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Der Golem und der Heftroman - Ein Blick in die Vergangenheit zum Ersten

Der Golem und der HeftromanDer Golem und der Heftroman
Ein Blick in die Vergangenheit zum Ersten

Ein nicht ganz ernst gemeinter Blick zurück in das Jahr 1975 oder 1976. Wie ich damals naiv und unbedarft Klassiker mit Horror-Romanen verwechselte, mich dem Heftroman zuwandte und dort einem ganz besonderen Künstler begegnete, der mich bis heute fasziniert.

Bei Gefallen kann dieser Blick in die Vergangenheit auch gerne erneut geworfen werden.


Das Mondlicht fällt auf das Fußende meines Bettes und liegt dort wie ein großer, heller flacher Stein

Der GolemSo beginnt Gustav Meyrinks „Golem“. Das erste Kapitel heißt „Schlaf“ und ist gerade mal 2 Seiten lang, zumindest in meiner Heyne-Taschenbuchausgabe von 1976. Ich kaufte mir das Büchlein damals für DM 5,80 von  meinem Geburtstagsgeld.

„Golem“, was für ein Wort! So manch einer von uns kennt ebenfalls solche magischen Wörter, die, wenn man sie liest oder hört, eine ganz eigenartige Faszination auf einen ausüben.

Für mich waren Wörter unter denen ich mir nichts, oder zumindest nichts genaues vorstellen konnte von jeher besonders elektrisierend.

Den Begriff „ Golem“ hatte ich in meiner Kindheit schon mal irgendwo aufgeschnappt, doch bereits beim ersten Hören hatte mich das Wort in seinen Bann geschlagen.

Golem – klang das nicht nach einer polierten Stahlschraube im Mund?

Als Kind hat man bisweilen scheinbar solch verschrobene Assoziationen, zumindest ich hatte sie. Und habe sie noch.

Werde sie im Seniorenalter wohl noch ausgeprägter haben, man stelle sich vor: Ich liege in einigen (nicht mehr allzu fernen) Jahren auf der Demenz-Station und klingle beunruhigt. Die Schwester kommt, und ich murmele ihr zahnlos zu „ Fwefter, nehmen Fie bitte die Ftahlfrauben auf  meinem Mund, und wenn Fie fon mal da find, fmeiffen Fie diefen …  Golem rauf!“

Eines Tages, ich war wohl 11 oder 12 Jahre alt, sah ich im Fernsehen einen Ausschnitt aus einem Stummfilm. Und da war er dann auch, der Golem!

Aber: Wie ein zu groß geratener Lebkuchenmann sah er aus. Groß, plump und irgendwie … blöd!

Shit, das war doch nie und nimmer ein Golem. Das konnte und durfte nicht sein, der Anblick dieses hellgrauen Trampels mit seiner unmöglichen Pagen-Frisur erfüllte meinen Mund nicht im Geringsten mit dem Geschmack von frisch polierten Stahlschrauben!

(Anmerkung: Der Film stammte aus dem Jahr 1915, und gedreht haben ihn Paul Wegener und Heinrich Galeen.  Meyrink schrieb seine Version zwischen 1913-1914 und erschien als Fortsetzungsroman. Film und Meyrinks Roman haben nichts miteinander zu tun, bis auf das Thema)

Zurück in Media Res.

Das Heyne-Taschenbuch präsentierte also einen Golem-Roman. Auf dem Cover war der Lebkuchen aus dem Stummfilm abgebildet.

Natürlich. Als ob dieses Bild synonym für das gewisse formlose, ölige-Stahlschrauben-im-Mund-assoziierende Wort „Golem“ wäre.

Ich war vor dem Kauf anfangs mehr als misstrauisch: Konnte es sein, dass ein Golem doch so ein lehmfarbener Riesenliftboy war? Mein Bauchgefühl sagte mir: nein, tu es nicht. Kauf Dir lieber Softeis oder Eistörtchen!

Aber egal, der Golem war eindeutig „Horror“, und so kaufte ich ihn mir.

Der Umschlag des Buches selbst war in widerlich dunkeltürkis gehalten und entstammte der Reihe „Heyne Nostalgie Bibliothek“.

Nostalgie? Kein Horror?

Ich ahnte bereits, dass ich in diesem Buch wohl Keinen finden würde, kaufte es aber dennoch, schließlich war es ja „Golem“. Und ich war neugierig.

(Mittlerweile bin ich mir übrigens gar nicht mehr so sicher, dass ich mir das Buch tatsächlich zum Geburtstag kaufte. Man wird eben alt.)

Wie befürchtet, fand ich dann auch keinen Horror vor, was mich maßlos enttäuschte!

Ist ja auch kein Wunder.

Als 12-jähriger (gewöhnt an Heftromane) sollte man auch nicht wirklich Gustav Meyrink lesen.

