Amazing Pulps Teil 6: Amazing wird seriös - Falsche Freunde (1953-65)
Teil 6: Amazing wird seriös
Falsche Freunde
(1953-65)
I.
Allerdings verlagerte sie sich früher vornehmlich in die Leserspalten. Ray Palmer kommentierte die Lesermeinungen in Amazing ausgiebig, und dabei fielen auch jede Menge ästhetisch-literarische Bemerkungen ab. Tatsächlich ist Palmer so etwas wie der bewußte Ästhet und Theoretiker der Pulp-Geschichte gewesen, der versucht hat, sie Form der Unterhaltungsliteratur nicht defensiv als Müll zu sehen, der sich gut verkauft, sondern ihr – im Vorgriff auf Steven King - positive Qualitäten zuzusprechen. Einst gebeten, mehr Material des verstorbenen genialen Freundes Stanley G. Weinbaum zu drucken, lehnte er dies ab mit der Begründung, Weinbaums Texte seinen „nicht pulpisch genug“ und deswegen in Amazing fehl am platz.
Die These, dass die (gute) Pulp-Story ihre eigene klare Schönheit und Äthetik hat, wurde lange von den Fans hochwertiger Literatur belächelt. Daran glaubten – hieß es - allenfalls die Leser jener Blätter. Doch nun, ab 1953, wurde das Thema existenziell. Und zwar auch im wirtschaftlichen Sinne. Denn es zeigte sich schnell, dass, wenn eine SF-Story die alten Pulp-Gesetze komplett über den Haufen warf, sie nur wenige Leser fand.
Und deswegen stritten jetzt nicht nur die Leser, sondern auch die Herausgeber verzweifelt um die Philosophie einer guten Geschichte. Das macht diese Ära so spannend, das gibt den Fünfzigern einen fieberhaften, hitzigen Tenor.
Die Tragödie der Science fiction, die Palmer-Schüler William Hamling schon 1950 voraussah, war selbstgemacht. Die SF-Editoren erbten ein williges, lesewütiges Publikum, das im keiner Weise daran dachte, SF-Hefte gegen Fernsehen und Comics auszutauschen; zumindest wollte man nicht weniger schmökern. Die Pulp-Krise von 1949 ging am Genre SF völlig vorbei; im Gegenteil, 1949-51 ploppten neue SF-Magazine wie Pilze aus dem Boden.
Das Problem war der Triumph des Intellektualismus in der SF. Der Anspruch, „erwachsene SF“ zu kreieren, der Versuch, die großen Probleme des Alltags in die SF zu integrieren, Themen wie Holocaust, Umweltverschmutzung, Atomkrieg und biologische Waffen ebenso in den Vordergrund zu rücken, wie die hamletschen Zweifel im Helden, ernteten zwar endlose schulterklopfende Komplimente der lautstarken, aber kleinen Sf-Fancommunity. Doch spätestens 1955 stand man vor einem Trümmerhaufen. Wie von Hamling prophezeit, brach der Markt zusammen. SF war von einem äußerst populären Genre zum düsteren Special-Interest-Schubladenfach geworden. Traditionsblätter wie Thrilling Wonder Stories und Planet Stories, beide seit den Dreißigern auf dem Markt, stellten ihr Erscheinen ein. Magazine wie Galaxy ruderten verzweifelt zurück und brachten wieder mehr Abenteuergeschichten und leichtfüßgiere Stories, um zu überleben.
[Anmerkung – von Ausnahmen abgesehen, blieben diese angeblich „erwachsenen“ Geschichten der 50er bei aller Gesellschaftskritik dennoch US-zentriert, machistisch und oft auch chauvinistisch. Es waren nun allem die Briten, die nun wirklich gute experimentelle und fundamental sozialkritische SF kreierten. In den USA der 50er gab es eigentlich nur wenige Magazine, die wirklich innovativ waren, darunter das legendäre Magazine of Fantasy & SF] -
II
Vor diesem Hintergrund muß man die Amazing-Entwicklung sehen. Die ab 1953 in New York erscheinende Zweitschrift versäumte es, mit dem Ortswechsel auch ihren lustlosen Chefredakteur Howard Browne zu feuern, der weiter vor sich hinwurstelte. Nach einer kurzen Phase mit geborgten Astounding-Autoren (u.a auch P. K. Dick, Sturgeon und Mattheson) bemühte sich Browne, der turbulenten Jahre müde, wieder Kontiunität in sein Blatt zu bringen, und – ähnlich wie Palmer in den frühen 40ern – eine Stammautorschaft aufzubauen, auf die er sich verlassen konnte. Manche hatten ihre Anfänge unter Palmer gemacht.
