Ich und du, du und ich
Ich und du, du und ich
Ein Rascheln hinter mir lässt mich umblicken. Ich kann eher erahnen als dass ich sehe, wie mich zwei dunkle Augen anblinzeln. Eine warme Hand findet meinen Rücken, ich lächle.
"Ich bin gleich zurück." Als Antwort kommt nur das unbestimmte "Mhmm." eines noch halb Schlafenden.
Seine Hand gleitet hinab und landet auf dem Laken. Mein Lächeln vertieft sich. Ich drehe mich weg und greife nach meiner Trainingshose und einem unbestimmten T-Shirt, die ich am Abend achtlos auf den Boden hatte fallen lassen.
Ich trete ans Fenster und blicke auf die Straße. Kein Regen in der Nacht.
Auf Zehenspitzen schleiche ich aus dem Zimmer und lasse die Tür sanft im Schloss einrasten. Mit einer gezielten Handbewegung treffe ich im Flur den Lichtschalter, ich werfe einen letzten Blick in den Flurspiegel, greife nach dem Mantel und den Schlüssel, ich lösche das Licht, als ich aus dem Flur in den dunklen Hausflur trete.
Ich bleib einen Moment in der Dunkelheit stehen und atme nur.
Ich drücke die auf mich einstürmenden Fragen weg und haste die Treppen hinunter. Nur ein halbverschleierter Mond spendet dabei Licht. Ich reiße die Haustür auf und sauge die Nachtluft in mich ein. Sie kündet vom frühen Sommer. Zwei, drei, vier, fünf Schritte und ich stehe auf der anderen Seite der Straße, vor der grünen Tür.
Ich straffe meine Schultern und trete hindurch.
Ich schaue dir nach, als du wieder in der Nacht verschwindest, höre wie deine Schritte langsam verhallen und nichts mehr zurückbleibt außer einem fernen Echo in meinen Gedanken.
Zurück in der Wohnung lehne ich den Kopf einen Moment an die Tür. Du hast keine meiner Fragen beantwortet, wie damals.
Das Licht im Flur geht mit einem Flackern an, ich drehe mich verwundert um. Da steht er, mein Ehemann, mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand. Ich lächle. Dass ich auch weine, bemerke ich erst, als er mir über die Wange streicht.
"Sie?" Ich nicke, mehr ist heute Nacht nicht mehr zu sagen. Er küsst mich sanft und verschwindet wieder im Bett. Ich sitze noch Stunden in der Küche, rauche eine Zigarette nach der anderen, gehe unsere Begegnung immer wieder durch, während die Sonne langsam den Horizont hinaufklettert.
Nachdem ich durch die Tür getreten war, brauchte ich einen Moment, um dich zu finden. Doch da warst du, hinten rechts am Fenster, den Blick starr nach draußen gerichtet. Die Schritte bis zum Tisch waren für mich unnatürlich still. Ich hörte auch den Stuhl nicht, als er über den Boden schabte. Ich setzte mich und legte meine Hände auf den Tisch.
Minuten verstrichen.
Du seufztest leise. Erst jetzt bemerkte ich die Zigarette in deiner linken Hand. Früher hast du nie geraucht, nur wenn du wirklich betrunken gewesen warst. Du drücktest mit einer geübten Bewegung den Stummel im Aschenbecher aus. Dann strichst du mit den Fingern der rechten Hand einmal quer über den Tisch, bis du an dein Glas stießt. Trinkst du noch immer Whiskey? Die Flüssigkeit im Glas war dunkel.
Das Glas machte ein leichtes "Pling", als dein Fingernagel dagegen stieß. Erst dann hast du den Blick von draußen auf mich gerichtet.
Du sahst müde aus. Das Haar leicht wirr, dennoch in einer nahezu perfekten Frisur. Unter den Augen ließen sich dunkle Ringe erahnen, um die Augen noch immer leichte Falten. Die Haut war bleich. Und doch - als ich in deine Augen schaute, loderte darin noch immer jenes unbekannte Feuer, das dich bereits vor fünf Jahren befallen hatte. Es erschien mir immer fremd, unbekannt. Doch es loderte in dieser Nacht heller als jemals zuvor.
Das Hupen eines nahen Autos schreckt mich aus meinen Gedanken. Ich blicke mich um. Eine neue Tasse Kaffee steht zu meiner Rechten, ich erinnere mich nicht daran, wie sie dahin gekommen war. Der Aschenbecher zu meiner Linken ist voll und spricht von der Zeit, die vergangen ist.
Ich blicke auf die Uhr. Ich muss mich fertig machen für die Arbeit. Er wird wahrscheinlich schon fort sein. Ich stürze den Kaffee hinunter und mache mich fertig. Als ich die Tür ein zweites Mal an diesem Tag ins Schloss ziehe, kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass Dinge sich auf einmal geändert haben.
Die Hexen-Jäger, wie wir sie im Volksmund nennen, stehen schon an der Tür, als ich von der Arbeit komme. Offiziell war ihr Name "Justifier Corps", die Schwarzen Schatten, die Bösen Männer, oder eben die Jäger der Hexen. Seitdem ich dich gestern in die Nacht entlassen habe, wusste ich, dass sie heute kommen würden.
