»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Die Wölfischen (Gespenster-Krimi 480)
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Die Wölfischen«
Gespenster-Krimi 480 von Logan Derek (Uwe Vöhl)
Für gewöhnlich vergesse ich viele Einzelromane aus Anthologieserien relativ schnell wieder.
Einmal Reinlesen brachte ein weiteres leises déjà-vu-Gefühl hervor – doch, den hatte ich definitiv vor ca 25 Jahren schon mal in den Händen. Insofern war er höchst kolumnengeeignet.
Aber zunächst eine kurze Runde Recherche…
Verdammt, wieder eine Unterserie erwischt!
Allerdings: nach Band 425 war es schon ein verdammt großer Zufall, beim Gespenster-Krimi, einen abgekoppelten Einzelroman zu finden, da wurden nach Kräften immer mehr Unterserien ausprobiert, um das leck geschlagene Schiff wieder auf Kurs zu zurren.
Positiver Nebenaspekt dabei: ich hab den ersten Band einer Unterserie erwischt.
Wenigstens muss ich jetzt nicht wie wild in einem beliebig ausgewählten Roman wie blöde nach Bezügen suchen, sondern kann mich ganz auf die originale Autorenidee einlassen.
Übrigens, wer ist überhaupt der Autor?
Wenn der Held nun schon „Udo Münch“ heißt, dann kann ich ja fast auf einen für mich relativ unbekannten Autoren schließen, denn die „üblichen Verdächtigen“ im Autorenkanon haben ja so was wie ein Abonnement auf englische Grusel-Ermittler.
Ein wenig Unklarheit über die Autorenschaft blieb jedoch auch nach der Suche noch übrig, denn während die meisten Listen Uwe Voehl als Autoren nennen, fügen andere auch noch Uwe Anton für ein Autorenduo dazu. Das könnte allerdings auch ein Flüchtigkeitsfehler gewesen sein, denn Uwe Anton übernahm danach das Pseudonym „Logan Derek“ für seine „Daniel O‘Shea“-Saga im Gespenster-Krimi, die ja ebenfalls auf ein rundes Dutzend Romane vor dem Serienexit kam.
Sicher bin ich mir also nicht, aber ich vermelde hier jetzt mal nur Voehl als Autor, auch weil mir der Stil nicht ganz so nach Uwe Anton riecht. Allerdings fällt der Roman erzählerisch schon ein wenig auseinander, so dass ich eine Co-Autorenschaft auch nicht ausschließen möchte.
Voehl, ein patenter und produktiver Krimi- und Phantastikautor hat ja gar nicht so viele Gruselromane verfasst – darunter fünf für den Vampir-Horror-Roman – aber dafür später um so mehr Bücher an sich.
Auch hier ist der Ansatz der Geschichte wirklich enorm vielversprechend, denn Voehl kommt mit einem ungewöhnlichen Setting (die norddeutsche Tiefebene doubelt hier mal eben das degenerative britische Hinterwäldlerdorf), einer bedrückenden Atmosphäre und einem ungewöhnlichen Ansatz, verrennt sich dann aber später ziemlich zäh in einer bemüht interessanten Zeitreise-Seelenwanderungsthematik, um zwischendurch immer mal wieder ein paar bizarre, andersweltliche Register zu ziehen, die aber alle in letzter Instanz nicht zünden.
„Die Wölfischen“ wirkt wie eine echt gute, abgefahrene Idee, die man in ein bemüht typisches Horror-Heftroman-Korsett gezwängt und dadurch weitestgehend verwässert hat, auch wenn man das Potential durchaus noch durch schmeckt.
Aber dazu muss ich wohl erst mal besser erzählen, worum es bei der ganzen Chose geht…
»Hab ich was überfahren?« - »Ja, eine Kuh!«
Willkommen irgendwo in Norddeutschland, wo es für den urbanen Bürger manchmal genauso unheimlich sein kann, wie im Hintergrund Shropsfield-Shrawsbury, wo man damals an einem Freitag den 13. diese komische Hexe verbrannt hat, die jetzt in der alten Burgruine umgeht, aus der diese komischen Lichter und das Wolfsheulen bei Vollmond zu hören sind.
Es gießt in Strömen und unser „Hero“ Udo Münch ist mit seinem Auto unterwegs in das kleine Dorf Bensdorf, wo er einen Freund besuchen möchte.
