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Orientierungslos verwirrt: Doctor Who und Perry Rhodan

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneOrientierungslos verwirrt:
Doctor Who und Perry Rhodan

"Perry Rhodan war mir immer zu groß – es gibt keinen Punkt, an den man sich klammern könnte. Es ist ein riesiges Universum, es ist keine durchgehende Heldenerzählung, Hauptfiguren sind oft irgendwelche Leute – Perry Rhodan selbst nur selten."


Dies äußert Jan Fischer im Zebrabutterblog anlässlich der Veröffentlichung des neuen Perry-Rhodan-Comics. Einige Zeilen vorher bekennt er sich als Science-Fiction-Fan, der seit der Kindheit alles verschlungen habe was es so gäbe - und auch Doctor Who wird bei der Aufzählung der Serien, die er schaut oder die er kennt erwähnt. Moment mal: Großes Universum - Hauptfiguren sind irgendwelche Leute - keine durchgehende Heldenerzählung? Sind das nicht auch Dinge, die man Doctor Who mit Recht vorwerfen kann wenn man neu in die Serie einsteigen möchte? Wie bei Perry Rhodan gibts beim Doctor auch reichlich Fachterminologie, es gibt Gegner, die übermenschlich sind. (Dass Doctor Who ein Abenteuer auf einem Planeten namens Vulcan erlebt ist eher eine amüsante Randnotiz für ein anderes Universum.) Beide Universen sind nicht gerade einsteigerfreundlich - aber dennoch scheint der Doctor etwas besser zugänglich für jene zu sein, die mit SF sonst eher nicht viel anfangen können. Woran liegt das?

"Televison is easy, Print is hard" - ein Diktum aus der Meidenpädagogikforschung bringt uns vielleicht auf eine erste Spur. Witzigerweise allerdings gibts auch beim Thema Bewegbild ja eine Parallele: So wie der Perry-Rhodan-Film nicht unbedingt etwas mit der Serie an sich zu tun hat, so gibt es auch bei Doctor Who zwei Filme, Peter Cushing spielt da den Doctor, die nun bei aller liebe und gestrecktem Canon-Begriff nichts mit dem Doctor zu tun haben. Dennoch: Perry Rhodan wurde vor allem als Print-Produkt geboren, während die Wurzeln des Doctors im Fernsehen liegen. Dass beide am Ende der jeweiligen Folgen mit Cliffhangern arbeiten - mal mehr, mal weniger gekonnt - ist nicht erstaunlich. Aber während Bewegtbild leichter verständlich zu sein scheint muss man sich Text immer hart erarbeiten. Lesen ist durchaus Arbeit. Und demgegenüber ist Doctor Who natürlich attraktiver: Ich brauche nur eine DVD einzuschieben und meinem Freund zu sagen, er solle sich das mal anschauen. Das wird er bestimmt eher machen als wenn ich ihm ein Heft mit einem Einsteiger-Roman von Perry Rhodan gebe und sage, er soll sich das mal durchlesen.

Beide Universen sind erstmal für den Einsteiger unüberschaubar. Bei Perry Rhodan gibt es einen Haufen von Fachbegriffen, den man erstmal so schlucken muss. Jan Fischer erwähnt das ja auch in seinem Blogbeitrag: "Kosmokrat", "Jenzeitig", "Thoregon". Das aber ist doch beim Doctor ganz genauso - besonders in der deutschen Synchronfassung der Folgen: "Schallschraubenzieher", "Time Lord" (in den deutschen Goldmann-Taschenbüchern stets als "Herr der Zeit" übersetzt, nun ja), "Nightmare Child", "Valiant". Woran liegt es, dass Perry Rhodan dann doch eine größere Hürde für Neueinsteiger zu besitzen scheint als Doctor Who? Vielleicht, weil es zwar die Fachbegriffe bei Doctor Who gibt - es gibt aber keine ausgefeilte Technik wie bei Perry Rhodan. Eine ganze Folge mit der Erkundung eines Raumschiffes zu füllen gelingt beiden Serien. Bei Perry Rhodan würde man dann durch einen konsequent durchdachten technischen Aufbau geführt, bei dem Teil A verbunden mit Teil B ist und man staunend erfährt, dass dadurch Teil C funktioniert. Bei Doctor Who rennt man meistens durch die Raumschiffe oder der Doctor dreht den Neutronen-Fluss um - und gibt auf die Antwort auf die Frage, was den der Sonic Screwdriver als Waffe so drauf hat einfach nur ein "He is SONIC" zur Antwort. Wie ein Dalek von Innen aussieht erfährt man zwar bei Doctor Who in der 8. Staffel, aber eine detaillierten Komponenten-Aufbau auf wissenschaftlicher Grundlage bekommt man nicht geliefert. Was bei Perry anders wäre. Beim Doctor reicht es zu wissen: In diesen großen metallischen Behältnissen sitzt eine Rasse, die alles niedermacht was nicht ihr selbst gleicht.

