»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Wenn die Ratten kommen - Vampir-Horror-Roman Nr. 377 von George H. Smith
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Wenn die Ratten kommen«
Vampir-Horror-Roman Nr. 377 von George H. Smith
Man ist ja auf viel vorbereitet (so denkt man), aber dann kommt dieses Kapitelchen aus dem großen Fundus der Atomapokalypsen heraus spaziert und will seinen Lesern mal ordentlich Druck machen. Doch was mich da erwartete, mutierte binnen weniger Seiten in eine abstruse Richtung, nämlich die einer banal-dämlichen Menage-a-trois, die aus heutiger Sicht vermutlich noch schräger wirkt als anno 1980, als die Idee dahinter (der Kalte Krieg eskaliert zum dritten Weltkrieg) noch durchaus etwas Realistisches vor sich hatte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber auch noch die furchtbare Vermutung, es handele sich dabei um das Werk eines sich mit einem englischen Pseudonym tarnenden deutschen Gelegenheitsautors, der lange vor der Globalisierung billiger Soap-Operas mal ordentlich in die Butter gehauen hat.
Doch weit gefehlt: tatsächlich handelt es sich um die Übersetzung eines reellen utopischen Romans (naja...) von 1961 („The Coming of Rats“) und der liebe Autor heißt tatsächlich so.
So dermaßen einfallsarm, dass es zu dieser Zeit tatsächlich drei George Smiths gleichzeitig gab, die drauflos schrieben, wobei einer Philosoph und der andere (George O.Smith) ebenfalls SF-Autor war.
Dieser „George“ hier hat in seinem CV immerhin gut 100 Romane unter mehr als einem Dutzend Pseudonymen stehen und ballerte alles Mögliche durch, von der Atomparanoia (offensichtlich seinem speziellen Thema) bis zur Softcore-Erotik.
Schnellschüsse waren da vermutlich nicht zu vermeiden, denn die vorliegende Drei-Taschentücher-Story hustet vernehmlich vor sich hin, vorzugsweise nach „kaum recherchiert“, „auf einem Bierfilz geplottet“ und „total unrealistisch in der Figurenzeichnung“.
Wenn aber Herkunft und Produktionsjahr nicht dick drunter stehen, hält man es für noch größeren Stinkkäse – wobei ich nicht sicher bin, ob man die Story nicht sogar noch um einiges gekürzt hat (sehr wahrscheinlich), damit sie in ein Romanheft passt.
Ich werde mir dabei jetzt ausnahmsweise mal untreu und gebe eine sofort kommentierte Beschreibung ab, weil ich bei nüchterner Betrachtung sonst in Zeile 5 implodiere...
Zum Inhalt:
Erschienen im April 1980 hatte ich die Story alsbald strukturell auf die Krisen der Spätsiebziger ausgerichtet, aber offenbar fokussiert die Story auf eine andere Art von nebenbei beschriebener Berlin-Krise, nämlich eine in den fortschreitenden 60ern.
Die Russen haben seit 1957 derbst aufgerüstet und am eisernen Vorhang stehen sich zwei unversöhnliche Parteien aus Ost und West gegenüber, wobei die Russen jetzt die besseren (Atom-)Reserven am Start haben.
Das sieht zumindest Ich-Erzähler Steve Seabrook so, der in einer Agentur schuftet, aber das strahlende Ende der Welt kommen sieht. Deswegen hat er sich im abgelegenen Hochland eine Höhle gesucht und transportiert schon seit einigen Wochen reichlich Essen, Trinken, Benzin und eine reichhaltige Anzahl von Hunden, Katzen, Viehzeugs und Kaninchen dorthin.
Allein will er das Ende der Welt aber auch nicht überleben, denn eigentlich möchte er sein Herzblatt bei sich haben. Die weiß aber weder davon etwas, noch davon, dass sie sein Herzblatt ist (oder sein wird), denn sie hört auf den Namen Bettirose O'Connor
Bettirose ist der Typ Bürotiffze, wie man sie nur selten literarisch serviert bekommt, ohne das sie nach spätestens der Hälfte ex geht: rein und unschuldig bis ins Mark, schüchternd flirtend, etwas flattrig und bei vielen Verabredungen mit unterschiedlichsten Männern immer im Rühr-mich-nicht-an-du-Schlimmer-Du-Modus.
