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Blutsteine aus dem Geistergrab

StoryBlutsteine aus dem Geistergrab

Patsy befand sich allein im Zimmer. Und dies war der Grund, dass es niemanden gab, der später bezeugen hätte können, was sich in jener stürmischen Nacht vom 13. auf den 14. November in dem kleinen alten Haus am Rande von Stonefield ereignete.

Die Achtundzwanzigjährige saß vor dem großen Spiegel und bürstete ihr langes rotblondes Haar. Sie war bis auf den Slip ausgezogen, und das offenen Feuer im Kamin hinter ihr warf flackernde Lichtreflexe auf ihre makellose Haut.

Draußen heulte der Sturm, rüttelte an den Fensterläden, und es knisterte im Dachgebälk. Der Regen prasselte gegen die Hauswand. Partys fühlte sich sicher und geborgen in ihrem kleinen Haus, dachte nicht an Gefahr und erst recht nicht an den Tod. Dabei war er schon ganz nahe, und er kam wie ein Dieb in der Nacht...

Die hübsche junge Frau hielt plötzlich inne.
Ihr Gesicht verzerrte sich, ihr stockte der Atem und brennender Schmerz durchzuckte ihren ganzen Körper.
 
Sie atmete schnell und unregelmäßig, sprang mit einem spitzen Aufschrei empor. Der fellbezogene Stuhl kippte um. Patsy beugte sich nach vorn und musste sich mit beiden Händen an der Konsole festhalten, auf der ihre Schminktöpfe und Tuben lagerten.

Sie zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub und hatte das Gefühl, mit glühendem Pech übergossen zu werden.

Sie stöhnte und wand sich vor Schmerzen, hob den Kopf und eiskaltes Grauen erfüllte sie, als sie ihr Spiegelbild erblickte.

Das konnte nicht sein! Dies war niemals Wirklichkeit, sondern ein Albtraum, aus dem sie erwachen musste.

Doch sie wachte nicht auf, die unerträglichen Schmerzen peinigten sie, und das schreckliche Erlebnis nahm unbarmherzig seinen Lauf.

Blut!

Es sickerte aus jeder einzelnen Pore, tropfte herab wie dunkelroter Schweiß, auf die Tuben und hinein in die Schminktöpfe, so dass die Blutstropfen auf der weißen Creme aussahen wie gefrorenes Eis.

Patsy Gaynell krallte sich mit ihren Händen am Rand der Konsole fest, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie brachte es nicht fertig, ihre Finger zu öffnen, sich herumzudrehen und einfach davonzurennen. Sie konnte einfach nur dastehen, ihr Spiegelbild anstarren und schreien wie am Spieß.

Das Bluten aus den Poren hörte nicht auf. Es war, als würde im Inneren ihres Körpers ein ungeheurer Druck herrschen, der das Blut aus ihren Adern und der Haut herauspresste.

Vor Patsys Augen begann sich alles zu drehen, und sie fühlte sich entsetzlich matt und schwach.

Durch den blutigen Schleier vor ihren Augen registrierte sie nach wie vor ihr Spiegelbild, ohne dass es noch recht in ihr Bewusstsein drang.

Sie war dem Tode bereits näher als dem Leben und näherte sich der dunklen Grenze, über die es kein Rückkehr mehr gab.

Bevor sie zusammenbrach und ihre Sinne vollends erloschen, empfing sie noch einen letzten Eindruck, der den schmerzlich-entsetzten Ausdruck in ihrem Gesicht einen Touch der Verwunderung verlieh.

Auf dem Schminktisch vor ihr befand sich auch der abgelegte Schmuck, den sie an diesem Abend auf dem Fest in Stonefield noch getragen hatte. Ohrringe, ein Ring, eine Kette mit einem gefassten, auffallend dunkelroten Rubin.

Der Stein leuchtete aus sich heraus in einem kraftvoll-wilden Feuer, als wolle er mit diesem Licht alles ringsum - einschließlich sich selbst - verglühen lassen.

Im Spiegel war das Licht doppelt so stark.

Dann erlosch es, und der Rubin in der Fassung sah aus wie jeder andere und nichts wies darauf hin, dass sich eben etwas Besonderes ereignet hätte - bis auf die Leiche, die nicht wegzuleugnen war.