Ihre Haltung ist starr, ihr Blick hinter den Sonnenbrillen nicht zu ergründen, in der Sonne funkelt der goldene Wappenring an ihren Ringfingern. Der Volksmund sagt, der Ring enthielte alle Antworten auf alle Geheimnisse, und deshalb könnte man in Gegenwart der Justifier nicht lügen. Ich glaube nicht daran, so wie ich an vieles nicht mehr glaube.
Sie nicken mir zu und treten beiseite, als ich die Tür öffne. Sie ignorierend gehe ich einfach die Treppe hinauf, ich weiß, sie würden mir folgen. Ich kann spüren, wie meine Nachbarn hinter ihren Türen durch die Spione lugen. Man fühlt es, wenn sich ein Justifier in der Nähe aufhält.
Für die folgenden Wochen würde ich das Gesprächsthema Nr. 1 sein.
Das Verhör ist kurz.
Ob ich wüsste wo du seist? Nein.
Ob ich dich vor letzter Nacht bereits einmal gesehen hätte? Nein.
Ob du eine Andeutung gemacht hättest? Nein.
Worüber wir gesprochen hätten? Die meiste Zeit hätten wir nur geschwiegen.
Sie gehen wieder. Doch es bleibt etwas zurück.
Als er am Abend nach Hause kommt, bemerkt er es auch, doch er schweigt. So wie er bei vielem in der Vergangenheit geschwiegen hat. Aber worüber hätte er auch sprechen können.
Ich streiche nachdenklich über das Silberarmband an meiner Hand und versuche zu vergessen.
Drei Tage passiert nichts. Mein Versuch zu verdrängen trägt Früchte, die Nacht mit dir im Pub - fast nur noch wie ein verschwommener Traum. Jene Träume, die man kurz vor dem Aufwachen hat und bei denen es unmöglich ist, zwischen Realität und Illusion zu unterscheiden.
Ich sitze in der Küche, rauchend, und versuche irgendeine Arbeit zu erledigen. Daten rasen aus dem Hypernet den Bildschirm hoch und runter. Doch die eine Information, die ich suche, erscheint einfach nicht.
Warum suche ich überhaupt?
Das Briefsymbol am unteren Bildschirmrand blinkt auf. Möchte ich einen fremden Chatversuch annehmen?
Ich zögere nur den Bruchteil einer Sekunde.
Ein neuer Name in der Kontaktliste: RedFox. Für einen Moment stockt mir der Atem. Nur mühevoll kann ich die Erinnerungen wieder an den Rand meines Bewusstseins zurückdrängen.
RedFox: Was wollten sie?
RainDancer09: Sie.
RedFox: Was weißt du?
RainDancer09: Nichts.
RedFox: Wie sicher ist die Leitung?
RainDancer09: Was glaubst du?
Natürlich stand ich unter Beobachtung. Sie würden jedes Wort mitlesen und auf jeden erdenklichen bekannten Code hin analysieren.
RedFox: Du weißt gar nichts?
RainDancer09: Nein.
RedFox has disconnected.
Das Ganze dauerte nicht mal eine halbe Minute. Doch ich hatte verstanden. Oh, wie gut hatte ich verstanden. Und nun musste ich mich entscheiden.
In stiller Verzweiflung, als an jenem Tag der Morgen heran brach, schauten wir dem Untergang der uns bekannten Welt zu.
Unsere Geschichte beginnt vor mehr als 10 Jahren. Unsere gemeinsame Geschichte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte jeder seine eigene Geschichte gehabt.
Denn Geschichten kamen zusammen und gingen auseinander, immer wieder, für alle Ewigkeit. Bis jemand die Geschichte beendete.
Schon damals warst du anders gewesen; ein Stern, strahlend und gleißend zugleich. Du warst einer jener Menschen, die eine sonderbare Wirkung auf andere hatten. Man lernte dich kennen, man vergaß dich, man traf dich wieder und war von da an gefangen in deiner Persona.
Ich wusste, das du dir dieser Wirkung auf die Menschen zu Beginn nicht bewusst warst, du gingst normal mit uns allen um. Auch später dann, als du dir dessen bewusst geworden warst, blieb immer eine Spur dieser Unschuld zurück, was den Effekt gleich noch mal verstärkte.
Ich erinnere mich genau an den Tag, wenn auch nicht mehr wirklich an das Datum. Irgendwann im Sommer. Du trugst ein leichtes Sommerkleid, die dunklen Haare hochgesteckt, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Hätte ich entsprechende Neigungen gepflegt, hätte ich mich wahrscheinlich in dich verliebt, vielleicht hatte ich das tatsächlich in jenem Augenblick.
Nicht für jeden warst du schön, nicht im klassischen Sinne. Die Nase ein wenig zu groß, die Figur etwas zu rundlich. Dennoch hast du gestrahlt und die Menschen wie Motten um dich geschart. Niemand wusste warum, aber wollte ein Stück von dir sein.
Nicht haben, sondern sein.
Von Anfang an wollte ich dich beschützen. Beschützen vor allem Bösem dieser Welt. Zwei Dinge sollte ich erst später erfahren. Einerseits, dass du zu diesem Zeitpunkt dem Bösen bereits ins Gesicht geblickt hattest, immer und immer wieder. Ebenso, dass du niemanden zu deinem Schutz brauchen würdest, denn von uns allen, den Propheten, solltest du die Stärkste sein.
