Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im Verbrauchertest: Teil 35: Paul W. Fairman: Der Mann, der im Nichts steckenblieb (1951)
Teil 35:
P. W. Fairman: Der Mann, der im Nichts steckenblieb
(1951)
Eine Zeit lang, in den 50ern, war Fairman der Chefredakteur so wichtiger phantastischer Zeitschriften wie If, Amazing Stories und Fantastic. Einige Male traf er allerdings auch als Autor ins Schwarze. Doch vermutlich würde man seine Leistung in „Der Mann, der im Nichts steckenblieb“ überbewerten, wenn man sie isoliert betrachtete und nicht einen Blick auf die Gattung dieser Story wirft, die er so gut beherrschte – die „whimsical story“.
Deswegen ist der Artikel heute eher eine Würdigung dieses speziellen verrückten Fantasy-Genres und ihrer wichtigsten Zeitschrift als eine Würdigung Fairmans.
Die burleske, leichtfüßige, lustige Phantastik (heute oft auch gern als Fun-Tasy bezeichnet) hat in Deutschland von jeher einen schweren Stand gehabt. Heute lieben viele von uns Heftromanfans zwar Texte, in denen es nicht so düster zugeht – erinnert sei an Müggenburgs Hexer-Stanley-Geschichten im Silber-Grusel-Krimi, die jetzt in einer Sonderausgabe neu erscheinen. Doch in Regel ging es – im phantastischen Heftroman - vergleichsweise grimmig zu. Überhaupt assoziiert man die SF und Fantasy hierzulande vor allem mit bitterernsten Texten über Aliens, Weltuntergänge und böse Dämonen.
Die typische „whimsical story“ der 40er und frühen 50er Jahre (whimsical bedeutet etwa: überdreht, verrückt, launig) lebt heute vor allem weiter in ihrer Weiterentwicklung, den Geschichten und Romanen von Fredric Brown, Robert Sheckley, Douglas Adams und Terry Pretchett, die auch ins Deutsche übersetzt wurden. Das meiste Original-Material der Gattung ist hier aber völlig unbekannt. Schade.
II.
Verrückte, parodistische Phantastik läßt sich grade im englischen Sprachraum zurückverfolgen bis in die 1920er Jahre. Doch ihr eigentlicher Beginn fällt ins Jahr 1939. In den USA hatte die düstere Horror-Phantastik einen Höhepunkt erreicht bzw. überschritten. Magazine wie Weird Tales und Spicy Mysteries schwelgten seit Jahren in geradezu kosmischem Grauen. Alle wichtigen Stories von Lovecraft, Howard, C. A. Smith waren veröffentlicht und taten ihre Wirkung.
Selbst sonst eher leichtlebige SF-Magazine wie „Amazing Stories“ versetzten das Publikum in Angst und Schrecken. Ein extremes, aber typisches Beispiel ist die Story „The Meteor Monsters“ von Arthur Tofte in der Augustausgabe 1938. Faschistische Unruhen in Amerika fordern viele Todesopfer. Allein diese Ebene wäre schon eine Einzelgeschichte wert. Da hinein knallt ein Meteor, gegen den der Tunguska-Meteorit sich ausnimmt „wie ein Kieselstein“. Es sterben Millionen Menschen weltweit, Teile Amerikas werden fast völlig zerstört. Und als sei das nicht schrecklich genug, entsteigen den Trümmern des Meteoriten riesige grauenhafte Monster mit einer tödlichen elektrischen Aura...
All das wurde mit wohligem Schaudern goutiert – bis der Weltkrieg kam. Das echte Grauen war nun allgegenwärtig. Eine Neuerung lag in der Luft. Die Lust zur Parodie des Grausigen kitzelte die Autoren.
Bezeichnenderweise waren sich die beiden großen unversöhnlichen Rivalen der SF-Pulp-Szene ausnahmsweise mal einig: Fröhliche Phantastik muß her! Fast gleichzeitig gründeten John W. Campbell (Chef von „Astounding Stories“ ) und Raymond Palmer (Chef von "Amazing Stories") zwei Schwester-Magazine, in denen die leichtere, komische Phantastik Platz finden sollte.
Der Weg, den Campbells Blatt „Unknown“ nahm, sei hier nicht weiter verfolgt, das Magazin ist heute noch Kult im englischsprachigen Raum, obwohl es nur 39 Ausgaben lang durchhielt und 1943 eingestellt wurde. Es brachte u.a. witzige Geschichten von Fritz Leiber und L. Sprague de Camp, die immer noch gern gelesen werden.
