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Lineares Geschichtenerzählen im Internet: Funktioniert das noch?

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneLineares Geschichtenerzählen im Internet:
Funktioniert das noch?

Alle Geschichten lassen sich auf dieselben Basiszutaten herunterbrechen. Die Vielfalt rührt daher, dass unterschiedlich gewichtet und dann gewürzt wird. Schreibt unser Horst in seinem aktuellen Artikel Damit hat er ja eindeutig Recht: Seit Campbell wissen wir, wie die Geschichten funktionieren, John Marcus Brown hat uns noch mal in diesem Jahrhundert das Konzept der Entwicklung des Helden Anhang eines graphischen Bogens erläutert.


Und Gustav Freytag, einer jener Schriftsteller die längst vergessen sind, hat sich im 19. Jahrhundert noch mal dem Prinzip des Aristoteles gewidmet. Und klar, wer sich jetzt mal die Geschichte der Orgelmaus durchliest, der wird natürlich schnell feststellen woran das Team - zu dem ich auch gehöre, fetter Disclaimer! - sich da orientiert hat. Ganz klar. Aber dennoch: Die Fangemeinde fiebert Woche für Woche den neuen Kapiteln entgegen. Well wir und vor allem die Autorin Wibke Ladwig hier eine wohlschmeckende Melange aus den altbekannten Zutaten angerührt haben. Außerdem: Wir haben eine Katze dabei. Katzen und Internet - besser gehts nicht.

Aber eigentlich haben wir mit der Orgelmaus etwas ausprobiert, was für einige Storyteller in der Theorie ja nicht mehr so machbar erscheint. Jedenfalls wenn es um das Erzählen von Geschichten im Internet geht. Da muss es ja seit Neuestem immer möglichst interaktiv sein, möglichst über verschiedene Kanäle, in der Theorie wird noch viel über das Transmedia Storytelling nachgedacht und einiges davon wird auch umgesetzt. Da gibts zum Hörspiel im Radio die passende App, mit der man dann auf die Suche nach dem Verbrecher gehen kann - der WDR-Thriller 39 setzte das vor Kurzem noch um. Im Internet muss man halt auch interaktiv sein, da muss man die Leute halt beschäftigten. Schließlich sind die Leute es ja gewohnt Hyperlinks zu folgen und selbst zu recherchieren. Und Nachrichten müssen auch, so Richard Gutjahr neulich, möglichst häppchenförmig angeboten werden. Das hat der Journalist, der als Ikone des "Neuen Journalismus" gilt unlängst in Frankfurt verkündet: "Das Zeitalter der großen Geschichten" (ich ergänze: Im Journalismus) "sei vorbei". Hat sich erledigt. Nachrichten müssen gut und leicht verdaulich aufbereitet werden und die großen Geschichten ebenfalls. Buzzfeed machte das ja und andere Dienste im Web auch - und die hätten damit Erfolg.

Nur, was Gutjahr irgendwie nicht zu bemerken scheint: Es ist zumindest in Amerika nicht so, dass Buzzfeed nur Listen, lustige Katzenvideos und Quizze im Angebot hätte. Natürlich waren sie die Vorreiter darin Inhalte leicht verständlich aufzubereiten - GIFs aus Videos zu extrahieren etwas hat vorher keiner gemacht, man kann auch über diversen banalen Inhalte schmunzeln. Allerdings: Hinter dieser flachen und leicht konsumierbaren Oberfläche steckt weitaus mehr als man gemeinhin sieht. Buzzfeed hat durchaus Redakteure, die sich politischen Themen annehmen. Und deren Artikel sind dann nicht unbedingt das, was Gutjahr als "leicht verdaulich" bezeichnen würde. Beispiel gefällig? Ein Artikel über die Vorgänge im Weißen Haus angesichts des "Left Over Trade"- Gesetztes. Keine lustigen Zappeln-Gifs, keine aufbereiteten twitterbaren Zitate, keine OMG!-Ausrufe. Sondern ein sehr langer Artikel über einen politischen Vorgang der keinesfalls leicht verständlich ist. Selbst die übliche "Emotionsleiste" fehlt - ich kann also nicht abstimmen ob ich den Artikel gut, zum Weinen oder zum Stöhne finde. Zum Thema der Schwulen-und-Lesben-Bewegung oder relevanten Themen in den USA hat Buzzfeed.com eine sehr gute eigene Rubrik.  Buzzfeed hat also zwei Gesichter: Einmal den leicht verdaulichen Part, mit dem sie natürlich sehr erfolgreich sind - wir konsumieren mehr und mehr Nachrichten auf mobilen Endgeräten - aber dann für denjenigen, der mehr wissen möchte lange, gut recherchierte und journalistisch hochwertig geschriebene Artikel. Es mag sein, dass Deutschland irgendwann nachzieht, nachdem ich aber die Entwicklung der Huffington Post hierzulande betrachte - sagen wir: Ich glaube, das wird noch sehr - lange - dauern.