Ich habe Stunden damit verbracht, auf dem Speicher nach der einen Kiste zu suchen. Verstaut. Versteckt. Versucht zu vergessen. Doch beständig geisterte sie am Rande meiner Wahrnehmung entlang.
Nun sitze ich davor, Arme und Knie bedeckt von Staub, die Konturen um mich herum verwischt vom dämpfenden Licht der untergehende Sonne, und starre auf den Inhalt.
Schon fast wie in Trance hebe ich die linke Hand und fahre mit den Fingerspitzen über den schwarzen Stoff.
Blitze tanzten vor meinen Augen. Ich hörte erst einen Schrei, dann mehrere, ein Krachen. Dunkelheit.
Ich hebe auch die andere Hand und hole das schwarze Kleidungsstück heraus, drücke es an meine Brust. Starre ins Nichts. Ich wusste, dass ich nicht mehr weinen kann. Und doch überrascht es mich.
Das Flehen in ihren Augen. Doch ich hatte mich entschieden. Ich entfernte das Abzeichen, drehte mich um und schaute nie mehr zurück.
Der Stoff wiegt schwer in meinen Händen, schwerer als ich ihn in Erinnerung habe. Ich stehe langsam auf. Meine Finger krampfen sich fast in den Stoff, die Fingerknöchel sind weiß.
Jedes Mal, wenn ich von weiteren Namen von Toten in der Zeitung las, wiegte das Silberarmband an meinem Handgelenk ein Stück schwerer.
Ich schaue auf den restlichen Inhalt. Noch kann ich alles zurück packen, wieder verstauen, verstecken erneut. Besser, es abgeben, dafür die Strafe kassieren und alles hinter mir lassen.
Ich sehe dich.
Die Augenringe.
Die wirren Haare.
Das Feuer.
Jenes mir so fremde Feuer, das du schon damals besessen hast, und das mit den Jahren immer stärker geworden war.
Dass es dunkel geworden ist, bemerke ich erst als das Licht über mir angeht. Ich weiß, dass er es ist. Schon immer hatte ich sagen können, wo er sich befand.
Stille im Raum.
Seine schweren Schritte erklingen hinter mir, er tritt neben mich und löst mit sanften Fingern die Jacke aus meiner Hand.
"Es wird Zeit." Ich nicke. Es wird Zeit sich zu entscheiden. Ein für alle mal.
Ich knie nieder, nehme Hose und Kappe heraus. Die Messer, die Phaser, das Werkzeug.
Den Ausweis.
Den Terminal.
Das Abzeichen.
Wir hatten niemals geglaubt, dass wir uns einmal in einer Situation wiederfinden würden, in der wir nur noch die Rebellion als einzigen Ausweg sahen.
Und doch mussten wir auf einmal erkennen, dass wir uns einem Staat gegenüber befanden, der uns auf einmal nicht mehr gewogen war.
Zwar kehrten wir nicht zu den Hexenverbrennungen des Mittelalters zurück, doch auf einmal waren wir keine Menschen mehr. Die Akademie, jene Einrichtung, die uns leiten sollte, wurde unter staatliche Aufsicht gestellt.
Menschen verschwanden.
Wir wurden zu Sündenböcken degradiert. Nicht, dass man uns nicht bereits davor für Dinge jenseits unserer Kontrolle verantwortlich gemacht hatte. Aber immer hatten wir den Rückhalt in der Bevölkerung, in den Medien, in der Politik.
Nun war nichts mehr geblieben.
Menschen mieden uns, Freunde vergaßen uns, schwärzten uns an.
Wir demonstrierten, versuchten die Menschen zu beruhigen, versuchten zurück zu gewinnen, was wir verloren hatten. Unsere Würde.
Dann starb der erste Mensch.
In stiller Verzweiflung, als an jenem Tag der Morgen heran brach, schauten wir dem Untergang der uns bekannten Welt zu.
Du hattest nie kämpfen wollen. Hast immer nach Möglichkeiten gesucht, einen friedlichen Weg zu finden. Stunden, nein nächtelang, hast du die alten Bücher aus grauer Vorzeit gewälzt, um jenen Link zu finden, der uns noch mit den anderen Menschen verbinden musste.
Vielleicht wäre es dir sogar gelungen. Doch als Er starb, hast du die gesamte Bibliothek verbrannt. Die orangenen Flammen haben sich in deinen Augen gespiegelt, und wir alle haben einen Moment den Wahnsinn gefürchtet, den wir darin sahen.
Wir zogen die schwarzen Hosen an. Schlossen die schwarzen Jacken. Setzten die schwarzen Barette auf und steckten uns das silberne Abzeichen an die Brust.
Die Propheten, die älteste und letzte Gilde, trat zur damals letzten Schlacht an.
Drei Jahre später wurde die Gilde gesprengt.
Wir hatten die Wahl: Tod, Untertauchen oder den Bann ertragen.
Ich wählte den Bann, und kehrte zu meinem Leben zurück.
Zu einem großen Teil kehrte Ruhe ein. Auch die anderen Menschen wollten vergessen. Wollten wieder ihr normales Leben haben. immer wieder gab und gibt es Unruhen, doch von den Propheten hörte ich nie wieder etwas.
Das Silberarmband zerbricht mit einem leisen "Pling", das mich an deinen Fingernagel und das Whiskeyglas erinnert. Leblos liegt es unter meinem Arm.
