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Michael Ende und seine Bücher - Die Erzählungen

Michael Ende und seine BücherDie Erzählungen
Der Spiegel im Spiegel, ein Labyrinth
Das Gefängnis der Freiheit

Michael Ende beschreibt sein Buch „Der Spiegel im Spiegel, ein Labyrinth“, das mit achtzehn Zeichnungen seines Vaters, des surrealistischen Malers Edgar Ende, illustriert ist, so: „Dieses Buch enthält etwa dreißig surrealistische- traumhafte Geschichten, manche sehr kurz, manche länger, die untereinander auf eine traumhafte Art zusammenhängen. Es ist aber ein Buch, das von den Finsternissen des Lebens, vom Unglück und von manchen Übeln dieser Welt handelt. Leute, die sich von mir immer nur Hübsches und Tröstliches erwarten, werden von diesem Buch vermutlich enttäuscht sein.“(2)

Seit meiner Knabenzeit bewegt mich in zunehmendem Maße der Gedanke, dass unsere sogenannte Realität nur das Parterregeschoss, um nicht zu sagen die Hausmeisterwohnung in einem ungeheuren Bauwerk mit zahllosen Stockwerken nach oben und wohl auch nach unten ist.

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 Den Rahmen für diese Geschichten, die man selbst am besten auf dem schmalen Grad zwischen Wachen und Schlafen wahrnehmen kann, bilden die Erzählungen eines Wesens das sich Hor nennt. Hor lebt in einem riesengroßen Haus mit einer unendlichen Zahl von Zimmern und Gängen durch die es sich bewegt. Es lebt vom Gebäude selbst, denn für Hor ist es essbar. Hor sagt, er bewahre die Geschichten nur, die er uns im weiteren zuflüstert, weil er das Echo seiner Stimme nicht mehr ertragen kann.

Der Spiegel im SpiegelWir hören von dem verliebten jungen Mann, der in einer labyrinthartigen Stadt lebt, in der sich alle Häuser und Straßen gleichen. Er hat sich mit der Hilfe seines Vaters Flügel erträumt, mit denen er die Stadt verlassen will. Doch zuvor muss er eine Prüfung bestehen.

Eine andere Geschichte erzählt von einem Feuerwehrmann, der mit dem Zug in einer Bahnhofskathedrale ankommt, die ein Bruchteil einer zerfallen im All schwebenden Welt ist. Hier trifft er eine Nonne, die mit ihrem Orden und seinen Anhängern orgiastisch dem Geld als ihrem Gott huldigt.

Oder wir treffen einen Pagat, einen Magier und Gaukler, der in einer toten Stadt auf einem menschenleeren Jahrmarkt in einer kleinen Schaubude vor einem einzigen Zuhörer, einem Jungen spielt. Beide verlassen Hand in Hand den Ort auf der Suche nach einer Welt, in der sie leben können, die sie zur Not auch selbst erschaffen wollen.

Am Ende gelangen wir wieder zu Hor. Eine junge Frau schickt ihren Geliebten, einen Matador in das Haus ihres Halbbruders um ihn zu töten, wohl wissend, das sie ihn nie wieder sieht und ihn sogar vergisst.

Die symbolträchtigen nicht betitelten Erzählungen sind voller herrlicher aber auch dunkler, düsterer Bilder. Ende sieht darin eine wesentliche Aufgabe von Kunst und Literatur diese dunkle Seite im Menschen deutlich zu machen: „Ich bin der Meinung, dass es die Aufgabe des Künstlers und des Dichters ist, auch den Dämon und die Erfahrungen der Finsternisse genau zu beschreiben und zu benennen... Gerade das Sichtbarmachen und Benennen des Dämonischen gibt uns ja die Möglichkeit, ihm gegenüberzustehen, es ins Auge zu fassen und es damit schon seiner eigentlichen Gefährlichkeit zu berauben. Eine Literatur, die die Finsternis und die Ängste verschweigen würde, wäre eine beschönigende Literatur, die nicht wirklich heilend wirken könnte. Dass diese Beschreibung und Darstellung des Finsteren letzten Endes aus einer Haltung kommen muss, die von der Sehnsucht nach Erlösung getragen wird, ist eine andere Frage.“ (3)  

Michael Endes Bilderlabyrinth ist nicht immer leicht und schnell zu durch schreiten. Oft wird der Leser gezwungen zu verweilen, näher hin zuschauen und dann langsamer weiter zugehen. An diesen Stellen laden die Bilder Edgar Endes zum Innehalten ein. Aber auch sie führen in neue Teile des Labyrinths. Am Ende klappt der Leser das Buch nachdenklich zu, nur um gleich noch einmal von vorne zu beginnen.

Das Gefängnis der Freiheit„Das Gefängnis der Freiheit“ ist eine Sammlung von acht phantastischen Erzählungen Endes, die 1992 erschienen sind. Sie sind weniger ineinander verschachtelt als in dem Band „Der Spiegel im Spiegel“, stehen eher für sich allein. Sie erzählen uns von Wundern, Zeichen, Geheimnissen und Rätseln.