Kommerziell erfolgreicher war Palmers völlig durchgeknalltes Blatt „Fantastic Adventures“ - es überstand die kriegsbedingten Sparmaßnahmen ausgezeichnet und brachte es auf immerhin 129 Ausgaben, viele davon erstaunlich dick mit über 200 Seiten. Dann wurde es 1953 mit der etwas seriöseren Zeitschrift „Fantastic“ fusioniert. Dies Magzin wurde die eigentliche Heimat der "whimsical Fantasy" und der Screwball-SF.
Die Intention von "Fantastic Adventures“ war nicht ausschließlich, andere Gattungen zu parodieren. Es ging vielmehr darum, neue Formen der phantastischen Story zu entwickeln und alte zu verbessern. Dabei wollte Herausgeber Palmer eine Intellektualisierung der Gattung vermeiden, wie sie in andern Blättern, auf Druck einer kleinen, aber wortgewaltigen Fangemeinde, inzwischen überhand nahm. Ihm ging es immer um launiges, kurzweiliges Entertainment für alle, nicht um den Versuch, SF und Fantasy zur kanonischen Literatur hochzurüsten oder zu einem Gebiet für Insider zu machen (was ihn zum Haßobjekt Nr.1 vieler SF-Fans machte und bis heute macht.)
Obwohl die Literaturgeschichtsforschung von Palmer-Gegnern dominiert wird, muß selbst ein fast pathologischer Palmer-Hasser wie der SF-Historiker Mike Ashley in seinen Büchern zähneknirschend zugeben, dass „Fantastic Adventure“ ein Blatt war, das von Anfang an einfach unglaublich charmant geschrieben wurde.
Zunächst waren es vier Autoren, die dem neuen grotesken Geschichten-Typus ihren Stempel aufdrückten: Nelson S. Bond, William P. McGivern, David Wright O'Brien und Robert Bloch.
Ein besonderes Kennzeichen dieser Stories war zunächst, dass sie alberne Namen bekamen. Im wörtlichen Sinne! Die Eigennamen der Helden waren oft völlig absurd. Den Beginn machte Nelson S. Bond mit „The Amazing Invention of Wilberforce Wheems“ (Wilberforce Wheems' erstaunliche Erfindung, 3. Heft, September 1939). Die Story gilt bis heute als die erste echte „whimsical Fantasy“ und ist auch wirklich wunderschön. Sie gibt schon den typischen Touch vor – sympathische Versager geraten ins Getriebe großer dunkler Geheimnisse. In diesem Fall muß der geistig nicht sehr helle Autohändler Wilberforce Wheems bei seiner Schwester babysitten. Als der nörglige fünfjährige Bengel nicht schlafen will, kommt Wilberforce auf die Idee, aus den Medikamenten des Badezimmerschränkchens eine Mischung zu brauen, die den kleinen Teufel ruhigstellt. Doch das Gebräu entpuppt sich als Supertrank – statt schläfrig zu machen, erhöht es die Merkfähigkeit des Gehirns um ein Vielfaches! Einmal ein Buch gegen die Stirn knallen reicht, um es auswendig zu können. Toll! Die ganze Familie säuft das Zeug. Doch bald stellen sich Probleme ein, denn man übernimmt nicht nur die Inhalte, sondern auch die Ideen der Bücher. So beschließt der Schwager, der Hitlers „Mein Kampf“ „inhaliert“ hat, einen Blitzkrieg gegen die Nachbarn zu führen. Und der Kleine ist über Papas Sexheft gestolpert und erzählt überall dreckige Witze...Kurz, das Ganze hat Biß und ist sehr lustig.
Das sahen die Leser auch so. Und so folgten bald neue Geschichten. Nelson Bond setzte die Reihe fort mit Geschichten wie „The fertility of Dalrymple Todd“ (Die Fruchtbarkeit von D.T,, 1940) und „The abduction of Abner Greer“ (Die Entführung von Abner Greer, 1941).
Und dann - Auftritt des Gespanns McGivern/O'Brien! Beide teilten sich ein Büro in Chicago und ersannen viele Plots gemeinsam, um sie dann einzeln auszuschreiben. Sie produzierten eine wahre Flut von verrückten Geschichten. Die Titel sprechen für sich. Hier ein O'Brien-Titel von vielen: Marlow's Malicious Mirror (Marlows fieser Spiegel, O'Brien, 1942). McGiverns Titel sprechen auch ohne Übersetzung für sich: "The visible invisible Man" (1940), "Al Addin and the Infa-Red-Lamp" (1941), "The Ghost that haunted Hitler" (1942). Auch der allseits beliebte, damals noch junge Horror-Autor Robert Bloch (Psycho) tobte sich hier aus und entwickelte skurrile Geschichten, teils unter eigenem Namen (er erschuf für die Zeitschrift seine Lefty-Feep-Reihe, auch so ein schöner blöder Name!), teils unter dem herrlich schwachsinnigen Pseudonym Tarleton Fiske. Für die Märzausgabe 1950 schrieb er eine der wenigen Erzählungen des Magazins, die auch ins deutsche übersetzt wurden: "The girl from mars" erschien 1973 in einer Anthologie als "Marsmädchen haben spitze Zähne."