Weil er auf die Uhr schaut, fährt er plötzlich ein ziemlich schnelles, weißes Etwas an, dass er verletzt und welches sich dann aber ins Unterholz verabschiedet. Kurz danach begegnet ihm ein unfreundliches Männerquintett auf der Jagd nach dem Etwas. Das kann ja heiter werden.
Wieder auf Kurs nimmt Udo kurz darauf ein „fesches Mägdele“ namens Rita mit, die am Straßenrand steht und sich als die Schwester seines Kumpels Bernd von Borstel (prust!) ausgibt. An der lokalen Kneipe „Das schwarze Schaf“ vorbei kommt man endlich bei Kumpel Bernd an.
Kaum steht Udo unter der Dusche, wird auch schon sein Gepäck durchsucht (im Haus seines Freundes!) und dabei kommt auch Udos schwarze Henkermaske zum Vorschein, dank derer er zum „Club der schwarzen Henker“ gehört – ehemals gehörte sie einem Victor La Fayette.
Kumpel Bernd berichtet später von seltsamen Vorkommnissen, doch dann geht das Licht aus und unsichtbare Hechelwesen machen das Haus unsicher. Also geht man lieber in die Kneipe, wo es kaum sicherer ist: ein schmieriger Wirt, sehr robuste Einheimische und jede Menge Fremde: Amerikaner, Russen, Asiaten, Briten und das Herrenquintett aus Freiburg.
Bernd erzählt, dass alle Anwesenden wohl auf die Ankunft des „Wölfischen“ warten, einem Wesen, dass sich auf der dreizehnten Arkane des Teufelstarots befindet, wie es ein gewisser Marquis de Feuile in seinem Buch „Des Cultes Noires“ beschrieben hat. Bernd besitzt so ein Tarotspiel und fürchtet Bensdorf als Ort, wo sich die Dimensionen des Schreckens überlappen können und der „Wölfische“ sich in unserer Welt manifestieren könnte.
Rita beschreibt gerade die weißen, monströsen Dienerwesen, von denen Udo eins angefahren hatte, als die Freiburger auch schon eines der erledigten Tiere in der Gaststube präsentieren. Resonanz: null oder „Noch‘n Pils“!
In der Nacht erhält Udo Besuch von einem geisterhaften Jungen mit Greisenstimme, der jedoch parallel auch bei Rita erscheint („Kreisch!“) und so gleich wieder vertrieben wird.
Jedoch „agraaah“: Bernd ist spurlos verschwunden und seine Tarotkarte des „Wölfischen“ ist ebenfalls perdu.
Udo greift sich seine Henkersmaske und schreitet in die Nacht, wo er die Freiburger gerade noch davon abhalten kann, einen der Amerikaner zu foltern. Der Ami ist wohl von der CIA und auch andere Geheimdienste haben aus ihren PSI-Abteilungen Beamte in die Tiefebene entsandt. Udo kann erst mal einen Waffenstillstand aushandeln.
Am nächsten Morgen kommt es zum nächsten Phänomen: beim Versuch, den Ort zu verlassen, vergessen Rita und Udo sich und fast auch alles Andere, können aber gerade noch von Professor Bunte aus Freiburg gerettet werden: um den Ort liegt ein magischer Vergessensring und da würde man sogar das regelmäßige Atmen aus der To-Do-Liste verlieren.
In der Nacht taucht der geisterhafte Junge wieder auf und entführt Udo durch die Zeit in den Körper des Henkers Victor La Fayette, der zu Zeiten der französischen Revolution den Fallbeilhebel bediente. Eigentlich will er den Jacobinern ja lieber helfen und Robespierres Schreckensherrschaft beenden, doch er verfällt alsbald der Mörderin des Politikers Marat, Charlotte Corday, als er sie im Gefängnis besucht. Mit der magischen Hilfe einer Hexe namens Lubrina lässt er einem unschuldigen Mädchen namens Christine Charlottes Gesicht angedeihen und schickt diese statt Charlotte auf das Schafott. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer und auf der Flucht werden sie von den Schattenschergen überwältigt.
Zurück in Bensdorf erfahren wir, dass La Fayettes Geist in der schwarzen Maske steckt, Udo praktisch seine ewige Reinkarnation ist und Rita für Christines ruhelose Seele steht.
Bei der Gelegenheit erzählt Udo Rita auch gleich, wie er an die Maske gekommen ist: aus den Händen eines gewissen Michael Berger, der für das gleiche Magazin wie Udo arbeitete.
