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Luther, Luther, Luther: Social Media und Kirche

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneLuther, Luther, Luther:
Social Media und Kirche

Es ist halt so und damit müssen alle Agnostiker und alle Atheisten dieses Jahr halt mit leben: Die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation. Selbstverständlich seit dem 31.10. diesen Jahres, denn da ist nicht nur Halloween oder Allerheiligen sondern auch traditionsgemäß der Gedenktag an die 95 Thesen. Ob Luther die persönlich an die Tür der Kirche zu Wittenberg schlug ist bei Forschern eher als Legende abgetan, aber ein hübsches Bild ist es doch:


Luther, den Hammer schwingend und das gemeine Volk, dass vermutlich die Thesen sowieso nicht verstanden hat. Denn die waren ja in Latein abgefasst. Eine deutsche Fassung gabs erst etwas später. Was Luther mit Medien und dem Heute zu tun hat? Geduld.

Kirchen beider Konfessionen haben längst erfasst, dass das Internet eine wichtige Rolle im Leben ihrer Gemeindemitglieder spielt. Allerdings ist das mit dem Einsatz von Social Media bei Kirchens so eine Sache und besonders bei Protestanten. Denn während die Katholische Kirche mit dem Papst jemanden hat, der klar definiert was geglaubt, gedacht und getan werden sollte gibt es das in dieser Form bei den Protestanten nicht. Da darf jede Gemeinde mehr oder weniger für sich selbst handeln und tun. Das erklärt dann auch, warum es kein einheitlich stimmiges Bild bei dem Einsatz von Social Media gibt. Denn das kommt auf die Leute an, die in den Gremien sitzen und während es progressive Presbyterien gibt, die Gemeindeleitung auch im Internet als Aufgabe für sich in Anspruch nehmen haben andere Gemeinden noch nicht mal eine Homepage.

Betrachtet man die Geschichte der Reformation und wie Luther mit den damals neuen Medien umging - man nannte sie per Bleisatz gedruckte Bücher! OMG! - dann ist das definitiv verwunderlich. Luther wusste ganz genau, wie er die neuen Medien seiner Zeit für sich nutzen konnte. Mit Lukas Cranach gab es eine Art offiziellen Image-Gestalter, der das Bild von Luther für die Menschen prägte. Vom kämpferischen Jung-Mönch bis hin zum angekommenen Altersbildnis - heute wäre Lukas Cranach zweifellos irgendwas in Richtung Art-Director. Und einen besseren Job hätte auch keine Social-Media-Agentur machen können: Flugschriften, Pamphlete, Kupferstiche, Holzschnitte - gezielt wurden all diese Mittel eingesetzt um dem Volk das zu vermitteln, was Luther wollte. Und dass Luther auch seine dunklen Seiten hatte sollte in diesem Jubiläumsjahr nicht verschwiegen werden.

Das Zögern mancher Kirchengemeinden in Bezug auf Social Media ist historisch jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Nicht, wenn man sich Luthers Weg anschaut und Luthers Methoden. In Zeiten, in denen darüber geklagt wird, dass die Kirche den Bezug zum Alltag verloren habe und nur noch für die Übergangsrituale zuständig sei - und für emotional hoch besetzte Feiertage wie Weihnachten oder Ostern, Karfreitag haben wir ja schon wieder verdrängt, das ist uns unangenehm das Leid und die Folter; gerade in diesen Zeiten stellt sich die Frage, warum die Kirche nicht dem Volk aufs Maul schaut und dorthin geht wo das Volk ist. Wobei ich das relativieren möchte: Man muss sich nicht mit PEGIDA und Konsorten gemein machen, die seltsamerweise sich auf das christliche Abendland berufen und ganz vergessen, was Jesus eigentlich gelehrt hat. Die Bergpredigt wird von denen konsequent ignoriert und selbst im alten Testament heißt es schon, dass man Fremde nicht unterdrücken sollte und so behandeln, als wären sie Mitglieder des eigenen Volkes.

