Was der Buchbranche fehlt: Emotion, Baby, Emotion!
Was der Buchbranche fehlt:
Emotion, Baby, Emotion!
Denn dem fehlt etwas, was The Cast derzeit wieder neu belebt: Die Emotion.
Ein Buch vermag uns anzurühren. Es verführt uns zum Weinen, zum Lachen, es lässt uns Höhepunkte und Tiefpunkte erleben. Bücher bewegen. Dieses Anrühren, diese Emotionen spielen aber dort wo das Buch herkommt - also dort wo wir es kaufen und es erleben - keine Rolle. Stadtbibliotheken etwa neigen dazu nüchterne, sachlichen Orte zu sein. Tempel des Wissens. Hüter der Hochkultur. So wie Opernhäuser verlangen sie eine ganz bestimmte Form und ein ganz bestimmtes Verhalten. Lautes Lachen, Schluchzen oder Weinen sind in Bibliotheken nicht gern gesehen. Ebenso wenig bei Thalia oder Bouvier oder anderen Ketten, in derem Innern sich auch nur scheinbar noch eine Buchhandlung befindet - in Wahrheit müsste außen an der Türe ein "Non-Book-Business"-Schild stehen. Denn der überwiegende Teil besteht aus Lesezeichen, Plüschtieren, Tassen, Frühstücksbrettchen - kurzum: Eigentlich sind Filialbuchhandlungen zur Zeit Läden, in denen auch verlegen Bücher in Regalen platziert wurden.
Immerhin: Emotionen sind in der Oper und dort, wo sie aufgeführt wird noch gestattet. Der Zuschauer darf weinen, schluchzen, applaudieren, aufjauchzen - aber er bleibt stets in seiner Rolle als Zuschauer. Szenenapplaus nach einzelnen Arien ist zwar immerhin noch ein Teil unserer Tradition - man versuche das mal in einem Philharmonischen Konzert, doch, probiert es das nächste Mal einfach aus und klatscht mitten den Sätzen einer Symphonie; ich gestehe euch, ihr werdet böse Blicke ernten. Das war es dann aber auch schon. Oper hat eine gewisse Form entwickelt, die gewisse Ansprüche setzt und natürlich geht es hier nicht darum zu sagen, Tradition sei böse und müsse unbedingt über Bord geworfen werden. Ebenso wenig wie jetzt alle Welt nur noch eBooks kaufen sollte - obwohl sie das zweifellos tut, wegen der Vorteile - anstatt zum gedruckten Exemplar zu greifen.
Dabei spielt Emotion natürlich eine Rolle: Solange sie zum Verkauf des Buches führt wird sie gerne genutzt. Da werden pinkfarbene Traumwelten für junge Mädchen aufgebaut - "Prinzessin Lillifee" vereint dann ja alles, was junge Mädchen gerne sein möchten: Elfe UND Prinzessin! Es werden Bücher inszeniert. Sie bekommen eine genau abgestimmte Rolle, liegen perfekt kombiniert in Auslagen und sagen, man solle sich doch für sie interessieren. So wie die Oper inszeniert wird - und es dabei mal gut, mal weniger gut gehen mag - so werfen sich auch Bücher in Pose. Sie werben mit schrillen Ausrufen wie "NEU!" - "Vom Autor des Bestsellers" - und die Kritiken sind jetzt schon nach der Premiere gut, wie man auf der Rückseite sehen kann. Manchmal wird vor Büchern sogar gewarnt, was natürlich vollkommener Blödsinn ist. Aber genau diese Kampagne mit den unsäglichen gelben Bändern zeigt, was der Buchhandel nicht kann. Richtige Emotionen erwecken.
Genau das aber können "The Cast". Es ist nicht schlimm, rufen sie dem Zuschauer zu, der von der klassischen Oper gewohnt ist nur seine Zeit abzusitzen, zu interagieren. Mitsingen? Kein Problem. Mitklatschen? Dazu wird man direkt aufgefordert. Auf einmal wird man vom Zuschauer zum Mitmacher. Was Buchhandlungen - vor allem kleinere - ja schon in der Form oder ähnlich tun: Sie laden Leute zu sich ein und versuchen bewußt Formate zu erstellen, die die Leute mitnehmen. Doch verlässt der Besucher den Laden, dann ist die Verbindung zum Geschäft erloschen - ebenso wie das Buch seine Rolle verlässt und von der Bühne geht. Was noch mit ihm geschieht passiert abseits, eine dieser Nebenhandlungen, die man für den Genuss der Oper kennen sollte, aber irgendwie dann doch nicht kennt und sich nicht dafür interessiert.