Beide Universen sind undurchschaubar, weil beide Universen eine riesige Zeitspanne als möglichen Handlungsort haben. Beim Doctor reicht das vom Beginn des Urknalls bis an das Ende des Universums - nicht unbedingt in der Reihenfolge. Bei Perry Rhodan haben wir die konsequente Weiterschreibung einer Geschichte der Menschheit, in der teilweise sagenhafte Artefakte aus der Vergangenheit eine Rolle spielen, teilweise Perry Rhodan auch zum Zeitreisenden wird oder in fremde Galaxien versetzt wird. Während der Doctor allerdings den Vorteil hat nicht an den "langsamen Pfad" gebunden zu sein sondern mit der TARDIS durch Raum und Zeit springt, ist Perry Rhodan diesem langsamen Pfad verpflichtet. Ab und an gibt es auch Lücken in der Handlung, wenn zu Beginn eines neuen Zyklus einige Jahre bei Perry vorgesprungen werden - oder einige Jahrhunderte - Perry ist aber an Zeit und Raum gebunden. Und damit müsste Perry Rhodan sich eigentlich ja auch entwicklen. Er sollte als "unsterblicher" Mensch das Potential haben Dinge zu hinterfragen und über kurz oder lang eine Figur sein, mit der man sich identifizieren kann. Bleibt Perry allerdings nicht desöfteren in der Rolle des Sofortumschalters stecken? Ist seine Unnahbarkeit vielleicht genau das, was Leser abschreckt oder langweilt? Funktioniert Perry als Held eigentlich?

Das ist beim Doctor anders - vor allem beim 12. Doctor in der achten Staffel ist dieses Hinterfragen der eigenen Persönlichkeit und die Frage nach den Konsequenzen des eigenen Handelns präsent. Das war aber auch schon bei der vierten Version des Doctors der Fall. "Have I the right?", fragt dieser Doctor sich als er kurz davor ist seinen Erzfeind aus der Geschichte auszulöschen. "Habe ich das Recht?" Neueinsteiger haben es beim Doctor zudem etwas einfacher - sie können sich den Doctor heraussuchen, der ihnen mehr liegt. Dadurch, dass die Regeneration immer wieder Variationen einer Persönlichkeit hervorbringt. Gut, wir alle können uns darauf einigen, dass der 6. Doctor vielleicht etwas zu harsch ist und wir den nicht mögen. Aber aus der Palette der Charaktere können wir uns den Doctor aussuchen, den wir mögen. Vielleicht den kosmischen Hobo, vielleicht den Doctor, der mit den Konsequenzen des Time War ringt. Oder den Doctor, der halb menschlich ist. Nun ja.

Versucht man einem Neueinsteiger die Prämissen von Perry Rhodan zu erklären - und zwar so, dass die notfalls in einem 15-Sekunden-Video reinpassen würden - wird man feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Oder doch? "Perry Rhodan ist die Geschichte eines Menschen und der Menschheit in der Zukunft." Die Prämisse von Doctor Who? "Ein Außerirdischer reist mit seinen Begleitern in seinem Raumschiff durch Raum und Zeit". Dabei stelle ich aber immer wieder fest, dass man bei Perry Rhodan schnell von der Dritten Macht zum Zwiebelschalenmodell zu Thoregon zu... Irgendwann stellt man fest, das Gegenüber hat einen etwas leeren Blick und die Mundwinkel hängen leicht nach unten. Perry Rhodan hat einen extrem komplexen Überbau, der Teil der Geschichte ist. Der Doctor hat zwar auch eine Mythologie, aber sie ist nicht so überbordend. Ja, es gibt die Time Lords und ihre Geschichte, es gibt unendlich viele Artefakte und die haben irgendwelche Macht. Aber die spielen beim Doctor nicht so die Rolle.

