Was bei Smarten Cities fehlt: Die Kybernetik
Was bei Smarten Cities fehlt:
Die Kybernetik
Natürlich gibt es eine Definition einer Smart City. Eine Smart City ist ein Sammelbegriff für gesamtheitliche Entwicklungskonzepte, die darauf abzielen, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu gestalten. Diese Konzepte beinhalten technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen. So Wikipedia. Das Problem dieser Definition ist natürlich: Sie ist weit gefasst. Für einige Städte gehören Urban Guardening oder Gemeinschaftsgärten zu diesem Prozeß dazu; die Essbare Stadt Kassel steht jedoch deutlich außerhalb von den Plänen einer Smart City, erfüllt aber den Ansatz der Nachhaltigkeit und Inklusion. Anderer Städte legen den Blick allein auf die Technik: Schaut man sich die Projekte der Stadt Dortmund an, dann wird man von technischem Jargon erschlagen. Das Einsammeln von Parkdaten, die Steuerung der Wärmeinfrastruktur, Smart Harbor, Digital Street... - alles Dinge, die viel mit Technik zu tun haben und vermutlich auch dem Bürger nutzen werden. Allerdings kommt hier dann der ökologische Faktor wohl ein wenig zu kurz. Jedenfalls findet sich kaum irgendwas zum Thema Umweltschutz, Ressourcenverwaltung oder Recycling - aber auch das sind Themen, die in Städten eine wichtige Rolle spielen. Und nicht nur das Service-Wohnen, was immer das auch sein oder werden soll.
Nun wäre das Fokussieren auf die Technik kein Problem, wenn - wie nicht kürzlich in Duisburg erst geschehen - diese Ressourcen und die Problematik des Ausbaus von Technik nicht aus den Händen der Stadt an private Investoren gegeben wird. Huawei ist Partner von Duisburgs Smart City Konzept. Die Chinesen sind sicherlich führend, wenn es um die Technik geht. Sicherlich ist auch die Frage, ob bestimmte Dinge Duisburg oder andere Partner in Deutschland überhaupt stemmen können - allerdings - mussten es gerade die Chinesen sein? Die gerade dabei sind, einen Social Score für die Bevölkerung zu entwickeln? Die mit der Firewall of Oppression? Und was bedeutet es, wenn die Technik in die Hand eines Partners gelegt wird, der alles andere als demokratiefreundlich ist? Und wenn Duisburg auf einmal dann gesagt bekommt, bestimmte Dinge sollten besser nicht mehr unterstützt werden, weil sonst die Technik abgestellt wird und die Lichter der Smart City ausgehen? Mephistopheles lässt grüßen.
Was Städte aber momentan eher vergessen ist, dass es die Wissenschaft der Kybernetik gibt. Sie mag vielleicht alt, abgeschmackt sein und wenig gebraucht werden heutzutage, aber das Wissen darum, das Prozesse und Techniken nie für sich allein stehen sondern immer einem größeren Zusammenhang gedacht werden müssen, das sollte eigentlich mittlerweile angekommen sein. Kybernetik ist nach ihrem Begründer Norbert Wiener die Wissenschaft der Steuerung und Regelung von Maschinen, lebenden Organismen und sozialen Organisationen und wurde auch mit der Formel „die Kunst des Steuerns“ beschrieben. So die Wikipedia. Betrachtet man die Smart City als System mit verschiedenen Steuerkreisen, die geregelt werden müssen, dann fällt auf, dass die Politik bisher allein die Technik als grundlegendes System hinter allem sieht. Wenn an einer Straßenlampe demnächst der Feinstaub gemessen wird, dann werden diese Daten gesammelt und an die nächste Auswertungszentrale geschickt. Dann wird festgestellt: Der Wert ist zu hoch oder zu niedrig oder im Mittelfeld. Maßnahmen werden ergriffen. Ein Verbot für Lastkraftwagen wird verhängt oder für Dieselfahrzeuge - und alles wird sich wieder im normalen Rahmen einpendeln. So weit, so kybernetisch-technisch gedacht.