"The Cast" könnte man - wenn man wollte - mit dem kleinem unabhängigen Buchladen um die Ecke vergleichen, der erkannt hat, dass die Leute nicht mehr nur konsumieren möchten; wenngleich das auch wohl und daher werden sich Opernaufführungen in der Regel nicht durch ein Konzert von "The Cast" ablösen lassen - das ist aber gar nicht das Ziel. Ebenso wie der kleine Buchhändler auch nicht eines Tages die Weltherrschaft über die Thalia-Filialen an sich reißen möchte. Na ja, vielleicht doch, aber wenn sagt er es nicht. Es geht eher um die Frage, wie ein kleiner, unabhängiger Buchhändler überleben und sich selbst finanzieren kann. "The Cast" sind eher das Modell "Rockband". Sie senken die Hemmschwelle. Sie vermitteln, dass Oper Spaß machen kann. Ob nun die Leute direkt nach einem Besuch eines Konzertes sich Karten für die nächste Tristan-Aufführung kaufen sei dahingestellt. Darum geht es aber auch nicht. Es geht darum zu zeigen, dass Oper nicht elitär ist. Ebenso wenig sollte eine Stadtbibliothek oder Stadtbücherei dieses Image vermitteln. Es gelingt aber meistens hervorragend, die Gründe dafür dürften vielfältig sein.
"The Cast" vermitteln den Spaß, den Sänger an der Musik haben können. In einigen Buchhandlungen bin ich dieser Begeisterung, dieser Leidenschaft fürs Buch auch begegnet. Aber meistens bezieht sich dies auf Veranstaltungen im eigenen Haus. Während "The Cast" auch an ungewöhnlichen Orten auftritt sträubt sich der Buchhandel noch zu erkennen, dass auch er längst mehr machen muss als nur die monatliche Lesung oder den Auftritt des Kinderclowns. Es gibt schon Konzepte wie die Bücherkiste, mit der der Buchhändler raus geht und vielleicht auch so eine Art Tupperparty-Feeling erzeugt. Das ist erstmal nichts Schlechtes, schließlich verkaufte sich Tupperware ja wie blöde. Dem Buchhandel fehlt einfach das Feedback der Kundschaft. Wenn ich ein Buch kaufe, gehe ich zum Regal, nehme das mit, bezahle und bin weg. Ich komme auch gar nicht auf die Idee dem Buchhändler zu sagen warum und wie ich das Buch ausgesucht habe. Eventuell mache ich das bei dem kleinerem Buchhandel um die Ecke, aber auch nur dann wenn ich dort häufig was kaufe und die mich kennen.
Ungewöhnliche Ideen fehlen momentan etwas im Buchhandel. Sicher, es gibt das BookUp, man kann sich für einige Zeit in der Buchhandlung einschließen lassen, ja, aber das ist ja doch eher schon traditionell das, was wir mit dem Buch als Ware verbinden. An welchen Stellen gehen denn Buchhändler und Bibliothekare denn aktiv auf ihre Kundschaft zu? Mit Angeboten, die auf die Zielgruppe passen? Vorleseaktionen schön und gut, aber auf Dauer kann es das ja dann auch nicht sein. Buchhandlungen und Bibliotheken haben noch nicht verstanden, dass der Mensch in diesen Zeiten Orte auch als sozialen Punkt nutzt, um dort zusammen zu kommen, zu reden, zu diskutieren. Gerade Bibliotheken sollten sich das ins Bewusstsein rufen.
Alles in allem: Ohne Emotionen verkauft man kein Produkt. Emotionen, die in Geschichten stecken übrigens. Und während die Oper immerhin noch dramatische Geschichten liefert - wenngleich es auch abstruse Handlungen gibt, über die sich Terry Pratchett ja in "Masquerade" so erfrischen lustig machte - haben die Buchhandlungen meistens keine Geschichte. Sie haben nur Handlungen und Handlungsanweisungen. Es wäre vielleicht Zeit zu überlegen, ob man eine Buchhandlung wenn nicht wie eine Rockband aber dann doch anders und innovative führen kann.