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Ein Stoiker im Anime? Das katastrophale Leben von Saiki K.

In (Multi-)Medias Res - Die Multimedia-KolumneEin Stoiker im Anime?
Das katastrophale Leben von Saiki K.

Stellen wir uns vor, wir könnten alles. Tatsächlich alles. Wir könnten fliegen, Gedanken lesen, hätten einen Röntgenblick, Pyrokinese, Telekinese, Superstärke, Astralprojektion - kurzum: Wir wären der ideale und perfekte Superheld. Wie wäre das? Klar, zuerst wäre das eine total coole Sache. Der Traum eines jeden Heranwachsenden: So sein wie die Superhelden aus den Comics. Whow, das wäre doch total abgefahren.

»Meine Güte«, würde das Saiki Kusuo kommentieren. Der hat nämlich alle diese Kräfte und überhaupt keine Lust darauf, dass jemand entdeckt, dass er der Superheld der Superhelden ist. Er ist halt mit diesen Kräften geboren worden und manchmal ist er ihrer auch überdrüssig. Kinobesuche sind nicht möglich, da das Ende des Films gedanklich von den Leuten gespoilert wird. Videospiele? Ähnliches Problem. Haustiere? Wenn man gedanklich mit denen reden kann sind sie gar nicht mehr so niedlich und süss. Eigentlich möchte Saiki nur seine Ruhe haben. Durchschnitt sein. Zudem: Ihn kann nichts überraschen, da er ja stets die Gedanken von allen Menschen lesen kann und ihn kann auch nichts aus der Ruhe bringen, weil er ständig schon weiß, was alle ringsumher planen oder tun wollen. Saiki Kusuo ist ein Mensch, der tatsächlich dem perfekten Stoiker so nahekommt, wie selten ein Animecharakter vorher. Und wenn Saiki mit seinen Kräften irgendwo eingreift, dann weil er entweder in Ruhe gelassen werden will, ihn die Mitschüler in etwas hineinziehen oder er sich aus dem Liebesgeplänkel der Mittelschule raushalten will. Saiki agiert also kaum, er reagiert eher.

Saiki lebt dabei in einem persönlichem Universum, in dem alles mehr oder weniger vorherbestimmt ist. Das zeigen etliche Folgen des Animes, wenn es um die Verhinderung von Katastrophen in der Zukunft geht - eine davon betrifft eine Explosion einer Tankstelle, die Saiki einfach dadurch verhindert, dass er einen winzigen Stein aufhebt und somit die Kausalkette zum Platzen bringt. Etliche andere Folgen unterstreichen das. Saiki allerdings lebt - ein geschickter Kniff des Autoren Shūichi Asō - tatsächlich in einem zyklischem Universum. Denn wenn es ihm nicht gelingt, den Ausbruch eines Vulkans am Ende seines dritten Mittelschuljahres zu stoppen, wird Japan untergehen. Da ihm das bisher nicht gelungen ist, versetzt er die Erde in eine Zeitschleife. Alle Jahre wieder also erlebt er und erlebt seine Umwelt dieses entscheidende Schuljahr vor den Jahresabschlussprüfungen - und dank seiner Gedankenkontrolle bemerkt das niemand. Das kommt dem Universum der Stoiker schon recht nahe, auch wenn Saikis Universum dann doch dynamischer ist als die Stoiker das wollten. Immerhin kann Saiki innerhalb einer Zeitschleife Dinge ja durchaus ändern und kein Tag ist wieder andere. Nur das Ende muss er verhindern: Den Vulkanausbruch.

Wenn es aber darum geht seine Affekte im Zaum zu halten, dann ist Saiki ein wahrer Meister. Das monoton vor sich hingesprochene »Meine Güte« ist ein Markenzeichen seiner Persönlichkeit. Nichts scheint ihn zu ärgern, nichts scheint ihn aufzuregen, ständig der gleiche Gesichtsausdruck, kaum eine Regung. Das ist natürlich Absicht. Saiki möchte mit dem ganzen Schulbetrieb nichts zu tun haben und verhält sich abweisend - was ihn allerdings anziehend für eine ganze Reihe von merkwürdigen und äußerst komischen Schulkameraden macht. Einer davon ein Medium, das Geister sehen und in seinen Körper beschwören kann, eine Klassenkameradin ist Wahrsagerin und das Mädchen, dass Saiki unbedingt haben möchte ist einfach - perfekt. Weshalb sie im Anime immer in einem Glorienschein daherkommt. Saiki erträgt seine Klassenkameraden zwar alle, aber »Meine Güte« - sie nerven.