Ich kann mich nicht rühren.
Die Justifier wissen, was geschehen ist. Ich habe nicht viel Zeit. Ich schau zu ihm hoch, er lächelt nur traurig.
Ich lange nach dem Terminal und drücke ein paar Knöpfe, ich bin überrascht, dass meine alten Commando-Codes noch funktionieren. Wahrscheinlich haben sie einfach nur vergessen, sie abzuschalten.
Als sich die Energiebarriere aufbaut, schellt draußen die Türglocke. Dreimal.
Die Tür fliegt mit einem Krachen gegen die Wand.
Ich bin verschwunden.
Das Gebäude, in dem ich wieder zur mir kommen, ist genauso grimm wie die Gesichter, die mich erwarten. Auf die Schnelle erkenne ich nur eines wieder. RedFox. Er nickt mir zu. Die anderen sind mir entweder unbekannt oder ich habe sie bereits vergessen. Dein Gesicht ist nicht dabei, aber erwartet habe ich es auch nicht. Sonst hätte RedFox keinen Kontakt zu mir aufgenommen.
"Es ist Zeit." Ich weiß, dass es Zeit ist. Ich wusste es eigentlich schon ab dem Moment, als du angerufen hattest. Warum sonst hättest du die fünf Jahre geschwiegen?
Ich nicke nur als Antwort.
"Übernimmst du die Leitung?" Ich schaue ihn überrascht an, ein Murren geht durch die Anwesend. Einige treten auf RedFox zu, doch er wischt sie mit einer Handbewegung zur Seite. Sein Blick verlässt niemals den meinen. Und nun weiß ich, dass sie alle neu sind, dass die alte Garde in diesem Moment nicht mehr hier ist. Denn sie wissen nicht.
Wissen nicht von mir.
Wissen nicht von dir.
Und wissen nicht von dir und mir und unserer Geschichte.
Ich straffe meine Haltung, schiebe die Schultern zurück, hebe den Kopf und falle in die alte neue, nie abgelegte Rolle zurück.
"Jawohl, Sir."
Überall in der Basis sehe ich deinen Schatten. Auch hier hast du die Menschen auf deine Weise berührt. Sie betrachten mich feindselig und flüstern hinter meinem Rücken. Denn statt dir bin ich gekommen.
Ich stehe in deinem Zimmer. Seit damals scheint sich nicht wirklich etwas verändert zu haben. Ich schaue mich um. Kein Staub und dennoch, nichts hat sich seit damals verändert.
Ich zögere einen Moment, dann gehe ich an den Wandschrank, drücke auf die versteckte Taste. Die Wand gibt leicht nach. Gibt das verborgene Tagebuch preis. Ich atme ein. Ich blättere zur letzten beschriebenen Seite. Langsam atme ich aus.
Ich lege das Buch zurück und schließe die Wand.
Ich drehe mich herum und atme noch einmal tief durch.
RedFox' Blick ist ruhig, als ich auf ihn zu trete.
"Seit wann?" Doch ich kenne die Antwort bereits.
"Seit fünf Jahren." Fünf Jahre haben sie nach der letzten Schlacht gebraucht, sich neu zu gruppieren, sich erneut zu ordnen, sich vorzubereiten, und alles nur, weil der wichtigste Spieler nicht mehr da war, wo er sein sollte.
Seit fünf Jahren warst du in der Gewalt der Justifier.
Und seit weniger - einer von ihnen.
Ich bleibe stehen, die Welt dreht sich. Mit jedem Atemzug scheint mein Leben aus mir herauszulaufen. Die Wunde am Bauch ist tief, aber nicht fatal. Sie wird heilen, langsam.
Doch ich werde geschwächt sein.
Ich verschnaufe kurz, dann laufe ich weiter. Immer deinem Schatten folgend. Einer Illusion gleich, die vor mir tanzt. Ich krache durch die letzte Tür.
Ein Raum, riesig, eine Halle. Ich kann nicht viel sehen, das meiste liegt im Schatten. Aber ich sehe dich. So anders, so komplett anders. Du schaust mich an, siehst du mich aber auch?
Die Haare lang und grau, die Augen fast weiß. Alles an dir ist falsch. Mein Blick fällt auf die goldenen Armreifen an deinen Händen. Sehe die Blitze darüber tanzen. Einem Pulsschlag gleich.
Golden.
Fünf Jahre.
Ich verstehe.
Ich weiß, was ich tun muss.
Ich sammle alle meine Kräfte, die ich noch habe, alles was ich bin in diesem einen Augenblick, und zerbreche die goldenen Ketten.
In der Ferne höre ich Schreie. Doch sie sind mir egal, es sind nicht unsere. Es sind ihre.
Ich halte die dünnen Arme in meinen Händen und schau in dein Gesicht.
Ich hatte unrecht. Nicht alles ist falsch. In deinen Augen lodert noch immer das Feuer.
Und einen kurzen Moment lang lodert darin ein Feuersturm, der alles verzehrt und verbrennt, das sich ihm in den Weg stellt.
Ich spüre es in meinem Inneren. Erst zerbricht etwas und dann auf einmal ist es erloschen.
Die Arme erschlaffen in meinen Händen. Das Feuer versiegt. Alles wird still.
Ich schließe meine Augen.
An jenem Sommertag endet deine Geschichte.