Bis Seite 9 haben ein paar Barbesucher, die mit Steve zufällig zusammen einen heben, die Backstory vom drohenden Krieg aufgearbeitet und wir können uns endlich in die Berge verdrücken, wo wir Pablo Lopez kennen lernen, einen freundlichen älteren Schäfer, der in der Nachbarhütte haust. Pablo ist der Typ Knuffelbär, der zwar immer hilfsbereit ist, die Story aber nie überlebt.
Da hat seine Tochter Rosa schon bessere Chancen. Die ist achtzehn, dunkelhaarig, rassig und läuft dementsprechend permanent heiß. Außerdem ist sie recht patent, weswegen der inzwischen von seiner kapriziösen Angebetenen sexuell frustrierte Steve bald seinen Hormonen nachgibt und lustig einen wegsteckt (Seite 11).
Das Dumme (an dieser Story) ist nur, dass Steve bis auf weiteres erst mal betriebsblind verbleibt. Er füllt weiter die Vorräte auf und kehrt ins Büro zurück, wo er fortan wieder Bettirose belagert. Die treibt den Leser auch weiterhin in den Wahnsinn mit ihren luftigen Kleidern und ihrem wiegenden Gang und Dating-Ausreden bezüglich des anstehenden Kirchgangs am nächsten Morgen.
Als Steve sie dann endlich im Autokino hat und ihr mal gepflegt ans Knie packt, geht sofort eine lebhafte Diskussion um Respekt gegenüber Mädchen los und warum sie so etwas von Steve nun so gar nicht erwartet hat und wieso mit Reinstecken nun so gar nichts geht. In der Folge kocht Steve dann natürlich zunehmend der Sud.
Daraufhin wird die Chose noch mal durchexerziert: bisschen politische Backstory, neue Lieferung für die Höhle, anschließend poliert er mit Rosa wieder die Matratze. Der an den Koitus folgende Dialog ist dabei minimum genauso platt, banal und seifig-peinlich wie die Kino-Diskussion.
Interessant ist dabei noch der Punkt, dass laut Steve Kaninchen seit Jahrhunderten als fokussierte Rattenkiller gezüchtet werden, etwas, für das ich trotz intensiver Suche keinen Beleg gefunden habe. Kann ich mir auch wirklich nicht vorstellen, vielleicht war es ein Übersetzungsfehler.
Nach dieser Nummer hat Steve einen guten Gedanken, nämlich dass Bettirose unfähig und Rosa die Richtige für ihn sein könnte, aber er liebt nun mal das blonde Brötchen. Das zumindest ist so realistisch wie frustrierend, denn damit müssen wir das Mädel noch länger ertragen (Seite 20!).
Nächste Runde: wieder Date mit B. , erstmalige Darlegung seines gemeinsamen Fluchtplans, totale Verweigerung der Realität ihrerseits . Daraufhin neues Date, jede Menge Geschwafel rund um den Verlust der Jungfräulichkeit und nötigen Eherespekt ...und endlich verschärft sich die Krise (die politische, Seite 26!!!).
Also packt Steve die Uschi ein und düst in seine Rettungshöhle. Die Bomber fliegen und als Bretti-Betti auf hohen Hacken im Höhlengrund nach dem Badezimmer zu suchen beginnt, dämmert Steve sein furchtbarer Fehler. .
Von jetzt an geht’s halbwegs in Apokalypsenrichtung. Die Welt ist am Arsch, Steve fährt in die nahegelegenste Kleinstadt und plündert ein wenig. Ist aber schon ziemlich geplündert, das Örtchen. Die Strahlenkrankheit macht die Runde, eine Einheimische bietet sich kränklich erscheinend sexuell für Nahrungsmittel an, ein paar Jungs wollen einen Hund essen und Steve klaut noch ein paar Gewehre . Dabei wird er von einer Ratte gebissen
Dann kommt er zwei Frauen zu Hilfe, die von Vergewaltigern bedroht werden, wird selbst überwältigt (aber natürlich nicht umgebracht), kann sich befreien und die Frauen befreien. Die dann ihrerseits ihre Angreifer killen. Prösterle auf die verrottende Zivilisation.
Auf Seite 42 reißt Steve dann endlich der Geduldsfaden. Als Betti mal wieder total öde ist (worüber sie sich wie üblich launisch beschwert), greift er sie sich und tackert sie endlich ordentlich durch. Am nächsten Tag: eine (1!) Ratte gesichtet! Immerhin.