Gegen Ende des Krieges schien allerdings die blühende lustige Phantastik in eine erste schwere Krise zu geraten. 1944 starb einer der Hauptautoren, David Whright O'Brien, beim Kriegseinsatz in Deutschland und hinterließ geschockte Schriftsteller-Kollegen. Es kam zum Streit zwischen Palmer und O'Briens bestem Freund William P. McGivern – Palmer verlangte weiter lustige Stories von ihm. McGivern gehorchte eine Weile, doch bald wurde ihm die Arbeit zutiefst zuwider. Er verließ das humoristische Feld und die Zeitschrift, um fortan düstere Hardboiled-Krimis zu schreiben. Ein Gewinn für die Krimi-Welt, ein Verlust für die fröhliche Phantastik. So hatte das Magazin zwei seiner besten Autoren verloren.
Doch auch sonst zogen dunkle Wolken auf. Palmer verstrickte sich immer mehr in seinen eigenen Gags. Der sogenannte Shaver-Rätsel-Skandal brachte ihn zu Fall – eine Affäre, die eigentlich einen eigenen Artikel wert wäre. Shaver war eine Art Vorläufer von Erich von Däniken und entwickelte für Amazing Stories in Palmers Auftrag eine verwickelte, aber amüsante Verschwörungstheorie über eine Alien-Rasse (genaugenommen zwei, aber das aufzudröseln führt jetzt zu weit), die vor Jahrtausenden zur Erde kam und deren degenerierte Mitglieder immer noch im Erdinnern leben. Shaver kombinierte präastronautische Ansichten mit Hohlwelt-Theorien. Was als Hoax gedacht war, nahm bald manische Formen an – und war nicht mehr lustig. Am Ende glaubten nicht nur die meisten Leser, sondern Palmer selbst, dass Shavers Geschichten authentisch seien. Palmer wurde 1949 von den Besitzern der Magazine Amazing Stories/Fantastic Adventures gefeuert und gründete bald sein eigenes Pulp-Imperium, in dem SF-Zeischriften wie „Other Worlds“ und „Imagination“ erschienen.
Doch Fantastic Adventures existierte auch ohne seine Seele Raymod Palmer erstaunlicherweise über drei Jahre weiter. Vor allem, weil Palmer-Fan William Hamling das Blatt als Vizechef zunächst auf altem Kurs hielt, nun freilich ohne Shavers Verschwörungstheorien. Der eigentliche neue Herausgeber, Howard Browne, ein flammender Campellianer, versuchte zwar zunächst, die Zeitschrift zu intellektualisieren. Kurzweilig erschienen auch typische Campbell-Autoren auf der Bildfläche, etwa Theodore Sturgeon. Doch Browne verlor bald das Interesse an dem Blatt, und der typische Whimsical-Effekt kehrte zurück. Womit wir bei Fairman wären.
III.
Paul W. Fairmans (1909-1977) Kurzroman „The man who stopped at nothing“ erschien in der Novemberausgabe 1951 von „Fantastic Adventures“ und ist für mich eines der wirklich saukomischen späten Meisterwerke der whimsical story kurz vor Toresschluß. Es ist eine echte Screwball-Comedy in Druckform. Die Anspielung auf die wilde Film-Komödien-Spielart ist überall im Text greifbar. Da ist zunächst der verrückte Wissenschaftler Dr. Limpus, der von allen verspottet wird:
„Ich hab grad eine B-Movie-Komödie gesehn mit einem Screwball-Doktor. Wissen Sie was? Sie hätten den viel besser gespielt.“
Dr. Limpus ist der typische Frankenstein-Verschnitt. Als Dorn, ein junger reicher Taugenichts, auf einsamer Landstraße mit seinem Wagen einen tödlichen Verkehrsunfall hat, klaut Limpus seine Leiche, um sie auf seinem düsteren Anwesen wiederzubeleben.