Ich verstand kein Wort des Geschriebenen, erkannte noch nicht mal einen Sinn oder gar eine Handlung;  ich fand definitiv keinen Schrecken,  suchte vergeblich nach einem  plumpen Minimum Grusel-Anforderungen, die ich als Kind so gerne erfüllt haben wollte.

Gustav Meyrink tat mir diesen Gefallen aber nicht, und so beurteilte ich dieses Buch als „Beschissen“.
Aber ich las es tapfer zu Ende. Wenn ein Buch denn schon DM 5,80 kostete - Mann, wieviel Eistörtchen hätte ich mir für das Geld kaufen können -, Golem hieß, und ich es mir zum Geburtstag kaufte (Je mehr ich darüber nachdenke: Es könnte durchaus sein, dass ich es gar nicht gekauft, sondern tatsächlich im Laden  einfach mitgehen ließ?), dann würde ich es auch zu Ende lesen! Basta!

Gustav Meyrink war danach aber bei mir unten durch, aber sowas von!

Zum zweiten Male war meine Golem-Illusion zerstört worden, und diesmal nachhaltig.

Das Buch habe ich übrigens heute noch.

Ich hatte damals ganz stolz in meiner Kinderschrift „Ex Libris KH“ geschrieben.

Das steht heute noch drin.

Ich wandte mich Horror-durstig anschließend wieder der Heftroman-Serie „Vampir Horror Roman“ aus dem Pabel-Verlag zu.

Die erschien wöchentlich, und ich kaufte sie mir immer am Bahnhofs-Kiosk.

„Schundheftln“, nannte sie meine Großmutter. Daraus wurde „Fundheftln“, wenn sie ihre billigen Zahnprothesen nicht im Mund hatte, sondern sie in einem selbst gehäkelten Etui in ihrer Kleiderschürze bei sich trug. Ja, die typische Siebziger.Jahre-Oma eben!

Endeckt hatte ich die Serie Anno 1975 in einem Antiquariat in München in der Lindwurmstrasse.

Mein Bruder machte damals (unfreiwillig) eine lange, lange Null-Diät in einer Klinik, und so kam es, dass meine Mutter und ich die beschwerliche Reise mit der Eisenbahn in die Landeshauptstadt machten, um ihn zu besuchen.

Vorher waren wir aber noch in einem MacDonalds, was zur damaligen Zeit in Bayern einer Sensation gleichkam, und danach liefen wir auf dem Weg zur Klinik an eben diesem Antiquariat vorbei. Vor lauter Gier hatte ich mir noch einen Big Mäc zum Mitnehmen gekauft, allerdings ohne ihn zu essen. In der Klinik erzählte ich meinem Bruder stolz davon, und ich denke, ich zeigte ihm diesen auch…

Aber das kann gerne ein andern Mal ausführlich erzählt werden.

Die Nacht mit dem TeufelZurück aber zum Vampir Horror Roman:

Die Geschichten der Serie waren damals für mich in meinem zarten Kindesalter Horror pur, und nicht nur das - sie waren auf dem Umschlag mit zugleich außergewöhnlich schönen und verstörend, aber dennoch realistisch gemalten Bildern geschmückt, die mich unweigerlich in ihren Bann schlugen, und mich zugegebenermaßen mehr erschreckten als die Romane selbst.

Dies ging sogar so weit, dass ich mir die Romane zwar kaufte, sie aber nicht zu lesen wagte. Nur wegen der Titelbilder.

Der Maler dieser Titelillustrationen hieß C.A.M. Thole. Ein sehr passender Name für einen Maler erschreckender Bilder, wie ich meine.

Oder etwa nicht?

In dieser Reihe erschien übrigens etwa 2 Jahre später ein Roman mit dem Titel

„Der eiserne Golem“ von einem gewissen Al Fredric (Schrieb auch als Roy Palmer für Dämonenkiller und Seewölfe). Dieser Mann (damals mein Lieblingsautor bei VHR) hatte zuvor schon einige spannende Romane geschrieben, mit ausdrucksstarken und verheißungsvollen Titeln wie

  • „Das Schweinemonster“
  • „Die Menschenmonster“
  • „Das Mörder-Auge“
  • „Das Findelkind“.

Zur Zeit des eisernen Golems wurden die Titelbilder dann leider schon nicht mehr von C.A.M. Thole gemalt, sondern von Nikolai Lutohin, einem jugoslawischen Künstler. Der hat übrigens vor einigen Jahren mutmaßlich Selbstmord begangen, während Thole eines natürlichen Todes gestorben ist. Nicht auszudenken, wie die Thole-Version des eisernen Golems ausgesehen hätte!

Lutohins Bilder werden seit Jahren im Internet günstig zum Kauf angeboten, allerdings ohne großen Erfolg.