Und als man es schon gar nicht mehr glauben will, nimmt der Roman im letzten Drittel endlich Fahrt auf. Drei Typen tauchen auf, meucheln Pablo auf der Suche nach Essen und wollen Rosa an die Wäsche. Steve hat seine Lektion aber schon gelernt und hat die Knarre bei der Hand. Begründet wird der Meuchelmord durch Unfallbeteuerungen, worauf Bettirose vor Mitleid zerfließt, sich wie ein Welpe über Gesellschaft freut und eine Tanzparty will (Mama, ich will nach Hause!!!). Aber Stahlmann Steve lässt die Jungs erstmal ein tiiiiefes Grab ausheben und blastert alle drei in die nächste Welt .
Daraufhin ist Rosa zufrieden, Bettirose bekommt endlich mal Küchendienstanweisung und Steve macht sich mal wieder über Miss Lopez her
War noch was? Ach so, ja, die Ratten.
Die kommen dann ab Seite 54 (von 64!) und zwar (die Mädels sind inzwischen beide schwanger und offenbar beide hingebungsvoll Steve verfallen) gleich in Form einer derb gefräßigen Armee und für so gut achteinhalb Seiten geht es richtig zur Sache, wenn Steve seine Hunde, Katzen und Killerkaninchen in die Schlacht schickt, Benzingräben abfackelt und gemeuchelt wird, bis die Läufe glühen, bis...ja, bis Steve kurz vor der totalen Niederlage den diabolischen General der Rattenarmee ausmacht, diesen abknallt und die übrigen Zehntausende von Ratten sich angesichts dessen solidarisch zurück ziehen! Und dann warten alle auf die nächste Runde...
Nach(t)gedanken:
Oh Leute, wenn solche Übersetzungen der Grund dafür waren, dass die Serie gut anderthalb Jahre später komplett den Bach runter ging, dann wundert mich das überhaupt nicht.
Bei „Vampir“ gab es öfter Übersetzungen, aber hatte jemand den Text wirklich gelesen oder war der Rattentitel schon allein ausschlaggebend gewesen? Oder handelte es sich um eine bewusste Wahl angesichts des heran dräuenden NATO-Doppelbeschlusses?
De facto hat der Roman bei „Vampir“ eigentlich nichts zu suchen, wäre in einer der Utopia-Serien wesentlich besser aufgehoben gewesen, wobei der phantastische Faktor geradezu infernalisch minimal ist. Wenn ich großzügig bin, unterstelle ich der Rattenarmee einen Hauch von mutagener Organisation, aber das war es dann auch schon.
Trotzdem wäre das üble Thema durchaus diskutabel gewesen, wenn das alles nicht so entsetzlich hölzern, statisch und gewollt hollywoodesk schlecht ausgefallen.
Passieren tut wenig, stattdessen gibt es ohne Ende unglaublich schlechte und klischeehafte Dialoge über mehrere Seiten, die sich meistens um Sex und Respekt drehen, was aber angesichts des Ende-der-Zivilisationsdrucks sowieso ad acta gelegt werden kann, weil sich um der lieben Not willen sowieso alle mit anpacken müssen (und sich damit ggf. auch vom Organisatoren der Zuflucht mal anpacken lassen müssen). Gegen das Aussterben der Menschheit muss angegangen werden, also wird gefälligst was Neues gezeugt, freiwillig oder nicht. Und wer seine Manieren vergisst, kriegt ne Kugel, darauf läufts doch hinaus. Funktioniert zumindest – wie die Hinrichtung der bösen Buben beweist, bei der sich Steve als das „neue Gesetz“ im Lande definiert. Gottseidank ist er nicht auch noch ein Arschloch oder Hitlers Enkel, sondern einfach nur über lange Zeit ein Trottel, der die doofe Blondine statt der patenten und nimmersatten Brünetten haben will. Well, nobody's perfect!
Smith hat sich hier einen erzreaktionären und uramerikanischen Käsekuchen zusammen geschreibselt, der in der englischen Wiki auch noch als „soft-core erotic novel“ tituliert wird. Da steht zu befürchten, dass die wirklichen pikanten Details bei Pabel auch noch rausgestrichen wurden, der Rest ist leider suboptimal.
