gleich wie das junge Pärchen, das vor der Kamera eines Fernsehreporters den Mord an einem Penner beichtet.

Die Gruppe entführt Brad, der sein Geheimnis aber trotzdem Folter nicht preisgibt und sich darauf verlässt, von TASU gerettet zu werden. Die Armee wird eingesetzt, um für Ordnung zu sorgen, die "Männer des Rechts" nehmen Geiseln, darunter Lann. TASU lässt eine ganze Kleinstadt in Schlaf versinken.

Am Ende schnappt sich Brad eine Pistole und begibt sich zu TASU. Er hat die Idee, dass wenn er den Doktor tötet, er damit auch den Computer ausschaltet. TASU erkennt seine Absichten und will ihn töten, aber vorher noch als zusätzliche Strafe Lann zerquetschen. Eher zufällig gelingt es Brad, den Doktor dennoch zu erschießen. Das zerstört die Maschine.

Bewertung:
Unter der Federführung von Peter Haining gehörte die englische New English Library zu den ersten Verlagen, die die Marktkategorie Horror etablierten. Dabei beschäftigte man hauptsächlich einheimische Autoren und gab neuen Talenten eine Chance. Hier erschien immerhin "The Rats", James Herberts erster Roman.

1974 gab es eine nummerierte "Horrorserie", die es in dieser Form allerdings nur auf sechs Titel brachte, wobei Sammler nur mutmaßen können, was die Nr. Fünf war, da man anscheinend auf dem Cover den Titelzusatz vergaß. Die Qualität dieser kurzen Romane ist ausgesprochen unterschiedlich. Pabel – genau wie später Bastei in seiner Horrorbibliothek - hat viele der NEL-Titel gebracht, sie aber ohne erkennbares Konzept verwurstet. (Nicht dass sie im Original ein erkennbares Konzept gehabt hätten.) Von diesen besonderen sechs Romanen erschienen drei als DK-Taschenbücher (5,6+9), zwei als Vampirhefte (103+400). Eines gar nicht. "Vom Grauen gejagt" war NEL Horror No. 4, und auch wenn es kein besonders guter Roman ist, ist er doch zumindest in einigen Punkten interessant.

Wer genau Jeremy Brent war, bleibt offen. In Bibliografien ist das der einzige Roman unter diesem Namen. Auch wenn der Autor viel Inhalt in die wenigen Seiten reinquetscht, gibt es auffallend viele Längen. Erzählerisch ist das nicht besonders gut; trotz dem stellenweise unverblümten Melodram und Herzschmerz, bleibt der Stil dennoch leblos und so manche Schlüsselszene wird mit zwei Sätzen abgefertigt.

Die Geschichte um eine außer Kontrolle geratene KI, wie man heute sagen würde, erinnert an eine Episode von The Avengers (aber ohne deren Charme) und vor allem D.F. Jones' SF-Roman "Colossus" von 1966, der 1970 ins Kino kam. Viele Elemente werden hier in den Topf geworfen, um dann mehr oder weniger in Vergessenheit zu geraten. Die Idee mit dem Gehirn des Mörders als Intelligenzzündung des Supercomputers ist ja ein nettes Frankenstein-Element, Bedeutung für die weitere Handlung hat das aber nicht. Im Gegenteil. Die Ziele der Maschine sind wirr, viel Sinn macht das alles nicht.

Genauso bizarr und für das Genre eher untypisch sind die Handlungselemente, die man mit viel Wohlwollen als "gesellschaftskritisch" bezeichnen könnte. Die ersten Forderungen der Maschine entsprechen den Träumen der Linken, was man in dieser unverblümten Form in einer im Kern schwer konservativen Genregattung selten gesehen hat.

Aber anstatt diese Idee weiterzuverfolgen – oder gar zu ergründen, wo die KI sie eigentlich her hat -, lässt der Autor das dann völlig fallen und ersetzt es durch die absolut schwammige Forderung der KI, die "Welt solle das Böse bekämpfen".

Genauso wenig Sinn macht der sehr öffentliche Geheimbund der "Männer des Gesetzes", die im Original bezeichnenderweise Doom Men heißen. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Übersetzung oder das Lektorat hier gezielt eingreift und Inhalte bewusst verfälscht.

Denn die Sektenangehörigen kastrieren sich freiwillig. Die Szene, in der unser rasender Reporterheld das beobachtet, ist deutlich gekürzt.

Die Übersetzung: Seite 110
Nicht nur, dass bei der Operation nicht betäubt wurde, auch an die einfachsten Grundsätze der Hygiene schien man sich nicht zu halten. Offensichtlich sollte der Mann kastriert werden.
    Er [Brad] blickte seine Begleiter an …

Das Original: Seite 96
Nicht nur, dass bei der Operation nicht betäubt wurde und man sich nicht an die einfachsten Grundsätze der Hygiene hielt, der Mann auf dem Operationstisch half dem Chirurgen bei seinem Werk. Er hielt tatsächlich sogar seinen Penis zurück, damit das Skalpell ungehindert in den Hodensack stechen konnte …
    Brad rief sich ins Gedächtnis, dass die großen Kathedralen Europas ihren Chor jahrhundertelang mit freiwilligen Kastraten ausgestattet hatten, die diese Tortur über sich ergehen ließen, aber dieser Gedanke half ihm nicht im Mindesten. Es konnte die Übelkeit nicht lindern, die ihn überfiel; die nachempfundenen Schmerzen ließen ihn beinahe das Bewusstsein verlieren.
    Obwohl diese Schocktaktik ihre hohen Stimmen erklärte.
    Er blickte seine Begleiter an ...