Dass gleichzeitig die Krankenrate der Bürger ansteigen könnte, dass gleichzeitig die Umwelt beeinträchtigt wird, dass zugleich wenn Lastkraftwagen in dieser Straße nicht durchfahren können, daran gedacht werden muss, wo sie denn hinfahren können, dass dann als Folge dessen der Straßenbelag an der anderen Straße mehr belastet wird ... der ganze Rattenschwanz, der hinterherfolgen könnte, der wird nicht mitgedacht. Oder kaum. Wenn zudem alles mit allem vernetzt ist - davon träumen manche Smart Cities ja - dann hat das zwar seine Vorteile, andererseits hat es auch Nachteile, wenn die Vernetzung nicht funktioniert. Das Fluchen von Autofahrern vor Kontaktampeln ist ja nicht neu. Zwar ist ein Smart Home recht nett eingerichtet, wenn man aber nicht mehr ins eigene Heim kommt, weil ein neues Update gerade die bestehenden Accountdaten überschrieben hat, die Heizung mit voller Wucht losbollerte, weil ein Sensor aufgefallen ist - alles das sind Dinge, die nicht in die Rechnung der Smart Cities eingebettet werden. Wenn gleichzeitig die wichtigen Infrastrukturen aus den Händen der Städte an die Wirtschaft gegeben werden...
Alle Visionäre brauchen einen Pragmatisten. Wer einen Leonard von Quirm unter seinen Bürgern hat - um mal die Scheibenwelt zu bemühen, die Terry Pratchett in seinen Romane entworfen hat - der wird ihm zwar eine schöne Mansarde, hell, luftig, mit Blick auf die Möwen zur Verfügung stellen, gleichzeitig wird er aber auch dafür sorgen, dass Leonard seine Erfindungen nicht vorbehaltlos mit allen teilt. Gerade Leonard von Quirm nicht, der hat nämlich leider die Angewohnheit neben wunderbaren Skizzen von tau-benetzten Rosenblättern die nächste Vernichtungsmaschine zu entwerfen. Schön, wenn man bedenkt, dass Leonard nun eher sich selbst eingesperrt hat, weil die ganzen Fallen bis zu seiner Mansarde aus seinem Kopf entstammen... Nun. Jedenfalls: Auf der einen Seite gibt es die Möglichkeiten Leonards, auf der anderen Seite den Kopf des Patriziers. Des Kybernators, denn im Universum der Scheibenwelt ist Lord Vetinari ja gerade das: Er weiß stehts immer irgendwie alles, schaut, dass alles im Gleichfluss verbleibt und dass die Räder der Stadt sich immer drehen. Leider hat Pratchett nicht genau erzählt, wie Lord Vetinari das macht...
Sicherlich: Momentan sieht es so aus, als ob die Planer der Smart Cities immer das Heft in der Hand haben. Werden doch die ganzen Workshops und die ganzen Projekte von der Stadt aus geplant. Aber: Das ist nur die Planungsphase. Man braucht über die Planungsphase noch Kybernetiker, Steuerleute hinaus, man braucht eigentlich auch jemanden, der die ganzen Dinge, die da kommen könnten vorausdenkt und notfalls abfedern kann. So schön das smarte Wohnen auch klingt, wenn die neuen smarten Wohnungen auf Grünflächen gesetzt werden, die bisher zur Erholung von Bürgern dienten, dann kann das ja nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Das wird zwar wohl kaum passieren, aber schon die Aufhebung der Baumsatzschutzordnung in manchen Städten führte zu gar lustigen Anwendungen von Holzhackerbuben, die kaum durch das Pflanzen von neuen Bäumen aufgehoben werden können.
Es ist nicht so, dass bei einer Smart City langsam vorangegangen wird, um zu schauen wie die Implementierung eines Prozesses die anderen Prozesse beeinflusst. Smart Cities planen immer mit Dutzenden von Prozessen und natürlich ist die digitale Entwicklung immer einen Schildkrötenwurf voraus. Allerdings: Was genau wir da anstellen, was genau wir da für die Gesellschaft planen - wir wissen es momentan einfach nicht. Genauso wenig, wie Plattenbauten-Architekten. Die gingen ja noch davon aus, dass sie das Modell des Wohnens der Zukunft erfunden hätten - heutzutage werden die meisten Platten nicht gerade als Idylle des Lebens bewertet. Daher läge es bei den Kybernetikern zu sagen, welche Erfahrungen der Vergangenheit wir vermeiden müssten - welche Prozesse mit welchen verbunden sind und warum das eventuell auch keinen Sinn macht - wo wir aufpassen müssen, damit wir nicht in einer Stadt leben, in der die Technik vor dem Menschen kommt.