Der Hauptanteil der Story spielt allerdings in der Zwischenwelt zwischen unserer und dem Tod. Eine Menge Geister bewegen sich dort, so auch Dorn. Als er eine junge Frau kennenlernt, die ebenfalls dort als untoter Geist herumspukt, verliebt er sich in sie. Zu seiner Verblüffung schleppt sie ihn sofort mit in ein leeres Hotelzimmer der Echt-Welt (die alle Geister der Zwischenwelt zwagsläufig bewohnen müssen. Meist suchen sie unbesetzte Hotelzimmer auf.) Förmlichkeiten sind unnötig, erklärt sie, weil Geister keinen Sex haben. Deswegen sind in der Zwischenwelt auch andere, freiere Anstandsregeln in Kraft. (In der Zwischenwelt sind allerdings die Menschen untereinander ebenso körperlich wie wir, sie stecken nur für uns auf einer anderen spirituellen Ebene). Dorn sieht das ein, hat aber ein gewaltiges Problem: Sein sexuelles Begehren ist so gewaltig wie eh und je. Das liegt daran, dass Dr. Limbus auf seinem fernen Gut Starkstrom durch seine Leiche jagt, um sie wiederzubeleben, während Dorns Astralleib mit seiner neuen Freundin im Hotelzimmer zwischen echten Menschen wohnt. Tatsächlich wird er durch Dr. Limpus' Experimente einigemale nahezu wieder lebendig, was bewirkt, dass sein Körper in den unmöglichsten Situationen sichtbar wird, etwa im Hotel unter der Dusche, die er sich mit einer schönen lebenden Mieterin teilt.
Gemeinsam mit seiner neuen toten Freundin versucht Dorn den irren Doktor zu finden, um ihm seine eigene Leiche abzunehmen – auch wenn beide noch keine Ahnung haben, sie sie das als Geister machen sollen...
Die Idee einer Geisterkomödie dieser Art war auch 1951 nicht ganz neu. 1926 erschien Thorne Smiths ulkiger Geisteroman „Topper“, ein Bestseller, der zehn Jahre später auch als Screwball-Komödie verfilmt wurde – mit Cary Grant als spukender Unfalltoter. Die Parallelen zu Fairmans Geschichte sind unübersehbar. Doch Fairman durchflicht seinen Text mit so vielen guten Gags und skurrilen Einfällen, dass seine Geschichte zu etwas Eigenständigem wird. (Ich habe mich zum Beispiel in Smiths Roman passagenweise sehr gelangweilt und bei Fairman keine Sekunde.) So kann man in Fairmans Geisterwelt per Wunschdenken den Ort wechseln, man muß ihn nur imaginieren. Trotzdem gelingt es dem Geisterpaar zunächst nicht, Dr. Limpus' Labor aufzusuchen – als sich der kurz zum Leben erwachte und dann von Limpus wieder getötete Dorn (Limpus ist so begeistert, dass er die Wiederbelebung nochmal machen will) in dessen Haus wünscht, landen beide Geister in einem Hollywood-Horror-Setting, das genauso aussieht.
Die trockenen Dialoge und die gelungene Situationskomik, der schwungvolle Sieg über die allergrößte Angst, die Todesangst, lösen bei mir Bewunderung aus - und Verwunderung darüber, dass diese Geschichte und mit ihr die ganze Gattung, zu der sie gehört, es nie zu uns nach Deutschland geschafft hat. Sind wir zu humorlos dafür? Oder wollen wir in unserem faustischen Naturell doch lieber in Abgründe blicken als in Zerrspiegel, wenn wir phantastische Literatur lesen? Wie auch immer – Fairmans kleiner Roman ist meines Wissens, wie auch fast alle anderen Geschichten aus 15 Jahrgängen „Fantastic Adventures“, nie übersetzt worden.
Nächste Folgen:
David H. Keller – Horror-Storys (1928-53) (11. Juli)
Ethel Lina White – Eine Dame verschwindet (1936) (25. Juli)
E. T. A. Hoffmann – Meister Floh (1822) (8. August)
Edgar Rice Burroughs – Tarzan bei den Affen (1912) (22. August)
Kommentare
Aber ich persönlich kann damit wenig anfangen. Das Ziel des Spottes ist viel zu oft so groß wie das sprichwörtliche Scheunentor, und es braucht schon ein ganz spezielles Talent für solche Stories. Das wird ganz schnell zu Klamauk, und gerade bei den witzigen Sidekicks, die hierzulande so beliebt waren, krieg ich nur Pickel.
Problematisch sind auch die Übersetzungen. Gerade auf dem Sektor sind so viele Dinge so gut wie unübersetzbar, ob nun Anspielungen oder Wortspiele. Oder auch gerade die Namen. Ich kenne die Story von Fairman zwar nicht, aber es erscheint nicht unbedingt ein Zufall zu sein, dass der Professor Limpus wie in Schlaff und der heißblütige Held Dorn wie in hoch aufgerichtet heißt.
Fairman hat nicht viel geschrieben, noch weniger liegt auf Deutsch vor. Seinen Frankenstein-Roman (Vampir Tb 45) halte ich noch immer für einen der gelungensten Vertreter der Legion von Nachahmern, Sein Krimi bei Luther "Ich werde dich ..." ist auch ganz passabel. Und nicht zu vergessen sein "Sherlock Holmes und Jack the Ripper" unter Ellery Queen, den er zusammen mit den Original-Queens schrieb. Auch der ist interessant.