***

"Wenn dieser Mann hier auftaucht, Pitch, dann gibt´s nur eines: die Angelegenheit durchziehen, ohne auch nur eine Sekunde lang zu zögern..." Der Mann, der das sagte, war dunkelhaarig, hatte das Aussehen eines seriösen Bankbeamten, trug einen nachtblauen Anzug mit Nadelstreifen und wirkte auf einen uneingeweihten Beobachter, wie jemand, der ehrlich und grundanständig war.

Pitch Buckler aber wusste es anders. Seit er diesen Mann mit dem Allerweltsnamen Miller kannte, hatte er seine eigene Meinung über Herrschaften in dunklen Anzügen und war überzeugt davon, dass die unseriösen Geschäfte von jenen betrieben wurden, welche die dunkelsten Anzüge trugen.

Pitch Buckler atmete tief durch und sog den dichten Qualm ein, der die kleine Spelunke an der felsigen Küste im Nordwesten Irlands erfüllte.

Der pockengesichtige Mann mit der grobpoorigen und mitesserübersäten Haut reckte sich und streckte die Beine von sich.

Die beiden Männer saßen an einem Ecktisch.

Die Kneipe war bis auf den letzten Platz besetzt.

Laute Stimmen erfüllten den Gastraum, in dem trotz des Betriebes kleiner auf den anderen achtete und jede mit sich selbst beschäftigt war.

"Mister Miller", sagte Pitch Buckler mit rauer Stimme und griff nach seinem vollen Glas, "Sie wissen doch: auf Pitch ist Verlass. Oder habe ich Sie irgendwann schon mal enttäuscht?"

"Nein, bisher noch nicht..."

"Nun sehen Sie. Warum sollte es diesmal Schwierigkeiten geben?"

"Schwierigkeiten, Pitch, wären ein bisschen viel gesagt. Ich meine, dass es diesmal nicht so ganz einfach sein dürfte."

"Ich nehme an, Mister Miller, dass Sie mein Honorar dem Schwierigkeitsgrad angepasst haben?"

"Das versteht sich von selbst. Ich nehme an, Pitch, dass Du mit der Entlohnung für die bisherigen Aufträge, die Du für mich erledigt hast, zufrieden warst?"

"Reden wir nicht über den Schnee von gestern, sondern von dem, der kommt..."

"Tausend Pfund, Pitch", sagte Mister Miller.

Pitch Buckler hob kaum merklich die buschigen Brauen und kratzte sich am stoppligen Kinn. "Das hört sich schon ganz brauchbar an. Was soll ich dafür tun?"

Mister Miller zückte seine Brieftasche. Die war prall gefüllt. Der Mann griff in ein Fach, in dem keine Scheine steckten und nahm mit spitzen Fingern eine Fotografie heraus, der er Buckler vorlegte.

Das Foto zeigte einen Mann mit einem wuscheligen roten Haarschopf und einem wilden struppigen, nicht minder roten Vollbart.

Dem Unbekannten blitzte der Schalk aus den Augen, und im linken Mundwinkel hing abgeknickt einen Zigarette, die arg mitgenommen aussah, als hätte sie derjenige eine Zeitlang in seiner Jacken- oder Hosentasche mit herumgeschleppt  oder - als würde er sie eigenhändig drehen.

Das Foto sah aus, als wäre es aus einer Aufnahme mit vielen Menschen herausvergrößert. Hinter dem Abgebildeten waren verschwommen zahlreiche andere Gesichter zu erkennen. Das Foto schien auf einem Fußball- oder Rugbyplatz oder in einem Stadion bei einer Großveranstaltung aufgenommen worden zu sein.

Pitch Buckler zog das Bild zu sich herüber. "Wer ist das, Mister Miller?"

"Kann ich Dir nicht sagen. Ist auch nicht so wichtig. Namen tun nichts zur Sache. Maßgebend ist, was mit dem Mann passieren soll."

Zwischen Bucklers Augenbrauen entstand eine steile Unmutsfalte. "Mord, Mister Miller? Für tausend? Dann sieht das mit der Bezahlung doch nicht so gut aus..."

