Das Schiff des Theseus: J. J. Abrams Buchlabyrinth
Das Schiff des Theseus:
J. J. Abrams Buchlabyrinth
Der Sturz in das Kaninchenloch beginnt für die junge Studentin Jen mit der Ausleihe eines Buches von V. M. Straka - "Das Schiff des Theseus" ist dessen letzter Roman, der Autor kam unter ungeklärten Umständen in Prag um und der Übersetzer hat zumindest das letzte Kapitel so rekonstruiert, wie der Autor es geschrieben haben könnte. Jen, die kurz vor ihrem Abschluss steht, kommt durch schriftliche Notizen im Buch in Kontakt mit Eric - der von der Uni flog weil er einen Teil des Gebäudes unter Wasser setzte. Das hat seine Gründe, fühlt sich Eric doch durch den Straka-Experten Moody betrogen - was genau allerdings vorgefallen ist, bleibt im Dunkeln. Während Jen im Streß ist und sich fragt, ob sie die Zukunft, die für sie geplant wurde - nach dem Abschluss steht ein Job in NY in Aussicht - wirklich will entwickelt sich ein Dialog zwischen ihr und Eric. Gemeinsam machen sie sich daran das Rätsel um den Autor Straka zu lösen, von dem keiner weiß er war. Dabei allerdings kommen sie nach und nach in gefährliche Gewässer - denn nicht nur Moody kommt ihnen allmählich auf die Schliche, auch Andere scheinen daran interessiert zu sein, Strakas Identität zu lüften. Oder vielleicht auch eher sie geheim zu halten...
2013 erschien die englische Ausgabe von "S" - wie der Roman eigentlich heißt - in den USA und wer die Originalausgabe in den Händen hält, der wird nie im Leben daran gedacht haben, dass es einmal eine deutsche Übersetzung geben könnte. Denn neben der Aufgabe nicht nur den eigentlichen Romantext sondern auch die diversen Anmerkungen - mal mit Kugelschreiber, Bleistift, dann wieder mit rosa oder grünem Filzstift - nicht nur zu übersetzen sondern auch an die passenden Stellen zu setzen und vor allem die prächtige Ausstattung stellen einen Verlag vor eine Mammutaufgabe. Den vor allem die Gimmicks schlagen jeden in den Bann, der das geschriebene Wort mag und verehrt: Nicht nur zahlreiche Postkarten liegen dem Buch bei, angebliche Kopien aus Archiven, handgeschriebene Briefe - sogar eine Papierserviette findet sich zwischen den Seiten. Man kommt aus dem Staunen und der Freude an dieser Sorgfalt und der Liebe, die das Buch begleitet hat nicht mehr hinaus. Zwar gibt es zu dem Buch auch eine App, aber diesmal überwiegt die Freude des Haptischen über die elektronische Zugriffsvariante.
Konzipiert von J. J. Abrams wurde das Buch von Doug Dorst geschrieben - vor dem man den Hut ziehen muss. Nicht nur der Haupttext über die Reise von S ist von ihm sondern auch die jeweiligen Notizen. Jen und Eric damit zu charakterisieren ist ihm fabelhaft gelungen, jeder hat seine eigene Handschrift - im wahrsten Sinne des Wortes übrigens - und seinen eigenen Stil. Darüber hinaus aber ist "S" auch ein Text, in dem sich J. J. Abrams Vorliebe für Zeitebenen und Rätsel wiederspiegelt. Man sollte nicht vergessen, dass Abrams zwar momentan auch Star Trek und Star Wars unter seinen Fingern hat, aber er ist auch der Macher von "Alias". Ja, sicher spielt auch "Lost" als Quelle eine Rolle, stärker noch aber belebt Abrams "Alias"-Flair wieder. Und vielleicht ist auch ein Hauch des Focaultschen Pendels von Umberto Eco zu spüren.
Wer als Leser sich auf die Reise begibt betritt ein kunstvoll angelegtes Labyrinth - der eigentliche Romantext ist kafkaesk, surreal, traumhaft. Der Protagonist S, zu Beginn in einer fremden Stadt ohne Erinnerungen an sein früheres Leben umherirrend, könnte der Protagonist eines deutschen Films aus den 30gern sein - und expressionistische Züge sind im eigentlich Romantext durchaus anzutreffen. Ein Schiff, dessen Matrosen den Mund vernäht haben. Eine Winter-Stadt, in der man zwar den Anderen sieht, aber nicht mit ihm kommunizieren kann. Eine Frauengestalt in mehreren Varianten. Hier heißt es nicht: Folge dem Kaninchen. Sondern: Folge dem Affen. Dabei lassen Adams und Dorst bewußt auch Leerstellen - nicht jede Notiz von Jen oder Eric wird konkret aufgelöst. Und bisweilen muss man sich als Leser auch konzentrieren. Die Anmerkungen von Jen und Eric sind nicht chronologisch korrekt notiert sondern auf einer Buchseite vermischt sich eine Notiz des Erics mit 16 Jahren mit der von Jen, auf die Eric dann antwortet - und wenig später mit neuer Farbe gibt es Ergänzung von einer späteren Zeitebene. Das ist extrem herausfordernd, aber mit Disziplin lösbar.
Dieses Buch ist ein wahres Fest für alle, die gut ausgestattet Bücher lieben. Darüberhinaus gibt es natürlich auch Zusatzmaterial im Netz - von Transmedia Storytelling würde ich jetzt nicht unbedingt reden wollen, aber es gibt Tumblr-Blogs, Twitteraccounts. Im Hauptblog findet man dann - sofern man des Englischen mächtig ist - auch Überlegungen über den Roman an sich und Lesehilfen. Dass am Ende man aber nicht auf alles eine Antwort findet, das ist gerade der Reiz dieses Buches. Und da es sich um eine limitierte Auflage handelt, sollte man wirklich zugreifen. Folge dem Affen, lieber Leser, liebe Leserin.
Kommentare
Seit zwei Jahren habe ich diese Kostbarkeit hier liegen.
Ich habe aber keine Ahnung, wie ich es lesen soll.
Zuerst den eigentlichen Roman, und dann die Notizen?
Oder alles in einem Rutsch durch?
Hallo Mainstream,
ich habe auf Amazon ein Review gefunden, in dem ein Vorschlag gemacht wird, wie das Buch in der richtigen zeitlichen Reihenfolge gelesen wird.
Hier der Link:
www.amazon.com/review/R3UF41SYBDKGL7/ref=cm_cr_pr_viewpnt#R3UF41SYBDKGL7
Besten Gruß
Olaska