Mehr als die Summe vor dem Fall am Abgrund
Mehr als die Summe vor dem Fall am Abgrund
Vanguard war die erste Serie, die Cross Cult ins Deutsche übersetzt hat. Im Februar erschien der fünfte Teil der Serie Vor dem Fall. Cross Cult lag damit nur zwei Monate hinter dem englischen Erscheinungstermin. Der Verlag hat sich also Stück für Stück den aktuellen Veröffentlichungen in Amerika nagenähert.
Vor dem Fall ist anders als die vorherigen Vanguard-Bände. Das liegt in erster Linie daran, dass er unglaublich viele Kapitel hat. 60 Kapitel auf knapp 380 Seiten sorgen dafür, dass ein hohes Lesetempo entsteht. Ständig wechselt der Ort und es gibt viele angebrochene Handlungsbögen.
Das ist an und für sich noch nichts neues. Und leider gibt es auch diesmal kaum richtige Fortschritte in Bezug auf die Meta Genom-Handlung. Stattdessen gibt es wieder ein paar mystische Artefakte, die dem Leser aber kaum Wissensgewinn bringen. Zum Schluss sorgt ein Shedai noch für einen bösen Cliffhangar, der die Editoren der amerikansichen Star Trek-Bücher als sadistische Menschen erscheinen lässt, denn das nächste Vanguard-Buch lässt noch eine ganze Weile auf sich warten.
Langsam wäre es für die Serie aber wirklich wichtig, dass die Meta Genom-Handlung voran gebracht wird.
Das alles hört sich eher negativ an. Trotzdem ist das Buch eine vergnügliche Lektüre. Dafür sorgen in erster Linie die kurzen Kapitel (schwaches Argument). Vor allem stimmt in Vor dem Fall aber wieder die Chemie zwischen den Charakteren (starkes Argument).
Der neue Commodore der Raumstation hat sich eingelebt. Er wird dem Leser zwar nicht sympathisch, aber er ist auch nicht der stereotype Hardliner, der einen Vorgänger ersetzt. Das Leben auf der Raumstation läuft also relativ normal ab.
Dort finden Fisher und Desai heraus, was wirklich mit Reyes geschehen ist. Sie haben natürlich immer nur leichte Verdachtsmomente. Aber es ist schön, mitzuerleben, wie sich ihre Optimismus aufbaut.
Der Leser weiß derweil, dass Reyes von den Klingonen festgehalten wird. Auch eine Tholianerin ist mit auf dem klingonischen Schiff. Das Ratsmitglied Gorkon möchte den klingonischen hohen Rat davon überzeugen, dass die Gefahr durch die Shedai so groß ist, dass man sich mit den Tholianern und der Föderation zusammen tun muss. Dieser Teil der Geschichte gehört zu einem der spannendsten und verwirrendsten des Romans. Schließlich sind die Klingonen nicht gerade für ihre diplomatische Ader bekannt. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei besagtem Gorkon um den Gorkon aus Star Trek VI handelt, womit Vanguard einmal mehr eine Brücke zu der offiziellen Star Trek-Handlung geschlagen hätte.
T'Prynn versucht, ihre Reputation wiederherzustellen. Dazu muss sie ausgerechnet mit dem Reporter Pennigton zusammenarbeiten. Beide mögen sich nicht besonders. Doch ihr Weg verlangt beiden einige Zugeständnisse ab. War im letzten Buch die T'Prynn-Handlung noch eher fad, so ist sie jetzt unterhaltsam.
Quinn ist derweil auf einer geheimen Mission von Starfleet Intelligence. Dieser Handlungsstrang nimmt einen großen Raum ein und bringt auch weitere Artefakts- und Tempelinformationen. Zum ersten Mal gibt es bei Vanguard auch ein unbekanntes Volk, mit dem man Kontakt aufnimmt. Dieser Handlungsstrang ist eher schwächer, glänzt später aber durch eine Guerilla-Aktion von Quinn, die zwar unrealistisch, aber interessant ist.
Vor dem Fall ist daher ein ständiges hin-und-her-Gewechsel zwischen den verschiedensten Orten. Zwar erlauben die kurzen Kapitel kaum Entwicklungen für die Charaktere, aber dafür harmonieren die Charaktere gut miteinander. Und überhaupt kann man es sich nach fünf Romanen nicht mal erlauben, dass die Entwicklung der Personen eine Weile stagniert?
Ganz anders ist Der Abgrund. Der dritte Band der achten Deep Space Nine-Staffel schließt nahtlos an den Vorgänger an. Die Raumstation Deep Space Nine läuft immer noch nur durch Notenergie. Da tritt ein Agent der geheimen Sektion 31 auf Dr. Bashir zu. Ein Doktor, der wie Bashir genetisch aufgewertet wurde, wurde von Sektion 31 angeworben. Er hat mit einigen anderen Agenten eine verlassene Jem'hadar-Produktionsanlage in den Badlands in Betrieb genommen. Doch dann hat er sich von der Sektion abgewendet und versucht nun eine riesige Jem'hadar-Armee zu erschaffen. Bashir bleibt gar keine andere Möglichkeit, als zu versuchen, Doktor Locken zu stoppen, obwohl er der Sektion 31 eigentlich sehr ablehnend gegenüber steht.
Also brechen Taran'atar, Ro Laren, Ezri Dax und Bashir in die Badlands auf, um Doktor Locken zu stoppen.
Der Abgrund ist daher auch eine sehr gradlinige Geschichte. Es gibt eine Haupthandlung in den Badlands und eine klitzekleine Nebenhandlung auf Deep Space Nine, wo Nog versucht, die Energieversorgung wieder sicherzustellen.
