Last und Lust der Selfies
Last und Lust der Selfies
Besonders bei feierlichen Anlässen, obwohl ich noch keinen Jugendlichen gesehen habe, der im Gottesdienst wirklich ein Selfie mit dem Pfarrer haben wollte. Dazu sind Pfarrer nicht hipp genug. Aber ich vermute auf Conventions wie der FedCon wird das allmählich zum Trend: Mal eben schnell ein Selbstporträt machen, auf die Qualität kommts dabei nicht unbedingt an, Hauptsache man selbst und die Anderen sind drauf. Das kann tatsächlich eine Last sein, wenn es gehäuft auftritt - und wenn dann noch Tablets dafür verwendet werden ist das natürlich doppelt störend wenn man selbst gerade den Eifelturm bei Tag knipsen möchte und dann einem so ein Brett vor den Kopf gehalten wird. Wie unästhetisch. Wie unnötig.
Ältere Semester verstehen das nicht. Früher, so argumentiert man, hätte man das doch auch nicht gemacht. Gruppenphotos, ja, klar, die hätte man natürlich gemacht und wenn dann noch jemand Berühmtes dabei ist so war man über den Schnappschuss doch sicherlich erbaut. Früher hätte man Photos auch noch sorgfältig arrangiert - also zumindest hätte man die Gruppe so zusammengestellt, dass das noch einigermaßen nach was aussah. Kennt man heute ja auch noch: Familienfotos. Da blicken einen an mehr oder weniger ernst die Gesichter der Lieben an, die sorgfältig im neuesten Putz aufgetakelt sind und die dann den Eindruck erwecken, sie hätten gerade in eine saure Zitrone gebissen. Ästhetisch mag das ja vielleicht sein, aber Spaß scheinen die Meisten nicht gehabt zu haben.
Auch nicht auf den gemalten Porträts der Vergangenheit: Da stellt man sich in Pose, legt seine Hand graziös auf das Heft des Schwertes, den Federhut elegant auf den Kopf und steht so, dass man vom Anschauen schon Beinschmerzen hat. Gut, immerhin sind Gemälde für die Ewigkeit gedacht, da muss man dann einen guten Eindruck auf die Nachwelt hinterlassen. Das hat sich zwar dann im Laufe der Zeit etwas geändert, aber im Grunde ist ein Porträt ein Eindruckschinder. Warum sonst sollten auch heutzutage noch unsere Kanzler und unsere Kanzlerin der Republik in Öl gemalt werden?
Das Selbstporträt nun wiederum ist etwas, das nicht jeder vermag. Im Grunde ist es aber die Vorform des Selfies im bildnerischen Bereich. Die Bemühungen des Menschen erinnert werden zu wollen reichen ja weit darüber hinaus - ob man die Mammutzeichnungen der Steinzeit dazu zählen kann ist fraglich, aber je mehr sich das Bewusstsein des Menschen herausbildete, desto mehr bekam man eine Ahnung davon, was Identität ist und was auch Vergänglichkeit ist. Schließlich müssen wir alle mal sterben. Und wenn man früher dann keinen Hofmaler zur Hand hatte oder selbst zeichnen konnte war das mit der Überlieferung des eigenen Bildes eine schwierige Angelegenheit.
Identität und die Verwurzelung an einen Ort oder auch einfach nur das Bekenntnis, dass man in diesem Moment mit Freunden zusammen war - das ist ein Bedürfnis, dass sich dann mit der Fotographie erneut verstärkte. Vermutlich waren die ersten Photographen genau den gleichen Quengeleien ausgesetzt, schön, damals musste man noch etliches mehr an Aufwand treiben - aber es gibt immerhin schon die ersten Versuche sich mit dem neuen Medium selbst zu photographieren. Das Selfie ist also doch älter als man glauben mag, aber verwunderlich ist es nicht. Sich selbst sehen zu können gehört zum Grundbedürfnis des Menschen und wenn man weiß, dass man sterblich ist, dann ist die Tatsache des Erinnerns, der Weitergabe der eigenen Persönlichkeit an die nächste Generation und vielleicht noch an die übernächste und darüber hinaus ein enormes Bedürfnis. Nicht zu Unrecht steht das bei der korrigierten Bedürfnis-Pyramide, von Maslow selbst noch korrigiert, an oberster Stelle: Nach der Selbstverwirklichung das Bedürfnis des Erinnert-Werdens.