Bei Perry Rhodan haben wir ein Figurenensemble, bei Doctor Who auch. Beim Doctor haben wir aber eine begrenzte Anzahl von Charakteren - dass er mit vier Begleitern unterwegs ist, das ist schon eine Seltenheit und die Probleme, die man mit vier Begleitern bekommt wenn man eine Geschichte erzählen will hat Doctor Who auch schon gezeigt. Da schickt man mal eben eine Person für eine ganze Folge ins Bett weil man keine Verwendung für sie hat. Ein Problem, das auch Perry des öfteren hat oder hatte. Charaktere verschwinden für ganze Zyklen, man legt sie ins Koma oder in die Stasis weil man einfach keine Verwendung mehr für sie hat. Doctor Who kann dabei auch schockieren, Begleiter sterben - Adric ist ein Beispiel. Perry Rhodan könnte sich das mit Gucky oder allen anderen Figuren nicht erlauben. Und: Die Begleiter des Doctors sind nicht potentiell unsterblich, während die engeren Freunde bei Perry das sind. Es kommt nun auf die Art und Weise an wie die Autoren die Begleiter beschreiben - aber die Unsterblichkeit bringt gleichzeitig auch immer etwas Unnahbarkeit mit. Warum Atlan noch mit eine der Figuren ist, die einem noch am ehesten nahekommt als Identifikationsfigur ist die Frage - vielleicht, weil Atlan nie abgeneigt zu sein scheint einen netten Abend mit Wein und Weib zu verbringen?

Bei Perry Rhodan spielt sich die Geschichte des einzelnen Charakters immer vor einem großen Hintergrund ab. Es geht immer um die großen Dinge - um die Menschheit. Meistens wird ja die Erde von irgendwelchen Invasoren besetzt. Bei Perry Rhodan kann es schnell passieren, dass das Schicksal des Einzelnen in den Hintergrund gerät - es geht um das Große Ganze. Mit sehr viel Pathos bisweilen.

Doctor Who konzentriert sich eher auf die Geschichte von einzelnen Personen, die eine Situation meistern müssen. Zwar wird auch bisweilen die Erde gerettet und es gibt ganze Folgen, in denen es auch nach Schema F geht - siehe Dritter Doctor und UNIT. Auch dann wenn die Time Lords eine Rolle spielen oder es zu den Auswirkungen des Time Wars kommt - es ist immer die Geschichte der einzelnen Personen, die im Vordergrund stehen. Manchmal sogar auch nur die des Doctors selbst, der mit Konsequenzen seines Handelns leben muss. Und der Doctor hat manchmal eine echt komplizierte Beziehung zu seinen Gegnern - bei Perry Rhodan steht zwar auch das Verhandeln im Vordergrund, aber Perry fehlt bisweilen etwa eine Figur wie Davos oder der Master. Eine Figur, die Perry herausfordert, die ihn zum Widerspruch animiert und die dann auch für längere Zeit in der Serie dabeibleibt. Mit Bostich hat man das bei Perry Rhodan versucht, dem Imperator fehlte jedoch das gewisse Etwas, was Davos auszeichnet. Was auch immer das bei diesem verrücktem Irren sein mag. Jedenfalls: Doctor Who scheint für Neueinsteiger leichter zu sein, weil die Personen an sich greifbarer und nachvollziehbarer sind. Vielleicht trifft das Verdikt von Jan Fischer auf Perry ja durchaus zu: "Es ist konsequent und leuchtet mir, ohne die Serie wirklich zu kennnen, sofort ein, dass Perry Rhodan schon früh in der Serie unsterblich wird, übermenschlich, und letztlich, weil er seine Unsterblichkeit von Außerirdischen bekommt, auch ein Stück weit außerirdisch." Im Kontrast dazu ist der Doctor ein Außerirdischer, der trotz seiner aktuellen etwas ruppigen Variante, die andere Richtung einschlägt: Er wird ein Stück weit menschlich und braucht auch seine menschlichen Begleiter um ihn auf Kurs zu halten. Perry Rhodan braucht das nicht, sein moralischer Kompass ist tief in ihm eingebaut. Aber wenn ein Held nicht bisweilen vom Weg abirren darf, wird er dann nicht uninteressant? Mag sein, dass dies bei Perry und seinen Begleitern ein Problem ist. Relevant sind beide Serien sicherlich, das möchte ich Perry auch nicht absprechen. Das sei ferne, eine literarische Serie, die seit Jahren läuft und funktioniert ist einmalig. Ein Nachdenken über die Serie ist allerdings nie verkehrt. Selbst beim Doctor nicht.

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