DER Hauptautor jener Phase 1953-56 wurde MILTON LESSER, ein leichtfüßiger, sehr vielseitiger und oft auch schwarzhumoriger Autor, der mit großer Eleganz und oft sehr pointiert schrieb, aber nicht das Genie Blochs oder die twainsche Burschikosität des Gespanns O'Brien/McGivern besaß. Lesser schrieb oft mehr als nur eine Story für ein Heft. Im letzten Jahr von Brownes Regentschaft, 1956, kam ein weiterer Stammautor hinzu, sicherlich weitaus ambitionierter – ROBERT SILVERBERG, ein äußerst produktiver Schriftsteller, der damals seine ersten Routine-Erfahrungen bei Amazing machte.
Obwohl seine richtig guten Geschichten erst in den 60er / 70er Jahren entstehen, finden sich auch hier viele schöne Einfälle. Silberberg und Lesser dominieren die späten 50er, machen das Blatt zwar unterhaltsam und kurzweilig – aber Abwechslung sieht anders aus. (So stammen in Brownes letzter Nummer vom August 1956 4(!) von sechs Stories von Silverberg, die andern beiden – immerhin – waren von Bloch und Moskowitz.) Tatsächlich schafft es Browne noch, einige aufregende Neuentdeckungen einzuführen, bevor er geht, Namen, die bis heute einen guten Klang haben: Es erscheinen frühe Beiträge von Henry Slesar, Robert Sheckley, Harlan Ellison und Manley Bannister.
Wie wenig visionär er allerdings in der Gesamtkonzeption war, zeigt die triste Jubiläumsausgabe zum 30. Jahrestag der Gründung des Blattes im April 1956. Kein einziger Originalbeitrag! Es werden Geschichten aus der Zeit 1927-42 nachgedruckt; die kritische Phase 1945-53 wird mit keinem einzigen Beitrag gewürdigt, und – gigantischer Affront – es findet sich kein eigentlicher Stammautor (von Bloch abgesehen, der eher ein häufiger Gastautor war) in der Ausgabe, stattdessen bemühte sich Browne verkrampft, die wenigen Beiträger anderer Blätter zusammenzukratzen, die bei Amazing gastweise das abluden, was Campbell und co. ablehnten: Asimov, Tremain (der Hausgeber von Wonder Stories), Cummings (ein Argosy-Stammautor) Hamilton (Weird Tales-Stammautor). Schämte sich Browne so sehr für die Vergangenheit des Magazins, das ihn groß machte (und das er mitgeprägt hatte)? War die servile, phantasielose Jubiläumsausgabe auch ein Grund, warum er 4 Monate später in der Versenkung verschwand?
III
Sein Nachfolger jedenfalls dürfte eine eine echte Überraschung gewesen sein – ein Paukenhieb, der die Campbellianer frösteln und die Pulp-Anhänger jubeln ließ. Paul W. Fairman war ein Autor, den Palmer entdeckt und gefördert hatte, und der keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Palmer machte. Und anders als Hamling war Fairman dem Thema Shaver/Ufos durchaus aufgeschlossen.
Nach 5 Jahren saß also wieder ein Mann ganz oben im Chefredaktionsraum, der Palmers Ideale zu 100% vertrat.
Doch 1956 war nicht 1939, und zur großen Überraschung beider Lager fand keine Palastrevolution statt. Fairmann regierte verblüffend mild und änderte kaum etwas an den Stellschrauben, die Browne festgedreht hatte, ganz nach dem Männermotto: „Warum etwas reparieren, das nicht kaputt ist“. Fairmann achtete darauf, dass das leichte Pulp-Flair, das sich im Spätherbst 1953 wieder eingeschlichen hatte, auch erhalten blieb und sich ein großer Leserkreis angesprochen fühlte, und das war auch schon fast alles.
Der Palmerianer erschreckte seine Leser nur selten, aber wenn, dann richtig. Im Oktober 1957 titelte Amazing reißerisch: „HÄLT DIE REGIERUNG UFO-FAKTEN ZURÜCK? RAY PALMER SAGT: JA!“ Im Heft fanden sich nur zwei Stories, der Rest waren „Dokumentationen“ zur Ufologie samt einem großen Palmer-Artikel (und einem von trara - Shaver!). Hatte Fairman in einer Art Redaktions-Staatstreich Palmer & Shaver zurückgeholt? Die Gemüter beruhigten sich bald, nach wenigen Ausgaben flaute das UFO-Fieber ab, und Palmer räsonierte in seinen eigenen Magazinen weiter.