Aber da die Kirche sich zunehmend selbst aus dem Focus der Aufmerksamkeit katapultiert - außer es gibt irgendwelche Skandale oder es geht ums Geld - ist die Frage, wie sie selbst wieder relevant werden kann nicht nur für Gläubige von großem Wert. Vergessen wird ja auch, dass die Kirche mit der Diakonie - und Kindergärten, Schulen etc. pp. - auch Leute erreicht, die nicht gläubig sind. Und Diakonie legt keinen Wert auf irgendeine Missionierung, wie das oft mit Schaum vorm Mund von Atheisten behauptet wird. (Überdies: Wer so unsicher in seiner Überzeugung ist, dass er permanent andere angreifen muss, der tut mir nur leid.) Wie man darauf überhaupt kommen kann ist mir ein Rätsel. Die Landeskirchen des Protestantismus jedenfalls mischen sich auch bei unbeliebten Thematiken ein und melden sich zu Wort.

Und das tun sie auch mit Social Media und stellen damit immerhin Augenhöhe her. Was ihnen bisweilen heute fehlt: Die Einsicht, dass Reformation kein abgeschlossener Prozeß ist, sondern dass Reformation immer während ist. Dass immer neu darüber nachgedacht werden muss, welche Miss-Stände abgeschafft gehören, dass immer neu sich eingemischt werden muss, dass über neue Formen der Verwaltung ebenso nachgedacht werden sollte wie über neue Angebote. Nun kann man mit Fug und Recht auf all das hinweisen, was die Kirchen - also beide Konfessionen - falsch gemacht haben. Der 30jährige Krieg war auch ein Religionskrieg, bei dem Protestanten genauso Leute abgeschlachtet haben wie Katholiken. Abgesehen davon hat auch die protestantische Kirche ihr dunkles Erbe aus dem Kolonialismus zu tragen.

Von Luther wird man in diesem Jahr noch öfters hören. Von seinen Verdiensten. Seinen Schmähschriften gegen die Juden und Türken - man kann heute bestimmte Originalstrophen von ihm nicht mehr singen, wenn es gegen den Papst und die bösen Muselmanen geht. Seiner Erkenntnis: Wir sind zur Freiheit befreit. Das mag einem auf die Nerven gehen, gegen den eigenen Glauben, gegen die eigenen Fundamente. Sicherlich steht aber fest, dass Luther und die Reformatoren den Weg für die Moderne bereitet haben. Mit den neuen Mitteln der damaligen Zeit. Manchmal würde ich mir wünschen, Protestanten wären mutige wenn es darum geht neue Kommunikationsmittel zu testen und auszuprobieren. Aber gut: Wenn alte Herren und alte Damen die Gemeinde leiten, die nur die Gefahren im Netz sehen, dann kann das natürlich schwer sein. Es fügt sich aber gut in die Debatte um Lehrer, Schule und Digitalisierung ein - die Geisteshaltung sickert da irgendwie durch die Schichten der Gesellschaft durch. Leider.

Kommentare  

#1 Hermes 2016-11-04 00:20
Zitat:
selbst im alten Testament heißt es schon, dass man Fremde nicht unterdrücken sollte und so behandeln, als wären sie Mitglieder des eigenen Volkes.
Dort wird aber auch explizit dazu aufgefordert, andere Religionen nicht im eigenen Land zu dulden, keine Ehen mit andersgläubigen Menschen einzugehen etc.

Selbst die Texte im Neuen Testament sind nicht immer eindeutig.

Das fatale daran, wenn man sich auf "heilige Schriften" beruft, ist, dass man damit praktisch jede rationale Diskussion unmöglich macht. Denn gegen "Gottes Willen" können Menschen nicht argumentieren.
#2 Laurin 2016-11-04 13:16
Die Bibel ist da durchaus ein Problem, wenn es um rationale Diskussionen geht. Sie kann nach allen Seiten hin ausgelegt werden weil für jeden was drin ist. Das hat was vom Kaugummi-Prinzip, ich kann es ziehen wohin ich will.

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