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Wieviel Blut muss fließen? Härte = Qualität?

Das Romanheft, das Universum ... und die Dinge dazwischen - Die Multimedia-KolumneWieviel Blut muss fließen?
Härte = Qualität?
Marc Jozefiak:
In den letzten Jahren ist gerade im Bereich des Horrorfilms ein Trend entstanden, das die Story und die Atmosphäre eines Films immer mehr in den Hintergrund rücken, aber dafür der Härtegrad immer mehr ansteigt. Sicherlich orientieren sich die Filmemacher am Geschmack der Fans, doch muss man sich doch langsam einmal die Frage stellen, ob es hier um den Geschmack oder nicht viel eher um pure Blut-Geilheit geht.

Damit mich keiner falsch versteht, wohl jeder Horror-Fan schaut sich gern auch einmal Splatter/Gore Filme an, das steht wohl ausser Frage. Aber die zunehmende Brutalität und das Brechen von immer mehr Tabus kann doch nicht der Sinn der Sache sein.

Horst Hermann von Allwörden:
Welche Tabus sollten noch zu brechen sein? Es sind doch wohl alle Innereien dem Zuschauer schon mal zur Begutachtung gezeigt worden, nachdem sie auf mehr oder weniger kreative Weise dem Opfer entfernt worden waren. In "Itchi" hat man dann auch die Innereien nach unten rausrauschen sehen, weil der da einer senkrecht geteilt wurde. - Was will man uns, den Zuschauern und Fans, denn noch zeigen.

Gewalt (phyisch wie psychisch) kann ein legitimer Bestandteil eines Horrorfilms, muss es aber nicht zwangsläufig sein. Oft genug habe ich den Eindruck, dass  manche Regisseure Gewalt nur einsetzen, weil sie Horror mit schlichtem Ekel verwechseln und weil sie mit der Darstellung von Gewalt in ihren Fähigkeiten nicht überfordert werden. Dabei vergessen sie grundsätzlich, dass sie eigentlich Urängste ansprechen sollen und dazu braucht man keine herausgerissenen Innereien. In der Literatur funktioniert diese Masche nur - und ich sage: auch zum Glück - nur eingeschränkt und ist eher was für den Hardcore-Fan solcher Darstellungen und spielt an der Kasse des Buchhandels keine größere Rolle. Anders sieht es im Kino und der DVD aus. Da funktionieren diese Gewaltdarstellungen auch besser. Die Extrahierung des Dickdarms aus dem gemeinen homo sapiens ist eben optisch besser darstellbar, als das Fassen deselben Vorgangs in Worte. - Aber beides hat dann nicht smehr Angst zu tun. Das sind eher die Momente davor, wo das Opfer flüchtet, erkennen muss, dass es nicht entkommen kann. Da liegt der Horror und nicht in der Konsequenz des Ausweidens.
 
Es gibt in dieser Hinsicht kein Tabu mehr zu brechen, weil ohnehin nur noch Varianten längst bekannten Gesehenens gezeigt werden. Um die Gewalt wirkungsvoll zu nutzen, muss sie sich der Geschichte des Films unterordnen und Teil des Films, statt das Alleinstellungsmerkmal zu sein.
 
Marc Jozefiak
:
Der klassische Horrorfilm ist in der heutigen Zeit bis auf einige Ausnahmen so gut wie ausgestorben, Figuren wie Frankenstein, Dracula und Co. üben fast nur noch auf Nostalgiker ihren Reiz aus. Wo ist die gute alte Zeit geblieben, in der es ausreichte, das ein Film durch Spannung oder eine gelungene und bedrohliche Atmosphäre den Betrachter fasziniert und gefesselt hat? Vielmehr geben in der heutigen Zeit die Folter-und Surviaval-Filme den Ton an, in denen Härte und Brutalität teilweise richtiggehend zelebriert werden. Natürlich haben auch diese Filme ihren Reiz und auch ich schaue sie mir an, aber die Gewaltspirale wird ständig höher geschraubt und man fragt sich unwillkürlich, wo das noch enden soll.

Horst von Allwörden:
Ist das eine Folge fehlender Fantasie. Ich habe da immer ein schönes Beispiel. Es gab Leute, die vor rund zwei Jahrzehnten in THE SILENCE OF THE LAMBS (Das Schweigen der Lämmer) den brutalsten Film gesehen haben wollen. In welchen Szenen bitte schön? Die Bilder hatten sie im Kopf, aber nicht auf der Leinwand.