Die moderne Geschichte von dir und mir.
Denn in jenem Augenblick fand auch eine andere Geschichte ein Ende.
Eine, in der sie mich Morgana nannten.
Und dich Merlin.
Ich trete ans Fenster und blicke auf die Straße. Kein Regen in der Nacht.
Auf Zehenspitzen schleiche ich aus dem Zimmer und lasse die Tür sanft im Schloss einrasten. Mit einer gezielten Handbewegung treffe ich im Flur den Lichtschalter, ich werfe einen letzten Blick in den Flurspiegel, greife nach dem Mantel und den Schlüssel, ich lösche das Licht, als ich aus dem Flur in den dunklen Hausflur trete.
Ich bleib einen Moment in der Dunkelheit stehen und atme nur.
Ich drücke die auf mich einstürmenden Fragen weg und haste die Treppen hinunter. Nur ein halbverschleierter Mond spendet dabei Licht. Ich reiße die Haustür auf und sauge die Nachtluft in mich ein. Sie kündet vom frühen Sommer. Zwei, drei, vier, fünf Schritte und ich stehe auf der anderen Seite der Straße, vor der grünen Tür.
Ich straffe meine Schultern und trete hindurch.
***
Ich schaue dir nach, als du wieder in der Nacht verschwindest, höre wie deine Schritte langsam verhallen und nichts mehr zurückbleibt außer einem fernen Echo in meinen Gedanken.
Zurück in der Wohnung lehne ich den Kopf einen Moment an die Tür. Du hast keine meiner Fragen beantwortet, wie damals.
Das Licht im Flur geht mit einem Flackern an, ich drehe mich verwundert um. Da steht er, mein Ehemann, mit einer dampfenden Tasse Kaffee in der Hand. Ich lächle. Dass ich auch weine, bemerke ich erst, als er mir über die Wange streicht.
"Sie?" Ich nicke, mehr ist heute Nacht nicht mehr zu sagen. Er küsst mich sanft und verschwindet wieder im Bett. Ich sitze noch Stunden in der Küche, rauche eine Zigarette nach der anderen, gehe unsere Begegnung immer wieder durch, während die Sonne langsam den Horizont hinaufklettert.
***
Nachdem ich durch die Tür getreten war, brauchte ich einen Moment, um dich zu finden. Doch da warst du, hinten rechts am Fenster, den Blick starr nach draußen gerichtet. Die Schritte bis zum Tisch waren für mich unnatürlich still. Ich hörte auch den Stuhl nicht, als er über den Boden schabte. Ich setzte mich und legte meine Hände auf den Tisch.
Minuten verstrichen.
Du seufztest leise. Erst jetzt bemerkte ich die Zigarette in deiner linken Hand. Früher hast du nie geraucht, nur wenn du wirklich betrunken gewesen warst. Du drücktest mit einer geübten Bewegung den Stummel im Aschenbecher aus. Dann strichst du mit den Fingern der rechten Hand einmal quer über den Tisch, bis du an dein Glas stießt. Trinkst du noch immer Whiskey? Die Flüssigkeit im Glas war dunkel.
Das Glas machte ein leichtes "Pling", als dein Fingernagel dagegen stieß. Erst dann hast du den Blick von draußen auf mich gerichtet.
Du sahst müde aus. Das Haar leicht wirr, dennoch in einer nahezu perfekten Frisur. Unter den Augen ließen sich dunkle Ringe erahnen, um die Augen noch immer leichte Falten. Die Haut war bleich. Und doch - als ich in deine Augen schaute, loderte darin noch immer jenes unbekannte Feuer, das dich bereits vor fünf Jahren befallen hatte. Es erschien mir immer fremd, unbekannt. Doch es loderte in dieser Nacht heller als jemals zuvor.
***
Das Hupen eines nahen Autos schreckt mich aus meinen Gedanken. Ich blicke mich um. Eine neue Tasse Kaffee steht zu meiner Rechten, ich erinnere mich nicht daran, wie sie dahin gekommen war. Der Aschenbecher zu meiner Linken ist voll und spricht von der Zeit, die vergangen ist.
Ich blicke auf die Uhr. Ich muss mich fertig machen für die Arbeit. Er wird wahrscheinlich schon fort sein. Ich stürze den Kaffee hinunter und mache mich fertig. Als ich die Tür ein zweites Mal an diesem Tag ins Schloss ziehe, kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, dass Dinge sich auf einmal geändert haben.
***
Die Hexen-Jäger, wie wir sie im Volksmund nennen, stehen schon an der Tür, als ich von der Arbeit komme. Offiziell war ihr Name "Justifier Corps", die Schwarzen Schatten, die Bösen Männer, oder eben die Jäger der Hexen. Seitdem ich dich gestern in die Nacht entlassen habe, wusste ich, dass sie heute kommen würden.
Ihre Haltung ist starr, ihr Blick hinter den Sonnenbrillen nicht zu ergründen, in der Sonne funkelt der goldene Wappenring an ihren Ringfingern. Der Volksmund sagt, der Ring enthielte alle Antworten auf alle Geheimnisse, und deshalb könnte man in Gegenwart der Justifier nicht lügen. Ich glaube nicht daran, so wie ich an vieles nicht mehr glaube.
