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Vampire pflastern seinen Weg - Stichtag Vollmond

Vampire pflastern sein Weg Hugh Walker's Horror Romane
Stichtag Vollmond
Hugh Walker und der Werwolf

Der Werwolf ist dem Vampir in einem ähnlich: Beide dieser Kreaturen aus dem Fundus der Monster haben eine erotische Dimension. Repräsentiert der Vampir die dunkle Verführung, die verbotene Lust, die höchsten Wonnen, so steht der Werwolf für den reißenden, alles verschlingenden Akt. Besonders deutlich arbeitet dies der Film »Company of Wolves« (dt. Zeit der Wölfe; GB 1984; Regie Neil Jordan; mit Sarah Patterson, Angela Lansbury, David Warner) heraus, der auch durch seine hervorragenden Bilder besticht

 

Der Wolfsmensch im BlutrauschIm Heftroman ist diese erotische Komponente aufgrund des Jugendschutzes kaum zu finden. Es gibt auch relativ wenig Romane um den (klassischen, vollmondaktiven) Werwolf, denn im Grunde ist er eine recht unergiebige Figur.

Der Vampir kann jede Nacht erscheinen, aber der Werwolf ist begrenzt auf die Vollmondnächte, denn dieser zwingt den Verfluchten sich in die reißende Bestie zu verwandeln. Zudem ist er in seiner Erscheinung als Werwolf nicht menschlich, das heißt zu keiner Kommunikation auf der Ebene des Menschen fähig. Also mussten (für das Heft, den Comic und moderne Adaptionen) Mittel und Wege gefunden werden, um ihn salonfähig und nutzbar zu machen.

Dan Shocker aka Jürgen Grasmück war natürlich der Erste, der sich des Werwolf-Themas annahm. In »Der Wolfsmensch im Blutrausch« war der Wolf das verfluchte Wesen, das in Vollmondnächten zur Jagd gezwungen wird. Danach griff er das Thema nur noch einmal auf, aber nicht mehr im klassischen Sinne. Es gab »Die Werwölfe des Dr. Satanas«, die von dem mythologischen Hintergrund befreit waren. 

Ansonsten waren die Romane um ›Larry Brent‹ thematisch so breit aufgestellt, so dass die Werwölfe nur bedingt nötig waren. Jürgen Grasmück war klug genug, sich nicht nur auf die Hölle als Gegenspieler zu verlassen. Er hat sich ein breites Feld an übersinnlichen Gegenspielern geschaffen. Auch das zeichnete ihn als Autor aus.

Schrei, wenn der Werwolf kommtIn den Siebzigerjahren erschienen einige recht gute Werwolfromane. Einer davon erschien im Gespenster-Krimi bei Bastei und war betitelt »Schrei, wenn der Werwolf kommt!« (Gespenster-Krimi 18, 1974) von A. F. Mortimer (Friedrich ›Fritz‹ Tenkrat), der noch den ›klassischen‹ Werwolf brachte. Allerdings wurde dieser beherrscht von einer Hexe, die den Werwolf für ihre finsteren Zwecke einsetzte.

Doch für seine »Tony Ballard«-Serie gab er auch diese Beschränkungen der Figur auf, die den Werwolf nur auf einem sehr schmalen Feld zur Geltung bringen konnten und eben immer wieder die gleiche Geschichte zum Vorschein brachte.

Das ging nicht im Heftroman. Der braucht Monstren, die in den Serien omnipräsent sein können. Erst recht, wenn das ihr Spektrum erweitert, ihnen aber gleichzeitig eine tragische Dimension raubt. Das braucht man im Heft aber nicht. Das Monster muss ›schocken‹. Der Rest interessiert nicht.

Auch die anderen (Serien-)Autoren entledigten sich der Beschränkungen des Werwolfs, denn nur so konnte er auf breiter Front eingesetzt werden. Ein Trend, der nicht nur im Heft anzutreffen ist. Im modernen Heftroman kann der Werwolf zu jeder Tages- und Nachtzeit als Werwolf aktiv werden. Der Werwolf ist sich seiner Rolle zwar voll bewusst, aber er zweifelt und verzweifelt nicht mehr an seiner Rolle. Er ist mit vollem Bewusstsein die reißende Bestie, die Menschen tötet. Er war von der tragischen, verfluchten Kreatur zu einem austauschbaren Monster geworden, das nun zum Arsenal der Autoren gehörte.

Das Haus der bösen PuppenHugh Walker wählte einen anderen Weg in seinem ersten Werwolfroman, der unter dem Titel »Das Haus der bösen Puppen« (Vampir-Horror-Roman 14, März 1973) erschien. Diese Erzählung erweckt zunächst nicht den Eindruck, als handle es sich dabei um einen Werwolfroman.