Berger suchte Münch vor Jahren auf und erklärte ihm, dass er in einem Spukhaus wohnen würde.
Zum Beweis führt er ihn bei Nacht in eine Nachbarswohnung und erledigt dort unter Einsatz seines eigenen Lebens ein riesiges Rattenwesen, fällt aber dessen nagenden Helfer-Horden zum Opfer. Kurz vor Exitus reicht er die Maske an Udo weiter, der kurz darauf in den „Club der schwarzen Henker“ aufgenommen wurde, dessen Miglieder wiederum alle eine berühmte (magische) Henkersmaske tragen.
Weil er sonst nicht weiter weiß, benutzt Udo dann die übrigen Karten des Teufelstarots, die sich als eine Art „Tor“ erweisen.
Udo kommt in seiner Wohnung zu sich, in einer seltsamen Szenerie. Drei Wochen sollen vergangen sein, Bensdorf kommt ihm wie ein Traum vor. Aus der Nachbarwohnung seines Freundes Ulrich Schäfer kommen Schreie eines Tumults, doch als er rüber geht, ist dort niemand außer Ulrich, der auch mit einem Teufelstarot hantiert und ihm erzählt, dass ihr Nachbar Schlopphoff vor Tagen verschwunden ist. Als Udo nachhakt, wird er rausgeworfen. Wieder in seiner Wohnung findet er „Des Cultes Noires“ des Marquis vor sich.
Kurz darauf kommt Frau Schlopphoff zu ihm, die sich seltsam gebärdet und zugibt, das Tarot auch zu kennen. Udo erkennt in ihr die Manifestation des Wölfischen/des Todes, wird aber von dem geisterhaften Jungen gerettet, der sich als Gestaltwerdung des Marquis de Feuile vorstellt.
Weil der Marquis das Buch lange in der Vergangenheit geschrieben hat und die Zukunft kennt, muss er nun dafür sorgen, dass die Zeit sich auch korrekt entwickelt.
So kann Udo auch zurück in seinen Körper in Bensdorf, wo ihn sofort der letzte Überlebende aus dem Freiburger Quintett um Hilfe ersucht, nachdem die haarlosen wölfischen Diener die anderen vier zerfleischt haben. Udo nimmt ihn auf und untersucht dann den Ort des Angriffs, wo sich die Opfer ebenfalls in die weißen Dienerkreaturen verwandeln.
Aus dem „Schwarzen Schaf“ startet nun der lokale Mob, brennt Bernds Haus nieder, doch Udo hat die Tarotkarten mitgenommen und Rita noch dazu. Sämtliche ausländischen Besucher sind gefangen genommen und nun beginnt die Jagd. Der fünfte Student verliert bald die Nerven und wird ebenfalls getötet, doch Münch kann mit seiner Maske und ihren Kräften die weißen Raubtiere alle einholen und überwältigen.
Derweil erscheint die unglaubliche Gestalt des „Wölfischen“ am Nachthimmel, tötet die ganzen Gefangenen und manifestiert sich im Körper eines der Kultisten: Udos Freund Bernd.
Rita und Udo werden überwältigt und sollen geopfert werden, doch die Maske arbeitet dagegen an, doch die Aussichten sind dennoch mies.
Da erscheint wieder der Marquis und fordert Udo auf, endlich den Kräften der Maske zu vertrauen und sie zu nutzen, was er dann endlich auch tut. Zeiten und Dimensionen verschwimmen, als er Rita rettet und dann zu französischen Revolutionszeiten Bernd in seiner nun menschlichen Form auf die Guillotine schickt.
Bensdorf jedoch finden beide bei Rückkehr komplett entvölkert vor.
Jagdszenen aus Niedersachen…
Dunnerschlag, nachdem ich diesen ganzen Haufen an Plot jetzt für die Nacherzählung noch einmal zusammen setzen musste, fällt mir auf, wie viel Plot Voehl in diesen Roman geproppt hat. Kaum eine Seite mit Füllern, stetige Figuren- und Zeitenwechsel, sogar die Stimmung und Atmosphäre wechseln munter alle paar Seiten. Erfrischenderweise ist das alles auch sehr unterhaltsam und fällt nicht unter das Dekret „Man weiß schon, was als Nächstes geschieht!“.