Sie nicken mir zu und treten beiseite, als ich die Tür öffne. Sie ignorierend gehe ich einfach die Treppe hinauf, ich weiß, sie würden mir folgen. Ich kann spüren, wie meine Nachbarn hinter ihren Türen durch die Spione lugen. Man fühlt es, wenn sich ein Justifier in der Nähe aufhält.
Für die folgenden Wochen würde ich das Gesprächsthema Nr. 1 sein.
Das Verhör ist kurz.
Ob ich wüsste wo du seist? Nein.
Ob ich dich vor letzter Nacht bereits einmal gesehen hätte? Nein.
Ob du eine Andeutung gemacht hättest? Nein.
Worüber wir gesprochen hätten? Die meiste Zeit hätten wir nur geschwiegen.
Sie gehen wieder. Doch es bleibt etwas zurück.
Als er am Abend nach Hause kommt, bemerkt er es auch, doch er schweigt. So wie er bei vielem in der Vergangenheit geschwiegen hat. Aber worüber hätte er auch sprechen können.
Ich streiche nachdenklich über das Silberarmband an meiner Hand und versuche zu vergessen.
***
Drei Tage passiert nichts. Mein Versuch zu verdrängen trägt Früchte, die Nacht mit dir im Pub - fast nur noch wie ein verschwommener Traum. Jene Träume, die man kurz vor dem Aufwachen hat und bei denen es unmöglich ist, zwischen Realität und Illusion zu unterscheiden.
Ich sitze in der Küche, rauchend, und versuche irgendeine Arbeit zu erledigen. Daten rasen aus dem Hypernet den Bildschirm hoch und runter. Doch die eine Information, die ich suche, erscheint einfach nicht.
Warum suche ich überhaupt?
Das Briefsymbol am unteren Bildschirmrand blinkt auf. Möchte ich einen fremden Chatversuch annehmen?
Ich zögere nur den Bruchteil einer Sekunde.
Ein neuer Name in der Kontaktliste: RedFox. Für einen Moment stockt mir der Atem. Nur mühevoll kann ich die Erinnerungen wieder an den Rand meines Bewusstseins zurückdrängen.
RedFox: Was wollten sie?
RainDancer09: Sie.
RedFox: Was weißt du?
RainDancer09: Nichts.
RedFox: Wie sicher ist die Leitung?
RainDancer09: Was glaubst du?
Natürlich stand ich unter Beobachtung. Sie würden jedes Wort mitlesen und auf jeden erdenklichen bekannten Code hin analysieren.
RedFox: Du weißt gar nichts?
RainDancer09: Nein.
RedFox has disconnected.
Das Ganze dauerte nicht mal eine halbe Minute. Doch ich hatte verstanden. Oh, wie gut hatte ich verstanden. Und nun musste ich mich entscheiden.
***
In stiller Verzweiflung, als an jenem Tag der Morgen heran brach, schauten wir dem Untergang der uns bekannten Welt zu.
***
Unsere Geschichte beginnt vor mehr als 10 Jahren. Unsere gemeinsame Geschichte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte jeder seine eigene Geschichte gehabt.
Denn Geschichten kamen zusammen und gingen auseinander, immer wieder, für alle Ewigkeit. Bis jemand die Geschichte beendete.
Schon damals warst du anders gewesen; ein Stern, strahlend und gleißend zugleich. Du warst einer jener Menschen, die eine sonderbare Wirkung auf andere hatten. Man lernte dich kennen, man vergaß dich, man traf dich wieder und war von da an gefangen in deiner Persona.
Ich wusste, das du dir dieser Wirkung auf die Menschen zu Beginn nicht bewusst warst, du gingst normal mit uns allen um. Auch später dann, als du dir dessen bewusst geworden warst, blieb immer eine Spur dieser Unschuld zurück, was den Effekt gleich noch mal verstärkte.
Ich erinnere mich genau an den Tag, wenn auch nicht mehr wirklich an das Datum. Irgendwann im Sommer. Du trugst ein leichtes Sommerkleid, die dunklen Haare hochgesteckt, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Hätte ich entsprechende Neigungen gepflegt, hätte ich mich wahrscheinlich in dich verliebt, vielleicht hatte ich das tatsächlich in jenem Augenblick.
Nicht für jeden warst du schön, nicht im klassischen Sinne. Die Nase ein wenig zu groß, die Figur etwas zu rundlich. Dennoch hast du gestrahlt und die Menschen wie Motten um dich geschart. Niemand wusste warum, aber wollte ein Stück von dir sein.
Nicht haben, sondern sein.
Von Anfang an wollte ich dich beschützen. Beschützen vor allem Bösem dieser Welt. Zwei Dinge sollte ich erst später erfahren. Einerseits, dass du zu diesem Zeitpunkt dem Bösen bereits ins Gesicht geblickt hattest, immer und immer wieder. Ebenso, dass du niemanden zu deinem Schutz brauchen würdest, denn von uns allen, den Propheten, solltest du die Stärkste sein.
***
Ich habe Stunden damit verbracht, auf dem Speicher nach der einen Kiste zu suchen. Verstaut. Versteckt. Versucht zu vergessen. Doch beständig geisterte sie am Rande meiner Wahrnehmung entlang.
Nun sitze ich davor, Arme und Knie bedeckt von Staub, die Konturen um mich herum verwischt vom dämpfenden Licht der untergehende Sonne, und starre auf den Inhalt.