Die großen Geschichten sind aus erzählt? Dann wären Dienste wie Longreads schon längst weg vom Fenster. Die Webseite versammelt längere Artikel von Quellen aus dem amerikanischem Raum und gibt sogar an wie lange man für einen eine Lesezeit reservieren muss. Und warum das Ganze? Weil Menschen lange Geschichten im Internet nicht mehr lesen? Auf die Frage, warum Longreads-Formate - so ganz sicher bin ich mir nicht ob das, was die SZ da plant jetzt nur Print sein wird oder auch im Blog erscheint - existieren und gar nicht mal so schlecht gibt es vermutlich eine Antwort. Sie lautet: Der leichte Newssnack für Unterwegs und für Mobile, wer längere Texte lesen möchte und Hintergründe braucht, der widmet sich offenbar eher dem Rechner zu Hause zu und liest in Zeit und Muße. Vermutlich sogar werden die Texte ausgedruckt. Buzzfeed bedient zudem den Unterhaltungsfaktor einerseits, aber auch das Bedürfnis nach längerem Hintergrund. Man muss halt nur wissen, wo man was auf der amerikanischen Seite findet.

Dies ist das eine - jetzt sind die Beiträge im Blog der Orgelmaus bei weitem nicht so lang wie ein Politik-Stück bei Buzzfeed, aber kurz sind sie auch nicht gerade. Auf mobilen Geräten wird man schon scrollen müssen. Ebenso ist die Geschichte der Orgelmaus an keiner Stelle irgendwie interaktiv oder ermöglicht dem Leser das Mitgestalten. Nein, die Abenteuer der Maus laufen strickt linear ab und damit Erfolg zu haben müsste im Zeitalter der interaktiven Mitmachgeschichte ja unmöglich sein. Strenggenommen. Dem ist aber nicht so, wir im Team sind überaus zufrieden mit den Zugriffszahlen aufs Blog, mit der Vermittlung der Geschichte über die sozialen Medien und über das Feedback, dass dann aus Ecken kommt, die etwas unerwartet sind. Eine linear erzählte Geschichte im Internet mit einer Stoffmaus als Heldin - das ist schon irgendwie auch süß bekloppt. Wenn man drüber nachdenkt. Aber sie funktioniert. Genau wie das lineare Fernsehen funktioniert und auch noch eine Weile funktionieren wird. Ab und an möchte man einfach nicht mitbestimmen. Man möchte einfach genießen, man möchte einfach mal konsumieren ohne dass man gleich dazu aufgerufen wird das nächste Etikett der Prilflasche mitzuentwickeln. Man kann das interaktive Element ja auch durchaus übertreiben oder es einsetzen ohne dass es einen Sinn und Zweck hat. Andererseits sind manche Geschichten auch nicht unbedingt für interaktive Einsätze des Lesers geschrieben. Das muss schon Beides zusammenpassen.

Ansonsten wird die Geschichte der Orgelmaus sich demnächst ihrem Ende zuneigen, was wir im Team alle bedauern. Jetzt bleibt nur noch die zweite Ebene des Projekts: Die Vermittlung des Wissens über Orgeln. Denn die eigentliche Geschichte der Orgelmaus ist ja eigentlich nur das trojanische Pferd um die Renovierung einer Orgel ins rechte Licht zu rücken. Und ob die Verbindung geklappt hat können wir erst Anfang Juni richtig sagen. 

Kurzum: Mittlerweile gibt es eine große Vielfalt Geschichten an den Konsumenten zu bringen. Dabei werden aber die Zyklen, in denen eine bestimmte Art Geschichten zu erzählen als auf der Höhe der Zeit gilt, immer kürzer. 

So Horst in seinem oben verlinktem Artikel. Natürlich hätte man die Geschichte der Orgelmaus auch als Fortsetzungsroman in einer Zeitung bringen können - aber das Zeitalter in denen Zeitungen noch Romane auf ihrer Unterhaltungsseite abdruckten ist schon längst vorbei, wir leben halt nicht mehr zu Dickens' Zeiten. Deswegen gibts das Blog. Deswegen gibts die Flankierung mit Sozialen Medien. Wer weiß, vielleicht erzählen Autoren demnächst Geschichten auf Snapchat? Streamen mit Periscope auf Twitter ihre Lesungen oder machen was ganz Neues damit? Aber bei all der neuen Technik und bei all den Spielereien sollte man eines nicht vergessen - und das haben wir beim Orgelmausprojekt sehr deutlich erfahren: Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte. Und die kann dann auch Woche für Woche linear in diesem Internet erzählt werden und sie kann auch lang sein. Sorry, Richard Gutjahr.

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