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Narbonic oder Das Böse, das Gute und Riesenwüstenspringmäuse

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Das Böse, das Gute und Riesenwüstenspringmäuse

Es gibt wenige Webcomics, die ich wirklich von Anfang bis Ende aktuell verfolgt habe. Bruno the Bandit hab ich irgendwann leider aus den Augen verloren, the Order of the Stick ebenfalls und wie hieß der Webcomic noch mit der Staubmaus? Es ist halt immer eine Zeitfrage: Habe ich wirklich noch Zeit die Handlung der Woche komplett nachzulesen oder muss ich doch den Kühlschrank gefüllt bekommen?


Einer der wenigen Comics, die ich bis zum Ende verfolgt habe - und die ich jetzt nochmal mit Entzücken nachgelesen habe - ist "Narbonic". Das hat Gründe.

Der Webcomic lief von 2000 bis 2006 und fängt mit einer ganz normalen Sitatuation an: Dave, IT-Fachmann, bewirbt sich nach seinem Studium für einen Job. Bei "Narbonics". Nur ist das halt kein normaler Arbeitgeber, sondern die Chefin - Helen Narbon - ist eine verrückte Wissenschaftlerin und Mel, die Praktikantin, ist so ziemlich in alles vernarrt, was man abfeuern kann. Wer verrückt ist, macht sich Feinde: Professor Madblood, Antonio Smith Forensic Linguist, die Dave-Conspiracy... Oh, hatte ich erwähnt, dass eine intelligente Wüstenspringmaus noch an Bord ist? Nein? Und ein Dämon namens Caliban? Verrückte Hamster? Riesenwüstenspringmäuse? Zeitreisen? Klingt nach Spaß, nicht? Richtig. Sofern man den Humor und den Zeichenstil mag.

Den ganzen übergreifenden Plot zu verraten wäre an dieser Stelle natürlich kontraproduktiv, aber sagen wir mal - "Narbonic" erforscht zu Beginn natürlich erstmal die Prämisse des Labors, in dem die Crew nicht so ganz normal ist, allerdings auch ihre Probleme hat. Und obwohl wir Leser wissen, dass die Charaktere verrückt, böse und gemein sind - bei Mel ist das mit dem "Verrückt" nicht so ganz sicher, aber mein Gott, Androiden vom Mond! - haben wir dennoch Sympathie für sie. Nach und nach aber schleicht sich eine Grundfrage in den Webcomic ein und diese Frage ist: Sollte man dem Schicksal seinen Lauf lassen oder nicht doch eher eingreifen? Noch zugespitzter: Sollte man die Veranlagung zum Verrückt-Werden eines Menschen unterdrücken oder hätte dies zur Folge, dass man so dermaßen in die Persönlichkeit eingreift, dass diese am Ende kein besseres Schicksal hat - trotz der Heilung?

Das trifft einerseits auf die Beziehung zwischen Helen Narbon und ihrer Mutter Doktor Helen Narbon zu. Wobei Helens Mutter nicht an  der ethischen Dimension der Frage interessiert ist sondern Helen eher als Laborexperiment betrachtet, dass sie auf ihre Weise vielleicht auch liebt, aber in erster Linie manipuliert. Andererseits ist das auch die Frage, wenn die intelligente Wüstenspringmaus namens Archie ihrerseits Wüstenspringmäuse klont, deren Schicksal es ist wahnsinnig zu werden. Dass Artie immun gegen dieses Schicksal ist weiß er nicht als er die Mäuse klont - die Ironie: Eine von diesen Mäusen wird wiederum Hamster klonen, die dann auf ihre Art und Weise immun gegen den Wahnsinn sind und dann doch wiederum nicht - Stichwort: Weltherrschaft. Aber immer wieder taucht diese Frage bei Narbonic auf: Darf man das Böse in einem Menschen unterdrücken? Oder das Böse in einem Hamster? Ist das dann noch ein selbstbestimmter Mensch oder nicht? Sollte man jemanden vor dem Wahnsinn retten - mit allen Mitteln?

Wobei die Frage nach dem Bösen und dem Guten bei Artie noch spezieller liegt: Artie an sich ist eindeutig der Charakter, der am wenigsten Böse ist. Wer Höllendämonen rein mit dem Spiel Boggle aufhalten kann, der muss das wohl sein. Aber Arties Aktionen und Bestrebungen Gutes zu tun laufen in "Narbonic" immer wieder darauf hinaus, dass es eigentlich noch schlechter, noch verrückter und noch böser wird. Dave, der Charakter mit dem wir uns Leser identifizieren, ist es zu Anfang relativ egal, sofern das Gehalt pünktlich kommt. Zu Beginn des Comics jedenfalls. Nach und nach bemerken wir aber, dass auch Dave mit dieser Frage durchaus zu ringen hat.

"Narbonic" ist neben allem Unsinn, allen seltsamen und kruden Plots - dazu gehören eine Insel mit Riesenwüstenspringmäusen, Labore auf dem Mond, ein intelligenter Computer, der sich in Dave verliebt, die Dave-Conspiracy, oh, es gibt ein Haufen von obskuren Situationen - ein zutiefst philosophischer und intelligenter Webcomic, der am Ende der Handlung auch tatsächlich eine Antwort auf die Frage nach dem Wahnsinn, dem Leben und dem eigentlichen Sinn zu bieten hat. Das kann ich natürlich nicht verraten. Verraten kann, dass es ab und an ein "viktorianisches" Abenteuer zu sehen gibt, das in bester Pulp-Traditon schleimige Venuskreaturen, hübsche Marsfrauen - ähm nun, eigentlich... - und einen derart unlogischen Grund des Austauschens von Gehirnen in Körper gibt, dass man allein bei diesen Spezial-Folgen schon Spaß haben kann. Leider ist "Narbonic" nicht auf Deutsch erhältlich, aber wer sich das Blättern im Netz ersparen will - es gibt eBooks und Bücher. Und mit "Skin Horse" eine Art Sequel, das im gleichen Universum spielt. Und das hat - moment - einen Hubschrauber mit einem menschlichem Gehirn, einen weiblichen Zombie, einen sprechenden Hund, eine Maschine von 1870, intelligente Schaben und einen sprechenden Bienenschwarm... Klar ist das bescheuert, aber egal: Mehr - Artie!

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