"Die tausend dienen als Anzahlung", bei diesen Worten schob er Buckler zehn Hunderpfundnoten zu. "Für den ersten Teil Deiner Aufgabe, Pitch. Weitere zweitausend werden fällig, wenn die Aufgabe erledigt ist. Du kannst mit dem Burschen machen, was Du willst. Nur auf das eine kommt es an: Hier die Kneipe, dass Windy House, muss seine Endstation sein. Hier darf er nicht mehr ´rauskommen, lass Dir also etwas Brauchbares einfallen."

Pitch Buckler grinste. "Für dreitausend Pfund, Mister Miller, arbeite mein Gehirn auf Hochtouren und meine Phantasie wird in einem Maß aktiviert, wie Sie sich das gar nicht vorstellen können. Wenn der rothaarige Knabe mit der schiefen Zigarette hier aufkreuzt, dann können sie Gift drauf nehmen, dass er hier sein letztes Glas Bier getrunken hat. Und zu dem werd´ ich ihn sogar noch einladen..."

***

Von der felsigen Küste her, wo nur vereinzelt Bäume wuchsen, wehte ein scharfer Wind in das Land.

Pitch Buckler stand unter dem Dachvorsprung und spähte in das Dunkel.

Zum Windy House hin schlängelte sich eine holprige Straße. Windschiefe Bäume und ein paar Büsche säumten sie. Dahinter dehnte sich ein Wald aus, der jetzt nur als undurchdringliche Wand zu sehen war.

Im Schutz des Dachvorsprung und hinter seinen trichterförmig geöffneten Händen versuchte Buckler sich eine Zigarette anzuzünden. Der Wind blies ihm die kleine Streichholzflamme ständig aus, so dass er es schließlich wütend aufgab, einen weiteren Versuch zu unternehmen.

Er machte auf dem Absatz kehrt und wollte mit dem Fuß die Tür zum Kneipenraum aufstoßen, als er aus den Augenwinkeln heraus in Dunkelheit und Nebel die verwaschenen Flecke zweier Autoscheinwerfer wahrnahm.

Das Fahrzeug näherte sich.

Bucklers Augen wurden eng und mit eine mechanischen Bewegung nahm er die nicht brennende Zigarette aus dem Mund und steckte sie achtlos in die Tasche seines Jacketts.

Kam endlich der, auf den er wartete?

Pitch Buckler war gespannte Aufmerksamkeit.

Trotz der schlechten Sichtverhältnisse kam der Wagen rasch näher. Der Fahrer schien die Augen einer Katze zu haben und außerdem den Verlauf der Straße genau zu kennen.

Buckler blieb im Windschatten des Hauses stehen, als das Auto mit quietschenden Bremsen vor dem Windy House zum Stehen kam.

Es handelte sich um einen Jaguar neuesten Baujahrs, von dessen hochglänzenden Lack der Regen abperlte.

Eigentlich erwartete man, dass aus einem Auto dieser Preisklasse ein Typ vom Schlag des Mister Miller steigen würde. Der Mann, der mit einem vernehmlichen Räuspern seine Beine aus dem Fahrzeug schwang, passte von Statur und Kleidung her eher hinter das Lenkrad eines Sattelschleppers als hinter das eines Klassewagens.

Der Mann sah aus wie ein Preisboxer, trug einen Rollkragenpullover, Blue Jeans und einen grobmaschigen wie selbstgestrickt aussehenden olivfarbenen Schal.

Bucklers Blicke fraßen sich fest am roten Haarschopf und an dem wilden, ungebändigten nicht minder roten Vollbart des Ankömmling.

Das war der Bursche, den Miller ihm angekündigt hatte.

Buckler hielt unwillkürlich kurz den Atem an, doch dann fing er sich auch schon wieder. Auf einen Boxkampf konnte er es nicht ankommen lassen. Der Zahn war schon gezogen. Aber es gab andere Mittel und Wege, einen körperlich überlegenen Gegner kampfunfähig zu machen. Und das war Buckler bestens ausgerüstet.

Der Fremde, von dem auch Mister Miller keinen Namen genannt hatte, schlug einfach die Tür seines Wagens zu und war mit drei schnellen Schritten unter dem Dachvorsprung.

Pitch Buckler tat so, als wolle er gerade wieder das Lokal betreten und prallte fast mit dem Neuankömmling zusammen.

"Hey, Mister", knurrte er und wankte gegen die Wand. "Sind Sie immer so stürmisch?"