Voehl macht generell vieles sehr richtig, was man sich auch in vielen anderen Romanen gewünscht hätte. Er erschafft ein schräges Szenario, ergänzt es mit vielen mysteriösen Figuren und reichert es weiter mit übernatürlichen Versatzstücken an, die nicht sofort erkennbar oder erklärbar sind. Weder gibt es sofort einen eindeutigen Bösen (der „Wölfische“ muss ja erst Gestalt gewinnen), noch sind die Guten und die Bösen ganz klar zu identifizieren.
Zu Beginn deutet sich Rita eventuell als übernatürliches Wesen an, dann gebärdet sich Freund Bernd seltsam und der Geisterjunge wirkt irgendwie auch nicht wirklich bedrohlich.
Alles stachelt den Leser dabei an, weiter zu schmökern, weil hinter jeder Ecke eine neue Wendung steckt.
Das Reinkarnationsthema ist zwar schon zu Tode geritten, aber hier funktioniert es noch als Basis für die Charakterzeichnung, auch wenn mir die Episode in der französischen Revolutionszeit ein wenig zu lang und ein wenig zu widersinnig war. Die Motivation La Fayettes als Henker und Helfer derselben Gruppe ist genauso wenig ausreichend definiert wie sein sofortiges Verfallen angesichts der schönen Charlotte Corday, für die er alles opfert. Die Gründe für das Verhalten der Hexe sind auch etwas nebulös und wie diese Episode wirklich endete, wird auch (noch?) nicht verraten.
Viel besser dagegen die Story um die Maskenweitergabe, die ein wenig etwas von Lovecraft und anderen Ghost-Story-Autoren hat. Auch die bizarre Episode, in der Udo in die Karte eintaucht und sich selbst – fast – vergisst, hat so ihre Qualitäten, vor allem bezüglich der traumartigen, unbequemen und erklärlichen Atmosphäre und Umgebung – das Verhalten der Figuren dabei ist aber nicht so schlüssig.
Was die Treibjagd im Höllenort Bensdorf angeht, die ist eher mit groben Strichen gezeichnet und ich hätte gern noch etwas mehr von den „weißen Bestien“ und der magischen Barriere (die vermutlich aus „Children of the Damned“ entliehen ist) gehabt.
Das Mysterium um die ausländischen Gäste tritt ein wenig auf der Stelle und findet auch fast keine wirklichen Figuren oder Persönlichkeiten, vor allem weil die mühsam als böse eingeführten Freiburger sich später als relativ leicht einzuschüchternde Studentengruppe plus Professor entpuppen, die dann noch leichter zu meucheln ist.
Wirklich stimmig ist dann noch die Verwandlungssequenz, die einerseits heidnische Teufelsrituale zitiert, andererseits aber einige Einflüsse von „kosmischen Schrecken“ zitiert. Dagegen fällt das später alles lösende Fallbeil natürlich etwas ab, ziemlich gewöhnlich nach so einem Aufwand.
Münch selbst ist im Roman meistens um Aktivität bemüht, aber immer wieder in die Defensive gedrängt, eine Figur, die noch nicht Herr ihres Schicksals ist.
Ob Voehl das noch erfolgreich durchziehen konnte – es gab insgesamt nur drei Münch-Romane im GK – weiß ich jetzt nicht, aber die Figur hatte Potential, auch wenn Historienthemen, Provinzialität und unfassbare übernatürliche Schrecken sich ganz schlecht zu einer homogenen Masse verbinden und darunter leidet auch „Die Wölfischen“.
Dennoch: ich kann den Roman eigentlich nur empfehlen! Er ist bunt, schräg, abwechslungsreich und vielschichtig. Er ist nicht wirklich gruselig, aber er hat seine abseitigen Momente, in denen nicht nur die Hauptfigur an seiner Wahrnehmung zweifelt und die Mauern der Realität durchlässig werden. Das ist dann eigentlich schon das höchste Ziel für dieses kurze Romanformat.
Wenn auch leichte Unebenheiten und etwas unausgereifter Stil hier quer schießen, insgesamt ist „Die Wölfischen“ ein schöner und untypischer Roman und das qualifiziert auf jeden Fall zur Weitergabe an Interessierte!
Kommentare
Vorher waren schon vier bei Pabel im Vampir-Horror erschienen.
Die gesamte Serie (8 Stück // www.isfdb.org/cgi-bin/pe.cgi?39495) ist immer noch als Zaubermond ebook erhältlich.
"Der Kommentar ist nicht ganz richtig. Ich habe den Roman damals als Vermittler an Bastei verkauft, aber nicht daran mitgearbeitet. Die Ehre gebührt Uwe Vöhl allein."