Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im Verbrauchertest: Teil 47: Winston Marks – Die Test-Kolonie (SF Stories von 1953 - 58)
Teil 47:
Winston Marks – Die Test-Kolonie
(SF Stories von 1953 - 58)
Als das Street & Smith – Pulp -Imperium 1949 sämtliche Pulp-Hefte vom Markt nahm, brach eine Panik unter den restlichen Verlagen aus. Und das ganz zu Recht. Denn die große Ära der Story-Magazine war vorbei. Was Depression und Weltkriegs-Papiermangel nicht schafften, gelang dem Fernsehen und dem Taschenbuch: Das klassische Pulp-Magazin ging unter.
Diese Entwicklung betraf allerdings nicht die SF-Magazine. Zwar stellten einige (heute) heißgeliebte Pulps ihre Produktion ein – „Planet Stories“ etwa kämpfte noch bis 1955 – doch die großen SF-Kultzeitschriften konnten sich halten. Sowohl Amazing Stories als auch Astounding Stories überlebten. Ja mehr noch – das Genre wurde so populär, das in den 50ern, der goldenen Periode der Science Fiction – immer noch weitere Magazine aus dem Boden sprossen. Besonders beliebt waren die Zeitschriften „If“ und „Galaxy“ – im Grunde dieselbe Soße, beide vom selben Verlag und denselben Redakteuren herausgebracht, mit dem kleinen Unterschied, dass in „If“ eher neue Autoren erschienen und in Galaxy eher die altgedienten Stars auftauchten.
Dass die großen Grabenkämpfe zwischen High- und Low-SF anscheinend vorbei waren, zeigt auch der Autor Winston K. Marks. Er verkaufte SF an alle Zeitungen, egal aus welchem „Lager“. Seine Erzählungen erschienen sowohl in den Blättern des guten alten Low-SF-Pulp-Schlachtschiffs Nr. 1 „Amazing Stories“ als auch in der neutönenden „If“ . Das hing einfach damit zusammen, daß die meisten Blätter sich nun nach allen Seiten öffneten. Frühere Edel-Magazine schoben jetzt auch gern mal ein schundiges Space-Abenteuer ein, und Schundhefte, die sich lautstark über die intellektuelle SF-Szene lustig machten, wie „Other Worlds“, brachten klammheimlich dann dann doch die eine oder andere Perle höherer Weihe.
Heute stehen wir insgesamt vor einem Erbe ungeheuren Ausmaßes. Meine digitale Scan-Sammlung von Zeitschriften und Magazinen beherbergt 2.300 englische und amerikanische SF-Magazine, die meisten aus der Zeit 1950-70. Und ich habe längst nicht alles zusammenbekommen. Wer soll das alles lesen, sortieren, auswerten, das Beste vom Müll trennen, und, was vielleicht ebenso wichtig wäre – das amüsanteste vom Müll zusammenstellen?
Denn wer einmal stichprobenmäßig in diese Flut eingetaucht ist, weiß, dass die bisherige Auswahlpolitik zu 90% von Campbellianern gemacht wurde, die im Grunde immer nur wieder ihre eigenen Leute protegierten. Asimov lobt Pohl, Pohl empfiehlt Asimov. Und so dreht sich das Empfehlungskarussell immer wieder um dieselben 20 Autoren, von denen viele, nicht alle, ohnehin überschätzt sind. Wenn man mal bedenkt, dass ein SF-Hardliner wie Frederik Pohl Ray Bradbury für einen Schundautor hielt, kann man sich vorstellen, wie es in diesen Köpfen ausgesehen haben muß, wenns darum ging, Anthologien zu beraten oder herauszugeben.
Einen erfrischenden Neubeginn startete der renommierte Wildside-Verlag 2014 mit seiner Buchserie „The golden Age of Science Fiction“. Die Serie erscheint auch als ebook und hat es bisher – enorm für 3 Jahre Laufzeit! - auf 35 Bände gebracht. Das Sympathische: Herausgeber John Betancourt schlägt sich nun nicht komplett auf die Gegen-Seite, er veröffentlicht Schätze aus allen Lagern, selbst militante High-SF-Kanoniere wie Frederick Pohl (Bd. 32) und C.M. Kornbluth (Bd. 34) haben ihren Band bekommen. Doch auch fast vergessene Autoren wie der SF-Pionier Homer Eon Flint oder Carl Jacobi werden hier gewürdigt.