"Ich hab  ´ne lange Fahrt hinter mir, Towarischtsch", entgegnete der Mann von einem Bär, "und wenn ich dann plötzlich eine Kneipe sehen, dann muss ich anhalten und mich erfrischen..."

"Recht so", freute Buckler sich und klopfte dem Russen jovial auf die Schulter. "Das Wetter ist mies und kalt, da hilft einem ein ordentlicher Drink über die Runden, und außerdem tut man gleichzeitig etwas gegen die scheußlichen Grippeviren, die seit ein paar Tagen überall herumschwirren. Komm, Towa... rischka... oder wie war das noch..? Wie hast Du gesagt?"

"Towarischtsch..."

"Hab ich hier zwar noch nie gehört..., ist auch egal. Hört sich an, wie eine Schweinerei, aber solange ich den Sinn nicht weiß, berührt mich das nicht..."

Buckler versetzte dem großen Mann noch einen Schlag auf die Schulter und gab einen Lacher von sich, der darauf hindeuten sollte, dass er von seinem eigenen Witz angetan war und sich köstlich darüber amüsierte. "Komm mit..., Du gefällst mir. Ich lad´ Dich ein zu einem Drink..."

"Dazu sag ich nicht nein, Towarischtsch..."

Pitch Buckler riss die Tür auf. Der Eingang war so eng, dass sie hintereinander wie die Gänse in den verräucherten Gastraum eintraten. Für Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 war die Tür so niedrig, dass sich der Zweimeter-Mann sich ducken musste, um nicht mit dem Kopf anzustoßen.

Lautes Stimmengemurmel, der Geruch von Alkohol und dichter Zigarettenqualm empfing die beiden Männer.

Maude, ein zigeunerhaftes Wesen mit schulterlangem Haar, prallem Busen und Po, die hier seit kurzem bediente, reagierte sofort auf die Ankunft und das Handzeichen Pitch Bucklers, der hier Stammgast war und der hauseigenen Whiskymarke nicht widerstehen konnte.

"Komme sofort!" rief sie und ihre Stimme übertönte das lautstarke Geplapper und das asthmatische Gekreische eines Rock´n-Roll-Sängers, das aus einer altersschwachen Wurlitzer-Music-Box drang und die Membranen des eingebauten Lautsprecher zum Beben brachte. "Hier fühl´ ich mich wohl..., hier bin ich zu Hause", strahlte Buckler und ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen. "Außerdem gibt´s hier ein feines Stöffchen. Hausgemachter Whisky."
"Und wie heißt der?"

"Er hat keinen Namen. Aber man sagt, dass der Wirt - ein Hans-Dampf-in-allen-Gassen und Weiberheld, wie es hier im Umkreis von fünfzig Meilen keinen zweiten gibt - in der Regel seine tollen Freundinnen darin baden läßt."

Iwan Kunaritschew hob kaum merklich seine Augenbrauen. "Von diesem Rezept habe ich schon mal gehört. Von dem ich weiß, das stammt aus Schottland. Aber da ging´s nur um eine Frau..."

"Hier bei uns in Irland ist alles anders, wie Du siehst. Da kommt´s auf ein paar süße Girls mehr oder weniger im Whiskyfass nicht an... Ah, da kommt der scharfe Stoff... serviert aus dem Händen von Maude. Und wenn Du Dir vorstellst, dass sie vielleicht als letzte in der Wanne planschte, in der der Whisky gärte..., wird´s Dir da nicht wärmer ums Herz?"

Iwan nippte an seinem Glas. "Zumindest wird´s mir warm auf der Zunge... da fehlt das Eis..."

"Kommt sofort, Sir", beeilte die schnuckelige Maude sich zu sagen. "Eis ist leider ausgegangen. Wir haben vorhin frisches hergestellt, aber es war noch nicht ganz fertig..."

Ihre blutrot angemalten Lippen glänzten feucht, und die Art, wie sie es sagte, und wie sie dabei hinter halbgeschlossenen Augenliedern den athletischen Russen ansah, das ging auch einem hartgesottenen Mann durch und durch, und der vergaß den wärmsten Whisky und sehnte sich nur noch danach, in Maudes Armen zu liegen und sich von ihren Küssen betäuben zu lassen.

Iwan und Pitch Butler nahmen die Wartezeit auf sich. Im stillen musste sich Kunaritschew eingestehen, dass diesem Whisky wirklich etwas Besonderes anhaftete und man ihn in der tat auch lauwarm, genießen konnte.

