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Über- statt miteinander: Politiker und Nerds und Digitaler Wandel

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneÜber- statt miteinander:
Politiker und Nerds und Digitaler Wandel

Wenn bei einer politischen Veranstaltung das Wort "Dialog" im Titel auftaucht, dann sollte man vorsichtig sein.

Seit den berühmten Dialogen der Kanzlerin mit ihren Wählern - mal ehrlich, der Bürger dürfte hier doch nur kurz mal auftreten, was sagen, damit es ihm besser geht und die ganzen Probleme sind geblieben.


Während die Kanzlerin zurück nach Berlin fuhr - seit diesen angeblichen Dialogen sollte man kritisch sein, wenn eine Veranstaltung das Wort DIALOG in sich trägt und von einer Politik-Organisation, gar von einem Ministerium organisiert wird. Das ist zwar meistens gut gewollt, aber im Grund genommen: Dialog ist da nicht.

Was auch etliche Twitterer während der Veranstaltung "Creative Industries Dialog NRW" auch äußerten. Hochkarätige Politiker und Herr Gorny trafen sich in Dortmund, um über die Kreativwirtschaft zu reden. Wer vorab auf das Programm schaute, stellte fest: Ein Dialog mit denen, die wirklich Kreativwirtschaftler sind war eher nicht geplant. Denn niemand, der wirklich meinungsstark ist und das Thema vertreten könnte oder beispielhaft mal Projekte vorstellen hätte können war eingeladen. Noch nicht mal die Berater, die in NRW eigentlich für die Politik diesen Digitalen Wandel voranbringen wollen. Denn es gibt einen Beirat, der das Ministerium in NRW in diesen Fragen berät. Von diesen Leuten aber war keiner auf dem Podium in Dortmund. 

So als gab es neben den Ergebnissen einer Studie - NRW kann vom Digitalen Wandel profitieren, wer hätte das jetzt nun nicht gedacht - auf jeden Fall eins: Politiker und Herr Gorny standen vorne am Pult und verlasen ihre Keynotes. Ein wenig Dialog gab es dann zwar doch noch, aber so richtig in Gang kam der nicht. Und die Podiumsdiskussion mit den Politikern und Herrn Gorny war ein wenig wie ein Anne-Will-Abend am Heilig-Abend: Jeder war im Grunde einverstanden mit dem Anderen, Kritik gab es wohl kaum und ansonsten ist alles, alles gut.

Schlecht ist nur, wenn solche Runden dann live bei Twitter begleitet werden und Unmut bei denen aufkommt, die Thema der Veranstaltung waren aber irgendwie nicht vorkamen. Nämlich denen, die kreativ den Digitalen Wandel vorantreiben. Da Herr Gorny keinen eigenen Twitterkanal hat, wird er das gar nicht mitbekommen haben - und der Präsident des Europaparlamentes Martin Schulz war erkrankt, so dass nur ein Teil seiner Rede vorgelesen wurde. Wobei Twitterkanäle bei Politikern auch selten dazu dienen, sich irgendwie konstruktiv mit Kritik zu befassen - sie sind in der Regel reine Botschaften-Verteiler. Wenn da mal ein Retweet erfolgt, ist das schon beachtlich.

Warum es bei digitalen Themen zwischen Politikern und Aktivisten - oder Nerds, Geeks, wie auch immer - kracht? Der Grund ist ein fundamentales Systemproblem. Eher noch ein Kulturproblem. Und eines, das mit dem Alter zu tun hat, denn wenn wir ehrlich sind: Wer heute Politiker ist und sich im System der Parteien hochgedient hat, der war jung als es noch Telex gab. Was natürlich nicht heißt, dass alle alten Politiker nichts vom Internet verstehen, aber die Riege um Dieter Oettinger etwa hat ja hervorragend gezeigt, dass es durchaus ein Problem des Alters sein kann. Und der Engstirnigkeit des Nicht-Verstehen-Wollens teilweise auch. Denn wenn bei einer Digitalen Veranstaltung erneut immer wieder gefordert wird, man müsse Dinge im Internet regulieren, ja, ein europäische Google müsse her oder wenigstens ein Deutsches Silicon Valley - dann kann man das Kopfschütteln bei aufgeschlossenen Menschen, die im Internet unterwegs sind ja gleich als GIF festhalten.

