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Auf der Spur der Untoten - Alisha Bionda "Moriturus"

MoriturusAuf der Spur der Untoten
Alisha Bionda (Hrsg.) »Moriturus«

Vampire, Dämonen und Hexen weisen ein gewisses Charisma auf. Selbst Werwölfe haben einen besseren Ruf. Zombis sind dagegen das tumbe, stinkende Fußvolk unter den Figuren des gepflegten Horrors. Haben die wirklich das Zeug dazu, im Mittelpunkt einer ansprechenden Anthologie zu stehen? Die bekannte Herausgeberin Alisha Bionda war offensichtlich dieser Meinung und bescherte uns rechtzeitig zur dunklen Jahreszeit "Moriturus".

Alisha BiondaVorbemerkung
Alisha Bionda hat sich nicht umsonst in der Phantastikszene den Ruf der besten, vielseitigsten und produktivsten Herausgeberin von Kurzgeschichten erworben. Es ist noch gar nicht lange her, da habe ich im Zauberspiegel die Anthologien "Die grüne Fee" und "Räderwerk der Walküre" besprochen.

Erstere beschäftigte sich mit Kunst und Absinth, letztere mit Steamfantasy. Außerdem gibt es noch "Einhornzauber", wo es um fantastische Geschichte geht. Moriturus (bestimmt zu sterben) ist in diesem Jahr also bereits die vierte Anthologie der auf Mallorca lebenden Herausgeberin.

Inspiriert durch eine Novelle von Marc-Alastor E.-E. hatte sie eine Idee. Ihr schwebte eine "schöngeistige" Zombieanthologie vor. Moriturus ist das Ergebnis: Neun Erzählungen, die das Thema von verschiedenen Gesichtspunkten angehen. Viele davon von Musikern geschrieben.

MoriturusDie Erzählungen
Die erste Geschichte spielt in New Orleans. Stefan Lindner schildert in "Doc Zombie" den ersten eigenen Fall des jungen Ethan Parker. Ein Arzt aus Deutschland ist als vermisst gemeldet worden. In seinem Hotelzimmer wurde ein Koffer voll mit Notizen und Zeitungsartikeln gefunden. Der Vermisste wurde 1945 in Deutschland als Kind eines farbigen GIs und einer deutschen Krankenschwester geboren. Seine Mutter hat ihn allein großgezogen, weil der Vater zurück in die Staaten gegangen ist. Mit 10 Jahren reisen Mutter und Sohn nach New Orleans. Dort lernt er seine Großmutter kennen und wird Zeuge eines Voodoorituals. Danach hat er den unbändigen Wunsch selbst Tote wiederzubeleben. Er wird Arzt und startet verschiedene Versuche in der Herzforschung. Als er nach Jahren schließlich scheitert, besinnt er sich auf New Orleans und befasst sich mit Voodoogiften. Irgendwann wird auch der Geheimdienst auf ihn aufmerksam und finanziert entsprechende Zombieforschungen. Das Ende des Kalten Krieges beendet diese Phase. Wieder kehrt er nach New Orleans zurück und nimmt Kontakt zu Voodoopriestern auf. Schließlich findet er auch seine Großmutter und seinen Vater.

Eine spannende Kriminalgeschichte, die quasi im Vorübergehen noch Aspekte des medizinischen Ethos behandelt.

Die zweite Erzählung stammt aus der Feder von Michael Siefener. In "Kult" geht es um den alternden und einsamen Schriftsteller Edgar Mandelkern. Nachdem er Frau (Selbstmord) und Tochter (Unfall) verloren hat lebt er in den Tag und hasst Veränderungen. Eines Tages entdeckt er am Hauseingang eine Graffiti, ebenso beim gegenüberliegenden Haus. Dazu findet er einen Brief in seinem Briefkasten. Ein unbekannter Leser äußerst sich begeistert über seine Bücher, auch wenn es schon 20 Jahre her ist, seit seine letzte Geschichte erschienen ist. Es folgen weitere Schmierereien, jetzt sind es Bilder, die verblüffend seinen verstorbenen Angehörigen gleichen, und ein weiterer Brief, in dem sich jetzt schon viele Fans seiner Bücher melden. Dann entdeckt er bei Besuch der Grabstätte von Frau und Tochter eine fremde Gestalt. Schließlich folgt ein weiterer Brief, in dem ein Treffen in Edgars Stammcafé vorgeschlagen wird.