Da nun auch nicht jedermann eine Stiftung gründen mag, sich in Ehrenämtern tummeln möchte oder auf andere Art und Weise erinnert werden möchte hat das Selfie zumindest diesen Aspekt übernommen. Es dient der Bestätigung der Identität auf der einen Seite - hier bin ich und so habe ich zu diesem Zeitpunkt ausgesehen - auf der anderen Seite ist es ein Mittel für die Erinnerung - hey, ich hatte damals enorm viel Spaß! - ebenso wie das Selfie auch eine neue Form des Selbstporträts ist, denn die spontanen Schnappschüsse damit sind ja eher selten. Immerhin stellt man sich in Pose und inszeniert sich selbst. So wie das früher die wichtigen Würdenträger getan haben. Es hat also auch immer etwas ein wenig mit Status zu tun.
Selfies werden als lästig empfunden, weil sie etwas Neues sind mit dem wir erst umgehen lernen müssen. Dass das früher nicht möglich war hängt natürlich auch mit der Entwicklung der Technik zusammen: 36 Bilder auf dem Film, den man erst abgeben musste, dafür bezahlen und dann sah man erst ob das Photo was geworden war. Polaroids waren damals allerdings schon eine Möglichkeit sich selbst sofort festzuhalten - und auch diese waren schon eher nicht für die Ewigkeit als solche bestimmt. Es mag nun sein, dass einige Selfies den digitalen Wandel zum nächsten Speichermedium überstehen werden - aber wer kurz für Snapchat ein Bild macht wird in der Regel das nicht unbedingt als Meisterwerk für die Ewigkeit behandeln wollen. Ich stelle mir vor, wie in ferner Zukunft meine Nachfahren sich über das ein oder andere Bild auf dem Speicher meines Gerätes heftigst amüsieren werden. Was allerdings irgendwie ein netter Gedanke ist. Im Grunde aber sind Selfies doch gerade das, was Goethe im Faust ausdrückte: "Werd ich zum Augenblicke sagen, verweile doch, du bist so schön..." Selfies halten den Augenblick fest. Und immerhin ohne, dass wir anschließend Mephisto unsere Seele vermachen müssen. Und wenn Selfies stören: Man kann ja immer noch Regeln festlegen für Conventions oder für Gottesdienste.
Kommentare
Eher unverständlich ist dieser naive Drang zum Exhibitionismus, der in dieser Qualität und Quantität nun wirklich neu ist. Es gibt da dieses schöne Experiment, wo einer im Cafe die Ohren spitzt, die Leute auf Facebook abcheckt und sie dann auf ihre Einträge anspricht. Fand keiner von denen witzig.
Ich empfinde Selfies nicht lästig, weil ich damit umgehen lernen muss, sondern weil ich meine Privatsphäre zu schätzen weiß und nicht nachvollziehen kann, warum ich mein Leben öffentlich führen soll. Was habe ich davon? Aber ich fand auch schon Kodak-Momente blöd, also was weiß ich schon
Das sagt eigentlich genug aus, wieviel Hirn in Betrieb ist, wenn es um diese Selfie-Manie geht. Hochladen auf jeden Fall, auch wenn man sich bis auf die Knochen blamiert.
Am tollsten finde ich die, wo vor den freudigen Ablichtern jemand auf dem Klo sitzt und sie denken nicht mehr daran, dass hinter ihnen noch ein großer Spiegel ist.
Auffallend ist bei den Bildchen ja auch, dass gerade Frauen, die sich aufgetakelt haben bis zur Schmerzgrenze, in Dreck und Müll hausen. Ob es da einen Zusammenhang gibt?