Cyril Abercomby wächst als Sohn eines englischen Diplomaten in Hotelzimmern auf. Er genießt die beste private Erziehung, ist gut umsorgt. Der Einzelgänger kann mit anderen Menschen nichts anfangen. Seine absolute Gleichgültigkeit macht vor nichts halt. Nach dem Tod seines Vaters will man ihn in dessen Fußstapfen drängen. Doch eines Tages verkauft er alles und widmet sich der Jagd nach einem Bild, das er in der Privatsammlung eines Diplomaten gesehen hat. Er setzt alles daran dieses Gemälde, das ein Haus irgendwo in den Bergen zeigt, zu bekommen. Als er es endlich besitzt, taucht er hinein in das Bild, er hat es erreicht „Einer langen Reise Ziel“.

„Die Katakomben von Misraim“ erzählt von Iwri, einem Angehörigen des Schattenvolkes, der von der Sonne träumt und dadurch eine Revolution auslöst.

In „Das Gefängnis der Freiheit“ hören wir die Geschichte von Insch'allah, einst ein selbstgefälliger reicher Kaufmann, der heute als Bettler seine Geschichten in den Straßen der Stadt erzählt.

Die beiden Bände mit Erzählungen zeigen uns einen anderen Michael Ende, den Romantiker, der sich in der Tradition von Novalis und E.T.A. Hoffmann sieht, schreibend auf der Suche nach dem Zauberwort. Die Geschichten entziehen sich einer exakten Deutung, sind vielschichtig wie ein Labyrinth und scheinen sich mit der Zeit zu verändern. Doch ist es der veränderte Leser, der nach Jahren die alten Geschichten wieder liest und sie als neu entdeckt.


Bibliographie:

Michael Ende: Der Spiegel im Spiegel, ein Labyrinth mit Illustrationen Edgar Endes, Edition Weitbrecht, 1984
Michael Ende: Der Spiegel im Spiegel, ein Labyrinth mit Illustrationen Edgar Endes, dtv, Taschenbuchausgabe, 1990
Michael Ende: Der Spiegel im Spiegel, Textauswahl, Hörbuch, 2003
Michael Ende, Jörg Krichbaum: Die Archäologie der Dunkelheit, Gespräche über Kunst und das Werk des Malers Edgar Ende, Edition Weitbrecht, 1985
Michael Ende: Das Gefängnis der Freiheit, Erzählungen, Weitbrecht Verlag, 1992
Michael Ende: Das Gefängnis der Freiheit, Geschichten von Wundern und Zeichen, von Geheimnissen und Rätseln, Piper Verlag, Taschenbuchausgabe, 2007


Quellen:
(1)    Das Haus an der Peripherie in Michael Ende: Das Gefängnis der Freiheit
(2)    Hocke / Neumahr: Michael Ende, magische Welten, Henschel Verlag, 2007, Seite 135
(3)    ebenda, Seite 136

 

Kommentare  

#1 Andrew P. Wolz 2010-01-04 01:28
Rein theoretisch gehört zu den Anthologien von Michael Ende auch "Die Zauberschule". Aber wahrscheinlich erzähle ich dir da nichts Neues. Ich nehme an, dass du dieses Buch hier nicht erwähnt hast, weil es eine lose Sammlung von Kinderbuch- und Bilderbuch-Texten von Michael Ende ist, nach seinem Tod zusammengestellt.

Apropos Kinderbücher: Auf Kika läuft jetzt eine Zeichentrickserie zu Jim Knopf. Die scheint sich viele Freiheiten mit dem erzählerischen Ton zu nehmen. Wer ich eigentlich zuständig für die Lizenzvergabe. Herr Hocke oder der Verlag?

Übrigens: Das Buch "Phantasien in Halle 4/5" ist eine Art schriftliches Making-of, entstanden während der Dreharbeiten zu einer Fernseh-Doku über den Film "Unendliche Geschichte". Darin sind etliche nette Details von den Dreharbeiten, etwas umständlich verpackt in den damals noch typischen Tonfall. Am Ende ist Endes Presse-Erklärung im originalen Wortlaut abgedruckt, warum er dem Film seinen Namen entzogen hat. Ich hoffe, diese Infos über das Buch helfen weiter.
#2 Torshavn 2010-01-05 07:01
Danke für die Bichinfos, Andrew. Jetzt weiß ich, das ich mir das Buch besorgen werde.
Natürlich weiß ich, das auch die bereits 1994 erschienene "Zauberschule" Geschichten enthält. Aber Du hast einen Grund ja schon genannt. Es sind Kindergeschichten. Und sie sind alle vorher schon einmal veröffentlicht worden als Bilderbuch, hier nur gesammelt. Während die Erzählungen nur in der Form erschienen sind (von Ausnahmen in Anthologien abgesehen). "Der Spiegel im Spiegel" ist eigentlich auch nur in dieser Form so wunderbar, da die Geschichten ja ineinandergreifen.
Zu seinen Kindergeschichten will ich allerdings auch noch einen Artikel machen.
Die Zeichentrickserie ist wirklich gewöhnungsbedürftig, sowohl was die Geschichte als auch die Bilder angeht. Aber mein Sohn z.B. hat sie früher geliebt. Und bei ihm passte Buch und Serie auch gut zusammen. Da es mittlerweile auch einige Bilderbücher mit diesen Illustrationen gibt, gehe ich davon aus, das die Rechte beim Verlag liegen. Die Bilderbücher treffen, meiner Meinung nach, Endes Ton sehr gut.

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