Auch wenn man verstehen kann, dass das der Redaktion zu heftig war – obwohl, warum hat man es dann nicht ganz gestrichen? -, geht es aber noch weiter, wo man weniger Verständnis aufbringen kann.

Die Übersetzung: Seite 112:
Für Brad roch das Ganze nach Mordgier und unklarem Denken. Diese Leute waren nichts als die ewigen, eifrigen Opportunisten, die in Zeiten der Umwälzung unvermeidlich aus dem Nichts auftauchten und ihr besonderes Maß an Fanatismus mitbrachten.
    Was ihn verwirrte, war, dass sie sich beim Eintritt in die Kultgemeinschaft so strengen Bedingungen unterwarfen.
    Was hatten sie also von der Sache?

Das Original: Seite 98
Für Brad roch das Ganze nach Faschismus, Straßenkampf und oberflächlichem Denken. Diese Leute waren nichts als die ewigen, eifrigen Opportunisten, die in bedrohlichen Zeiten unweigerlich aus dem Nichts auftauchten und dabei einen furchteinflößenden Fanatismus mitbrachten.
    Aber was ihn wirklich verblüffte war die Frage, warum sie sich beim Eintritt in die Kultgemeinschaft so strengen Regeln unterwarfen: freiwillige Kastration, sämtlichen Besitz der Partei übereignen … Das waren die einzigen beiden Regeln, an die er sich aus der Informationsflut erinnerte, die auf ihn niedergeprasselt war. Es gab noch viele andere, aber die waren zu bizarr, um sie zu verstehen, geschweige denn sie sich zu merken.
    Was hatten sie also von der Sache?

Eher witzig ist eine andere Auslassung. Da denkt die schöne und behütete Professorentochter Lann beim Anblick der Hippie-Demonstranten gegen die unbekannte Macht:

Die Übersetzung: Seite 93
Wie verwirrt diese Halbwüchsigen sind. Wie sie glauben, buddhistische Selbstüberwindung und christliche Reinheit mit den tausendundeinen Genüssen des Harems vereinen zu können! Die ganze Gruppe gefiel ihr gar nicht, und der Fernsehreporter ...

Das Original: Seite 82
Wie verwirrt diese Halbwüchsigen sind […] mit den Genüssen des Harems vereinen zu können! Wie die Mädchen ihren Meister so freizügig anhimmelten ließ ihr [Lann] nicht den geringsten Zweifel, dass ihm die Regeln des Jesus-Evangeliums nicht im Weg standen, was seine Potenz betraf. Die Vorstellung eines Love-Ins mit einer ungekämmten, ungewaschenen Schar Dienerinnen entsprach nicht einmal annähernd ihrer Einstellung, und der Fernsehreporter …

Man sieht, dass Extreme egal welcher Art in diesen Romanen nicht gern gesehen waren. Und da ist es egal, dass der Autor eher zum Rundumschlag neigt und alle ihr Fett wegkriegen. Das böse F-Wort war genauso suspekt wie die schmuddeligen Hippiebräute.

Die Kürzungen und Verfälschungen haben letztlich keinen Einfluss; der Roman wäre ohne sie nicht besser, auch wenn einige Dinge etwas verständlicher wären. Das ist weder ein guter Horrorroman noch ein guter SF-Roman. Und selbst als Trash, der sein Vergnügen aus der Schundigkeit zieht, ist es zu lahm. Einer von vielen Genreromanen, die zu Recht in der Obskurität versunken sind.

Plastic ManLife on Mars
"Lann erkannte den Hippiekerl wieder, diesen fanatischen, bärtigen Prediger." Hippie-Bashing kam in diesen Romanen immer gut. Nicht nur sind die Blumenkinder hier nicht die Hellsten, sie haben auch ein Hygieneproblem.

Das Titelbild
Ein Thole-Ausschnitt. Vermutlich. Falls jemand einen Link zum mutmaßlich größeren Original hat, bitte melden.

Das Original
Plastic Man
Horror No. 4
von Jeremy Brent
1974
127 Seiten
New English Library

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Kommentare  

#1 Thomas Mühlbauer 2015-04-27 22:58
Zitat:
1974 gab es eine nummerierte "Horrorserie", die es in dieser Form allerdings nur auf sechs Titel brachte, wobei Sammler nur mutmaßen können, was die Nr. Fünf war, da man anscheinend auf dem Cover den Titelzusatz vergaß.
Schade, dass gerade Martin Jensons 'The Village of Fear' es nicht zu einer deutschen Übersetzung geschafft hat; zumal es einige Anleihen von M.R. James aufweist.

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