Sie tranken auch den dritten Whisky noch lauwarm aus und kamen uns Erzählen. Pitch Buckler trickste dabei, wie er meinte, mit besonderem Geschick. Er kippte klammheimlich immer wieder einen kräftigen Schluck unter seinen Stuhl oder unter den Tisch, während der Russe jeden Tropfen genoss und von den Manipulationen seines Gegenübers nichts mitzubekommen schien.

Mal bestellte Buckler eine Runde, mal Iwan Kunaritschew, und Buckler erkannte den Zustand seines Gegenübers daran, dass dessen Augen kleiner wurden, die Bewegungen unsicherer, die Zunge schwerer.

Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 begann zu lallen und summte die ersten Zeilen eines alten Russischen Volksliedes.

"Chrorchow...", sagte der Russe anerkennend und hob sein frisch gefülltes Glas, "das ist gut..., das ist ein verdammt gutes... Stöffchen..., Towarischtsch..., da muss man dem Schicksal... dankbar sein, dass es einen... hierher in diese... Kneipe verschlagen hat..."

"Das ist keine Schicksal... das ist ein Verdienst. Nur einer, der wirklich den Stoff hier zu schätzen weiß... findet überhaupt den Weg... hierher..." Buckler beugte sich nach vorne und fasste Kunaritschew ins Auge. "Ich will Dir was verraten..., mein Freund..., ich weiß, in welchem Zimmer Maude schläft und kann Dir die... Badewanne zeigen, in die... sie manchmal steigt..., vielleicht haben wir... heute Nacht Glück und können.... sie dabei beobachten, wenn sie..." Er verstummte, als Maude an ihren Tisch kam und eine neue Lage brachte.

Das Girl lächelte verführerisch und warf Kunaritschew einen vielsagenden Blick zu, den der Russe mit einem Klaps auf ihren strammen Po erwiderte.

Maude gab einen Laut von sich, der dem Schnurren einer Katze nicht unähnlich war, und Iwan meinte leise: "Towaritschka... wir werden das mal wiederholen... am besten in der Wanne... ich besuch´ Dich mal im Mondenschein..."

Pitch Buckler grinste und sah den Augenaufschlag nicht den Maude in Richtung des Russen tat. Buckler war mit dem Ablauf der Dinge zufrieden. Der Alkohol tat seine Wirkung. Nun konnte Buckler einen Schritt weitergehen.

Er beugte sich ein wenig nach vorn und griff mit scheinbar unsicherer Hand nach dem frischgefüllten Glas. Dabei passierte es. Er rutschte ab, verlor das Gleichgewicht und stieß das Glas um. Der braune Saft schwappte zielgerichtet über Kunaritschews Hose. Das Glas hatte noch soviel berechneten Schwung, dass es Kunaritschew auf die Knie und von dort aus auf den schmutzigen Dielenboden fiel.

Iwan bückte sich umständlich.

Das war der Augenblick, auf den Buckler gewartet hatte.

Wie durch Zauberei hielt er plötzlich einen Drehbleistift in der Hand. Eine kurze Drehbewegung und das Fach, in dem in der Regel die Mienen aufbewahrt wurden, entpuppte sich als Giftbehältnis.

Es enthielt ein feines weißes Pulver, von dem Buckler einen kräftigen Schuss in Kunaritschews Whiskyglas kippte.

Das Pulver löste sich in Sekundenschnelle und absolut rückstandsfrei auf.

Der Russe hatte noch immer den Kopf nach unten gesenkt und fingerte nach dem Glas, das er schließlich vom Boden hochbekam und auf den Tisch zurückstellte.

Die schöne Maude hatte den kleinen Unfall vom Tresen aus beobachtet und schnell reagiert.

Sie kam mit einem neuen Whisky für Buckler und einem karierten Handtuch für Iwan Kunaritschew zurück.

Es war mit warmen Wasser angefeuchtet, und Maude säuberte erst den Fleck auf Iwans Hose und wischte dann mit dem trockenen Ende des Handtuchs nach.

Iwan bedankte sich bei ihr mit einem saftigen Trinkgeld, und beim Herausnehmen der Fünfpfundnote aus der Innentasche seines Jacketts rutsche wie zufällig das silberne Zigarettenetui mit heraus.