Ein Mann leidet unter unerklärlichem Gedächtnisschwund. Er kann sich an nichts mehr erinnern, und doch holen ihn immer wieder die Schatten seiner Vergangenheit ein. Kleine, mörderische Puppen, ein Privatdetektiv aus Frankfurt, dessen Frau Carlotta und eine geheimnisvolle Zigeunerin spielen zentrale Rollen in seinem Leben. Zusätzlich werden immer wieder Berichte über einen geheimnisvollen Vollmondmörder, der junge Frauen zerfetzt, ins Spiel gebracht. Das einzige Indiz für den Werwolf. Oder waren es doch die geheimnisvollen Puppen mit ihren nadelspitzen und mit Drogen präparierten Zähnen?

Diese Puppen machen einen Gutteil des Grauens des Romans aus. Kinder sind niedlich und artig, außerdem schwach und wehrlos. Abbilder von dem, was alle Menschen lieben sollten, sind nun Jäger, die den Tod bringen könnten.

Endlich erkennt Tepesch sein Geheimnis: Er ist ein Werwolf! Die geheimnisvolle Zigeunerin ist seine Mutter, die den Dämon in ihm, der bei Vollmond erwacht, immer wieder durch Hypnose dem Vergessen anheimgibt. Zusätzlich schützen ihn die geheimnisvollen Puppen, die das Aussehen von Kindern haben. Aber der Dämon ist mächtig und durchbricht die Mauer des Vergessens in immer kürzeren Abständen. Mit all seiner Menschlichkeit hatte sich der 'Held' immer wieder gegen den Dämon in sich gestemmt, kann ihn aber nicht bezwingen.

Doch er kann ihn akzeptieren, mit seiner Mutter, mit ihren Helfern, den Puppen, und der Frau, die ihn liebt und versteht. Der Werwolf-Held beschließt, nicht mehr das Vergessen zu suchen, sondern die Gestalt seiner Phantasie zu akzeptieren. Allerdings weicht Hugh Walker hier von den im Exposé (siehe: "Exposés" am 14. Oktober) konzipierten tragischen Schluss ab, wonach der Held, nachdem er seine Persönlichkeit erkannt hat, wieder in das Vergessen versinkt.

Das Haus der bösen PuppenHier das im Roman verwirklichte Ende:
Es ist unvergleichlich, bewußt durch diese Welt zu gehen. Das Menschliche wird immer weniger in mir, das macht die Erinnerung erträglicher. ich denke nicht mehr an die Toten. Ich denke nur noch an das Leben, das sie mir gaben. [...)
Ekel, Abscheu, Gewissensbisse? Ich habe sie nicht mehr.
Ich war in vielen Ländern und vielen Städten. Wir bleiben nie lange. Ich sah den Krieg. Ich sah, wie es ist, wenn in den Menschen der Dämon erwacht. Ich sah sie einander schlagen und treten und quälen. Ich sah ein Kornfeld von Männern fallen in einem Augenblick, eine ganze Stadt verglühen in einem Atemzug, sah Menschen vor Haß und Liebe sterben, sah Dichter im Dreck liegen und die Stiefel der Ignoranz über sie hinweggehen, sah Tausende bluten, und sie wußten nicht warum — weder jene die bluteten, noch jene, die sie bluten ließen.
Ich weiß, daß der Tod nur gut ist, wenn aus ihm etwas geboren wird, wenn aus ihm etwas Neues erwächst, wenn die Kraft nicht verloren geht, nicht vergeudet wird. Wenn das vergossene Blut nicht nur den Boden düngt.
Dein Tod wird nicht sinnlos sein. Das verspreche ich dir — und dir — und dir...
Wenn ich in deine Stadt komme.
(35)
Dieser Schluss wird vielleicht einigen merkwürdig vorkommen, die die alte Vampir-Horror-Roman-Ausgabe nicht haben, sondern nur die »Dämonen-Land«-Nummer kennen. Dort hat Michael "Monster-Mike" Schönenbröcher eingegriffen, denn der Jugendschutz (in Gestalt des hauseigenen Prüfers) schätzt es nicht, wenn das Böse derart triumphiert. Der Mensch darf sich nicht böser zeigen, als das personifizierte Böse, das sich in Phantasiegestalten manifestiert. Man denke an den historischen Vlad Tepes und sein literarisches Spiegelbild Drakula zurück. Welcher von beiden war brutaler?

Herrin der Werwölfe»Herrin der Wölfe« (Vampir-Horror-Roman 16, April 1973) war der zweite Werwolf-Roman Hugh Walkers.

Im Exposé (siehe: "Exposés" am 14. Oktober) zu diesem Roman bemerkt Hugh Walker, dass er dem Werwolf hier etwas Neues abgewinnen will, was ihm durchaus gelungen ist. Er beschreibt dort nicht die Bestie, die sich als verfluchter oder dämonisierter Mensch in den Wolf verwandelt, sondern den Werwolf als Wesen der Evolution, das, um sein überleben zu sichern, Menschen töten muss. Hugh Walker schildert in diesem Roman mittels einiger Tagebuchaufzeichnungen mehrere Evolutionsstufen, wobei er die 'klassischen' Elemente des Werwolfthemas durchaus mit einzubringen versteht, sprich, den Einfluss des Vollmonds voll einarbeitet.