Das ist fast schade, denn ich habe schon wesentlich Schlimmeres gelesen und sofern die Figuren sich nicht gerade unterhalten (oder das tun, was Smith für eine Unterhaltung hält), funktioniert der nüchterne Tonfall ganz gut. Das passt bei den Passagen über die Strahlenkrankheit und die finale Schlacht ist sehr ordentlich umgesetzt, doch leider ist da noch Bettirose, die seitenweise nur Unerträglichkeit verbreitet.
Tja, und die Sache mit den Kaninchen...ich gebe zu, die Vorstellung ist ganz fantastisch, dass sich Scharen von bisher freundlichen Plüschkaninchen in eine Elitetruppe reißender Killermümmler verwandelt, sobald die Ratten einfallen, allein glauben kann ich es nicht so recht.
Auch nicht, dass Kriege enden, nur weil der General (der Prophet?) der Armee erschossen wird?
Auch nicht, dass ausgerechnet Ratten ein Gefühl für diese etwas absurde Art der Solidarität entwickeln sollten, da sie doch zuvor lediglich rasender Hunger antreibt.
Gegriffen hatte ich mir den Roman, weil fiese Monster-Tier-Attacken ja irgendwie immer ein Sonnenstrahl in den endlosen Vampir-und-Werwolf-Wirren der Romanwelt waren (Vampire etwa finde ich nicht einen Deut gruselig), aber dass ich eine Survival-Schmonzette mit angeklebten Nagetier-Stalingrad bekomme, hätte ich nun nicht gedacht.
Ein Fehlgriff war der Roman übrigens nicht, im richtigen Zusammenhang gesehen, kommt dabei sogar ein interessantes Zeitdokument bei heraus – und es läßt Rückschlüsse darauf zu, was bei Vampir irgendwann nicht mehr so recht funktionierte.
Zeit also, „Vampir“ erstmal ruhen zu lassen und jetzt zur nächsten Anthologie weiter zu wandern.
Wie wäre es denn, wenn ausgerechnet der „Geister-Krimi“ von Kelter, das kleine Stiefkind zu den scheinbaren Edelmarken, mir ein warmes Gruselgefühl schenken würde...
...und wenn nicht, Kuriositäten hatte ich ja jetzt schon genug und bin daran gewöhnt.
Kommentare
Einen damals schon über 20 Jahre alten Roman zu veröffentlichen, das hat was.
Das mit dem Erotic Novel sollte man nicht zu Ernst nehmen. Alles mit dem Thema war zu der Zeit im Vergleich zu heute absolut soft; es ist eher unwahrscheinlich, dass die Übersetzung da groß die Schere angesetzt hat.
Auch wenn das letztlich Zeitverschwendung ist, ist es immerhin interessant, weil es die Themen der gesamten Survivalisten-Literatur der 80er vorwegnimmt. Vor George Smith ist nicht mal Heyne zurückgeschreckt und hat einen Fantasyroman veröffentlicht.
Bei Terra und Terra Nova war er auch vertreten. Zumindest das Terra scheint auch so ein Apokalypse-Teil zu sein mit einem spektakulären Cover. Das VHR-Bild ist grottig, man kann es nicht anders bezeichnen. Selbst das Original von 61 ist da besser.
Ansonsten wieder eine spaßige Beschreibung des Heftes.
Zitat:
"De facto hat der Roman bei „Vampir“ eigentlich nichts zu suchen, wäre in einer der Utopia-Serien wesentlich besser aufgehoben gewesen, wobei der phantastische Faktor geradezu infernalisch minimal ist. Wenn ich großzügig bin, unterstelle ich der Rattenarmee einen Hauch von mutagener Organisation, aber das war es dann auch schon."
Nun ja, ein phantastischer Faktor dürften auch diese Wehr-Karnickel sein. Ich habe zwar schon gehört, dass ein Kaninchen eine Ratte tot gebissen hatte, weil diese sich gerade an deren Jungen gütig tat. Durch die enge des Käfigs blieben da wohl auch nicht viele Optionen zum überleben (der Jungen und des Kaninchen-Muttertier). Aber das Kaninchen möchte ich sehen, dass freiwillig auf Rattenjagd geht.
Wundert mich eigentlich, dass nicht auch noch ein weißes Kaninchen mit einer Taschenuhr dabei auftaucht.
Stelle mir den Roman irgendwie ganz witzig vor, denn Kalauer scheint er ja genügend aufzuweisen.