Dabei allerdings hat Saiki nun seine Gefühle doch nicht so ganz im Griff, wie er es Einem glauben machen möchte - und das ist eine der vergnüglichen Seiten des Animes. Ein wahrer Stoiker, Stoikerin würde vermutlich keine vor sarkastisch triefenden Bemerkungen zu dem Verhalten oder den Gedanken seiner Umwelt machen. Das würde ihn oder sie eigentlich nur aus der Seelenruhe bringen, aus dem Zustand des perfekten Gleichgewichts. Saiki kann sich allerdings seinen Sarkasmus nicht verkneifen, wobei es teilweise unklar ist, ob die Betreffenden seine Bemerkungen hören oder nicht - wobei … Aber das ist eine hübsche kleine Schlusspointe des Animes, die man in der letzten Folge erst bemerkt.

Da das katastrophale Leben von Saiki K. ein Gag-Anime ist - irgendwie fehlt ein deutsches Wort dafür, ein Witz-Comic ist definitiv was Anderes und Spaß-Zeichentrick eher das, was im Lustigen Taschenbuch erscheint - sind die Charaktere natürlich überzeichnet. Oder sie wirken so, weil Saiki mit seiner Gleichmut als Gegenpol wirkt. Wobei: Einigen wir uns eher darauf, dass sie die typischen Klischees eines solchen Animes vertreten. Nettes und schüchternes Mädchen, Dorftrottel mit Herz, überaus anbetungswürdige Schönheit mit durchgeknalltem Bruder, der zufälligerweise ein Fernsehstar ist … Alles dabei. Dazu kommen etliche Nebenfiguren und ein Haufen von sehr unwahrscheinlichen Erlebnissen. Allerdings: Es gibt tatsächlich für alles eine Erklärung. Pinkene Haare fallen nicht auf? Saikis Gedankenkontrolle sorgt dafür. Geheilte Wunden? Saiki kann die Zeit für Gegenstände zurückdrehen, das schließt auch Körper mit ein. Genau genommen bräuchte er auch keine neuen Sachen deswegen. Sein Bruder erfindet einen Katzenroboter? Seine Mutter ist allergisch gegen Katzen - und daher bleibt auch die Katze Amp auf jeden Fall draußen im Garten. Für einen reinen Gag-Anime ist das alles tatsächlich gut durchdacht.

Kommt noch hinzu, dass Saiki ab und an die vierte Wand durchbricht, den Zuschauer und die Zuschauerin also direkt anspricht oder auf Dinge verweist, die den Manga vom Anime unterscheiden. So werden in einer Folge kurz Charaktere angesprochen, die nie im Anime zu sehen waren. »Es wird schon seine Gründe haben«, kommentiert Saiki das trocken. »Was auch stimmt: Die vorletzte Folge vor dem Finale nämlich fährt so ziemlich jeden Charakter auf, der bisher im Anime vertreten war - und dann auch einige, die gar nicht vorkamen.« Da scheint ein gewisser Deadpool einen Einfluss gehabt zu haben … Stören tut das nicht, ob es notwendig ist, ist die Frage. Es hat allerdings schon was, wenn eine Folge des Animes ein Videospiel in den Mittelpunkt stellt, dessen Levelabschnitte dann sehr denen des Animes bzw. Mangas ähneln. Aber das, so versichert Saiki, das ist auf keinen Fall der Fall, es schien uns Zuschauer*innen nur so. Weil er der Hauptfigur seine Züge verliehen habe … »Es gibt übrigens einen Realfilm, aber derzeit tatsächlich kein Computerspiel. Würde mich aber nun auch nicht wundern.«

Da ist die Tatsache, dass Saikis Vater für ein wöchentlich erscheinendes Anime-Magazin a la Shonen Jump arbeitet - übrigens das Magazin, in dem der Anime erschien - schon eher eine nette Metaebene. Vor allem, weil Saikis Vater alles andere als ein guter Redakteur ist und Saikis Lieblings-Anime im Magazin zugrunderichtet. Nervig. Wie gut, dass man per Hypnose als eigener Vater erscheinen und alle Änderungen null und nichtig machen kann. Ein kleiner Seitenhieb auf die Industrie also, der durchaus einige nette Folgen ergibt.

Ein wahrer Stoiker ist Saiki vermutlich nicht - dazu nerven ihn die Anderen zu sehr, die auf rätselhafte Art und Weise eine Freunde sind. »Ich meine, ein Junge, der ernsthaft glaubt, er sei der Charakter in einem Action-Anime mit allem, was dazugehört, dunkle Verschwörungen und Zauberkräfte in seinem rechten Arm?? Meine Güte.« Aber Saiki zeigt, welche Last Superkräfte sein können und macht verständlich, warum er letzten Endes ein ganz normale Leben führen möchte. Irgendwann muss er auch die Zeitschleife beenden und was danach ist kommt … Ob ihm ein normales Leben gelingt, ist die Frage. Letztendlich muss er seinen Freunden und Freundinnen auch irgendwann die Wahrheit sagen. Was das für Folgen haben wird bleibt abzuwarten. Schließlich hat Netflix nach der bisherigen Serie mit zwei Staffeln und einer Extrafolge als Ende für den Dezember diesen Jahres schon eine weitere Mini-Serie angekündigt.

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