Danach ist die Stufe der 'Heldin' Thania Lemar die vorerst höchste in der Evolution. Sie ist diejenige, die sich vom Menschen in den Wolf verwandelt, während am unteren Ende dieser Kette der reine Wolf mit dem magischen Keim des Werwolfs in sich steht, der sich bei Vollmond in einen Menschen oder eine menschenähnliche Gestalt verwandelt. Später kann ein Rudel dieser Tiere ihrem Leitwolf auf Dauer menschliche Gestalt geben, wobei die untergeordneten Tiere ihre Verwandlungsfähigkeit verlieren.

Bei dieser 'Evolution des Werwolfs' nutzt Hugh Walker Darwin'sche Theorien. Die Jagd des Menschen auf den Wolf hat einen natürlichen Auslese- und Entwicklungsprozess unter den Wölfen in Gang gebracht, um die Art überleben zu lassen.

Hugh Walker schildert Thania Lemar in der dritten Person, vielleicht deshalb, weil er als Mann sich nicht zutraute, in die Rolle der Frau zu schlüpfen.

Der Roman weist in Hinblick auf die Hauptperson Parallelen zu »Das Haus der bösen Puppen« auf. In beiden Fällen ist sich der Protagonist zunächst nicht über seine jeweilige Existenz als Werwolf bewusst. Beide schützt zudem das Vergessen; im Falle Thanias ist es das Unterbewusstsein, im anderen Fall ist es die Mutter mittels Hypnose. Hinzu kommt noch, dass beide am Ende sich ihrer Andersartigkeit bewusst sind, damit leben und ein Rudel führen: Tepesch eine Horde Puppen, Thania ein Schar Wölfe, die Hugh Walkers Theorie nach in der Evolution der Werwölfe unter ihr stehen.

Die Anlage beider Romane ist sehr ähnlich, was besonders auffallen muss, da sie kurz hintereinander erschienen sind. Aber Die Herrin der Wölfe geht einen Schritt weiter: Durch die Evolution des Werwolfs bekommt der Roman einen neuen Charakter. Hatte Hugh Walker in Das Haus der bösen Puppen noch den Aspekt eingebracht, dass Werwolf und Mensch Liebe und Verständnis füreinander empfinden können, so spielt das in Herrin der Wölfe keine Rolle mehr.

Wie üblich weicht Hugh Walker sehr von seinem Exposé ab, indem er den Roman in drei Episoden zu teilen gedachte. Diese Dreiteilung ist bestenfalls noch zu erahnen, da er sich für eine geradlinige Erzählung entschied, die allein auf die Heldin zugeschnitten ist, während der Part des Leitwolfes kleiner wurde

Die zweite Episode, in der die Opferperspektive gewählt werden sollte, entfiel völlig. Von ihr ist lediglich das Attentat auf das Wolfsrudel geblieben, das ziemlich unvermittelt gegen Ende verübt wird.

Der dritte Teil ist ersatzlos gestrichen, da der Leitwolf das Feuer nicht überlebt hat. Hierin sollte wieder das Motiv aufgegriffen werden, dass die Kreatur gehetzt und von der Zerstörungswut des Menschen vernichtet wird.

»Herrin der Wölfe« hätte ein wesentlich längerer Text werden können und nach dem Exposé auch werden müssen. Die Ideen, die Hugh Walker darin nicht oder nur rudimentär aufgriff, sind verschenkt — bedauerlicherweise, denn hier hätte durch eine andere Verteilung der Gewichte ein deutlicher Abstand zu »Das Haus der bösen Puppen« hergestellt werden können.

Vielleicht scheint es angeraten, bei einer erneuten Veröffentlichung diesen Text nochmals zu überarbeiten und in verlängerter und ausgearbeiteter Form im Geiste umzusetzen, wobei der Roman in seiner jetzigen Form, wo Thania am Ende die Führung des Rudels übernimmt, einfach integriert werden könnte. Aber die Gewichte müssten neu verteilt werden und die Rolle des Werwolfjägers sollte ausgebaut werden. Der Roman müsste 180 bis 300 Taschenbuchseiten umfassen, denn im Grunde war die gewählte Form des Heftes zu kurz, um von einer adäquaten Aufbereitung des Themas sprechen zu können.

Kommentare  

#1 Thomas Backus 2011-09-09 17:00
Ich würde mir einen längeren Text wünschen.
Was treibt (schreibt) Hugh Walker eigentlich momentan? Ich traf ihn mal auf einem BuCon, als er wegen der Weltbildauflage von Mythor (?) auf der Buchmesse weilte, und dann habe ich die Neuüberarbeitung seiner Magira-Romane als Bastei-Taschenbücher erstanden. Aber neu war das ja alles nicht wirklich!

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