Die Fantasie stirbt aus, denn sie strengt an... Harte These. Die brutalen Bilder bei SILENCE OF THE LAMBS entstanden im Kopf, wurden erzeugt durch die Kombination aus Erzählung und der darstellerischen Leistung von Anthony Hopkins. Das ist manchen zu anstrengend und die
Schauspieler  (dieser Filme) haben vielleicht (eher sicher) nicht die Klasse von Anthony Hopkins. Da ist es doch viel einfacher: Man zeigt es einfach. Und tricktechnisch ist da viel möglich, auch für kleines Geld.

Ausserdem kann man mit 'nem Haufen Gewalt viel einfacher 90 Minuten füllen, als wolle man noch Atmosphäre schaffen...

Marc Jozefiak:
In Filmen wie zum Beispiel "Gutterballs" werden Vergewaltigungen über einen Zeitraum von gut 15 Minuten zelebriert, bei "Hostel" werden Menschen gedemütigt und auf schlimmste Art und Weise gequält und die meisten (vor allem jugendlichen) Fans johlen vor Begeisterung. Diese Leute setzen sich in keinster Weise mit dem Gesehenen auseinander, sondern reduzieren diese Filme lediglich auf den Härtegrad. Gerade in vielen Film-Foren bemerkt man auch diese Tendenz. Wenn man dort einige sogenannte Meinungen zu solchen Filmen liest, dann erscheinen Sätze wie: "Geiler Film, saublutig und schön hart", sollte wenig oder gar keine Gewalt in einem Film vorkommen, dann ist es "voll der lahme Scheiss-Film".

Genre-Klassiker wie Romeros "Dawn of the Dead" oder Carpenters "The Fog - Nebel des Grauens" gelten bei vielen als langweilig, weil sie angeblich nicht hart genug sind, Meisterwerke wie Hitchcocks "Psycho" kennen viele überhaupt nicht. Da stellt man sich doch automatisch die Frage, was einen guten und sehenswerten Horrorfilm ausmacht und wenn man nach den meisten Filmen der heutigen Zeit ausgeht, dann sollte man doch denken, das es die Härte ist. Wie sonst ist es zu erklären, das eine Reihe wie "Saw" mit einem wirklich innovativen und erstklassigen ersten Teil beginnt, aber spätestens ab Teil 3 vollkommen in den Splatter/Gore-Bereich abdriftet und jedes Jahr einen neuen Teil auf den Markt wirft, nur um die Blut-und Härte Geilheit der Leute zu befriedigen?

Horst von Allwörden:
Wie gesagt: Gewaltszenen kann jeder. Und man versucht sich zu überbieten, weil ja alles schon mal da war. Und der Zuschauerkreis ist hinreichend groß, was der Erfolg bei DVD und an den Kinokassen eindrucksvoll demonstrieren.
 
Es gibt also einen hinreichend großen Zuschauerkreis, der sich Gewaltszenen anschauen möchte. Dieser Kreis ist deutlich größer als der Leserkreis entsprechender Romane. Letztlich ist das aber immer noch eine Randgruppe im Verhältnis zum potentiellen Gesamtpublikum. Aber es reicht aus, um einfach Kohle zu verdienen. Und hier liegt der Hase im Pfeffer. Solange damit Geld verdient werden kann, wird sich auch jemand finden, der da mitverdienen will. Daher wird es diese Filme weiter geben, solange sie sich jemand anschauen will.
 
Und da kommt dann noch ein weiterer Faktor ins Spiel. Jugendschutz und die Beschlagnahme von Fimen. Das ist eine unbezahlte Werbung. Wie die Kirchen immer wieder vor Filmen warnen, die das Seelenheil gefährden oder aber gotteslästerlich sind, und erst recht damit Leute ins Kino lockken. Bestes Beispiel hierfür war einst The Last Temptation of Christ (Die letzte Versuchung Christi). Da haben Werbefachleute ausgerechnet, dass der Protest der Kirchen eine Werbekampagne im Wert von 200 Mio $ wert war (was inflationsbereinigt heute noch eine deutlich höhere Summe ergeben würde). Und so sind Indizierungslisten, Beschlagnahmeurteile und eine Verschärfung des Jugendschutzes immer eine Einkaufsliste für Jugendliche. Denn was verboten ist lockt. Viele der so genannten 'Klassiker' des Gore- und Splatterfilms wären heute vergessen, wenn sie nicht auf  irgendwelchen Listen stehen würden. Erst diese Tatsache macht sie zu 'Klassikern'. Zum Vergnügen werden nicht immer wieder neue Versionen der Filme auf den Markt geworfen...