Das politische System in Deutschland ist so hierarchisch organisiert, dass die jungen Leute, die jetzt in Ortsverbänden eintreten oder gar wirklich was bewegen wollen in der Regel so stark gebremst werden, dass deren Elan schwindet. Denn über ihnen und bei ihnen sitzen die Leute, die über 40 oder 50 sind und die von Netz-Themen generell keine Ahnung haben. Die berühmte Oma Erna interessiert sich allerhöchstens dann fürs Netz, wenn man ihr mit Themen wie "Abhocke! Fake! Cyberkriminalität!" gedroht wird. Die Chancen und Möglichkeiten interessieren sie nicht. Und noch weniger interessieren diese Chancen dann denen, die eine Etage über den Ortsverbänden sitzen. Und wenn, dann ist das Internet und Netzpoltik eher so - na ja - muss man halt machen. Der Wähler möchte das so. Und weil man das halt so machen muss, gründet man irgendwelche Ausschüsse, die dann von jungen Leuten beraten werden und die dann irgendwas tun. Meistens endet das damit, dass nichts getan wird. Weltbewegendes von den Zusammenschlüssen wie der Digitalen Gesellschaft, die in NRW das Thema bei der SPD angesiedelt hat, oder gar von D64, dem Zentrum für den Digitalen Fortschritt - doch, die nennen sich wirklich so - hört man gerade dann nichts, wenn es um aktuelle Netzthemen gibt oder wenn Herr Heiko Maas mal wieder die Community verärgert. Das aber haben sich gerade diese Vereine auf die Fahne geschrieben: Digitale Politik mitzugestalten. Davon bekommt man allerdings wenig oder gar nichts mit.

Das System, in dem jemand in der Politik Karriere macht oder in dem Dinge angestoßen werden, ist nicht für den Digitalen Wandel gemacht. Vor allem nicht für den gefühlten Digitalen Wandel, denn es gibt da mehrere Stoßrichtungen: Zum Einen natürlich die Nerds, die sich täglich mit dem Ganzen beschäftigen. Für sie reagiert die Politik nicht schnell genug auf die aktuellen Erfordernisse, sind die Äußerungen zum Thema Urheberrecht und Vergütungen Affronts und überhaupt kann der Wandel, das gute Leben, das Paradies nicht schnell genug kommen. Dann gibt es zum Anderen den Digitalen Wandel in der Wirtschaft - und da sind Unternehmen auch unterschiedlich weit: Während Industrie 4.0 bei einigen implementiert ist, haben andere Unternehmen das Wort noch nicht mal gehört. Und für den Buchhandel spielt die Industrie 4.0 gar keine Rolle - der Buchhandel zeigt aber auch die Unbeweglichkeit von Verlagen und das Nicht-Tellerrand-Denken der Köpfe. Soziale Kanäle sind in erster Linie keine reinen Mittel für das Rauspusten von Werbung. Jedenfalls nicht direkt. Was aber etliche Geschäfte noch nicht verstanden haben. Und zum Desanderen: Der normale Bürger nutzt das Internet, macht sich aber über Themen wie Datenschutz oder Politik nicht unbedingt die Gedanken - außer es geht um seinen Geldbeutel. Was der Digitale Wandel auch für Oma Erna bedeutet, dass versteht sie nicht.

Es wird ihr aber auch nicht erklärt und zwar von keinem der beiden Parteien: Politikern und Nerds. Oder wenn es versucht wird zu erklären, dann so, dass es langweilig ist und keinen interessiert. Auch von Politikern und von Nerds. Gleichzeitig. Wenn dann noch dazukommt, dass Politiker und Nerds gegenteilige Dinge vertreten, Schwierigkeiten haben einen Dialog zu finden, dann ist es kein Wunder, dass wir in einem Land der "Regelt-das-Internet-zu"-Vertreter leben. Ein Zustand, der ausgerechnet der Wirtschaft ja ein Dorn im Auge sein sollte, aber die vertritt nun auch nur dann digitale Interessen, wenn sie sich rentieren.

Es wäre ein leichtes, langsam aufeinander zuzugehen: Die Parteien müssten digitale Ansprechpartner haben, die in den Rathäusern der Stadt vertreten sind. Die einerseits ein Ohr für den Bürger haben - die gute alte Sprechstunde ist ein probates Mittel - andererseits Ahnung und dann noch desanderseits Entscheider sein können und dürfen. Es gibt kaum einen Politiker auf der lokalen Ebene, der ein Barcamp besucht, sich aktiv in die Debatten einmischt und für die Nerds vor Ort ein glaubhafter Charakter ist. Für Duisburg etwa gibt es das nicht. Da gibts glücklicherweise aber jemanden von der Wirtschaftsförderung, die sich gut und dauerhaft einbringt. Was dann aber - weil es ja die böse Wirtschaftsförderung ist, die teilweise der Stadt gehört, das ist in Duisburg halt das Konstrukt für die Form, deswegen wird sie ja nicht als kompetenter Ansprechpartner wahrgenommen. Und die Wirtschaftsförderung hat auch nur einen begrenzten Auftrag, sie kann nicht alles. Wenn Politiker auf der Lokalebene - und damit sind auch Piraten gemeint, die seltsamerweise auch kaum in Erscheinung treten bei Twittwochs, Instawalks oder anderen Dingen, bei denen die Community sich austauscht - wenigstens ab und an mal den Versuch machen würden in den Dialog einzutreten; viel gewonnen wäre schon damit. Was ist eigentlich mit dieser Digitalen Agenda passiert, die die Bundesregierung beschlossen hat?

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