Band Eins präsentiert 12 Stories von Winston Marks aus den Jahren 1953-58. Warum wurde die Reihe grade mit ihm eröffnet? Das weiß wohl selbst Betancourt nicht so genau.
Vielleicht, weil ihm ein Zitat vom SF-Experten Barry Malzberg über Jahre im Kopf herumspukte. Malzberg hatte bei einer Diskussion, so erzählt Betancourt im Vorwort, Winston Marks als Beispiel für die „Pseudoberühmtheit“ vieler guter SF-Autoren erwähnt, die zwar registriert, bibliographiert und auf der Karte der Literatur verortet worden sind, aber nicht gelesen werden. Malzberg soll gesagt haben: „Nehmt Winston K. Marks. Googelt ihn, und ihr werdet 10.000 Einträge bekommen. Aber niemand hat je von ihm gehört.“
Und das ist wirklich schade, denn die Geschichten sind allesamt äußerst amüsant und zu einem großen Teil auch originell.
Auch wenn ich Malzbergs Rat gefolgt und den Autor gegoogelt habe, bin ich nicht wesentlich weit vorgestoßen in Sachen Biographie. Er lebte von 1915-79. 1940/41 erschienen 2 Geschichten für Pulps, er schwieg dann über 10 Jahre lang bis zu einem Neuanfang 1953. Vermutlich hat diese Pause – wie bei so vielen Männern in jener Ära, mit dem Krieg zu tun. Sein Hauptwerk entstand in der kurzen Zeit zwischen 1953 und 59. In dieser Spanne schrieb er etwa 60 Stories für Magazine. Nur 2(!) sind Ende der 60er Jahre noch nachträglich herausgekommen. Natürlich – möglich wären nicht aufgelöste Pseudonyme, aber ist angesichts der vielen bekannten Pseudonyme dieser Ära eher unwahrscheinlich.
Winston Marks ausgewählte Geschichten zeigen, dass Horror in den 50ern durchaus nicht mehr verpönt war in den SF-Heften. Viele Magazine deuteten schon im Titel an, dass sie offen waren für alle Varianten phantastischer Literatur: „If“, „Imagination“, „Fantastic“, „Fantasy & Science Fiction“.
Marks steuert einige aufregende Horror-Stories für diese Magazine bei.
Die originellste ist vermutlich „The water eater“ (Der Wasserfresser, 1953). Der Ich-Erzähler hat eine sehr reizende, aber kochwütige Frau, die Töpfe und Pfannen meist sehr verkohlt und verdreckt zurückläßt. Als Hobby-Chemiker rührt Charlie sich ein „Super-Reinigungsmittel“ zusammen. Was er dann am Ende aus verschiedenen Putzmitteln gezeugt hat, ist eine Art aggressive zähe Masse, die über eine gewisse Intelligenz zu verfügen scheint. Das Gefährliche ist aber die Fähigkeit des klebrigen Balls, Wasser aufzunehmen und in neue körpereigene klebrige Masse umzuwandeln. Das Ding entzieht der Luft die Feuchtigkeit und verätzt dem Erzeuger auf fiese Weise die Hände. Die Frau flieht, und die Geschichte endet düster damit, dass Charlie diese stark gewachsene Masse nicht mehr bändigen kann und der zähe Klumpen entflieht – in Richtung Michigansee... Sehr hübsch mit einer Prise schwarzem Humor.