X-RAY-7 klappte es auf und hielt es einladend Pitch Buckler vor die Nase. "Greif zu Towarischtsch...  was ganz Besonderes!"

"Du... du bist ein... echter Kumpel!" Buckler nahm sich eine der Selbstgedrehten und schnupperte daran.  

Iwan steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, reichte seinem Trinkkumpan Feuer und zündete auch seine Zigarette an.  "Etwas ungewohnt vielleicht", gab der Russe zwischen zwei Zügen zu, und man merkte, dass er sich konzentrieren musste, um einen zusammenhängenden Satz hervorzubringen. "Manche sagen, der Tabak sei stark. Die Mischung ist wahrhaftig etwas für starke Raucher, das muss ich allerdings zugeben."

"Richtige Männer", lallte Pitch Buckler gekonnt und nahm einen zweiten Zug, "vertragen so was mit..." Urplötzlich weiteten sich seine Augen. Blankes Entsetzen stand in ihnen, so als wäre er nach einer heißen Nacht mit einer tollen Blondine mit einer steinalten Frau aufgewacht, die ihn mit zahnlosem Lächeln einen Gutenmorgenkuß geben wollte. Seine Nasenflügel zitterten, sein Kehlkopf zuckte heftig und seiner Augen schienen plötzlich die Farbe von Milchglas anzunehmen.

Der Geruch eines unbekannten Krautes, in das man zerriebenen Knoblauchzehen hineingemischt haben musste, lag plötzlich in der verräucherten Kneipenluft.

Buckler riss keuchend den Mund auf und schnappte wie ein Fisch, der aufs Trockene geraten war, nach Luft. Sogar die Männer, die an der Theke standen hoben schnuppernd die Nase und versuchten festzustellen, woher dieser durchdringende Duft kam, gegen den sogar die von Alkohol und Rauch geschwängerte Luft klar und rein war.

Urplötzlich herrschte Totenstille im Windy House. Alle Blicke hatten sich auf Pitch Buckler gerichtet, der totenbleich die Zigarette auf der Tischplatte ausdrückte. Buckler versuchte etwas zu sagen, brachte aber nur ein Krächzen zustande.

"Geht´s Dir... nicht gut, Towarischtsch?" Iwan Kunaritschew sah ihn besorgt an. Es war nicht das erste Mal, dass jemand auf seine Spezial-Machorka-Mischung so reagierte, doch Pitch Buckler schien es schlimm erwischt zu haben. Automatisch griff X-RAY-7 nach dem Glas, dass vor ihm stand, und reichte es Buckler, der den Whisky mit einem Zug runterkippte.

"Man, was war das für´n Zeugs?" keuchte sein Gegenüber, der nicht bemerkt hatte, wessen Glas er geleert hatte. "Da wird man ja wieder total nüchtern!"

"Russischer Tabak, eine spezielle Mischung!" erklärte Iwan ihm. Dabei nahm er einen tiefen Zug Whisky aus dem Glas, dass er sich von Buckler geliehen hatte.

"Das erklärt´s!" murmelte Pitch Buckler, dessen Augen langsam wieder Glanz bekamen. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung stellte er fest, dass Kunaritschew ebenfalls sein Glas geleert hatte. Bald würde die Wirkung des Giftes einsetzen. Dann war es aus mit dem Kerl, und er war um zweitausend Pfund reicher.

Irgend jemand war inzwischen aufgestanden und hatte eins der winzigen Fenster geöffnet, um den Gestank zu entfernen, der sich überall breitgemacht hatte. Und das war schon ein Wunder, da sonst nur gegen Morgen gelüftet wurde - wenn überhaupt.

Ein Blick auf die altmodische Uhr, die über der Theke der Pinte hing, sagte Iwan Kunaritschew, dass der 18. November genau eine halbe Stunde jung war. Er winkte mit seinem leeren Glas und hob zwei Finger in die Höhe.

Die zigeunerhafte Maude, an der jedes Pfund an der richtigen Stelle saß, wie X-RAY-7 fand, schlängelte sich durch die Männer, die sich seit kurzem fast alle um die Theke versammelt hatten, und stellte zwei Gläser auf den Tisch.  