Der Spezialist für melancholische Grundstimmungen liefert wieder eine einfühlsame Geschichte ab.

Um den ehemaligen Portier Dietrich geht es bei Marc-Alastor E.-E.. Die Geschichte "Der letzte heißt nicht Tod" spielt im Jahre 1893. Einen Tag vor seiner Pensionierung verstirbt Dietrichs Frau. Plötzlich ohne Halt und ohne Aufgabe geht der Protagonist für fünf Jahre auf Weltreise. Doch nun sucht der 78jährige eine Bleibe für seine letzten Jahre. Durch einen Freund lässt er ein Haus am Comer See erwerben und renovieren. Auf der letzten Etappe seiner Anreise begegnet er auf dem Schiff einer geheimnisvollen jungen Frau. Sie verschwindet plötzlich, lässt aber einen Rosenkranz zurück. Doch keiner sonst hat sie gesehen. Wieder an Land irrt er durch den Ort, hat einen Schwächeanfall und fällt schließlich in Ohnmacht. Hilfreiche Menschen nehmen ihn bei sich auf und pflegen ihn gesund. Von ihnen erfährt er, dass sein Haus, die Villa di Donno, bei den Einheimischen einen schlechten Ruf hat. Ein übel beleumundeter Künstler hat dort einige Zeit gelebt und Orgien gefeiert. Nachdem es Dietrich besser geht, bezieht er sein abgelegenes Haus und genießt zunächst die Ruhe und Einsamkeit. Bald wird er aber auch von ängstlichen Stimmungen heimgesucht. Und schließlich macht er eine Entdeckung.

Die sprachgewaltigste Geschichte. E.-E. lehnt sich geschickt an die Ausdrucksweise des ausgehenden 19. Jahrhunderts an.

Bernhard Rümmelein zeigt in "Z" wie gefährlich Joggen und hilfsbereitschaft gegenüber Kindern werden kann. David wird von einem Kleinkind, dass er im Park neben seiner toten Mutter findet, gebissen und infiziert sich damit mit dem Zombievirus. Er fängt an zu stinken, sein Fleisch verrottet und seine Bewegungen werden ungeschickt und langsam. Auch beim Denken hat er so seine Schwierigkeiten. Er liebt seine Freundin Mary, die für ein paar Tage verreist ist. Sehnsüchtig wartet er auf ihre Rückkehr. Wird sie ihm helfen können?

Die erste Geschichte, in der "moderne" Zombis auftreten.

Um ein wissenschaftliches Experiment geht es bei Lukas Hainer. In "Ratten" geht es um Amy, Toby und Sid, die fast noch Kinder sind. Sie leben auf der Müllhalde. Eines Tages taucht dort ein "Anzugsmann" auf, der ihnen eine Röhre mit Flüssigkeit gibt, die sie zu quasi zu Superhelden macht. Sie sind danach fast schmerzunempfindlich und überstehen auch Knochenbrüche u. ä. Allerdings wirkt das Mittel nur zwölf Stunden. Um mehr zu bekommen, sollen sie im Gegenzug eine Kleinigkeit erledigen. Sie sollen aus einem nahegelegenen Labor Ratten entwenden. Das Labor ist gut gesichert mit Elektrozäunen und jede Menge Fallen. Doch in ihrem Zustand können sie alle Hindernisse überwinden. Oder vielleicht doch nicht? Denn sie werden schon erwartet und beobachtet.

Hainer versteht es, den jugendlichen Übermut und die Neugier der Kinder einzufangen. Umso ernüchternde wirkt dann die berechnende Haltung der Wissenschaftler.