Es mag eine weise milde Zeit unter Fairman gewesen sein, zumal er versuchte, wieder mehr Fortsetzungsromane zu bringen und damit wieder komplexere Geschichten zu etablieren. Dennoch beschloß die Leitung nach Fairmanns Abwerbung durch Ellery Queens Mystery Magazine, Amazing ganz dem neuen Trend der experimentellen und „erwachsenen“ SF zu öffnen, und endlich auch inhaltlich, nicht nur formal beide Blätter (es gab ja auch noch Fantastic) radikal vom Pulp-Image zu säubern. Dafür wurde die junge Redakteurin Cele Goldberg engagiert, die mit eisernem Besen kehrte, und es schaffte, das Blatt innerhalb von nur 6 Jahren völlig zu ruinieren. 1959-65 formte sie Amazing zu einem „Avantgardeblatt“ um, das zwar die Begeisterung der Astounding-Leser und der campelliansich orientierten Historiker hervorrief (Mike Ashley, der heute einflußreichste Campbellianer, nennt die Amazing-Zeit 1961-65 folgerichtig die aufregendste in der Magazingeschichte...naja...), und sicher finden sich hier interessante Stories u.a von Ursula K. Le Guin oder Thomas M. Disch. Dabei "vergisst" die pulpfeindliche SF-Historie in ihrer amüsanten Art, die Fakten immer elegant zu ihren Gunsten zu verdrehen, aber hinzuzufügen, dass vier Fünftel der von Cele Goldberg gemachten Autoren-"Entdeckungen" heute hoffnungslos vergessen sind.
Außerdem eignete sich Amazing nicht zur trompetenden Avantgarde. Der Grund-Ton war schrill und falsch. Das war etwa so, als würde man „Schöner Wohnen“ in ein kantianisches Philosophie-Fachorgan umwandeln, ohne den Titel zu ändern. Amazing – das stand seit über dreißig Jahren für Fun, Augenzwinkern, ganz großes Space-Opera-Kino und durchgeknallte Fantasy. Amazing war selbst in den umstrittenen Jahren des Shaver-Skandals oder der Ära von Browns Orientierungslosigkeit ein spöttisch-reißerisches, manchmal leicht trashiges, aber immer auf gutes, straffes Entertainment berechnetes Magazin, ein Blatt, das viele liebten und viele haßten. Cele Goldberg formte es um zu einem Blatt, das wenige liebten und den meisten egal war. Die Zirkulation stürzte von ca. 52.000 verkaufen Exemplaren 1962 auf 35.000; das einst so beliebte Schwersterblatt Fantastic verkaufte in diesem Jahr nur noch 27.000 Hefte in ganz Amerika. Zum Vergleich: Zwanzig Jahre zuvor, 1945, verkaufte Amazing unter Palmer noch stolze 250.000 Exemplare.
IV
Dennoch gab es ab 1960 ein Feature, das sofort extrem beliebt wurde: eine Reprint-Ecke. Jede Nummer brachte eine Geschichte aus den glorreichen vergangenen Tagen des Magazins. Als Kommentator und Herausgeber dieser „Wiederentdeckungen“ fungierte einer der besten und unvoreingenommensten Kenner der SF-Geschichte überhaupt, Sam Moskowitz. Moskowitz suchte nicht nur höchst originelle Stories aus der langen Geschichte des Blattes aus, er leitete sie auch jeweils mit einem sehr klugen und anregenden Essay ein. Paradoxerweise sollte dieses Feature auch den Untergang des Magazins beschleunigen. Mitte der Sechziger stießen die Besitzer Ziff & Davis Amazing Stories als zu unrentabel ab und verkaufen es an die Ultimate Publishing Company, die keinerlei Interesse an neuer SF hatte. Da das Feature so erfolgreich lief, beschlossen die neuen Besitzer, ab August 1965 Amazing nur noch als Reprint-Magazin erscheinen zu lassen und (fast) ausschließlich Geschichten der Vergangenheit abzudrucken. Sie geruhten zunächst nicht einmal, den Autoren Wiederholungshonorare zu zahlen und wurden in diverse Prozesse verwickelt. Für 4 Jahre verharrte Amazing im halbtoten Winterschlaf und zehrte von früherem Ruhm. Cele Goldberg war längst verschwunden und redigierte nun ein Braut-Magazin.
Erst der geniale Ted White sollte ab 1969 Amazing neu beleben und ihm einen kompletten Neustart verschaffen. Doch dieses Amazing der 70er Jahre war ein ganz anderes, das mit dem alten Magazin nicht viel mehr gemein hatte als den Namen.
Wann starb der schwungvolle Pulp-Geist des alten Amazing? An jenem Tag im Jahr 1949, als Palmer seinen Rücktritt erklärte? Im März 1953, als die letzte Ausgabe im Pulp-Format erschien? Im Herbst 1958, als sich Chefredakeur Fairman entschloss, dem verführerischen Angebot zu folgen und den Chefposten von Ellery Queens Mystery-Magazin zu übernehmen? Im Januar 1972, als die letzte Reprint-Story in Amazing erschien – David Wright O'Briens „The man who lived next week“ von 1942?
Wann auch immer – es war ein langes Sterben
Nächste Teile:
Teil 7: Amazing Stories reloaded: Ableger, Konkurrenten, Nachfolger (1949-heute)