Äußerst makaber auch die Geschichte von einer sprechenden Ratte. (Brown John's Body, 1955). Ein fieser Typ und passionierter Tierquäler dressiert in seiner heruntergekommenen Paterrewohnung eine Ratte – er ist überzeugt davon, das Ratten so intelligent sind wie Menschen. Mit Futterentzug und Nadelstichen zwingt er „John“, zu sprechen. Tatsächlich hat die Ratte gelernt, ihn zu verstehen und in Worten um Futter zu betteln. Als sein Quäler den kleinen Hund eines Mädchens tötet, kommt die Gang ihres Bruders bei ihm vorbei, fesselt ihn an einen Stuhl und verwüstet seine Wohnung. Der freigekommene "John" klettert auf die Knie seines Peinigers. Doch anstatt ihm wie befohlen die Fesseln durchzunagen, frisst das ausgehungerte Tier sein schreiendes und fluchendes Herrchen auf.
„They were harsh words, terrible, screaming words: but words are words and food is food, and after all— John was only a rat“.
Die böse Pointe wäre sicher auch anderen Auoren wie Bloch, Dahl oder Collier eingefallen, doch die Passagen mit der mühsam sprechenden Ratte sind wirklich herrlich gruselig, und von einer sprechenden Ratte gefressen zu werden, legt noch mal eine Schippe Grauen drauf.
Marks Faible fürs Gruselige bestimmt auch viele seiner SF-Geschichten. Damit stimmt er so ziemlich in den üblichen Chor der damals recht düsteren Science Fiction mit ein. Vorbei die Zeit, in der die Helden am Ende immer gewinnen – ich kann mich an ein Heft von 1957 erinnern – war es Galaxy? Other Worlds? Ich weiß nicht mehr genau – wo fast alle Stories mit der völligen Vernichtung aller Protaginisten endeten. Auch Marks steuert einige recht gängige Weltuntergangs-Stories bei. In einer (Tabby, 1954) setzen die Aliens seltsame beißende Fliegen auf der Erde aus, von der die Wissenschaft annimmt, dass sie die Menschheit ausrotten sollen. Doch die Fliegenbisse erweisen sich als weniger schlimm als gedacht, sie brennen zwar, übertragen allerdings weder Krankheiten noch injizieren sie Gift.
Die schreckliche Pointe ist, dass die Fliegen nicht direkt gegen die Menschen eingesetzt werden. Sie dienen dazu, um die irdischen Spinnen zu füttern, die dadurch fett und bösartig werden. Am Ende geht die Menschheit an einer ekligen Spinnenplage zugrunde.
Origineller ist eine fiese Robotergeschichte (Backlash, 1954). Eine recht schwächlich anmutende Alienrasse macht den Menschen ihre hilfreichen Androiden-Erfindung zum Geschenk und bietet an, zehntausende als Haushaltshilfen zu bauen und auszuliefern. Da die Dinger sehr teuer sind, können sich nur die Reichen und Mächtigen diese „Diener“ leisten. Man ahnt es schon – am Ende werden die Androiden umgepolt, um die herrschende Elite der Erde auszulöschen, damit die fremde Rasse die Erde übernehmen kann.
Das besondere an der Erzählung ist, dass hier die Menschen ähnlich grausam und zynisch präsentiert werden wie die Aliens. Der freimütige Ton der Story ist für die 50er erstaunlich. In einer äußerst bedrückenden Szene zwingt die Hautperson, ein fanatischer Unternehmer, seine Frau, sich nackt auszuziehen, um die sexuelle Erregbarkeit der Androiden zu testen.
Mich verblüffte an dieser Szene, dass die Redaktion von „Galaxy“ diese Stelle in den prüden 50ern nicht nur nicht beanstandete, sondern sogar illustrieren ließ! Viele Klischees, die wir von dieser Epoche in den Köpfen haben, scheinen doch noch mehr hinterfragt werden zu müssen.