Thomas Vaucher widmet sich dem technischen Fortschritt und seinen Folgen. In "bCrown" geht es um ein neues Multimediagerät, dass Fernseher, Computer, Fotoapparat, Uhr, Handy und Brille ersetzt. Getragen wird dieses bCrown wie eine Krone und gesteuert wird es durch die Gedanken des Trägers. Erzeugt werden Bilder und Geräusche direkt im Gehirn des Trägers. Es gibt eigentlich nur einen Nachteil, die Werbung, die sich nicht ausschalten lässt. Connor gehört jedoch zu den bedauernswerten Menschen, die an diesem glorreichen technischen Fortschritt nicht teilhaben können. Wenn er das Gerät trägt bekommt er starke migräneartige Kopfschmerzen. Eines Tages kommt ein Nachbar - natürlich bCrownträger -und bittet ihn um ein wenig Salz. Plötzlich taumelt er und klagt über einen plötzlichen unerwartet starken Werbungsschub. Kurz darauf hört Connor Lärm aus der Nachbarswohnung. Es klingt wie ein Pistolenschuss und als er nachschaut, entdeckt er dass sein Nachbar seine Lebensgefährtin erschossen hat, weil sie statt Spaghetti Bolognese Spaghetti Carbonara machen wollte. Als er den Nachbarn fragt ob er wahnsinnig geworden wäre, richtet sich dessen Zorn gegen Connor. Er muss fluchtartig das Haus verlassen. Die Verbindung mit der Polizei lässt sich nicht herstellen und als er sich zu Fuß auf den Weg dorthin macht, sieht er auch warum. Überall auf den Straßen drehen die Menschen durch. Vor der Polizeiwache muss er miterleben, wie ein Polizist einen Kollegen erschießt. In Notwehr erschießt Connor den Mörder. Gut, dass er eine Freundin hat. Diese lebt allerdings noch bei ihren Eltern und als Connor dort eintrifft, bekommt er es mit ihrem Vater zu tun. Dieser hat gerade seine Frau erschlagen und wieder bleibt Connor nichts anderes übrig als ihn zu erschießen. Er fürchtet das Schlimmste um seine Freundin Tiffany, die ebenfalls Dauerträgerin eines bCrown ist. Doch an diesem Tag nicht. Connor findet sie im atombensicheren Bunker im Garten, wohin sie sich vor ihrem Vater geflüchtet hat.. Allerdings traut er sich nicht, ihr zu berichten, dass er seinerseits den Vater erschossen hat. Die nächste Zeit verbringen die beiden im Bunker, doch Tiffany zieht es ins Haus, sie will unbedingt mit ihrer bCrown ins Internet.

Vaucher ist ganz nah am Puls der Zeit. Eine Geschichte, die nachdenklich macht, was den Hype um neue Medien angeht.

Bei Alex ›Lex‹ Wohnhaas erhält Julian Waggenstein an seinem 21. Geburtstag die Unterlagen seines Vaters, der vor Jahren seine Mutter umbracht hat. Im Grunde geht es um die Folgen einer wissenschaftlichen Expedition. In "Der Fluch des Amazonas" begibt sich das Forscherehepaar Waggenstein Anfang des 20. Jahrhunderts auf eine Expedition nach Brasilien. Dort wird Annabelle von einem Käfer gebissen und siecht danach monatelang vor sich hin. Der besorgte Ehemann versucht alles um sie zu retten. Er entdeckt, dass ein mikroskopisch kleiner Parasit im Blut dafür verantwortlich ist. Schließlich lässt er seine Frau sterben und belebt sie sofort wieder. Scheinbar ist der Verursacher der Krankheit damit vernichtet worden. Doch bald muss er feststellen, dass es Annabelle erneut schlechter geht. Der Einzeller ist mutiert und vermehrt sich wieder. Nur durch regelmäßige Bluttransfusionen kann Waggenstein ihr zeitweise Erleichterung verschaffen. Doch gegen ihr zunehmende Allergie gegen das Sonnenlicht ist er machtlos. Allmählich entwickelt seine Frau eine regelrechte Gier nach Blut.

Eine Hommage an ein großes bekanntes Werk der Schauerliteratur, das modern interpretiert wird.