Marc Jozefiak:
Unblutige und härtelose Horrorfilme kommen in der Gunst vor allem bei der jüngeren Generation meist nur bedingt an, subtiler und kaum bemerkbar aufkommender Horror scheint kaum einen zu begeistern, Filme die gar innovativ sind oder bei denen man etwas nachdenken muss, sind gerazu verpönt, weil sie meist gar nicht verstanden werden. Ist diese Entwicklung als normal zu betrachten, oder sollte man sich langsam Sorgen um die Auffassungsfähigkeit der Leute machen? Vielleicht ist es auch so, das viele durch die Härte, mit der man teilweise überschüttet wird, schon vollkommen abgestumpft sind und die Brutalität gar nicht mehr richtig wahrnehmen.

Als bestes Beispiel gelten hier auch die heutigen Zombiefilme. Vorbei sind die zeiten, als es für viele noch wichtig und nennenswert war, das ein George A. Romero seinen Zombiefilmen eine sozialkritische Note beigefügt hat und auch Spitzen gegen die Gesellschaft ein wichtiger Bestandteil dieser Filme waren. Heutzutage kommt fast eine regelrechte Schwemme von Zombiefilmen in die Videotheken, aber das einzige, was hier ständig erhöht wird, sind die SFX, Botschaften oder Sozialkritik sind absolute Mangelware. Doch die meist jungen Fans dieser Filme würden diese Dinge wohl auch gar nicht erst bemerken, geschweige denn verstehen.

Ich bin sicherlich kein Kostverächter, aber manchmal wünsche ich mir die alten Zeiten zurück, wo Dracula, Frankenstein und der Wolfsmensch noch dazu in der Lage waren, die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen, aber das wird wohl lediglich ein Wunschtraum bleiben. Wahrscheinlich muss man sich damit abfinden, das es heute ganz normal ist, das Story, Spannung und Atmosphäre ganz einfach nicht mehr ausreichen, um genügend Leute in die Lichtspielhäuser oder vor den heimischen Bildschirm zu locken.
 
Horst von Allwörden:
Härtelose Filme?

Ich würde es anders sagen: Es geht um Filme ohne explizite in den Vordergrund gerückte  Gewaltdarstellungen, die nur um der Gewalt willen gedreht wurde. Aber: Man sehe sich den uralten Film GASLIGHT (Das Haus der Lady Alquist) an. Die psyichische Gewalt, die auf Ingrid Bergman einstürmt ist ungeheuer hart und kann mit jeder - ja  ich denke sogar - heutigen Darstellung physischer Gewalt mithalten (sie ist nur nicht so effektvoll und bunt bzw. rot). Psychische Gewalt äußert sich eben nicht in offenen Wunden, herausquellenden Innereien und an die Wand spritzende  Gehirne. Und als Zuschauer muß man sich auf den Film einlassen, bei der herausquellenden Innereien bin ich Voyeur. Um mit Lady Alquist zu leiden, muss ich mitfühlen, muß ich diese Rolle verlassen und  miterleben. Das ist schwieriger und fordert die Fantasie. Teile des Publikums haben diese Fähigkeit möglicherweise verloren. Sie sind lieber Voyeure.
 
Glücklicherweise ist der Horrorfilm vielschichtiger. Da kann jeder was finden. Und selbst unter den Brutalos findet sich immer wieder dieser oder jener, der mehr Potential hat, als voyeuristische Bedürfnisse zu befriedigen. Die gucke ich mir dann auch gern an. Und ich will in keiner Weise irgendwelchen jugendschützerischen und Beeschlagnahmeorgien das Wort reden (die sind ja eher - wie erwähnt - der Anreiz für den Kauf, weil es - wie ebenfalls erwähnt - verboten ist. Das ist seit Eva und dem Apfel der Erkenntnis so).
 
Und ich warte immer noch die Filme, die die klassischen Stoffe zeitgemäß umsetzten. Ich warte auf Filme, die nicht das Ekelzentrum in meinem Kopf ansprechen, meine voyeuristische Ader fordern, sondern versuchen die klassischen Stoffe unheimlich rüberzubringen. Es muss nur ein Film gedreht werden, der zeigt, dass man damit Geld verdienen kann.
 
Oder aber auch auf  Slasher-Filme, die merken, dass in Halloween nicht an den Schnitten  und Stichen Michael Myers intererssiert war, sondern dass gerade dieser Filme mehr Tiefe hat. Aber vielleicht kann ich darauf noch lange warten...
 