Trotzdem werden jedem Charakter Entwicklungsmöglichkeiten geboten. Bashir muss sich mit seiner eigenen genetischen Aufwertung und geheimen Allmachtsphantasien rumschlagen. Ezri muss ganz neue Seiten an Bashir entdecken. Taran'atar macht sich über seine Mission und seine Götter Gedanken. Ro Laren trifft ein Volk wieder, das sie schon zu Maquis-Zeiten zu beschützen versuchte. Auch diesmal gelingt es ihr wieder nicht, das Volk alleine zu beschützen.
Auf Deep Space Nine muss Kira derweil mit den Folgen ihres Ausschluss aus der bajoranischen Glaubensgemeinschaft kämpfen, während enthüllt wird, dass Ensign Tenmei, Commander Vaugns Tochter ist. Das Vater-Tochter-Verhältnis ist stereotyper Weise nicht das Beste.
Mit der Energiehandlung und den Folgen von Kiras Ausschluss von den bajoranischen Gläubigen ist die Kontinuität zum vorherigen Buch gewährleistet. Gleichzeitig gibt es eine spannende und intelligente Hauptstory. Der Abgrund ist damit ein unterhaltsamer und spannender Roman, der für Charakterentwicklung und Kontinuität in der achten Staffel sorgt, ohne dass es Neulesern unmöglich wäre, den Roman zu verstehen. Im Gegenteil: Auch ohne die Lektüre von Offenbarung ist Der Abgrund leicht zu verstehen.
Ruhiger verläuft es im fünften Band der achten Next Generation-Staffel. Nach den dramatischen Ereignissen im vorherigen Band, die beinahe in der Zerstörung der Erde gipfelten, ist die Enterprise jetzt auf der Jagd nach den überlebenden Borg. Sie befinden sich noch immer in dem Frachter Einstein.
Die Enterprise stellt den Frachter ziemlich schnell und hat auch neue Waffen mit an Bord, die die Zerstörung des Frachters ermöglichen. Doch etwas hindert die Enterprise daran zu schießen. Picard hat einen Offizier mit an Bord, der kurz zuvor in dem System war. Es gibt offensichtlich nicht-humanoide Lebewesen in dem System, die extrem pazifistisch sind. Deswegen unterbinden sie jedwede kriegerische Handlung in dem System. Die Borg versuchen natürlich sofort, diese Lebewesen zu assimilieren, was bei deren enormer Geisteskraft eine große Gefahr für die Föderation wäre. Aber den Borg gelingt die Assimilation nicht sofort. Die Enterprise-Crew versucht also, die Wesen davon zu überzeugen, dass die Borg böse sind und dass man in diesem Fall auch mit Gewalt vorgehen kann. Das ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
Im Laufe der Geschichte tauchen auch noch Hugh und seine Borg auf. Gerade mit Hugh gibt es einige schöne Charakterszenen.
Sowieso versucht sich Mehr als die Summe an den Charakteren der Serie. Nachdem in den ersten vier Bänden die Crew der Enterprise eher blass blieb und die neuen Offiziere kaum charakterisiert wurden, strengt man sich nun richtig an.
Denn eigentlich steht die Familie im Mittelpunkt des Romans. Hughs Borg versuchen sich zu reproduzieren. Auch Beverly Crusher möchte gerne ein Kind von Picard. Der möchte jedoch kein Kind in eine Föderation setzen, die möglicherweise demnächst von den Borg überrannt wird.
Mehr als die Summe ist ein ruhiger und eher nachdenklicher Roman, der vor einem dramatischen Hintergrund erzählt wird. Ihm gelingt etwas, was Vor dem Fall und Der Abgrund nicht erzielen können: Er erschafft wieder das Gefühl einer Star Trek-TV-Folge. Ohne viel Aufwand und ohne große Raumschlachten wird ein moralisches Problem weitläufig mit sympathischen Charakteren im Weltraum diskutiert. Auch wenn es in den Serien immer mal wieder Abweichungen von diesem Prinzip gab (Dominion-, Xindi-Krieg), waren die meisten TV-Folgen so. Gerade Next Generation, das mit Picard einen der größten Humanisten an Bord hat, eignet sich dafür, dieses Gefühl wieder zu erzeugen.
So erzählt Mehr als die Summe keine epische Geschichte, sondern hängt sich eher an den kleinen, zwischenmenschlichen Problemen auf und glänzt gerade dadurch.
Lediglich zum Schluss gibt es einen großen Knall: Mehr als die Summe bereitet die Destiny-Trilogie vor, die sich anschickt ein für allemal das Borg-Problem zu lösen. Die Borg greifen noch einmal an. Diesmal aber nicht mit einem Kubus, wie sonst, sondern gleich mit Dutzenden. Der Untergang der Föderation wird dabei tragischerweise von einem Offizier eingeleitet, der die Föderation immer nur verteidigen wollte.
Auf die Vanguard-Fortsetzung wird man wohl noch ein Jahr warten müssen. Deep Space Nine wird schon im August fortgesetzt, während es für die Next Generation-Crew schon jetzt weitergeht. Denn der erste Teil der Destiny-Trilogie ist bereits erschienen. Leser von Mehr als die Summe seien aber gewarnt: Diese Trilogie wird genau das gegenteilige Gefühl erzeugen, das die Next Generation-Serie immer verbreitete. Denn ab Destiny befindet sich die Föderation wieder im Kriegszustand...
Daten zu den Büchern:
Cross Cult
Cross Cult