Dieter Winkler macht den Leser mit der Sängerin Conny bekannt. "Feuervogel" ist der Titel ihres wichtigsten Songs. Seit einiger Zeit begegnet sie immer wieder einem zwielichtigen Mann. Auch als sie sich auf ihren wichtigsten Auftritt seit langer Zeit vorbereitet taucht er wieder auf. Angeblich will er sie warnen. Als sie in Panik flieht, läuft sie einem anderen in die Arme. Als sie wieder zu sich kommt ist sie in einem Raum ohne Tür eingesperrt, der aber an einer Seite von Gittern begrenzt wird. Neben etwas Wasser und Nahrung gibt es auch ein Mikrofon in ihrer Zelle. Ihr Entführer verlangt von ihr das Lied "Feuervogel" mit größtmöglicher Inbrunst zu singen. Er ist der "Seelenfänger", der unheimliche Verfolger ein Mitglied einer Familie, die seit Jahrhunderten hinter dem Entführer her ist. Mit Hilfe eines Hackers spürt er Connys Aufenthaltsort in einer alten Fabrik auf und informiert ihre Bandmitglieder, die unverzüglich zu einer Rettungsmission aufbrechen.

Diese unterhaltsame Geschichte lässt den Leser am Ende mit einigen offenen Fragen zurück.

Tanya Carpenter erzählt im Grunde eine Liebesgeschichte. In "Das gläserne Gefängnis" kommt Cassandra LeBeau nach New Orleans um ihren Freund Dan zu suchen. Erst hat er sich länger nicht gemeldet und dann in einer SMS um Hilfe gebeten. Angeblich geht es dabei um Leben und Tod. Er war als Journalist auf der Suche nach einer großen Story über Voodoo. Sie heftet sich an seine Spuren und begegnet etlichen Voodoopriestern. Charity Flaming rät ihr eindringlich die Stadt unverzüglich zu verlassen. Doch Cassandra ist bereit für ihre Liebe jedes Risiko einzugehen. Der unheimliche Papa Neo verabreicht ihr einen Trank, der sie beinahe umhaut und warnt sie vor dem gefährlichen Pégrino. mit dem Dan sich zuletzt getroffen haben soll. Cassandra aber lässt sich nicht beirren und trifft sich mit dem Mann. Wie alle anderen sagt er ihr, dass Dan seinen Weg selbst gewählt habe, genau wie sie auch. Schließlich nimmt sie an einer nächtlichen Voodoo-Zeremonie auf einem Friedhof teil.

Auch wenn man früh ahnt, wohin die Reise geht, eine mitreißende Geschichte!

Meine Gedanken
Die Anthologie Moriturus bietet alles, was man mit dem Namen Alisha Bionda verbindet: Erstklassige Verarbeitung, sorgfältige Redaktion der Texte und die Verbindung zur Kunst. Sie kommt als gediegenes Hardcover daher und beinhaltet selbstverständlich auch biografische Kurzinfos zu den Autoren. Und natürlich findet man zu jeder Geschichte eine Intrografik. Diese Illus sind diesmal in schwarz-weiß gehalten und stammen von verschiedenen Künstlern.

Alisha Bionda hat neun unterschiedliche Geschichten zusammengestellt. Wieder einmal besticht die Herausgeberin durch eine geschickte Anordnung der Texte. So spielen die erste und die letzte Geschichte in New Orleans und befassen sich mit Voodoo. Sie umrahmen so die anderen Texte, die von völlig unterschiedlichen Perspektiven das Thema Zombie angehen.

Bemerkenswert ist auch die Auswahl der Autoren. Neben den Musikern sind eine Reihe von Namen dabei, die seit Jahren immer wieder in den Anthos aus dem Hause Bionda vertreten sind. Marc-Alastor E.-E. seit 2006 (in: Der ewig dunkle Traum), Michael Siefener seit 2006 (in: Der dünne Mann), Tanya Carpenter seit 2009 (in: Dark Ladies 2) und Bernd Rümmelein seit 2010 (in: Die Begegnung).

Alisha Bionda gelingt es dem eher spröden Thema Zombie eine äußerst ansprechende Anthologie abzutrotzen. Sehr empfehlenswert und durchaus tauglich für unter dem Tannenbaum.
Moriturus
Moriturus
Der Letzte heißt nicht Tod
Alisha Bionda (Hrsg.)
Cover: Atelier Bonzai
Illustrationen: istock
232 Seiten
ISBN 978-3-946773-09-2
Euro 18.-
Fabylon 2018

 

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