Mittlerweile, zum Manne gereift,  bin ich auch im Besitz einiger Bilder der beiden Maler, und ich muss zu Lutohins Ehrenrettung sagen, dass seine Werke im Original wesentlich besser aussehen als damals auf den Heftromanen. Das Original zum oben erwähntem Roman „Menschen-Monster“ (Fwefter, ficken Fie die Menfen-Monfter doch bitte rauf) besitze ich glücklicherweise seit kurzem als Original. Das verdanke ich übrigens einem sehr guten Internet-Buddy, der auch manchmal hier im Zauberspiegel anwesend ist.

Den eingangs erwähnten  Meyrink, den habe ich Jahre später im Mannesalter dann noch einmal gelesen, das Kind war schon fast zur Gänze (aber nicht ganz, gottseidank) aus mir verschwunden, und ich las ihn nicht mehr in der Erwartung eines Horror-Romans, sondern genoss den literarischen Impressionismus Seite für Seite.

In Prag, in der Goldenen Stadt in der Roman und auch Film spielen bin ich auch schon mehrmals gewesen, auf den Spuren der Golems (ist der Plural korrekt?) gewandert und erstand zu meinem Entzücken sogar einige Golem-Souvenirs, ein T-Shirt, Ansichtskarten, sowie eine kleine Keramikfigur. Sogar in einem Cafe Golem war ich und trank besten böhmischen Kaffee, der glücklicherweise nicht nach Stahlschrauben schmeckte.

Inzwischen fällt das Mondlicht auf den Fußboden neben meinem Computer und bleibt dort liegen wie ein großer, heller flacher Bierdeckel.

Wie fich die Tfeiten doch ändern.

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2016-02-11 12:36
Schöner Artikel. Gratuliere. Ich glaube, solche Geschichten hätten bestimmt einige von uns zu erzählen. ;-)

Der Golem und Prag sind ein faszinierendes Thema, das nie alt wird. Der Rabbi, der verrückte Kaiser Rudolf, John Dee und andere Alchimisten am Hof. Hat doch viele Autoren inspiriert.

Heynes diversen Unterreihen. Was es da nicht alles gab! Von Heyne-Geschichte mit oft schwerst zugänglichen Themen bis zu den Exquisit-Büchern. Man vergleiche das mit Ebooks. Oder besser auch nicht.
#2 Toni 2016-02-11 17:07
Klasse Artikel Estrangain.
Solche Versuche habe ich auch gemacht, hatte ja einen Ausweis für die Stadtbücherei. Was ich da an Ballast hin und hergeschleppt habe :sigh: Einmal, mit zehn/elf habe ich mir 3 Bände(?) von: Ich, Claudius-Kaiser und Gott mitgenommen, denn da gab es auf WDR diese geile Serie. Tja, die Bücher waren anders :D

So eine Omi hatte ich auch, aber die machte immer Faxen mit ihrem Glasauge und konnte gucken wie Marty Feldman - zum schreien.
#3 Thomas Mühbauer 2016-02-12 18:48
Wobei es auch möglich ist, Gustav Meyrink und Carolus Adrianus Maria Thole zu vereinen:

Der weiße Dominikaner (Heyne Taschenbuch Bd. 5817)
#4 Ringo Hienstorfer 2016-03-12 19:31
Danke für die netten Kommentare. Der Nachfolgeartikel ist nun auch schon fertig!
#5 Thomas Mühbauer 2016-03-12 20:08
Da möchte ich auf das im Artikel erwähnte Antiquariat in der Lindwurmstraße eingehen, das eine nette Erinnerung wachgerufen hat.

Es gab zu der Zeit zwei Läden dieser Art in dieser Straße. Einer war ein "üblicher", der andere aber, der sich in unmittelbarer Nähe zum Goetheplatz befand und eigentlich nur einen einzigen großen Raum mit Regalen bis unter die Decke darstellte, war im Besitz eines (nur vermeintlich) grummeligen alten Herrn, der aber ein recht angenehmer Geschäftspartner war, wenn man ins Plaudern kam. Er kam, wie er mir erzählte, irgendwo aus dem Baltikum und dürfte wohl auch schon lange mehr leben. Habe eben in einem im Geschäft gekauften Buch nachgeschaut, A. Madison hieß dieser kluge Kaufmann, dessen Laden ich gerne aufgesucht habe.
#6 Ringo Hienstorfer 2016-03-12 20:35
Aha, da schau her. Du kennst den Laden also auch, ist ja interessant. ich habe aber leider fast gar keine Erinnerung mehr an den Laden, ich denke aber, dass es der von Dir erwähnte, zweite gewesen ist.
#7 Thomas Mühbauer 2016-03-14 20:53
zitiere Estrangain:
Danke für die netten Kommentare. Der Nachfolgeartikel ist nun auch schon fertig!


Gibt es da auch eine Vorschau zum Raten wie bei Laurin? :-)

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