Oft ist das freimütige Erzählen – wie auch in der deutschen Kolportage oder dem Heftroman – eine exzellente Spiegelung des Zeitgeistes. Vieles, das damals gar nicht makaber oder horribel wirken sollte, wird es in der Distanz der Jahrzehnte. So etwa in der etwas vor sich hin plätschernden Story „The test colony" (1954). Die Menschen einer Weltraum-Expedition müssen sich einen Planeten mit den völlig harmlosen Ureinwohnern teilen. Ein kleines zartes Volk, das keinerlei direkte Bedrohung darstellt – es sind niedliche kleine Humanoide. Doch die Moral der Gruppe geht den Bach runter, als sich sexuelle Gelüste auf beiden Seiten einstellen und wildes Gevögel beginnt. Außerdem brauen die Ureinwohner ein starkes Rauschmittel aus Früchten, mit dem sich auch viele Expeditionsmitglieder gern besaufen. Da die Lebenserwartung der Rasse sehr gering ist (3 Jahre), beschließen die Expeditionsleiter, die Einwohner aussterben zu lassen, indem sie alle sterilisieiren. Dafür werden sie in Massen zur Besichtigung der Rakete eingeladen. Bei der Durchquerung einer bestimmten Kammer werden die Wartenden, Schlange stehenden Ureinwohner extrem starker radioaktiver Bestrahlung ausgesetzt.
Das wird, obwohl es fatal an Nazi-Prozeduren erinnert, in einem ziemlich unverbindlichen, gar nicht sehr kritischen Plauderton erzählt, dass es einen heute gehörig schaudert. Amerikanischer Zeitgeist pur. Zwar lernen die Menschen am Ende mit den Resten der Einwohner auszukommen, doch der schlechte (Nach-)Geschmack bleibt.
Doch solche heftigen Entgleisungen bleiben die Ausnahme.
Marks hatte auch ein Talent fürs Komische. Meine Lieblingsgeschichte in der Sammlung ist „Matt in zwei Zügen“ (Mate in two moves, 1954) Dort beschreibt er die Auswirkungen eines Liebes-Virus auf die Zivilisation. Wer erkrankt, steigert seine Emotionen um ein Vielfaches. Die Leute leiden an entsetzlich heftigen Sehnsüchten – oder, wenn verheiratet, an entsetzlichen Eifersuchts-Anfällen. Standesämter sind ebenso überlastet wie Scheidungsgerichtshöfe. Viele gehen nicht mehr zur Arbeit. Der Forscher Dr. Murt und seine Assistenzärztin versuchen nach ihrer Entdeckung des Virus' im Labor fieberhaft, in ihrem Institut ein Gegenmittel zu finden. Dabei verlieben sie sich heftig, unterdrücken allerdings alle Gefühle in dem Glauben, sie hätten sich auch infiziert. Am Schluß stellt sich heraus, dass man auch ohne Virus sehr empfindlich an der Liebe leiden kann. Die Assistenzärztin bekennt lächelnd:
„I sent a blood sample over to Ebert Labs right away. And do you know what?”
“What?” Murt asked in a bewildered fog.
“It was negative. I don’t have Murt’s Virus.” She slipped an arm around his waist and put her head on his shoulder. “All I’ve got is Murt himself.”(„Ich hab grad eine Blutprobe an Eberts Labor gesendet. Und weißt du was?"
„Was?“ fragte Murt verwirrt.
„Sie war negativ. Ich habe kein Murt-Virus." Sie schlang einen Arm um seine Tallie und legte ihren Kopf auf seine Schulter. „Alles, was ich habe, ist Murt selbst.“)
Schade, dass Marks (meines Wissens) noch nicht auf deutsch veröffentlicht wurde – aber vielleicht erbarmt sich ja jemand. Die meisten seiner Stories sind in Amerika inzwischen ohne copyright.
Arthur B. Reeve: Die stumme Kugel (1910) (06. Februar 2017)
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Kommentare
Clevere Titel. Brown Johns Body
Von Marks gibt es eine Handvoll Übersetzungen. Ziemlich verstreut. In den Ullstein-SF-Anthos , dem deutschen Galaxy Galaxis und sogar in einer Heyne Horror-Antho, dem obskuren "Horror-Love", und noch anderen. Halt so ein typischer namenloser Füllautor.
Ich verstehe die Wildside-Edition nicht so richtig. Der niedrige Preis ist ja schön, und sicherlich würde niemand viel für derart unbekannte Autoren zahlen. Aber das sind Schleuderpreise. Wie kommen die auf ihre Kosten?