Die Feuer von Troja: Einfach nur ein schlechtes Buch?
»Die Feuer von Troja«
Einfach nur ein schlechtes Buch?
Oder hat uns Zimmer-Bradley einfach nur ein schlechtes Buch hinterlassen?
Vielleicht liegt die Diskrepanz, die ich beim Lesen empfinde daran, dass Zimmer-Bradley nicht unbedingt wusste, wie sie den Stoff angehen sollte. In mehrfacher Hinsicht. Da gibt es die Diskrepanz zwischen dem Übernatürlichem und dem, was dann nur als Vorlage für das Übernatürliche dient - Kentauren, ja, gibt es, aber es sind kleine Männer auf Pferden und es sieht nur so aus, als ob die vorne Mensch, hinten Pferd in einer Gestalt wären. Amazonen, ja, aber nicht die grimmigen Männerverächterinnen und von einem abgetrennten Busen wegen des besseren Bogenschießens fällt auch kein Wort.
Allerdings gibt es die Erscheinungen von Aphrodite, Apollon, Zeus, Hera und Konsorten dann wiederum im Roman. Teilweise ist Kassandra dank ihrer Sehergabe auch direkt auf dem Olymp und bekommt die kleinlichen Auseinandersetzungen der Götter mit. Allerdings taucht das Element anders als die Sehergabe Kassandras nun keineswegs konsequent auf, sondern immer nur dann, wenn es für die Handlung bequem ist. Das ist irgendwie nichts Halbes und nichts Ganzes: Entweder man bemüht sich die übernatürlichen Elemente des Stoffes herauszunehmen und an einer möglichen plausiblen Erklärung zu bleiben oder man lässt das Übernatürliche dann in vollen Wogen über die Handlung herfallen. Sicherlich gibt es da Mittelwege - aber das, was hier versucht wird funktioniert auch nach mehrfachem Lesen der betreffenden Stellen nicht. Was Zimmer-Bradley nun eigentlich wollte?
Das bekommt man als Leser*in des Ganzen unentwegt aufs Brot geschmiert. Es gibt ja kaum einen Dialog, in dem es nicht darum geht, dass Kassandra die Erdgöttin gegen den Sonnengott Apollon abwegt, kaum ein Dialog, in dem es nicht darum geht, ob Frauen nun am Herd bleiben sollten oder ob sie nicht besser auch zum Kampf ausgebildet werden sollen, ob die Erdgöttin nicht mächtiger ist als die Götter der Griechen, warum es besser ist, wenn es Königinnen anstatt Königinnen gibt. Besonders deutlich wird das bei der Gegenüberstellung von Kolchis zu Troja. Hier die herrschende Königin, die sich ab und an mal einen Mann nimmt und ihn dann wieder gehen lässt, dort die Könige, deren Frauen sich hinter dem Mann einordnen müssen. Das kommt im Roman ja auch so zum Ausdruck, da wird von paradiesischen Zeiten gesprochen, wenn es um Kolchis geht.
Nun habe ich als Leser*in nichts dagegen, dass ein Mythos aus einer neuen Perspektive gezeigt und erzählt wird. Es gibt ja nun nicht DIE griechische Göttersage - auch wenn Schwab das für unseren Sprachraum recht gern festgelegt hätte - es gibt mehrere Varianten. Penthesilea taucht ja auch nicht direkt in der Illias auf, sondern etwas später. Ein Stoff verändert sich durch das Nacherzählen und selbst, wenn er aufgeschrieben wurde, gibt es da durchaus Varianten. Was übrigens heute auch mit unseren Märchenfiguren passiert: Im Original hat Rumpelstilzchen keine Verträge jeglicher Art anzubieten sondern nur Gold, das er aus dem Stroh spinnt.
Von daher ist ein Blick aus der eher feministischen Sichtweise auf einen Stoff durchaus anregend und nach-denkenswürdig. Jedoch: Bekomme ich als Leser*in das Ganze immer und immer wieder auf Tablett gepackt, dann ermüdet mich das irgendwann. Und was ein Fehler des Romans ist: Er zeigt zwar auf, dass durchaus starke Frauenfiguren im Mythos vorkommen - was erfrischend ist. Aber diese Frauenfiguren sind schablonenhaft und blass. Die bekommen einige Charakteristiken verpasst, aber sie verändern sich während der Handlung nicht. Helena bleibt immer Helena. Andromache immer Andromache. Und selbst Kassandra, die ja eigentlich die Hauptperson ist, hat keine Entwicklung. Sie ist von Anfang an die Außergewöhnliche und bleibt es auch während der ganzen Handlung. Da helfen selbst Abstecher und Ausbildung bei den Amazonen oder später nach Kolchis nicht. Frauenfiguren in diesem Roman sind in erster Linie nur da, um uns die These einzuprügeln: Wären Frauen an der Macht gewesen, wäre all das nicht passiert.