Schon fast wie in Trance hebe ich die linke Hand und fahre mit den Fingerspitzen über den schwarzen Stoff.
***
Blitze tanzten vor meinen Augen. Ich hörte erst einen Schrei, dann mehrere, ein Krachen. Dunkelheit.
***
Ich hebe auch die andere Hand und hole das schwarze Kleidungsstück heraus, drücke es an meine Brust. Starre ins Nichts. Ich wusste, dass ich nicht mehr weinen kann. Und doch überrascht es mich.
***
Das Flehen in ihren Augen. Doch ich hatte mich entschieden. Ich entfernte das Abzeichen, drehte mich um und schaute nie mehr zurück.
***
Der Stoff wiegt schwer in meinen Händen, schwerer als ich ihn in Erinnerung habe. Ich stehe langsam auf. Meine Finger krampfen sich fast in den Stoff, die Fingerknöchel sind weiß.
***
Jedes Mal, wenn ich von weiteren Namen von Toten in der Zeitung las, wiegte das Silberarmband an meinem Handgelenk ein Stück schwerer.
***
Ich schaue auf den restlichen Inhalt. Noch kann ich alles zurück packen, wieder verstauen, verstecken erneut. Besser, es abgeben, dafür die Strafe kassieren und alles hinter mir lassen.
Ich sehe dich.
Die Augenringe.
Die wirren Haare.
Das Feuer.
Jenes mir so fremde Feuer, das du schon damals besessen hast, und das mit den Jahren immer stärker geworden war.
Dass es dunkel geworden ist, bemerke ich erst als das Licht über mir angeht. Ich weiß, dass er es ist. Schon immer hatte ich sagen können, wo er sich befand.
Stille im Raum.
Seine schweren Schritte erklingen hinter mir, er tritt neben mich und löst mit sanften Fingern die Jacke aus meiner Hand.
"Es wird Zeit." Ich nicke. Es wird Zeit sich zu entscheiden. Ein für alle mal.
Ich knie nieder, nehme Hose und Kappe heraus. Die Messer, die Phaser, das Werkzeug.
Den Ausweis.
Den Terminal.
Das Abzeichen.
***
Wir hatten niemals geglaubt, dass wir uns einmal in einer Situation wiederfinden würden, in der wir nur noch die Rebellion als einzigen Ausweg sahen.
Und doch mussten wir auf einmal erkennen, dass wir uns einem Staat gegenüber befanden, der uns auf einmal nicht mehr gewogen war.
Zwar kehrten wir nicht zu den Hexenverbrennungen des Mittelalters zurück, doch auf einmal waren wir keine Menschen mehr. Die Akademie, jene Einrichtung, die uns leiten sollte, wurde unter staatliche Aufsicht gestellt.
Menschen verschwanden.
Wir wurden zu Sündenböcken degradiert. Nicht, dass man uns nicht bereits davor für Dinge jenseits unserer Kontrolle verantwortlich gemacht hatte. Aber immer hatten wir den Rückhalt in der Bevölkerung, in den Medien, in der Politik.
Nun war nichts mehr geblieben.
Menschen mieden uns, Freunde vergaßen uns, schwärzten uns an.
Wir demonstrierten, versuchten die Menschen zu beruhigen, versuchten zurück zu gewinnen, was wir verloren hatten. Unsere Würde.
Dann starb der erste Mensch.
In stiller Verzweiflung, als an jenem Tag der Morgen heran brach, schauten wir dem Untergang der uns bekannten Welt zu.
***
Du hattest nie kämpfen wollen. Hast immer nach Möglichkeiten gesucht, einen friedlichen Weg zu finden. Stunden, nein nächtelang, hast du die alten Bücher aus grauer Vorzeit gewälzt, um jenen Link zu finden, der uns noch mit den anderen Menschen verbinden musste.
Vielleicht wäre es dir sogar gelungen. Doch als Er starb, hast du die gesamte Bibliothek verbrannt. Die orangenen Flammen haben sich in deinen Augen gespiegelt, und wir alle haben einen Moment den Wahnsinn gefürchtet, den wir darin sahen.
Wir zogen die schwarzen Hosen an. Schlossen die schwarzen Jacken. Setzten die schwarzen Barette auf und steckten uns das silberne Abzeichen an die Brust.
Die Propheten, die älteste und letzte Gilde, trat zur damals letzten Schlacht an.
***
Drei Jahre später wurde die Gilde gesprengt.
Wir hatten die Wahl: Tod, Untertauchen oder den Bann ertragen.
Ich wählte den Bann, und kehrte zu meinem Leben zurück.
***
Zu einem großen Teil kehrte Ruhe ein. Auch die anderen Menschen wollten vergessen. Wollten wieder ihr normales Leben haben. immer wieder gab und gibt es Unruhen, doch von den Propheten hörte ich nie wieder etwas.
***
Das Silberarmband zerbricht mit einem leisen "Pling", das mich an deinen Fingernagel und das Whiskeyglas erinnert. Leblos liegt es unter meinem Arm.
Ich kann mich nicht rühren.
Die Justifier wissen, was geschehen ist. Ich habe nicht viel Zeit. Ich schau zu ihm hoch, er lächelt nur traurig.