Iwans Glas war bis zum Rand gefüllt, und das Lächeln, dass Maude dem Russen zuwarf, sprach für sich. Als sie sich herumdrehte und mit gekonntem Hüftschwung der Theke entgegen ging, hatte selbst der Letzte im Windy House begriffen, dass der Fremde den Vogel bei Maude abgeschossen hatte.

"Auf Dein Wohl, Freund!" Iwan hob sein Glas und prostete Pitch Buckler grinsend zu.

Wenig später fiel Bucklers Kopf mit einem dumpfen Knall gegen die Tischplatte. Iwan Kunaritschew schüttelte bedauernd den Kopf und winkte Maude zu. Sein neuer Freund schien für diese Nacht sein Limit erreicht zu haben. "Gibt es hier ein Zimmer, wo wir Ihn verstauen können?"

Die mollige Bedienung schüttelte den Kopf. "Nein. Nur der Wirt und ich leben hier. Gästezimmer gibt´s hier nicht! Aber für Dich hätte ich noch ein warmes Plätzchen! Maudes Stimme war ein Versprechen, dass jeden Mann erschauern ließ.

Iwan Kunaritschew grinste von einem Ohr zum anderen. "Das klingt gut", murmelte er leise. "Aber ich kann ihn doch nicht hier liegen lassen?" Der Russe machte besorgtes Gesicht. "Ich bringe ihn besser nach Hause. Weißt Du, wo er wohnt?"

"Keine Ahnung!" Maude schüttelte en Kopf und ihr wildes schulterlanges rotbraunes Haar wirbelte umher. "Aber frische Luft hat schon öfters Wunder bewirkt!"

X-RAY-7 grinste. "Ja, davon habe ich auch schon mal was gehört!" Er wurde schlagartig ernst. "Ich bring' ihn 'raus." Langsam und vorsichtig erhob er. "Bis später, Towaritschka." Iwan warf sich den Reglosen über die Schulter und schlurfte zum Ausgang.

Das Rauschen der Brandung, die sich an der felsigen Küste brach, hörte man bis ins Windy House, und wurde nur der Kneipenlärm übertönt, als Iwan Kunaritschew die Tür öffnete. Das Gewicht Pitch Bucklers schien ihm nichts auszumachen. Er trug ihn, als sei er eine Feder. Mit einem kräftigen Fußtritt schoss der Russe die Tür hinter sich und bewegte sich auf den Rand der Steilklippe zu, auf dem die Pinte stand. Es schien so, als wäre aller Alkohol aus seinem Körper gewichen. Seine Schritte waren sicher und zielstrebig.

Und dann geschah etwas, was niemand erwartet hätte.

Mit einem kräftigen Schwung hievte X-RAY-7 den bewusstlosen Buckler von der Schulter und hob ihn über den Kopf. "Fahr zur Hölle!" seine Stimme war hasserfüllt, als er den Iren in die Tiefe fallen ließ. Iwan Kunaritschew, einer der besten Agenten der PSA, hatte kaltblütig einen Menschen getötet.

Der Russe wandte sich von der Klippe ab. Langsamen Schrittes ging er zurück zum 'Windy House'. Doch nicht die Pinte war Kunaritschews Ziel, sondern sein Wagen der vor dem Haus im Regen stand. X-RAY-7 öffnete die Tür des Jaguars, und setzte sich hinter das Steuer. Mit eiskalter Miene drehte Iwan den Zündschlüssel herum, und nur das sonore Brummen ließ erahnen das der Motor lief.

 

Ende des Fragments

 

Nachtrag:
1988/1989 könnte ich Jürgen Grasmück alias Dan Shocker überreden (mit einer kleinen Bestechung) diesen Larry Brent-Roman anzufangen. Leider hat er ihn nie zu Ende geschrieben. In den „Dan Shocker-News aus Marlos“ Nr. 57 (12. Jahrgang – Oktober 1989) wurde er zum ersten und einzigen Mal veröffentlicht.

Heute – anläßlich des 70. Geburtstag von Jürgen Grasmück – erlebt wird dieser Text seine Internetpremerie.
Uwe Schnabel

 

Kommentare  

#1 Laurin 2010-01-23 17:39
Wow...für ein Fragment steckt hier schon eine Spannung drin, die man bei manchem Roman noch nach dem lesen suchen muß!
Hier zeigt sich das Jürgen Grasmück das schreiben von spannenden Storys im Blut lag!

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