Die gähnende Langeweile liegt dann auch an der Konzeption des Romans: Er ist nicht auf Spannung aus. Das überrascht, schließlich gibt es genug Szenen, die von der Ilias abweichen und genügend eigene Motive und Figuren, die Spannung erzeugen könnten. Aber wenn es um Schlachtszenen geht, dann hakt der Roman die meistens per Mauerschau ab oder einige Dialogzeilen drehen sich bei Banketten um die Ereignisse. Oder Hochzeiten. Es gibt gefühlt mehr Hochzeiten als Schlachtszenen in dem Roman, was aber daran liegt, dass die Hochzeitsszenen weitaus breiter erzählt sind als die Schlachtszenen. Was schon bezeichnend ist.
So recht will sich Mitleid dann halt nicht einstellen bei den Figuren und Mitleid ist gerade das, was den Einstieg in eine Geschichte fördert. Wenn wir nicht mit den Figuren mitleiden können, dann muss der Autor, die Autorin schon starke Kniffe anwenden, damit wir bei den Figuren und in der Erzählung selbst bleiben. Haben wir Mitleid mit Sherlock? Nein, aber wir bleiben dabei, weil er als Detektiv außergewöhnliche Verbrechen aufklärt. Die Fünf Freunde sind nicht gerade bemitleidenswert, aber ebenso wie bei Hanni und Nanni geraten sie in aufregende Abenteuer, die nicht alltäglich sind. »Falls sich jemand an das Buch erinnert, in dem Hanni und Nanni in ihrer Klasse jemanden vom Zirkus bekommen und … Nein?«
Gut, schön, jetzt kann ich auch einwenden: Da wir ja alle den Ausgang der Sagen kennen und alle wissen, wie die Helden zu Tode kommen, kann ich keine Spannung erzeugen. Ich habe ja alle Spoilervarianten schon gehört oder gelesen. Deswegen ja, so im Nachwort zu lesen, erzählt Marion-Zimmer Bradley halt nicht wirklich komplett nach sondern fügt eigene Figuren und Konflikte ein. So der Konflikt bei Kassandra zwischen der Erdgöttin und Apollon - beide beanspruchen sie als Priesterin, Kassandra hat Gewissensbisse, sie stellt sich ja die Frage, wie es sein kann, dass sie der Göttin und Apollon dienen kann. Stellen wir uns vor, wie das im Laufe des Romans immer wichtiger wird, wie sie von beiden Gottheiten hin- und hergezogen wird bis es zum dramatischen Konflikt kommt an dem Tag, an dem die Stadtmauern Trojas geschleift werden. Die Leser fühlen mit Kassandra bis dahin mit, sie fiebern: Wie geht das aus? Was passiert mit Kassandra?
Na ja, im Roman eigentlich nichts. Schön, kann es auch nicht, wenn man sich an die üblichen Darstellungen hält, aber ... Also ... Warum einen Konflikt anlegen, wenn der nicht aufgelöst wird? Zwar stellt sich Kassandra immer wieder die Frage, ob sie zwei Gottheiten dienen kann, aber aus diesem Konflikt heraus passiert nichts. Der eigentliche Konflikt - und das ist auch ein Makel des Romans - der Bruch mit Apollon geschieht früher eigentlich nicht so, dass er unbedingt nachvollziehbar für uns als Leser*innen wäre. Wobei Kassandra nicht direkt verflucht wird, aber selbst nach etlichem Lesen der Stelle bin ich auch nicht viel weiser darin, was jetzt genau so schlimm am Verhalten Kassandras gewesen sein soll. Was natürlich auch Absicht der Autorin ist. Die jetzt dann halt endlich mal in die Pötte kommen könnte, aber nein, selbst nach diesem Vorfall bleibt alles weiterhin spannungsarm und Kassandra nur ein Prinzipiencharakter.
Die Frage, die ich mir zu Anfang gestellt habe, die habe ich dann nach etlichen Nachdenken für mich selbst auch beantworten können: »Die Feuer von Troja« ist einfach ein schlechtes Buch. Es ist schlecht erzählt, schlecht konstruiert, die Figuren sind belanglos, die neuen Motive und Charaktere fesseln einfach nicht. Warum Kassandra so handelt, wie sie handelt ist teilweise nicht nachvollziehbar. Warum es mal das Übernatürliche gibt und mal versucht wird, dem Übernatürlichem eine logische Erklärung überzustülpen - da gibts kein System. Die Männer sind zwar nicht eindimensional gezeichnet, aber in der Regel bekommt man als Leser*in immer vermittelt, dass alles viel besser gewesen wäre, wenn die Frauen an der Macht geblieben wären.
Dass der trojanische Krieg dabei durch einen Zankapfel ausgelöst wurde … das berührt der Roman zwar, aber natürlich sind die Götter und Göttinnen der Griechen so geformt, wie Männer sie sich vorstellen. Oh Göttin …
Kommentare