Ich lange nach dem Terminal und drücke ein paar Knöpfe, ich bin überrascht, dass meine alten Commando-Codes noch funktionieren. Wahrscheinlich haben sie einfach nur vergessen, sie abzuschalten.
Als sich die Energiebarriere aufbaut, schellt draußen die Türglocke. Dreimal.
Die Tür fliegt mit einem Krachen gegen die Wand.
Ich bin verschwunden.
***
Das Gebäude, in dem ich wieder zur mir kommen, ist genauso grimm wie die Gesichter, die mich erwarten. Auf die Schnelle erkenne ich nur eines wieder. RedFox. Er nickt mir zu. Die anderen sind mir entweder unbekannt oder ich habe sie bereits vergessen. Dein Gesicht ist nicht dabei, aber erwartet habe ich es auch nicht. Sonst hätte RedFox keinen Kontakt zu mir aufgenommen.
"Es ist Zeit." Ich weiß, dass es Zeit ist. Ich wusste es eigentlich schon ab dem Moment, als du angerufen hattest. Warum sonst hättest du die fünf Jahre geschwiegen?
Ich nicke nur als Antwort.
"Übernimmst du die Leitung?" Ich schaue ihn überrascht an, ein Murren geht durch die Anwesend. Einige treten auf RedFox zu, doch er wischt sie mit einer Handbewegung zur Seite. Sein Blick verlässt niemals den meinen. Und nun weiß ich, dass sie alle neu sind, dass die alte Garde in diesem Moment nicht mehr hier ist. Denn sie wissen nicht.
Wissen nicht von mir.
Wissen nicht von dir.
Und wissen nicht von dir und mir und unserer Geschichte.
Ich straffe meine Haltung, schiebe die Schultern zurück, hebe den Kopf und falle in die alte neue, nie abgelegte Rolle zurück.
"Jawohl, Sir."
***
Überall in der Basis sehe ich deinen Schatten. Auch hier hast du die Menschen auf deine Weise berührt. Sie betrachten mich feindselig und flüstern hinter meinem Rücken. Denn statt dir bin ich gekommen.
Ich stehe in deinem Zimmer. Seit damals scheint sich nicht wirklich etwas verändert zu haben. Ich schaue mich um. Kein Staub und dennoch, nichts hat sich seit damals verändert.
Ich zögere einen Moment, dann gehe ich an den Wandschrank, drücke auf die versteckte Taste. Die Wand gibt leicht nach. Gibt das verborgene Tagebuch preis. Ich atme ein. Ich blättere zur letzten beschriebenen Seite. Langsam atme ich aus.
Ich lege das Buch zurück und schließe die Wand.
Ich drehe mich herum und atme noch einmal tief durch.
***
RedFox' Blick ist ruhig, als ich auf ihn zu trete.
"Seit wann?" Doch ich kenne die Antwort bereits.
"Seit fünf Jahren." Fünf Jahre haben sie nach der letzten Schlacht gebraucht, sich neu zu gruppieren, sich erneut zu ordnen, sich vorzubereiten, und alles nur, weil der wichtigste Spieler nicht mehr da war, wo er sein sollte.
Seit fünf Jahren warst du in der Gewalt der Justifier.
Und seit weniger - einer von ihnen.
***
Ich bleibe stehen, die Welt dreht sich. Mit jedem Atemzug scheint mein Leben aus mir herauszulaufen. Die Wunde am Bauch ist tief, aber nicht fatal. Sie wird heilen, langsam.
Doch ich werde geschwächt sein.
Ich verschnaufe kurz, dann laufe ich weiter. Immer deinem Schatten folgend. Einer Illusion gleich, die vor mir tanzt. Ich krache durch die letzte Tür.
Ein Raum, riesig, eine Halle. Ich kann nicht viel sehen, das meiste liegt im Schatten. Aber ich sehe dich. So anders, so komplett anders. Du schaust mich an, siehst du mich aber auch?
Die Haare lang und grau, die Augen fast weiß. Alles an dir ist falsch. Mein Blick fällt auf die goldenen Armreifen an deinen Händen. Sehe die Blitze darüber tanzen. Einem Pulsschlag gleich.
Golden.
Fünf Jahre.
Ich verstehe.
Ich weiß, was ich tun muss.
Ich sammle alle meine Kräfte, die ich noch habe, alles was ich bin in diesem einen Augenblick, und zerbreche die goldenen Ketten.
In der Ferne höre ich Schreie. Doch sie sind mir egal, es sind nicht unsere. Es sind ihre.
Ich halte die dünnen Arme in meinen Händen und schau in dein Gesicht.
Ich hatte unrecht. Nicht alles ist falsch. In deinen Augen lodert noch immer das Feuer.
Und einen kurzen Moment lang lodert darin ein Feuersturm, der alles verzehrt und verbrennt, das sich ihm in den Weg stellt.
Ich spüre es in meinem Inneren. Erst zerbricht etwas und dann auf einmal ist es erloschen.
Die Arme erschlaffen in meinen Händen. Das Feuer versiegt. Alles wird still.
Ich schließe meine Augen.
An jenem Sommertag endet deine Geschichte.
Die moderne Geschichte von dir und mir.
***
Denn in jenem Augenblick fand auch eine andere Geschichte ein Ende.
Eine, in der sie mich Morgana nannten.
Und dich Merlin.
Kommentare
Ich hoffe es war nicht zu verwirrend.