Und um auch noch die Frage aus dem Titel zu beantworten: Härte bzw. Brutalität bzw. exessive Gewalt allein kann nicht die qualitative Messlatte sein, die einen guten Horrorfilm ausmacht. Wer das glaubt, irrt. - Ich denke, das sit eine klare Aussage. Und die kann gern diskutiert werden. 

Kommentare  

#1 Christian Montillon 2009-03-13 07:39
Zitat: "Damit mich keiner falsch versteht, wohl jeder Horror-Fan schaut sich gern auch einmal Splatter/Gore Filme an, das steht wohl ausser Frage."

falsch. ich kann nur für mich sprechen - falsch. einen splatter/gore würde ich mir nie ansehen. ich kann dem nicht den geringsten reiz abgewinnen. (müsste man natürlich über die genregrenzen diskutieren, aber lassen wir das.) sorry, ich finde das einfach nur bescheuert, sinnlos und abartig. (plaktiv, ich weiß ... aber lassen wir das :-)).

hm - horst schreibt von "halloween", teil 1 -- der ist natülrich gut, aber auch weit vom slasher entfernt, wenn er das natürlich auch mitangestoßen hat. aber genau wie horst sagt: da ging es noch um ganz andere sachen als um "michaels stiche und schnitte".
#2 Beate Rocholz 2009-03-13 13:14
Je besser der Lebensstandard einer Gesellschaft, je einfacher das Überleben, je größer die Berieselung durch die Medien, desto größer der Durst nach einem Reiz der noch intensiver ist als der letztmalige.
Brot und Spiele - im alten Rom sahen sich unzählige Zuschauer an, wie live vor ihren Augen Menschen von Löwen gerissen, zerfetzt und gefressen wurden. Oder wie sich Glatiatoren die Schädel eindroschen.

Brot und Spiele - je brutaler, um so besser.

Allgemein ist den Menschen grässlich langweilig, ihnen geht es ach so gut, nur wird damit alles fad und öde, man kann ja alles haben, sofort kaufen, gleich ansehen, sie spüren nur noch bedingt, dass sie 'leben'. D.h. es muss ein immer größerer Reiz her, der das noch verbliebene wenige Adrenalin durch ihre Adern schießen lässt und sie so für kurze Zeit das eigene öde Leben vergessen lässt ... und dann muss der nächste 'Schuss' her - und der sollte halt am besten noch intensiver sein als der letzte.
#3 G. Walt 2009-03-13 20:40
Natürlich habe ich shcon den einen oder anderen Splatter/Gore Film gesehen - nur um mir ein Bild davon zu machen. Aber ich bleibe diesem Subgenre ansonsten auch fern, obwohl ich Fan bin.
#4 Mikail_the_Bard 2009-03-13 22:26
Also an Splatter habe ich persönlich nix. Ein gute Psychotriller-Horror ist mir da 100x lieber. Wenn das Unerwartete einen mit kalten Klauen packt und man nicht vor ekel sonder Überraschung zusammenzuckt - das ist Horror - Blutgematsche wo tonnenweise Gedärme verhackstückelt - statt der Wurstfabrikation gespendet :-* - werden mag ich nicht.
Mittlerweile habe ich das gute alte Hörspiel wieder entdeckt. Dunkelheit, ne Kerze, eine Flaschen Rotwein und dann z.B. Ctuhlhu... :-)
Die Menschliche Vorstellungskraft ist viel gruseliger als jeder Film.
#5 Harantor 2009-03-13 22:29
@Suelidia: Die einen gucken Filme, andere machen Bungeejumping und so sucht sich jeder "sein" Leben...

Und wer Filme mit Splatter und Gore nicht gucken will, der braucht das nicht. Aber so einige Filme haben was. "Itchi" ist wunderbar trotz oder gerade wegen seiner Gewalt. Und auch "Braindead" von Peter Jackson sammelt trotz Brutalität seine Punkte.

Aber es gibt auch nur zu viele Filme, die einfach nichts weiter zu bieten haben. Und die kann ich mir getrost ersparen.
#6 horror1966 2009-03-13 23:12
zitiere Mikail_the_Bard:

Die Menschliche Vorstellungskraft ist viel gruseliger als jeder Film.


Das unterschreibe ich sofort, denn Filme, die nur andeuten, entfachen im Kopf des Betrachters manchmal viel mehr Härte und Brutalität, als sie je in einem Film gezeigt werden kann.

Ein Paradebeispiel ist für mich persönlich David Finchers "Sieben", der in meinen Augen einer der härtest en Filme überhaupt ist.

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